OGH vom 30.05.2017, 8Ob107/16t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. TarmannPrentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. WeixelbraunMohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für K*****, vertreten durch KosesnikWehrle Langer, Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei H*****BANK ***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Kosch Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 34 R 16/16x12, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt vom , GZ 27 Cg 32/15x8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird teilweise Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig, es im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen, im Zusammenhang mit Fremdwährungskreditverhältnissen, bei denen eine Zinsanpassungsklausel oder Zinsgleitklausel mit Bindung an einen Zinsindikator ausgehend vom 3-Monats-CHF-Libor vereinbart wurde, für den Fall, dass dieser negativ wird, den für den Kredit zur Verrechnung kommenden Sollzinssatz nicht mehr ausgehend vom tatsächlich negativen Wert, sondern ausgehend von einem für sie günstigeren höheren Wert, zum Beispiel von einem Wert von Null, zu berechnen, allerdings nur so weit, bis der Zinssatz (errechnet aus dem veränderlichen Zinsindikator zuzüglich dem vereinbarten Aufschlag) 0,00 % erreicht hat.
2. Das Mehrbegehren, dem Klagebegehren zu Punkt 1. ohne der Einschränkung „allerdings nur so weit, bis der Zinssatz (errechnet aus dem veränderlichen Zinsindikator zuzüglich dem vereinbarten Aufschlag) 0,00 % erreicht hat“ stattzugeben, wird abgewiesen.
3. Der klagenden Partei wird die Ermächtigung erteilt, den klagsstattgebenden Teil des Urteilsspruchs im Umfang des Unterlassungsbegehrens und der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in einer Samstagausgabe des redaktionellen Teils der „Kronen Zeitung“, Ausgabe für Wien, Niederösterreich und Burgenland, auf Kosten der beklagten Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleich großer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen.
4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 694,50 EUR bestimmten Kosten erster Instanz und die mit 1.352 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.021,50 EUR bestimmten Kosten zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist ein ein zur Unterlassungsklage nach den §§ 28, 28a KSchG berechtigter Verband (§ 29 Abs 1 KSchG).
Die Beklagte betreibt das Bankgeschäft und bietet ihre Leistung im gesamten Bundesgebiet mit Schwerpunkt Burgenland an. Sie schließt im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit Kredit- und Darlehensverträge mit Verbrauchern ab. Zahlreichen dieser Kreditverträge sind von der Beklagten formulierte Zinsgleitklauseln zugrunde gelegt. Diese bestehen aus einem vertraglich vereinbarten (veränderlichen) Indikator (häufig LIBOR/EURIBOR) sowie einem fixen, also als unveränderlich vereinbarten Aufschlag („Marge“). Die Formulierung solcher Zinsgleitklauseln lautet beispielsweise: „Der Zinssatz ist gebunden an den Drei-Monats-LIBOR Schweizer Franken, bekannt gegeben zwei Bankwerktage vor dem jeweiligen Stichtag per 31.3., 30.6., 30.9. und 31.12. eines jeden Jahres zuzüglich einem Aufschlag von 1,5 %, aufgerundet auf das nächste volle Achtel.“ Die Klauseln enthalten keine Obergrenze und/oder Untergrenze für den Zinssatz.
Der LIBOR wurde erstmals im Jahr 1989 veröffentlicht und war erstmals Ende 2014 negativ. Am betrug der Drei-Monats-LIBOR für CHF beispielsweise minus 0,779 %. Zum Zeitpunkt des Abschlusses der Fremdwährungskreditverträge in Schweizer Franken war für die Beklagte nicht vorhersehbar und rechnete sie auch nicht damit, dass der LIBOR negativ werden könnte.
Die Beklagte teilte ab März/April 2015 ihren Kreditvertragskunden Folgendes mit: „Sehr geehrter Kunde, im Ihrer Ausleihung zugrundeliegenden Kreditvertrag wurde die unvorhersehbare Situation eines negativen Zinsindikators (negativer Schweizer Franken LIBOR, 'Referenzzinssatz') nicht geregelt. Im Rahmen der dadurch notwendigen ergänzenden Vertragsauslegung ergibt sich nach unserer Ansicht der mit Ihnen vereinbarte Aufschlag als Mindestzinssatz, solange der Referenzzinssatz negativ ist. Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung!“
Der Kläger begehrt, die Beklagte dazu zu verpflichten, es im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern zu unterlassen, im Zusammenhang mit Fremdwährungskreditverhältnissen, bei denen eine Zinsanpassungsklausel oder Zinsgleitklausel mit Bindung an einen Zinsindikator ausgehend vom 3-Monats-CHF-Libor vereinbart wurde, für den Fall, dass dieser negativ wird, den für den Kredit zur Verrechnung kommenden Sollzinssatz nicht mehr ausgehend vom tatsächlich negativen Wert, sondern ausgehend von einem für sie günstigeren höheren Wert, zum Beispiel von einem Wert von Null, zu berechnen. Ferner erhob der Kläger ein Veröffentlichungsbegehren. Es sei von einer unlauteren Geschäftspraktik iSd § 28a KSchG auszugehen. Dem Gebot der Anpassungssymmetrie bei Zinsgleitklauseln könne nur dadurch Rechnung getragen werden, dass Veränderungen der Indikatoren vollständig an den Vertragspartner weitergegeben würden. Die Bank sei berechtigt, steigende Refinanzierungskosten uneingeschränkt auf den Darlehensnehmer zu überwälzen. Im Gegenzug müsse sie daher auch verpflichtet sein, dem Verbraucher eine günstige Entwicklung der Refinanzierungssituation am Geldmarkt uneingeschränkt zu Gute kommen zu lassen. Mit den inkriminierten Schreiben verstoße die Beklagte gegen ein gesetzliches Gebot, nämlich gegen das Gebot, die Verrechnung der Zinsen im Verbraucherkreditverhältnis in einer mit § 6 Abs 1 Z 5 KSchG und den vereinbarten Zinsanpassungsklauseln konformen Weise vorzunehmen. Sie habe das rechtswidrige Verhalten konkret angekündigt, sodass eine vorbeugende Unterlassungsklage zulässig sei. Darüber hinaus bestehe ein berechtigtes Interesse der betroffenen Verbraucherkreise an der Aufklärung über das gesetzwidrige Verhalten der Beklagten.
Die Beklagte wendet zusammengefasst ein, dass kein Tatbestand vorliege, der zu einer Verbandsklage berechtige. Es liege aber auch kein rechtswidriges Verhalten oder eine unrichtige Vertragsauslegung vor. Bereits eine einfache Vertragsauslegung ergebe, dass ihr jedenfalls nach der getroffenen Vereinbarung die Marge unabhängig vom negativen Verlauf des Referenzzinssatzes zustehen sollte. Aber auch eine ergänzende Vertragsauslegung führe zu diesem Ergebnis. Die negative Entwicklung des LIBOR offenbare eine Vertragslücke. Der hypothetische Parteiwille im Zusammenhang mit Zinsgleitklauseln könne in einem solchen Fall nur dahin gehen, dass der Indikator nicht unter Null sinken könne und der Kunde zumindest die vereinbarte fixe Marge zu zahlen habe. Die Beklagte begehrte weiters ihrerseits die Veröffentlichung des klagsabweisenden Urteilsspruchs.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Gegenstand einer Verbandsklage nach § 28a KSchG seien nicht nur unzulässige Inhalte von AGB und/oder Vertragsformblättern, sondern auch andere gesetz- oder sittenwidrige Handlungen und Unterlassungen. Der Kläger sei daher zur Klage legitimiert. Eine Vertragslücke liege hier nicht vor. Vielmehr ergebe sich bereits im Rahmen der einfachen Vertragsauslegung aus dem Wortlaut des Vertrags, dass die Beklagte, falls die Addition des Indikators und des Aufschlags ein negatives Ergebnis ergebe, dieses Ergebnis dem Kreditnehmer gutzuschreiben oder auszuzahlen habe. Redliche Parteien hätten daher für den hier von beiden Parteien unstrittig nicht bedachten Fall der negativen Entwicklung des Indikators nicht vereinbart, dass der Referenzzinssatz bei Berechnung der Zinsen nicht unter Null angesetzt werden dürfe. Nicht in jeder Zinsperiode müssten Zinsen anfallen. Die von der Beklagten formulierte Klausel enthalte keine Deckelung nach oben und nach unten. Schon im Sinn der Zweiseitigkeit der Entgeltänderungsklausel seien daher auch Negativzinsen an die Kunden weiterzugeben.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren sowie den Veröffentlichungsantrag der Beklagten ab. Eine vorbeugende Unterlassungsklage setze die Gefahr einer künftigen Störung voraus. Anlass der Klage sei im vorliegenden Fall nur die Mitteilung der Beklagten vom März/April 2015. Der Kläger habe aber nicht einmal behauptet, dass es Zinsbuchungen gebe, die nicht berücksichtigten, dass der Referenzzinssatz negativ sei. Ob überhaupt je eine solche Beeinträchtigung stattfinden werde, sei ungewiss. Die Beklagte äußere in ihrem Schreiben ihre Rechtsmeinung und ermögliche ihren Vertragspartnern deren Überprüfung, bevor diese Rechtsmeinung überhaupt schlagend werde. Dies stelle sogar eine Förderung der Interessen der Kreditnehmer dar, aber keine Beeinträchtigung. Die Behandlung des Klagebegehrens würde daher zur Lösung einer Rechtsfrage auf Basis eines theoretischen Sachverhalts führen. Damit liege aber kein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis für eine vorbeugende Unterlassungsklage vor.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle, ob Mitteilungen an Konsumenten über einen Aspekt der Vertragsauslegung, der ein allfälliges künftiges Streitpotenzial in sich berge, eine von § 28a KSchG umfasste verbotene Geschäftspraxis sein könne.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist auch teilweise berechtigt.
1. Die behaupteten Verfahrensmängel wurden geprüft. Sie liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
2.1. Zur Frage, ob Mitteilungen einer Bank an ihre Verbraucher-Kunden (Kreditnehmer) über die Auslegung einer Vertragsklausel eine von § 28a KSchG erfasste verbotene Geschäftspraxis sein können, hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 Ob 13/17k bereits Stellung genommen. Dessen Ausführungen dazu schließt sich auch der erkennende Senat an:
2.2.§ 28a Abs 1 KSchG dient der Umsetzung der Richtlinie 2009/22/EG über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen und erweitert den Anwendungsbereich der Verbandsklagen auf gesetzwidrige Geschäftspraktiken von Unternehmern im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern (beschränkt auf die in § 28a Abs 1 KSchG angegebenen vertraglichen und außervertraglichen Rechtsverhältnisse). Der Unterlassungsanspruch gemäß § 28a KSchG setzt voraus, dass das beanstandete Verhalten die „allgemeinen Interessen der Verbraucher“ beeinträchtigt. Es muss daher für eine Vielzahl von Verträgen oder außervertraglichen Rechtsverhältnissen von Bedeutung sein. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zahlreiche Kunden einer (großen) österreichischen Bank betrifft.
Wenn ein Eingriff in eine fremde Rechtssphäre unmittelbar und konkret droht, ist nach ständiger Rechtsprechung auch eine vorbeugende Unterlassungsklage zulässig (RISJustiz RS0010479; RS0012061; RS0037660 [T1]). Die Möglichkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage wurde für den Verbandsprozess gemäß § 28 KSchG bereits bejaht (9 Ob 54/08v; 7 Ob 207/04y). Sie besteht auch in einem Verbandsprozess gemäß § 28a KSchG. Dies entspricht dem Wesen eines Verbandsprozesses, in dem eine vorbeugende Inhaltskontrolle vorzunehmen ist, und steht auch im Einklang mit dem von der RL 2009/22/EG verfolgten Ziel, Verstöße, durch die die Kollektivinteressen der Verbraucher beeinträchtigt werden, rechtzeitig abzustellen (Erwägungsgrund 3 der Richtlinie; vgl auch die in Art 7 der RL eröffnete Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, auf nationaler Ebene weitergehende Rechte zur Klageerhebung einzuräumen). Es kommt nicht darauf an, ob sich der beklagte Unternehmer bis zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz bereits rechtswidrig verhalten hatte. Es genügt das Vorliegen einer Erstbegehungsgefahr, die vom Kläger zu behaupten und zu beweisen ist.
2.3. Im Anlassfall beanstandet der Kläger eine Mitteilung der beklagten Bank an zahlreiche Verbraucher-Kreditnehmer, in der er einen Verstoß gegen gesetzliche Verbote erblickt (§ 879 Abs 3 ABGB,§ 6 Abs 1 Z 5 und 6 KSchG). Die Beklagte kündige damit einseitig eine Vorgangsweise an, die ein Abgehen von einer klaren Regelung bedeute, die in einer Vielzahl von mit ihren Kunden geschlossenen Kreditverträgen enthalten sei. Der Kläger behauptet damit einen – hinreichend dargelegten und nach dem Klagevorbringen auch unmittelbar bevorstehenden – Eingriff in die Rechtssphäre der Kreditnehmer durch die konkret von der Beklagten in Aussicht genommene Vorgangsweise bei der Berechnung der von den Kunden zu zahlenden Zinsen.
Auf die Frage, inwieweit bereits eine Verrechnung von Zinsen auf Basis der in der Mitteilung der Beklagten genannten Kriterien erfolgte, komme es daher nicht an. Auf die vom Kläger in diesem Zusammenhang in der Revision geltend gemachte Aktenwidrigkeit und die behaupteten Feststellungsmängel muss daher nicht weiter eingegangen werden.
Die Voraussetzungen für eine (inhaltliche) Prüfung dieser Behauptungen im Verbandsprozess sind daher gegeben.
3. Zu der Frage, ob der Kreditgeber je nach Entwicklung des Referenzzinssatzes letztlich auch zur Zinszahlung an den Kreditnehmer verpflichtet sein kann, hat der Oberste Gerichtshof nunmehr bereits in zwei Entscheidungen Stellung genommen, und zwar am zu 10 Ob 13/17k und am zu 1 Ob 4/17w.
3.1. Dem Verfahren 10 Ob 13/17k lag eine Verbandsklage gemäß § 28a KSchG gegen die dort beklagte Bank wegen einer in einem Schreiben an ihre Kreditnehmer enthaltenen Ankündigung zugrunde, die Zinsgleitklausel dahin auszulegen, dass ein negativer Indikator den Aufschlag zwar ganz oder teilweise reduzieren, der insgesamt vom Kreditnehmer zu zahlende Zinssatz aber nie unter 0,00 % fallen könne. Das Begehren, die dort Beklagte zu verpflichten, es zu unterlassen, auch bei einem negativen Indikator einen Mindestzinssatz von 0,0 % zu verrechnen und damit Negativzinsen nicht oder nicht vollständig an die Vertragspartner weiterzugeben, blieb erfolglos.
Der Oberste Gerichtshof hob hervor, im hier maßgebenden typischen Fall – ob im Einzelfall eine Vereinbarung im von der Beklagten behaupteten Sinn geschlossen werden könnte, sei nicht zu beurteilen – seien sich die Parteien regelmäßig darüber einig, dass der Kreditnehmer (dem gesetzlichen Verständnis des Kreditvertrags entsprechend) als Gegenleistung für die Zurverfügungstellung der Kreditvaluta (laufend) Zinszahlungen zu leisten habe. Gemessen am Maßstab eines redlichen Erklärungsempfängers rechne ein Kreditnehmer bei Vertragsabschluss nicht damit, zu irgendeinem Zeitpunkt während der Kreditlaufzeit Zahlungen vom Kreditgeber zu erhalten, sodass der Kreditgeber insgesamt möglicherweise weniger zurückerhält, als er zur Verfügung gestellt hat. Ebenso wenig sei der Kreditgeber zu irgendeiner Zeit gewillt, irgendwelche Zahlungen an den Kreditnehmer zu leisten. Es bestehe daher insofern beim Kreditvertrag allgemein ein übereinstimmender Parteiwille über Vertragsgegenstand und Vertragsinhalt, der eine Zahlungsverpflichtung der kreditgebenden Bank an den Kreditnehmer ausschließe. Dieser übereinstimmende Parteiwille gehe als natürlicher Konsens jeglicher Auslegung vor. § 6 Abs 1 Z 5 KSchG stehe dem nicht entgegen, zumal er schon nach seinem Wortlaut nur Entgelt umfasse, das der Verbraucher dem Unternehmer zu zahlen habe, nicht aber Zahlungen des Unternehmers an den Verbraucher. Dass das von den Kreditnehmern zu leistende Entgelt auf Null sinken könne, habe die (dort) Beklagte ohnedies zugestanden (10 Ob 13/17k).
3.2. Diese Erwägungen hat daraufhin auch der erste Senat des Obersten Gerichtshofs in seiner Entscheidung 1 Ob 4/17w übernommen. Ihr lag ein Fall zugrunde, in dem ein Verbraucher – nachdem die beklagte Bank angekündigt hatte, im Fall eines negativen Sollzinssatzes einen Sollzinssatz von 0,000001 % anzuwenden – (sinngemäß) die Feststellung begehrte, dass ein negativer Sollzinssatz, der sich rechnerisch aus dem negativen Indikator und dem Aufschlag ergebe, (in vollem Umfang) an ihn weitergegeben werde. Auch dieses Klagebegehren wurde abgewiesen und dazu ausgeführt, dass für die Auslegung einer zwischen den Parteien schriftlich getroffenen Vereinbarung zwar zunächst der Wortlaut maßgeblich, dabei aber nach § 914 ABGB nicht stehen zu bleiben, sondern der übereinstimmende Wille der Parteien zu erforschen sei. Die Parteien hätten ausdrücklich vereinbart, dass der Kläger für die Zurverfügungstellung der Kreditvaluta als Kreditnehmer Entgelt in Form des Sollzinssatzes zu zahlen habe, sodass schon der Wortlaut der Vereinbarung gegen eine „umgekehrte“ Pflicht zur Zinszahlung durch den Kreditgeber spreche. Die Parteien hätten bei Abschluss des Vertrags nicht bedacht, dass der Referenzzinssatz so weit ins Negative „rutschen“ könne, dass sich selbst unter Hinzuzählung eines fixen Aufschlags ein negativer Sollzinssatz ergeben könnte; in Übereinstimmung mit dem Wortlaut des Vertrags sei davon auszugehen, dass jedenfalls kein Konsens darüber vorlag, dass zu irgendeinem Zeitpunkt Zahlungen durch den Kreditgeber an den Kreditnehmer (Kläger) zu erfolgen hätten. Ein übereinstimmender Parteiwille dahingehend, dass die beklagte Bank für die Zurverfügungstellung von Kapital dem Kreditnehmer Zahlungen zu leisten hätte, könne dem Vertrag damit nicht unterstellt werden. Die Frage, ob der Kreditnehmer allenfalls verpflichtet sei, wenigstens den vereinbarten Fixaufschlag (die Marge) zu zahlen, stelle sich nach der Formulierung des Feststellungsbegehrens nicht.
3.3. Der erkennende Senat sieht keine Veranlassung, von der in den beiden Vorentscheidungen vertretenen Rechtsauffassung abzugehen. Der Revisionswerber bringt dagegen keine Argumente vor, die nicht ohnedies bereits in den Vorentscheidungen widerlegt wurden.
Im Verbandsprozess ist nicht zu prüfen, ob die Parteien eines Kreditvertrags im Einzelfall eine Regelung im vom Kläger behaupteten Sinn vereinbaren können. Hier geht es – wie schon in 10 Ob 13/17k betont wurde – um den typischen Fall, in dem – gemessen am Maßstab eines redlichen Erklärungsempfängers – ein Kreditnehmer nicht damit rechnet, dass der Kreditgeber – entgegen der Vorstellung, ein Entgelt für seine Leistung zu erhalten – einer Zahlungspflicht in Form von „Negativzinsen“ zustimmt und damit akzeptiert, dass er möglicherweise weniger zurück erhält als er an Kreditvaluta zur Verfügung gestellt hat (vgl § 989 Abs 2 ABGB). Ebenso wenig ist der Kreditgeber im typischen Fall gewillt, irgendwelche über die Kreditsumme hinausgehenden Zahlungen an den Kreditnehmer zu leisten. Zu Recht ist daher der 10. Senat davon ausgegangen, dass insofern beim Kreditvertrag regelmäßig ein übereinstimmender Parteiwille über Vertragsgegenstand und Vertragsinhalt besteht, der eine Zahlungsverpflichtung der kreditgebenden Bank an den Kreditnehmer ausschließt. Darin liegt – wie ebenfalls schon in den Vorentscheidungen dargestellt – weder eine unzulässige Überwälzung der Refinanzierungskosten der Bank noch ein Verstoß gegen § 6 Abs 1 Z 5 KSchG.
Der gegenteiligen Argumentation des Klägers ist daher nicht zu folgen.
4.1. Zu prüfen ist jedoch weiters, ob eine Auslegung der Zinsanpassungsklauseln dahin zulässig ist, dass der Kreditnehmer trotz negativer Entwicklung des Indikators jedenfalls den vereinbarten Aufschlag zu zahlen hat.
4.2. In der Literatur wird diese Frage unterschiedlich beantwortet:
Nach Zöchling-Jud (Zum Einfluss von negativen Referenzwerten auf Kreditzinsen, ÖBA 2015, 318) liege ein entgeltliches Gelddarlehen iSd § 988 ABGB nur vor, wenn der Kreditnehmer dem Kreditgeber neben der Kreditvaluta weitere Zahlungen (als Gegenleistung für die zeitweise Kapitalnutzung) schulde. Dies spreche gegen eine Auslegung, nach der der negative Referenzzinssatz den Aufschlag aufzehren könne. Die Bindung der Zinsgleitklausel an bestimmte Indikatoren bilde nur die durchschnittliche Veränderung der Refinanzierungskosten ab; redlichen und vernünftigen Parteien könne nicht die Absicht unterstellt werden, dass ein negativer Referenzwert die im Aufschlag enthaltenen Kosten und die Gewinnmarge des Kreditinstituts aufzehren solle. Ein Widerspruch zu § 6 Abs 1 Z 5 KSchG bestehe nicht, weil aus dem Gebot der Zweiseitigkeit von Zinsgleitklauseln nicht abgeleitet werden könne, dass das Äquivalenzverhältnis in sein Gegenteil verkehrt werden solle.
Diesen Überlegungen schließt sich Koch (Negativzinsen beim Kreditvertrag – Eine Replik, VbR 2015, 140) an. Die Parteien hätten bei Erkennen des Problems berücksichtigt, dass der Bank eine Mindestverzinsung erhalten bleiben müsse, weil ihr andernfalls erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten drohten. Ein Höchstwert des Indikators müsse hingegen nicht gleichzeitig festgelegt werden, weil auch daraus wieder unlösbare Konflikte (insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der Refinanzierungskosten) resultieren würden.
Graf (Rechtliche Konsequenzen der verpflichtenden Verzinsung von Spareinlagen für den Streit über die Negativzinsen, ÖBA 2016, 722) hebt vor allem die wirtschaftlichen Auswirkungen einer – bei Vertragsabschluss unvorhergesehenen – dauerhaften Negativentwicklung von Zinsindikatoren hervor. Es bedürfe einer Anpassung der Verträge, die die (sonst drohende) Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Kreditgeber verhindere und sicherstelle, dass die Kreditnehmer weiterhin während der vereinbarten Zeit die Kreditvaluta behalten könnten. Dieses Ergebnis verstoße nicht gegen das Symmetriegebot des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG, weil damit die ursprünglich vertraglich vereinbarte subjektive Äquivalenz nicht beeinträchtigt werde.
Auch Rabl (Negativzinsen – Auslegung einer Entgeltsvereinbarung und kein Additionsautomat, VbR 2016, 63) kommt zum Ergebnis, dass der Bank zumindest Zinsen in der Höhe des Aufschlags zustehen müssten, weil dies dem Verständnis der Parteien beim Vertragsabschluss entspreche.
Leupold (Negativzinsen beim Kreditvertrag, VbR 2015, 82) meint hingegen, dass der Kreditnehmer beim Vertragsabschluss mit einer ausgewogenen Verteilung von Chancen und Risiken gerechnet habe, weshalb es sich verbiete, eine vereinbarte Zinsgleitklausel durch eine Art „Stopp-Loss-Klausel“ zu ergänzen. Habe der Kreditgeber ein „Margengeschäft“ geplant, so könne sich erweisen, dass er zeitweise kein Entgelt erhalte; aufgrund der Indikatorbindung laufe er wegen der dadurch gleichzeitig billigeren Refinanzierungskosten nicht Gefahr, seine Kosten nicht decken zu können. Das Interesse des Kreditnehmers an der Beibehaltung der vereinbarten Konditionen sei im Vergleich dazu schutzwürdiger, weil der Kreditgeber die Möglichkeit zur Vorsorge ungenützt verstreichen habe lassen, indem er keine streng symmetrisch ausgestaltete Begrenzung des Zinses nach oben und nach unten vorgesehen habe (VbR 2016, 84).
Zum gleichen Ergebnis kommen Kolba (Fremdwährungskredit – Judikaturüberblick und aktuelle Fragen, VbR 2015, 48), Kriegner (Negativzinsen – pacta sunt servanda? ÖBA 2016, 507), Kronthaler (Negativzinsen – Überlegungen zum Verbraucher-, Unternehmens- und Privatkredit, ÖJZ 2017, 101), Haghofer (Wer trägt das Risiko über dem Referenzzinssatz liegender Refinanzierungskosten? VbR 2016, 62) und Schopper (Erste OGH-Entscheidung zu Negativzinsen beim Verbraucherkreditvertrag,ecolex 2017, 77), die die Auslegung der Zinsanpassungsklauseln im Sinne einer Begrenzung des Indikators mit 0,00 % ohne gleichzeitige Vereinbarung einer symmetrischen Obergrenze als unvereinbar mit den Wertungen des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG bezeichnen.
4.3. Zuletzt hat sich nun der vierte Senat des Obersten Gerichtshofs in seiner Entscheidung vom , 4 Ob 60/17b, der Auffassung angeschlossen, nach der ein negativer Referenzzinssatz – je nach Höhe – den vereinbarten Aufschlag ganz oder teilweise reduziert. Eine ergänzende Auslegung des Vertrags im von der Beklagten gewünschten Sinn sei nicht möglich, weil die Parteien eine eindeutige Regelung getroffen hätten. Sie hätten die Chancen und Risiken zukünftiger Schwankungen bewusst durch die Bindung an den jeweiligen Indikator geregelt; der Kreditnehmer sei erkennbar von einer symmetrischen Verteilung der Chancen und Risiken ausgegangen. Eine Auslegung der Vertragsklausel dahin, dass der Indikator einseitig mit Null angesetzt werde, stehe im Widerspruch zu § 6 Abs 1 Z 5 KSchG, weshalb ein solches Ergebnis nicht in Betracht komme. Der entgeltliche Charakter des Kreditvertrags gehe durch eine Reduktion der Zinsen (bis auf Null) nicht verloren, weil der Kreditnehmer zumindest in den ersten Jahren des Vertragsverhältnisses Zinsen sowie andere Gebühren an die Bank habe zahlen müssen.
5. Diesem Ergebnis ist zuzustimmen.
Der vierte Senat hat in seiner Entscheidung die Unzulässigkeit einer ergänzenden Vertragsauslegung nachvollziehbar mit dem Wortlaut der Zinsanpassungsklauseln begründet, die keine Unter oder Obergrenze enthalten. Auch der Umstand, dass die Parteien die Negativentwicklung des Referenzzinssatzes nicht bedacht haben, ändere daher nichts daran, dass sie eine eindeutige Regelung getroffen hätten, von der nicht im Auslegungsweg abgegangen werden dürfe.
Selbst wenn man dieses Ergebnis nicht teilen würde, wäre daraus für die Beklagte nichts zu gewinnen, weil dem Ergebnis der von ihr gewünschten ergänzenden Vertragsauslegung die Schranken des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG entgegenstehen. Nach dem Zweck dieser Norm hat bei Zinsgleitklauseln eine Entgeltsenkung im gleichen Ausmaß und in der gleichen zeitlichen Umsetzung wie eine Entgeltsteigerung zu erfolgen, um den Verbraucherschutz zu gewährleisten (RIS-Justiz RS0117365). Das Entgelt, das die Bank für die Überlassung des Kapitals erhält, besteht aber aus den gesamten vereinbarten Zinsen, den vereinbarten Aufschlag eingeschlossen. Eine einseitige Begrenzung der Zinsgleitklauseln nach unten, durch die für die Beklagte eine Zinszahlung in Höhe des vereinbarten Aufschlags erhalten bliebe, ohne eine gleichzeitige Begrenzung nach oben, ist daher nicht zulässig.
Dass der durchschnittliche Verbraucher-Kreditnehmer dem Wortsinn der Zinsgleitklausel entnehme, dass ein negativer Referenzwert als Indikator der Entgeltbestimmung von vornherein ausscheide, trifft nicht zu. Wieso – wie die Beklagte meint – gerade aus dem Umstand, dass der Kreditnehmer an die Möglichkeit eines negativen Indikators nicht gedacht habe, „denklogisch“ folgen soll, dass er davon ausgegangen ist, dass in diesem (von ihm nicht bedachten Fall) Zinsen in der Höhe des Aufschlags zustehen, ist nicht nachvollziehbar.
Dass die Bank hingegen nicht verpflichtet werden kann, aufgrund der negativen Entwicklung des Referenzwerts ihrerseits dem Kreditnehmer Geldleistungen zu erbringen, wurde bereits oben dargelegt.
6. Zusammenfassend war der Revision des Klägers teilweise Folge zu geben. Grundsätzlich ist die Beklagte, sofern im Vertrag keine Untergrenze des Zinssatzes vereinbart wurde, nicht berechtigt, dann, wenn der einer Zinsgleitklausel zugrunde gelegte Indikator negativ wird, den Zinssatz nicht ausgehend von diesem Indikator, sondern von einem für sie günstigeren höheren Wert, beispielsweise Null, zu berechnen. Allerdings gilt dies nur soweit, bis der Zinssatz (errechnet aus dem veränderlichen Zinsindikator zuzüglich dem vereinbarten Aufschlag) 0,00 % erreicht hat. In diesem Umfang war dem Klagebegehren stattzugeben, das Mehrbegehren war abzuweisen. Im Umfang der Klagsstattgebung besteht auch ein Anspruch des Klägers zur Urteilsveröffentlichung. Die Beklagte hat sich nicht gegen die Abweisung ihres Urteilsveröffentlichungsbegehrens gewendet, weshalb darauf nicht weiter einzugehen ist.
7. Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf §§ 43, 50 ZPO. Das Interesse der Parteien daran, ob allgemein Negativzinsen verrechnet werden müssen bzw ob der Aufschlag immer über den Wert Null zu berechnen ist, ist als gleich bedeutsam einzustufen. Insgesamt ist daher von einem 50%igen Obsiegen des Klägers auszugehen, sodass die Kosten aller Instanzen grundsätzlich gegeneinander aufzuheben waren. Dem Kläger steht jedoch die halbe Pauschalgebühr erster und dritter Instanz, der Beklagten die halbe Pauschalgebühr zweiter Instanz zu (§ 43 Abs 1 ZPO).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0080OB00107.16T.0530.000 |
Schlagworte: | 1 Generalabonnement,18 Konsumentenschutz- und Produkthaftungsrecht |
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