OGH 27.02.2020, 8Ob107/19x
Rechtssatz
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Normen | EUGVVO 2012 Art17 EUGVVO 2012 Art19 EUGVVO 2012 Art25 EUGVVO 2012 Art67 EWG-RL 93/13/EWG - missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen 31993L0013 |
RS0133072 | Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Sind die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr 1215/2012, insbesondere Art 25, Art 17 Abs 3, Art 19, allenfalls auch im Hinblick auf Art 67, dahin auszulegen, dass sie einer Missbrauchskontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen nach der Richtlinie 93/13/EWG bzw nach den entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschriften entgegenstehen? 2. Ist Art 25 Abs 1 erster Satz, letzter Halbsatz der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 („es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig“) dahin auszulegen, dass dadurch eine – auch über den harmonisierten Rechtsbereich hinausgehende – Inhaltskontrolle nach dem nationalen Recht des prorogierten Mitgliedstaats eröffnet wird? 3. Falls die Fragen 1 und 2 verneint werden: Bestimmen sich die für eine Missbrauchskontrolle nach Maßgabe der Richtlinie 93/13/EWG anzuwendenden nationalen Umsetzungsvorschriften nach dem Recht des prorogierten Mitgliedstaats oder nach der lex causae des angerufenen Mitgliedstaats? |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *****, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 30.500 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 5.500 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 129 R 37/19p-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 2 Cg 70/18x-14, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Der Revision wird teilweise Folge gegeben und die Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Leistungsfrist für Klausel 1 abgeändert, im Übrigen aber bestätigt, sodass sie als Teilurteil lautet:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt und/oder in hierbei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klauseln:
Klausel 1
6.2 Alle Passagiere müssen auf https://www.r***** online einchecken und die Bordkarte ausdrücken und mitführen, außerhalb die Flexi Plus Tickets, die den kostenlosen Flughafen-Check In auch enthalten, bis Sie einen Mobil Bordkarte benutzen (Sie mussen die Kriteriumen einhalten fur die Benutzung der Mobil Bordkarten, klicken Sie hier für die Bedingungen).
Der Online Check-In öffnet 60 Tage vor jedem gebuchten Abflug und es schliesst 2 Stunden vor jedem gebuchten Abflug, wenn Sie Sitzplätze reservieren und bezahlen. […]
Aber wenn Sie keine Sitzplätze bezahlenmöchten, können Sie den Online Check-In kostenlos zwischen 2 Tagen und 2 Stunden vor jedem Flug machen. Jede Bordkarte muss auf einer eigenen A4-Seite ausgedruckt werde oder erreichbar sein auf der R***** App auf dem Handy. Passagieren, die es nicht schaffen innerhalb der vorgegebenen Fristen einzuchecken (außerhalb Flexi Plus Kunden), wird die Gebühr für den Flughafen Check-In zu dem in unserer Gebührentabelle angeführten Preis verrechnet. […]
Gebühr für den Flughafen Check-In […]
Nach der Buchung/Flughafen 55 EUR
Es ist kostenlos für Business Plus Ticket.
Klausel 2
2.4 Sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen, unterliegen Ihr Beförderungsvertrag mit uns, diese Beförderungs-bestimmungen und unsere Regelungen dem irischen Recht [...]“
oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen; sie ist ferner schuldig, es zu unterlassen, sich auf die vorstehend genannten Klauseln oder sinngleiche Klauseln zu berufen.
Die Leistungsfrist für das Verbot der Verwendung der Klausel 1 und der Berufung auf Klausel 1 beträgt drei Monate.
2. Der klagenden Partei wird die Ermächtigung erteilt, den klagsstattgebenden Teil des Urteilsspruchs im Umfang des Unterlassungsbegehrens und der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in einer Samstagsausgabe des redaktionellen Teils der „Kronen-Zeitung“, bundesweit erscheinende Ausgabe, auf Kosten der beklagten Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleich großer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen.
Die Entscheidung über das Mehrbegehren (zu Klausel 2.4 = Klausel 3) und die Kostenentscheidung bleiben der Endentscheidung vorbehalten.
II. Das Revisionsverfahren wird hinsichtlich der Klausel 3:
„2.4 Sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen, unterliegen Ihr Beförderungsvertrag mit uns [...] sowie sämtliche Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag der Zuständigkeit irischer Gerichte.“
bis zum Einlangen der mit gesondert ausgefertigtem Beschluss eingeholten Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist ein gemäß § 29 KSchG zur Erhebung von Unterlassungsansprüchen nach §§ 28 f KSchG befugter Verband. Das beklagte Luftfahrtunternehmen (eine sogenannte „Billigfluggesellschaft“) betreibt unter www.*****.com ein Flugbuchungsportal. Dabei verwendet sie im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern Allgemeine Beförderungsbedingungen und Allgemeine Geschäftsbedingungen. Flüge kann man bei der Beklagten ausschließlich online buchen.
Der Kläger begehrt, der Beklagten die Verwendung der zitierten bzw sinngleicher Klauseln wegen Verbots- und Sittenwidrigkeit zu verbieten und ihr zu untersagen, sich auf die unzulässig vereinbarten Klauseln zu berufen, außerdem erhebt er ein Veröffentlichungsbegehren.
Die Beklagte wendet ein, die beanstandeten Klauseln seien gesetzmäßig und zulässig.
Das Erstgericht gab der Klage hinsichtlich der Klauseln 1 und 2 statt und wies das Klausel 3 betreffende Mehrbegehren ab.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Beklagten – mit Ausnahme des Nachtrags einer Leistungsfrist für das Verbot der Verwendung der Klausel 1 – keine Folge, änderte die Entscheidung des Erstgerichts über Berufung des Klägers im zur Gänze stattgebenden Sinn ab und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil es sich zumindest teilweise um bisher noch nicht vom Obersten Gerichtshof beurteilte Klauseln handle, die regelmäßig für eine größere Anzahl von Verbrauchern bestimmt und von Bedeutung seien.
Die gegen diese Entscheidung gerichtete Revision der Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung strebt die gänzliche Abweisung des Klagebegehrens an; in eventu wird die Festsetzung einer Leistungsfrist von drei Monaten sowohl für das Unterlassen des Verwendens als auch des Sich-Berufens begehrt; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig, aber im hier zu entscheidenden Bereich überwiegend nicht berechtigt.
A. Allgemeines
Das Berufungsgericht hat die wesentlichen Grundsätze der Klauselprüfung im Rahmen eines Verbandsverfahrens (zu §§ 28, 29 KSchG, §§ 864a, 879 Abs 3 ABGB, § 6 Abs 3 KSchG) bereits zutreffend dargestellt. Auf diese Ausführungen, die in der Revision nicht in Frage gestellt werden, wird daher zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
B. Strittige Klauseln
1. Klausel 1
„6.2 Alle Passagiere müssen auf https://www.r***** online einchecken und die Bordkarte ausdrücken und mitführen, außerhalb die Flexi Plus Tickets, die den kostenlosen Flughafen-Check In auch enthalten, bis Sie einen Mobil Bordkarte benutzen (Sie mussen die Kriteriumen einhalten fur die Benutzung der Mobil Bordkarten, klicken Sie hier für die Bedingungen).
Der Online Check-In öffnet 60 Tage vor jedem gebuchten Abflug und es schliesst 2 Stunden vor jedem gebuchten Abflug, wenn Sie Sitzplätze reservieren und bezahlen. […]
Aber wenn Sie keine Sitzplätze bezahlenmöchten, können Sie den Online Check-In kostenlos zwischen 2 Tagen und 2 Stunden vor jedem Flug machen. Jede Bordkarte muss auf einer eigenen A4-Seite ausgedruckt werde oder erreichbar sein auf der R***** App auf dem Handy. Passagieren, die es nicht schaffen innerhalb der vorgegebenen Fristen einzuchecken (außerhalb Flexi Plus Kunden), wird die Gebühr für den Flughafen Check-In zu dem in unserer Gebührentabelle angeführten Preis verrechnet. […]
Gebühr für den Flughafen Check-In […]
Nach der Buchung/Flughafen 55 EUR
Es ist kostenlos für Business Plus Ticket.“
Der Kläger macht geltend, dass diese Klausel nach § 864a ABGB unzulässig sei, weil mit ihr nicht gerechnet werden müsse, zumal zahlreiche andere Fluglinien einen Check-in am Flughafen ohne Zusatzkosten anbieten würden. Auf die Check-in Gebühren werde nicht ausdrücklich hingewiesen, sondern man müsse die Informationen dazu unter den zahlreichen Buttons der Beklagten aktiv suchen. Die Klausel verstoße auch gegen die in der VO (EG) 1008/2008 normierten Vorgaben zur Preistransparenz. Darüber hinaus sei die Klausel gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB, weil es sich beim Check-in als Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines Fluges um eine vertragliche Nebenleistungspflicht der Beklagten handle, für die kein Entgelt verrechnet werden dürfe. Sofern der Kunde – aus welchen Gründen auch immer – nicht auf der Webseite einchecken könne, müsse er, um den Flug anzutreten, eine Gebühr von 55 EUR zahlen.
Die Beklagte wendet ein, über die mit dem Check-in am Flughafen verbundenen – aufgrund eines erhöhten Personal- und Bearbeitungsaufwands auch sachlich gerechtfertigten – Zusatzkosten werde auf dem Flugbuchungsportal der Beklagten auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise informiert. Eine Anwendung der Bestimmungen der §§ 879 Abs 3, 864a ABGB würde die den Luftfahrtunternehmen durch die VO (EG) 1008/2008 eingeräumte Preisfestsetzungsfreiheit unterlaufen.
Die Vorinstanzen beurteilten die Klausel übereinstimmend als überraschend im Sinn des § 864a ABGB, das Berufungsgericht bejahte zudem im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB eine gröbliche Benachteiligung der Kunden durch die Klausel.
In der Revision vertritt die Beklagte weiterhin den Standpunkt, dass die einem Luftfahrtunternehmen durch die VO (EG) 1008/2008 eingeräumte Preisfestsetzungsfreiheit einer Klauselkontrolle nach den Bestimmungen des § 864a ABGB und des § 879 Abs 3 ABGB entgegenstehe. Die Beklagte sei gemäß Art 22 Abs 1 der VO (EG) 1008/2008 berechtigt, die für die Beförderung des Fluggastes nicht obligatorische und nicht unerlässliche Leistung des Check-in am Flughafen in ihr (Basis-)Angebot nicht aufzunehmen, sondern diese Leistung nur gegen Bezahlung eines gesonderten Entgelts anzubieten und die Höhe dieses Entgelts frei festzulegen. Im Übrigen sei die Klausel weder nach § 864a ABGB noch nach § 879 Abs 3 ABGB unzulässig.
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
1.1 Der EuGH hat in der Rs C-290/16 (ECLI:EU:2017:523 Rn 46 ff) klargestellt, dass sich aus dem mit Art 22 Abs 1 der VO (EG) 1008/2008 verfolgten Ziel nicht ableiten lasse, dass bei Luftbeförderungsverträgen die allgemeinen Vorschriften zum Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Klauseln nicht eingehalten werden müssten. Die in dieser Bestimmung vorgesehene Preisfreiheit sei das Ergebnis eines zum Zweck der Öffnung des Sektors für den Wettbewerb vorgenommenen schrittweisen Abbaus der von den Mitgliedstaaten ausgeübten Preiskontrollen. Das Urteil in der Rs C-487/12 (EU:C:2014:2232) lasse keinen anderen Schluss zu. In diesem Urteil habe der Gerichtshof nicht erklärt, dass die Preisfreiheit allgemein der Anwendung jeglicher Verbraucherschutzregelung entgegenstünde. Ganz im Gegenteil habe er darauf hingewiesen, dass es das Unionsrecht, unbeschadet der Anwendung ua von Bestimmungen zum Verbraucherschutz, den Mitgliedstaaten nicht verwehre, Aspekte des Luftbeförderungsvertrags insbesondere zum Schutz der Verbraucher vor missbräuchlichen Geschäftspraktiken zu reglementieren, sofern dabei die Entgeltregelungen der VO (EG) 1008/2008 nicht in Frage gestellt würden.
1.2 Der Ansicht der Beklagten, durch die Anwendung des § 864a ABGB werde die freie Preisfestsetzung nach der VO (EG) 1008/2008 ausgehöhlt, ist nicht beizutreten:
Nach § 864a ABGB werden Bestimmungen ungewöhnlichen Inhalts in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern, die ein Vertragsteil verwendet hat, nicht Vertragsbestandteil, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und er mit ihnen auch nach den Umständen, vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde, nicht zu rechnen brauchte; es sei denn, der eine Vertragsteil hat den anderen besonders darauf hingewiesen.
Die Beklagte ist insoweit – nach Maßgabe dieser Bestimmung – weder daran gehindert, den Check-in am Flughafen zusätzlich zu ihrem Basisangebot gegen Bezahlung eines gesonderten Entgelts anzubieten, noch daran, die Höhe dieses Entgelts frei festzulegen. Die unterschiedlichen Zielrichtungen des Art 22 Abs 1 der VO (EG) 1008/2008 und des § 864a ABGB schließen einander nicht aus.
Die Vorstellung der Beklagten, dass die VO (EG) 1008/2008 Luftfahrtunternehmen die Preisfestsetzung in jeder beliebigen Form erlaubte, ist schon durch Art 23 Abs 1 VO (EG) 1008/2008 selbst widerlegt, demzufolge fakultative Zusatzkosten „auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise am Beginn jedes Buchungsvorgangs“ mitgeteilt werden müssen.
1.3 Die VO (EG) 1008/2008, insbesondere Art 22, steht daher einer Geltungskontrolle der Klausel 1 nach § 864a ABGB nicht entgegen.
2.1 Die Geltungskontrolle nach § 864a ABGB geht der Inhaltskontrolle gemäß § 879 ABGB vor (RIS-Justiz RS0037089). Objektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB ist eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Einen Überraschungseffekt hat die Klausel etwa dann, wenn sie sich nicht dort befindet, wo ein durchschnittlich sorgfältiger Leser nach den Umständen mit ihr rechnen muss, und wenn er sie nicht dort findet, wo er sie vermuten könnte (RS0014646 [T14]). Der Inhalt der Klausel, auf den es dabei alleine nicht ankommt, spielt vor allem im Zusammenhang mit der Stellung im Gesamtgefüge des Vertragstextes eine Rolle, denn das Ungewöhnliche einer Vertragsbestimmung ergibt sich besonders aus der Art ihrer Einordnung in den AGB (RS0014659). Erfasst sind alle dem Kunden nachteiligen Klauseln; eine grobe Benachteiligung nach § 879 Abs 3 ABGB wird nicht vorausgesetzt (RS0123234).
2.2 Nach den Feststellungen wird im Zuge des Online-Buchungsvorgangs auf dem Flugbuchungsportal der Beklagten eine Liste mit verschiedenen Tarifen („Standard“, „Plus“ und „Flexi Plus“), deren Preis und die darin enthaltenen Leistungen angezeigt, wobei für einen durchschnittlichen Betrachter anhand der farblichen Gestaltung erkennbar ist, welche Leistungen im jeweiligen Tarif inkludiert sind. So wird der kostenlose Check-in am Flughafen beim Tarif „Flexi Plus“ als inkludiert, hingegen bei den Tarifen „Standard“ und „Plus“ als nicht inkludiert dargestellt. Die Höhe des Tarifs für den Check-in am Flughafen [falls er nicht inkludiert ist] wird allerdings während des gesamten Buchungsvorgangs nicht automatisch angezeigt; der Kunde muss vielmehr durch aktives Anklicken der Tarifinformation die Höhe der Gebühr [von 55 EUR] selbständig erfragen.
2.3 Zu Recht hat das Berufungsgericht letztere (von der Revision ausgeblendete) Feststellung im Zusammenhalt mit der von ihm ergänzend getroffenen Feststellung, dass zahlreiche Fluglinien für den Check-in am Flughafen selbst bei günstigen Tarifen nichts zusätzlich verrechnen, für entscheidend gehalten:
Selbst wenn ein Kunde erkennt, dass der Check-in am Flughafen bei zwei von drei von der Beklagten angebotenen Tarifen zusätzlich zu bezahlen ist, muss er nicht mit einem Entgelt von 55 EUR für diese Leistung rechnen, zumal zahlreiche andere Fluglinien gar nichts oder – wie etwa eine andere Fluglinie – nur 5 EUR dafür verlangen. Entgegen der Meinung der Beklagten wird ihr in diesem Zusammenhang weder zur Last gelegt, dass sie ein gesondertes Entgelt für den Check-in am Flughafen verrechnet, noch die Höhe des Preises als solche. Zu beanstanden ist vielmehr der Umstand, dass das Zusatzentgelt in dieser Höhe in den AGB bzw unter anderen Reitern wie „Nützliche Info“ „versteckt“ ist. Die Beklagte weist den Kunden während des gesamten Buchungsvorgangs nicht automatisch auf den (vor allem im Vergleich zu den bei einer Billigfluglinie typischerweise günstigen Flugtickets) auffallend hohen Preis von 55 EUR für eine einfache Dateneingabe hin, sondern müsste der Kunde diese Information von sich aus recherchieren. Da ein Verbraucher bei der Buchung oftmals noch gar nicht wissen wird, auf welche Art und Weise er einchecken wird, oder er sich auf die Möglichkeit verlassen wird, kostenlos online einzuchecken, besteht für ihn vorderhand kein Anlass, die Gebühr für den Flughafen-Check-in aktiv abzufragen, mag sie sich auch vor und während des Buchungsvorgangs – wie das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung meint – in den AGB leicht auffinden lassen. Zudem wird erst in Zusammenschau mit den Ausführungen unter dem Link „Online Check-in“, die aber wiederum die Höhe der Gebühr für den Check-in am Flughafen nicht nennen, klar, dass gegebenenfalls für den kostenlosen Check-in nur ein Zeitfenster von 48 Stunden bis zu zwei Stunden vor der geplanten Abflugzeit zur Verfügung steht. Im Hinblick darauf, dass sich der (kostenlose) Online-Check-in als Alternative nur befristet nutzen lässt, was nicht jedem Kunden beim Buchungsvorgang auffallen muss, ist sehr wohl von Relevanz, dass ein Check-in (in welcher Form auch immer) für die Inanspruchnahme der Beförderungsleistung notwendig ist. Es ist nämlich denkbar, dass dem Kunden die technischen Voraussetzungen für einen fristgerechten Online-Check-in fehlen oder dieser sogar aus Gründen scheitert, die in der Sphäre der Beklagten liegen. Damit wäre der Kunde aber allein auf den (kostenpflichtigen) Check-in am Flughafen verwiesen, womit ein Nachteil für den Fluggast jedenfalls vorliegt.
2.4 Aus all diesen Gründen trifft die Beurteilung der Vorinstanzen zu, dass die Klausel 1 nach § 864a ABGB unzulässig ist.
3. Die Revisionswerberin rügt die Unterlassungsverpflichtung hinsichtlich des zweiten und des dritten Satzes der Klausel als überschießend, übersieht dabei jedoch, dass sich die Unzulässigkeit der Klausel gerade auch im Zusammenhang mit der zeitlichen Beschränkung des kostenlosen Online-Check-in ergibt.
2. Klausel 2
„2.4 Sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen, unterliegen Ihr Beförderungsvertrag mit uns, diese Beförderungs-bestimmungen und unsere Regelungen dem irischen Recht [...]“
Das Erstgericht hat die Klausel untersagt, weil sie den Vorgaben des Art 5 Abs 2 Rom I-VO widerstreitet. Diese Beurteilung hat die Beklagte im Rechtsmittelverfahren nicht in Zweifel gezogen, sondern sich nur mehr auf den Wegfall der Wiederholungsgefahr berufen, weil die Klausel mittlerweile geändert und dem Kläger zwei Unterlassungsvergleiche angeboten worden seien.
Das Berufungsgericht gelangte zu dem Ergebnis, dass durch die beiden angebotenen Unterlassungsvergleiche die Wiederholungsgefahr nicht weggefallen sei. Die Vergleichsangebote würden keine Ermächtigung zur Veröffentlichung des Vergleichs, sondern eine Verpflichtung des Klägers vorsehen, über die Einigung Stillschweigen zu bewahren. Ob im Vorfeld ein Abmahnungsverfahren durchgeführt worden sei, ändere an den inhaltlichen Voraussetzungen eines für die Beseitigung der Wiederholungsgefahr geeigneten Unterlassungsvergleichs nichts. Eine bloße Änderung der Geschäftsbedingungen, die zudem keine Gewähr dafür biete, dass sich das Unternehmen nicht für bereits bestehende Verträge auf eine frühere Fassung berufe, reiche keinesfalls aus, um die Wiederholungsgefahr zu beseitigen.
In ihrer Revision meint die Beklagte, dass bei einer Gesamtbetrachtung aller von ihr gesetzter Maßnahmen doch vom Wegfall der Wiederholungsgefahr auszugehen sei. Die Änderung der Klausel (nachdem ihr die Beanstandung erstmals durch Zustellung der Klage bekannt geworden sei) und die angebotenen Unterlassungsvergleiche würden eine ernstliche Willensänderung zum Ausdruck bringen.
Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Nach ständiger Rechtsprechung beseitigt nur die vollständige Unterwerfung unter den Anspruch einer gemäß § 29 KSchG klageberechtigten Einrichtung die Wiederholungsgefahr (RS0111637), wobei das Vergleichsanbot auch einem berechtigten Veröffentlichungsbegehren Rechnung tragen muss (vgl RS0079921).
Die Ausführungen der Beklagten setzen sich nicht näher mit der Beurteilung des Berufungsgerichts auseinander, dass die zwei angebotenen Unterlassungsvergleiche mangels Veröffentlichungsermächtigung die Wiederholungsgefahr nicht beseitigt haben. Schon aus diesem Grund weckt die Rechtsmittelwerberin an der Annahme, dass weiter Wiederholungsgefahr besteht, keine Bedenken.
C. Leistungsfrist
Anders als das Erstgericht räumte das Berufungsgericht der Beklagten über deren Rechtsmittel eine Leistungsfrist von drei Monaten für das Unterlassen der Verwendung der Klausel 1 ein, weil ihr diese Frist für die Änderung des Buchungsvorgangs auf ihrer Webseite als dem voraussichtlichen Aufwand angemessen zuzugestehen sei. Die Beklagte habe aber weder Umstände vorgebracht noch seien solche ersichtlich, die für das sofortige Sich-nicht-Berufen größere organisatorische Maßnahmen erfordern würden. Der Aufwand erschöpfe sich darin, eine Gebühr nicht in Rechnung zu stellen. Eine Leistungsfrist für das bloße Sich-nicht-Berufen sei daher nicht festzusetzen gewesen.
Die Beklagte strebt mit ihrer Revision eine dreimonatige Leistungsfrist auch für das Verbot der Berufung auf diese Klausel an. Dabei stützt sie sich darauf, dass die „Wichtigen Informationen zum Check-in“ auf ihrer Webseite eine Mitteilung an den Verbraucher seien, die unter das weite Verständnis des „Sich-Berufens“ auf eine Klausel falle.
Der Oberste Gerichtshof hat sich zuletzt mehrfach mit der Frage der Leistungsfrist für die Unterlassung der Verwendung der unzulässigen Klauseln einerseits und jener für das Verbot der Berufung auf diese Klauseln andererseits auseinandergesetzt (9 Ob 82/17z; 6 Ob 56/18f; 1 Ob 57/18s; 9 Ob 76/18v). Diese Rechtsprechung lässt sich dahin zusammenfassen, dass die Frage der Zulässigkeit einer Leistungsfrist für das Sich-Berufen auf unzulässige Klauseln nicht generell nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip zu beantworten ist. Vielmehr kann es Klauselwerke geben, die ein sofortiges Abstandnehmen von einem Sich-darauf-Berufen erlauben und zur Umsetzung dieses Unterlassungsgebots keine weiteren aktiven Vorkehrungen erfordern, aber auch Klauselwerke, die bestimmter betrieblicher und/oder organisatorischer Maßnahmen bedürfen, um zu verhindern, dass sie weiter der Gestion von Altverträgen zugrunde gelegt werden.
Zutreffend verweist die Beklagte darauf, dass ein Unternehmer sich schon dann auf eine Klausel beruft, wenn sie nur Inhalt oder Kalkulationsgrundlage einer Mitteilung an den Verbraucher ist, selbst wenn es sich dabei um eine bloße Wissenserklärung handelt. Die Unterlassungsverpflichtung des „Sich-Berufens“ umfasst auch das Verbot, bei aktuellen Berechnungen oder Mitteilungen indirekt auf einer Rechtsposition aufzubauen, die als gesetzwidrig erkannt worden ist (8 Ob 132/15t mwN).
Ausgehend von diesem weiten Verständnis des „Sich-Berufens“ auf eine Klausel ist es freilich inkonsistent, der Beklagten einerseits eine Leistungsfrist von drei Monaten für die Umgestaltung des Buchungsvorgangs auf ihrer Webseite zu gewähren, andererseits aber davon auszugehen, dass sie die unzulässige Klausel – als Bestandteil eben dieses Buchungsvorgangs – sofort aus ihrem Online-Buchungsportal entfernen könnte. Die Revision erweist sich daher hinsichtlich der Leistungsfrist als berechtigt. Der Vollständigkeit halber ist aber darauf hinzuweisen, dass die Setzung einer Leistungsfrist im Verbandsprozess nicht auf die individuellen Rechtspositionen der Kunden der Beklagten einwirkt und daher auch deren Rechtsdurchsetzung nicht behindert (9 Ob 82/17z mwN).
D. Ergebnis
Der Revision der Beklagten war nur teilweise (Leistungsfrist) Folge zu geben, das Berufungsurteil aber im Übrigen – soweit das Verfahren nicht zu unterbrechen war – als Teilurteil zu bestätigen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner, Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *****, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, aus Anlass der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 129 R 37/19p-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 2 Cg 70/18x-14, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind die Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr 1215/2012, insbesondere Art 25, Art 17 Abs 3, Art 19, allenfalls auch im Hinblick auf Art 67, dahin auszulegen, dass sie einer Missbrauchskontrolle internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen nach der Richtlinie 93/13/EWG bzw nach den entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschriften entgegenstehen?
2. Ist Art 25 Abs 1 erster Satz, letzter Halbsatz der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 („es sei denn, die Vereinbarung ist nach dem Recht dieses Mitgliedstaats materiell nichtig“) dahin auszulegen, dass dadurch
eine – auch über den harmonisierten Rechtsbereich hinausgehende – Inhaltskontrolle nach dem nationalen Recht des prorogierten Mitgliedstaats eröffnet wird?
3. Falls die Fragen 1 und 2 verneint werden:
Bestimmen sich die für eine Missbrauchskontrolle nach Maßgabe der Richtlinie 93/13/EWG anzuwendenden nationalen Umsetzungsvorschriften nach dem Recht des prorogierten Mitgliedstaats oder nach der lex causae des angerufenen Mitgliedstaats?
Text
Begründung:
I. Sachverhalt:
Beim Anlassverfahren handelt es sich um einen Klauselprozess. Der Kläger ist ein nach österreichischem Konsumentenschutzgesetz klageberechtigter Verband zur Durchsetzung von Verbraucherinteressen. Das beklagte Luftfahrtunternehmen (eine sogenannte „Billigfluggesellschaft“) betreibt unter www.*****.com ein Flugbuchungsportal. Dabei verwendet sie im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern Allgemeine Beförderungsbedingungen und Allgemeine Geschäftsbedingungen. Flüge kann man bei der Beklagten ausschließlich online buchen. Die Beklagte bietet keine reine Inlandsbeförderung innerhalb Österreichs an.
Für das Vorabentscheidungsverfahren ist folgende Klausel in den genannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten von Bedeutung:
„2.4 Sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen, unterliegen Ihr Beförderungsvertrag mit uns [...] sowie sämtliche Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag der Zuständigkeit irischer Gerichte.“
II. Anträge und Vorträge der Parteien:
Der Kläger brachte vor, die Gerichtsstandsklausel sei unwirksam. Die Formulierung „sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen“ sei intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG, weil die Verbraucher selber eruieren müssten, ob die vorgesehene Gerichtszuständigkeit zulässig sei. Eine solche Vereinbarung sei zudem gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB, nicht zuletzt weil dadurch dem Verbraucher die übrigen nach der EuGVVO zustehenden Gerichtsstände, insbesondere Art 7 EuGVVO, nicht zur Verfügung stünden, und des Weiteren im Sinn des § 864a ABGB überraschend, weil ein Verbraucher im Hinblick auf den Sitz der Beklagten in Österreich mit einer ausschließlichen Zuständigkeit irischer Gerichte nicht zu rechnen brauche.
Die Beklagte berief sich darauf, dass die in der Klausel enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich nach der EuGVVO zu beurteilen sei. Art 17 Abs 3 EuGVVO nehme Beförderungsverträge von den nach Art 19 EuGVVO geltenden Beschränkungen für Verbraucherverträge aus. Gerichtsstandsvereinbarungen seien daher nach Maßgabe des Art 25 EuGVVO ohne die Einschränkungen entsprechend Kapitel I Abschnitt 4 der EuGVVO zulässig. Eine Missbrauchskontrolle nach den Bestimmungen des nationalen Rechts dürfe aufgrund des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht stattfinden. Im Übrigen sei die Regelung aufgrund des vorhersehbaren Auslandsbezugs nicht überraschend und auch nicht intransparent, weil durch den ersten Satz klargestellt werde, dass der darin vorgesehene Gerichtsstand zu jenen Gerichtsständen, die das Montrealer Übereinkommen („das Übereinkommen“) oder andere einschlägige Gesetze vorsehen würden, hinzutrete.
III. Bisheriges Verfahren:
Das Erstgericht wies das Klagebegehren hinsichtlich dieser Klausel ab. Art 25 EuGVVO gehe in seinem Anwendungsbereich dem nationalen Recht vor. Die Vorschrift sei hinsichtlich Zulässigkeit, Form und Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen abschließend.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers im klagestattgebenden Sinn Folge. Dabei ging es davon aus, dass Gerichtsstandsvereinbarungen in Verbraucherverträgen, die von der Klauselrichtlinie bzw den entsprechenden nationalen Umsetzungsvorschriften erfasst seien, auch im Anwendungsbereich von Art 25 EuGVVO der Missbrauchskontrolle nach dem Maßstab der Klauselrichtlinie unterliegen würden und daher im Einzelfall unwirksam sein könnten. Die nationalen Umsetzungsvorschriften der Klauselrichtlinie stellten eine Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit im Sinne von Art 67 EuGVVO dar, weil gemäß Anhang Nr 1 lit q der Richtlinie Klauseln, die einem Verbraucher die Möglichkeit zur Anrufung staatlicher Gerichte nehmen oder erschweren würden, als missbräuchlich angesehen werden könnten. Eine Missbrauchskontrolle anhand der Klauselrichtlinie sei gerade in der vorliegenden Konstellation von besonderer Bedeutung, weil gemäß Art 17 Abs 3 EuGVVO die sonst im Sinne des Verbraucherschutzes erlassenen Beschränkungen bei einem Beförderungsvertrag nicht anwendbar seien. Die Klausel sei jedenfalls intransparent nach § 6 Abs 3 KSchG.
Der Oberste Gerichtshof hat nunmehr über die gegen die Berufungsentscheidung erhobene Revision der Beklagten zu entscheiden, die eine Klageabweisung anstrebt.
Rechtliche Beurteilung
IV. Rechtsgrundlagen:
Unionsrechtliche Grundlagen:
Die unionsrechtlichen Grundlagen dieses Vorabentscheidungsersuchens liegen insbesondere in Art 25, 17 Abs 3, 19 und 67 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („EuGVVO“) sowie in der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen („Klauselrichtlinie“).
Nationales Recht:
§ 6 Abs 3 Konsumentenschutzgesetz (KSchG) lautet:
„Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung ist unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist.“
§ 864a Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) lautet:
„Bestimmungen ungewöhnlichen Inhaltes in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertrags-formblättern, die ein Vertragsteil verwendet hat, werden nicht Vertragsbestandteil, wenn sie dem anderen Teil nachteilig sind und er mit ihnen auch nach den Umständen, vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunde, nicht zu rechnen brauchte; es sei denn, der eine Vertragsteil hat den anderen besonders darauf hingewiesen.“
§ 879 Abs 3 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) bestimmt:
„Eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, ist jedenfalls nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles einen Teil gröblich benachteiligt.“
V. Vorlagefragen:
Berechtigung zur Vorlage:
Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs kann mit den Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts nicht mehr angefochten werden (Art 267 AEUV). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat nach Art 267 AEUV das befasste nationale Gericht grundsätzlich sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden, das Unionsrecht betreffenden Fragen zu beurteilen (vgl EuGH ECLI:EU:C:2010:329 C-395/08 Rn 18 uva).
Begründung der Vorlagefragen:
1. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird die Frage kontrovers diskutiert, ob und inwieweit internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, die in den Regelungsbereich der EuGVVO fallen, einer allgemeinen Missbrauchskontrolle unterliegen:
1.1. Nach einer Ansicht stellt Art 25 EuGVVO eine abschließende Regelung der Zulässigkeit, Form und Wirkungen einer Gerichtsstandsvereinbarung dar; jegliche Form der Inhaltskontrolle nach nationalem Recht, auch bei Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sei ausgeschlossen. Der Schutz der typischerweise schwächeren Partei werde bereits durch die Einschränkung der Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen mit Verbrauchern, Versicherungsnehmern und Arbeitnehmern verwirklicht.
Die Vertreter dieser Ansicht (Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht11 Art 23 EuGVVO Rz 17 ff) gehen davon aus, dass es sich bei der EuGVVO um ein geschlossenes Zuständigkeitssystem handelt. Eine die Inhaltskontrolle nach einzelstaatlichem Recht zulassende Auslegung des Art 25 EuGVVO stünde in einem Spannungsverhältnis zum Vereinheitlichungszweck der EuGVVO. Dabei stützen sie sich insbesondere auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art 17 des Übereinkommens von Brüssel von 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (vgl E. Pfeiffer/M. Pfeiffer in Gmeiner/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr Bd I [Stand Oktober 2019] Art 25 VO [EU] Nr 1215/2012 Rn 102 ff), wonach im Interesse der Rechtssicherheit die Wahl des vereinbarten Gerichts nur anhand von Erwägungen geprüft werden kann, die im Zusammenhang mit den Erfordernissen dieser Bestimmung stehen (vgl ECLI:EU:C:1999:142 C-159/97 Rn 46 ff).
1.2. Es stellt sich allerdings die Frage, ob Gerichtsstandsvereinbarungen nicht Missbrauchs-beschränkungen unterliegen, die sich aus europäischem Sekundärrecht, insbesondere aus der Klauselrichtlinie, ergeben (vgl etwa Wittwer in P. Mayr, Handbuch des Europäischen Zivilverfahrensrechts Rn 3.644; Gottschalk/Breßler, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozess, ZEuP 2007, 56 [75 ff]). Art 19 EuGVVO beschränkt zwar Gerichtsstandsvereinbarungen mit Verbrauchern. Beförderungsverträge sind jedoch gemäß Art 17 Abs 3 EuGVVO von der Anwendung des Kapitel I Abschnitt 4 ausgenommen. Konkret verbliebe daher aus Verbrauchersicht ein Schutzbedürfnis, dem durch Rückgriff auf die Vorgaben der Klauselrichtlinie Rechnung getragen werden könnte (vgl etwa Leible/Röder, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im Europäischen Zivilprozessrecht, RIW 2007, 481 [484]).
Befürwortet wird eine Missbrauchskontrolle nach dem Maßstab der Klauselrichtlinie insbesondere im Hinblick auf die Bestimmung des Art 67 EuGVVO: Die nationalen Umsetzungsvorschriften der Richtlinie stellten eine Regelung der gerichtlichen Zuständigkeit dar, weil die Unwirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel zur Folge habe, dass die gesetzliche Zuständigkeitsordnung eingreife und zumeist ein anderes Gericht als das vereinbarte zuständig sei (siehe unter anderem Heinig, Die Konkurrenz der EuGVVO mit dem übrigen Gemeinschaftsrecht, GPR 2010, 36 [41]; Mankowski in Rauscher, EuZPR/EuIPR4 Art 25 Brüssel Ia-VO Rn 68). Eine andere Argumentationslinie beruft sich darauf, dass nach Art 25 Abs 1 erster Satz, zweiter Halbsatz EuGVVO eine Gerichtsstandsvereinbarung anhand des Mindeststandards der Klauselrichtlinie auf ihre materielle Nichtigkeit zu kontrollieren sei (Staudinger, RRa 5/2019, 236 [245]).
1.3. Es gibt auch Stimmen, die meinen, dass durch die Bezugnahme des europäischen Gesetzgebers in Art 25 Abs 1 erster Satz, letzter Halbsatz EuGVVO auf die „materielle Ungültigkeit“ auch die Inhaltskontrolle von Gerichtsstandsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ermöglicht sei (Wittwer in P. Mayr, Handbuch des Europäischen Zivilverfahrensrechts Rn 3.644; in diesem Sinn auch Tiefenthaler/Czernich in Czernich/Kodek/Mayr, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht4 Art 25 EuGVVO Rn 47 f).
2. Es stellt sich für den Obersten Gerichtshof daher die Frage, in welchem Verhältnis die Bestimmungen der EuGVVO zu der Klauselrichtlinie bzw den entsprechenden innerstaatlichen Umsetzungsvorschriften stehen und ob unter den in Art 25 EuGVVO verwendeten Begriff der materiellen Nichtigkeit der Verstoß gegen Verbraucherschutz-bestimmungen – auch wenn sie nicht auf europäisches Sekundärrecht zurückgehen – zu subsumieren ist. Letztlich erscheint unklar, ob die konkret anwendbaren nationalen Umsetzungsvorschriften der Klauselrichtlinie nach der Kollisionsnorm in Art 25 Abs 1 erster Satz, letzter Halbsatz EuGVVO – also nach dem Recht des forum prorogatum – zu bestimmen wären.
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *****, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 129 R 37/19p-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom , GZ 2 Cg 70/18x-14, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, und nach schriftlichem Anerkenntnis des nach Teilurteil vom verbliebenen Klagebegehrens durch die beklagte Partei in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
I.1. Die beklagte Partei ist schuldig, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt und/oder in hierbei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klausel:
„2.4 Sofern das Übereinkommen oder einschlägige Gesetze nichts anderes vorsehen, unterliegen Ihr Beförderungsvertrag mit uns [...] sowie sämtliche Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag der Zuständigkeit irischer Gerichte.“
oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen; sie ist ferner schuldig, es ab sofort zu unterlassen, sich auf die vorstehend genannte Klausel oder sinngleiche Klauseln zu berufen.
2. Der klagenden Partei wird die Ermächtigung erteilt, den klagsstattgebenden (anerkannten) Teil des Urteilsspruchs im Umfang des Unterlassungsbegehrens und der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in einer Samstagsausgabe des redaktionellen Teils der „Kronen-Zeitung“, bundesweit erscheinende Ausgabe, auf Kosten der beklagten Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleich großer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen.
3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 8.796,64 EUR (darin 1.222,84 EUR USt, 1.459 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 4.536 EUR (darin 565,50 EUR USt, 1.143 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens und die mit 3.134,52 EUR (darin 522,42 EUR USt) bestimmten Kosten des drittinstanzlichen Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
II. Das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs vom (C-189/20 des Gerichtshofs der Europäischen Union) wird zurückgezogen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist ein gemäß § 29 KSchG zur Erhebung von Unterlassungsansprüchen nach §§ 28 f KSchG befugter Verband. Das beklagte Luftfahrtunternehmen betreibt unter www.*****.com ein Flugbuchungsportal. Dabei verwendet sie im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern Allgemeine Beförderungsbedingungen und Allgemeine Geschäftsbedingungen.
Mit Teilurteil vom bestätigte der Oberste Gerichtshof über Revision der Beklagten – mit Ausnahme der festgesetzten Leistungsfrist – die klagsstattgebende Entscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich zweier vom Kläger wegen Verbots- und Sittenwidrigkeit inkriminierter Klauseln. Das Revisionsverfahren hinsichtlich der dritten – aus dem Spruch ersichtlichen – Klausel wurde bis zum Einlangen der mit gesondert ausgefertigtem Beschluss vom selben Tag eingeholten Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Mit dem an den Obersten Gerichtshof gerichteten Schriftsatz vom anerkannte die Beklagte das verbliebene Klagebegehren.
Der Kläger beantragte mit dem gleichfalls an den Obersten Gerichtshof gerichteten Schriftsatz vom die Fällung eines (End-)Anerkenntnisurteils und die Verpflichtung der Beklagten zum Kostenersatz.
Rechtliche Beurteilung
I. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist auch in dritter Instanz ein (eindeutiges, unbedingtes, somit vorbehaltloses) Anerkenntnis des Klageanspruchs durch die beklagte Partei und die Fällung eines Anerkenntnisurteils nach § 395 ZPO über Antrag der klagenden Partei zulässig (RIS-Justiz RS0119634).
Die Entscheidung über die von der Beklagten dem Kläger zu ersetzenden Kosten des Verfahrens aller drei angerufenen Instanzen beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Einwendungen gegen die in erster Instanz vom Kläger gelegte Kostennote wurden nicht erhoben (§ 54 Abs 1a ZPO). Die Änderung der Leistungsfrist ist nicht kostenwirksam (4 Ob 58/18k). Die Kosten für den an den Gerichtshof der Europäischen Union gerichteten Schriftsatz wurden vom Kläger richtig nach TP 3C RATG zuzüglich einfachem Einheitssatz verzeichnet (10 Ob 27/14i).
II. Da eine Entscheidung über die im Vorabentscheidungsersuchen gestellten Fragen infolge Anerkenntnisses nicht mehr erforderlich ist, war das Vorabentscheidungsersuchen zurückzuziehen (§ 90a Abs 2 GOG).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00107.19X.0227.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAD-88264