OGH vom 12.03.2004, 8ObA126/03t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek und die fachkundigen Laienrichter Dr. Lukas Stärker und Gerhard Loibl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Vertrauenspersonenausschuss der m***** Aktiengesellschaft & Co KG, ***** vertreten durch Kremslehner, Milchram, Ehm, Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei m***** AG & Co KG, ***** vertreten durch Dr. Helmut Engelbrecht, Mag. Werner Piplits, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung gemäß § 54 Abs 1 ASGG, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 101/03a-11, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 24 Cga 226/02h-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.842,14 EUR bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens (darin enthalten 473,69 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit wurde zur Besorgung der bisher von der Post- und Telegraphenverwaltung wahrgenommenen Aufgaben die Post und Telekom Austria AG (PTA) errichtet. Mit Einbringungsvertrag vom wurde der Betrieb der PTA "Mobilkommunikation" im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die Mobilkom Austria AG eingebracht. Mit Hauptversammlungsbeschluss vom wurde die Mobilkom Austria AG durch Umwandlung gemäß § 5 UmwG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die Mobilkom Austria Aktiengesellschaft & Co KG umgewandelt. Der Firmenwortlaut dieses Unternehmens, der hier beklagten Partei, wurde am in mobilkom austria Aktiengesellschaft & Co KG geändert. Persönlich haftende Gesellschafterin des Unternehmens ist die mobilkom austria Aktiengesellschaft, die ihrerseits am als Mobilkom Austria Geschäftsführung - Aktiengesellschaft gegründet wurde, am in Mobilkom Austria Aktiengesellschaft und am in mobilkom austria Aktiengesellschaft umbenannt wurde. Kommanditisten der beklagten Partei sind die Telekom Austria Aktiengesellschaft mit einer Vermögenseinlage von 59,954.288,79 EUR sowie die Telekom Austria Personalmanagement GmbH mit einer Vermögenseinlage von 19,985.828,80 EUR.
In der von der klagenden Partei vertretenen Belegschaft sind jeweils mindestens drei Arbeitnehmer beschäftigt, die Arbeiten leisten, die den Bedingungen von Nachtschwerarbeit entsprechend dem Art VII Abs 2 Z 7 Nachtschwerarbeitsgesetz (Nachtarbeit an Bildschirmarbeitsplätzen) entspricht.
Die nach § 17 Abs 1 Post-Betriebsverfassungsgesetz (PBVG) errichtete klagende Partei begehrt die Feststellung, dass Arbeitnehmer in ihrem Wirkungsbereich unter den Voraussetzungen und im Ausmaß des § 10a UrlG Anspruch auf Zusatzurlaub bei Nachtschwerarbeit hätten. Die Bestimmungen des UrlG fänden auf die Dienstnehmer der beklagten Partei Anwendung. Die Ausnahmebestimmung des § 15 Abs 2 Poststrukturgesetzes (PTSG) habe sich ausschließlich auf die PTA bezogen. Eine verfassungskonforme Interpretation gebiete im Hinblick auf den Gleichheitssatz, dass auch auf die Dienstnehmer der beklagten Partei § 10a UrlG Anwendung finde.
Die beklagte Partei wendet ein, dass § 15 Abs 2 PTSG festlege, dass das Unternehmen nicht den Bestimmungen des Nachtschwerarbeitsgesetzes unterliege. Das NSchG umfasse eine Vielzahl von Maßnahmen, die dem Arbeitnehmerschutz dienten. § 10a UrlG sei Teil des Artikelgesetzes NSchG. Ein Zusatzurlaubsanspruch könne nicht entstehen, wenn gar keine Schwerarbeit im Sinn des Art VII Abs 2 NSchG vorliege, weil diese Norm gemäß § 15 Abs 2 PTSG nicht auf die Arbeitsverhältnisse bei der beklagten Partei anzuwenden seien.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der in § 10a UrlG geregelte Anspruch auf Zusatzurlaub bei Nachtschwerarbeit sei durch das Nachtschichtschwerarbeitsgesetz BGBl Nr 354/1981 geschaffen worden. Diese Norm sei auch zweifelsfrei Inhalt des Nachtschwerarbeitsgesetzes (NSchG) BGBl Nr 473/1992. Bloß aus Gründen der besseren Auffindbarkeit sei der Anspruch auf Zusatzurlaub gesetzestechnisch in das UrlG implementiert worden. Sei das NSchG auf ein Arbeitsverhältnis nicht anzuwenden, so könne auch kein Zusatzurlaub nach § 10a UrlG entstehen. Allerdings sei bereits bei Schaffung des PTSG die mögliche Ausgliederung von Unternehmensbereichen der PTA Gegenstand verschiedener, auch arbeitsrechtlicher Regelungen gewesen. Für die Beschäftigungsverhältnisse bei Töchterunternehmen bzw später ausgegliederten Unternehmen seien arbeitsrechtliche Sonderregelungen geschaffen worden. In der Nichterwähnung der Tochterunternehmen (in der Erstfassung des PTSG) sowie der ausgegliederten Unternehmen (in der Poststrukturgesetz-Novelle 1998) liege keine planwidrige Unvollständigkeit. Die beklagte Partei sei von der Ausnahmebestimmung in § 15 Abs 2 PTSG ("das Unternehmen") nicht umfasst. Die Bestimmung des § 10a UrlG gelange bei Vorliegen der entsprechenden Arbeitsbedingungen auf die Arbeitnehmer der beklagten Partei zur Anwendung.
Über Berufung der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Feststellungsbegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil sich der Oberste Gerichtshof bis jetzt noch nicht mit § 15 Abs 2 PTSG im Zusammenhang mit § 10a Abs 1 UrlG befasst habe. Das Berufungsgericht teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes, dass Voraussetzung für die Gewährung von Zusatzurlaub nach § 10a UrlG sei, dass das NSchG auf die betroffenen Arbeitnehmer anwendbar sei. Aus den in § 15 Abs 2 PTSG ersichtlichen Ausnahmen sei abzuleiten, dass der PTA als Unternehmen, das die bisher von der Post- und Telegraphenverwaltung wahrgenommenen Aufgaben übernommen habe, gewisse Erleichterungen gewährt werden sollten. Diese Erleichterungen müssten entgegen der Auffassung des Erstgerichtes auch für allfällige Nachfolgeunternehmen gelten, die einen Teil der Aufgaben der PTA übernommen hätten. Die Ausnahmeregelung sei daher aufgabenbezogen zu sehen. Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitssatz bestünden nicht, weil die Arbeitnehmer der beklagten Partei keine Schwerarbeit im Sinne des NSchG leisteten.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen von der klagenden Partei erhobene Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Die Revision ist auch berechtigt.
Im Zuge der Ausgliederung der bisher von der Post- und Telegraphenverwaltung wahrgenommenen Aufgaben wurde mit dem Bundesgesetz BGBl 201/1996 - Poststrukturgesetz (PTSG) die Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft eingerichtet. Nach § 19 Abs 1 PTSG unterliegen die Dienstverhätnisse der neu eintretenden Bediensteten dem Angestelltengesetz und dem Kollektivvertrag für die Post und Telekom AG. Gemäß § 18 Abs 1 dieses Gesetzes werden die bei der Post- und Telegraphenverwaltung beschäftigten Vertragsbediensteten mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes Arbeitnehmer der PTA oder eines Unternehmens, an dem die PTA zumindest mehrheitlich beteiligt ist. Die genannten Dienstnehmer unterliegen dem Kollektivvertrag.
§ 15 Abs 2 zweiter Satz PTSG legt fest, dass das Unternehmen nicht den Bestimmungen des II. Teiles des Arbeitsverfassungsgesetzes 1974, BGBl Nr 22, des Arbeitszeitgesetzes BGBl Nr 461/1969, des Arbeitsruhegesetzes BGBl Nr 144/1983, des Bundesgesetzes über die Nachtarbeit der Frauen 1969 BGBl Nr 237, des Nachtschwerarbeitsgesetzes BGBl Nr 354/1981, und des Bundes-Personalvertretungsgesetzes BGBl Nr 133/1967 unterliegt. Gemäß Satz 3 gelten die Ausnahmen vom Arbeitszeitgesetz, vom Arbeitsruhegesetz und vom Nachtschwerarbeitsgesetz solange, bis in diesen Gesetzen besondere Bestimmungen für den Bereich der Post- und Telekommunikationsunternehmen in Kraft treten.
In den Gesetzesmaterialien findet sich folgende wörtliche Begründung für die in § 15 Abs 2 zweiter Satz PTSG normierten Ausnahmen: ".....Arbeitszeitliche Bestimmungen (insbesondere das Arbeitszeitgesetz BGBl Nr 461/1969 und Arbeitsruhegesetz BGBl Nr 144/1983) sind mit dem Versorgungsauftrag der Post- und Telekom Austria Aktiengesellschaft nicht in Einklang zu bringen, weshalb diese Bestimmungen schon nach der bisherigen Rechtslage nicht anwendbar waren. Entsprechende Bestimmungen sind nunmehr gemäß § 19 in den Kollektivvertrag für die Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft aufzunehmen. Damit ist sichergestellt, dass dem Standard des Arbeitnehmerschutzes entsprechende Bestimmungen geschaffen werden und die Post und Telekom Austria Aktiengesellschaft die Rahmenbedingungen des Betriebes für Beamte, Vertragsbedienstete und neu aufzunehmende Bedienstete möglichst einheitlich gestalten...."
Hier gilt es zu beurteilen, ob die in § 15 Abs 2 zweiter Satz PTSG geregelte Ausnahme vom Geltungsbereich des NSchG dazu führt, dass auch § 10a UrlG von dieser Ausnahme umfasst ist (die in § 15 Abs 2 dritter Satz PTSG erwähnten besonderen gesetzlichen Bestimmungen für den Bereich der Post und Telekommunikationsunternehmen sind bisher nicht in Kraft getreten).
§ 10a UrlG wurde durch Art II des NSchG in das UrlG eingefügt. Daraus folgt zunächst, dass hinsichtlich des Geltungsbereiches dieses Zusatzurlaubes ausschließlich das UrlG maßgeblich ist. Arbeitnehmer, die nicht unter das UrlG fallen, erhalten daher auch dann keinen Zusatzurlaub, wenn sie die erforderliche Anzahl von Nachtarbeit in einem Arbeitsjahr unter erschwerenden Bedingungen im Sinne des Art VII erfüllen (Schwarz/Ziniel, NSchG 60, 78). Die grundsätzliche Anwendbarkeit des UrlG sowohl für ehemalige Vertragsbedienstete als nunmehrige Arbeitnehmer eines neuen privaten Arbeitgebers unter der Geltung des VBG als lex contractus als auch für neu eingetretene Bedienstete, die dem Angestelltengesetz und dem Kollektivvertrag für die Post- und Telekom Austria AG (nun: Kollektivvertrag für die ArbeitnehmerInnen der Telekom Austria Aktiengesellschaft und der gemäß § 17 Abs 1a PTSG angeschlossenen Tochterunternehmen) unterliegen, wurde bereits in 8 ObA 162/01h bejaht.
Aus § 10a UrlG lässt sich nicht der zwingende Schluss ziehen, dass die Gewährung von Zusatzurlaub nach dieser Gesetzesstelle neben der Anwendbarkeit des UrlG auch die Anwendbarkeit des NSchG voraussetzt: Dem Wortlaut des § 10a UrlG ist nicht zu entnehmen, dass nur jene Arbeitnehmer, die Nachtschwerarbeit leisten und die von der Geltung des NSchG erfasst sind, Anspruch auf Zusatzurlaub haben. Vielmehr lässt sich § 10a UrlG auch so deuten, dass Zusatzurlaub bei Vorliegen der im NSchG legaldefinierten Nachtschwerarbeitskriterien gebührt, ohne dass dieser - auch sonst gesetzestechnisch nicht unübliche - Verweis auf ein anderes Gesetz dessen unmittelbare Geltung für den Betroffenen voraussetzt.
Den Vorinstanzen ist zuzugeben, dass auch ihre Auslegung jedenfalls vertretbar ist und möglicherweise - wie ein Blick auf die zitierten Materialien zeigt - vom Gesetzgeber zwar nicht ausdrücklich bedacht war, aber seinen (damaligen) Intentionen eher entsprach. Allerdings dürfen hier die von der klagenden Partei relevierten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Auslegungsergebnis der Vorinstanzen nicht unberücksichtigt gelassen werden: Mittlerweile haben sich eine Reihe anderer privater Anbieter im Telekommunikationsbereich etabliert, für die neben dem Kollektivvertrag (für die ArbeitnehmerInnen in Telekomunternehmen) sowohl das UrlG als auch das NSchG gelten. Der einzige, aus den Gesetzesmaterialien hervorleuchtende Zweck für die Schaffung der im § 15 Abs 2 zweiter Satz PTSG geregelten Ausnahmen bezieht sich auf den Versorgungsauftrag, dem die PTA andernfalls nicht nachkommen könne. Gerade dieses Argument trifft aber heute auf sämtliche andere Anbieter im Telekommunikationssektor ebenfalls zu. Die die beklagte Partei privilegierende Auslegung der Vorinstanzen ist daher mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar. Auch die beklagte Partei kann keine Gründe für eine sachliche Rechtfertigung aufzeigen, warum nur Arbeitnehmer in anderen Telekommunikationsunternehmen zum Unterschied von Arbeitnehmern der beklagten Partei bei Vorliegen der in Art VII NSchG normierten Kriterien Anspruch auf Zusatzurlaub im Sinne des § 10a UrlG haben sollen. Darauf, dass - entsprechend der programmatischen Erklärung in den Gesetzesmaterialien - der für die Arbeitnehmer der beklagten Partei geltende Kollektivvertrag dem § 10a UrlG vergleichbare Regelungen enthält, hat sich die beklagte Partei nicht berufen. Das Gebot, Gesetze im Zweifel verfassungskonform auszulegen (SZ 67/185; RIS-Justiz RS008793; Bydlinski in Rummel³ § 6 ABGB Rz 21) hat daher zur Beurteilung zu führen, dass die Anwendbarkeit des UrlG auf Arbeitnehmer der beklagten Partei auch die Anwendung des § 10a UrlG umfasst und der dort enthaltene Verweis auf das NSchG nur als Verweis auf die Definition der Nachtschwerarbeitskriterien zu verstehen ist. Die in § 15 Abs 2 zweiter Satz geregelte Ausnahme von der Anwendung des NSchG hindert bei dieser Auslegung die Anwendung des § 10a UrlG nicht. Letztlich wäre es dem Gesetzgeber - vergleichbar den Anordnungen über die Unanwendbarkeit des Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetzes - freigestanden, auch ausdrücklich die Unanwendbarkeit des § 10a UrlG im § 15 Abs 2 PTSG zu normieren.
In Stattgebung der Revision ist daher das Urteil des Erstgerichtes wieder herzustellen, ohne dass es darauf ankäme, ob die beklagte Partei überhaupt unter den Begriff des "Unternehmens" im § 15 Abs 2 zweiter Satz PTSG fällt und ohne dass es eines Eingehens darauf bedarf, ob die Unanwendbarkeit des § 10a UrlG auf Arbeitnehmer der beklagten Partei nicht auch einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil für die beklagte Partei bedeuten würde.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.