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OGH vom 01.02.2011, 10Ob63/10b

OGH vom 01.02.2011, 10Ob63/10b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj K*****, geboren am , vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie Rechtsvertretung, Bezirke 2 und 20, 1200 Wien, Meldemannstraße 12 14), infolge Revisionsrekurses des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 349/10x 80, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , GZ 45 PU 44/09p 71, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am geborene K***** ist der Sohn von U***** und T*****. Der Minderjährige und seine in Österreich als Arbeitnehmerin beschäftigte Mutter wohnen in Wien, während der Vater in Deutschland lebt. Der Vater ist aufgrund eines Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts Sigmaringen vom , 3 FH 27/03, zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 257 EUR an den Minderjährigen verpflichtet.

Am brachte der Minderjährige, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, bei Gericht einen Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen in Titelhöhe gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG ein. Zur Begründung wurde angegeben, der Unterhaltsschuldner habe nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhalt nicht zur Gänze geleistet. Die Führung einer Exekution erscheine aussichtslos, weil vom Unterhaltsschuldner im Inland weder eine versicherungspflichtige Tätigkeit noch ein anderweitiger Bezug aus einem Versicherungsverhältnis vorliege. Ein Amtshilfeersuchen mit der zuständigen Behörde in Deutschland sei „im Laufen“. Zur Bescheinigung dafür wurde ein E Mail des Jugendwohlfahrtsträgers an das Landratsamt Schwäbisch Hall vom vorgelegt, worin der deutsche Jugendwohlfahrtsträger ersucht wird, gegen den Vater Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zur Hereinbringung des Unterhalts einzuleiten (ON 68). Vom Jugendwohlfahrtsträger vorgelegt wurde auch ein Mail des Landratsamts Schwäbisch Hall vom , worin dieses offenbar in Beantwortung des Amtshilfeersuchens vom zum Ausdruck brachte, dass es im Hinblick auf den Wohnortwechsel des Unterhaltsschuldners für die Erledigung des Amtshilfeersuchens nicht mehr zuständig sei, der Unterhaltstitel daher an den österreichischen Jugendwohlfahrtsträger zurückgesandt werde und vom österreichischen Jugendwohlfahrtsträger ein neuerliches Rechtshilfeersuchen an das nunmehr zuständige Jugendamt Künzelsau zu richten wäre.

Mit Beschluss vom (ON 71) bewilligte das Erstgericht dem Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für den Zeitraum vom bis . Zur Begründung wurde im Wesentlichen angegeben, dass die Führung einer Exekution aussichtslos erscheine, weil vom Unterhaltsschuldner im Inland weder eine versicherungspflichtige Tätigkeit noch ein anderweitiger Bezug aus einem Versicherungsverhältnis vorliege. Ein Amtshilfeersuchen mit der zuständigen Behörde in Deutschland sei „im Laufen“.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, Folge und wies den Antrag des Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen ab. Es verwies in rechtlicher Hinsicht darauf, dass nach § 3 Z 2 UVG idF BGBl I 2009/75 Vorschüsse zu gewähren seien, wenn der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit einen laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leiste sowie das Kind glaubhaft mache, gegen einen im Ausland lebenden Unterhaltsschuldner, gegen den dort Exekution geführt werden müsse, einen Antrag auf Vollstreckung nach dem Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, dem Auslandsunterhaltsgesetz, einen vergleichbaren Antrag bei der im Inland zur Bearbeitung zuständigen Behörde oder einen Antrag, mit dem entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar im Ausland eingeleitet werden sollen, eingebracht zu haben. Der Antragsteller habe nicht behauptet und nicht bescheinigt, dass gegen den Unterhaltsschuldner irgendwelche Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar in Deutschland eingeleitet worden seien. Eine entsprechende Bescheinigung einer solchen zweckentsprechenden Antragstellung im Ausland sei aber nach nunmehr geltendem Recht Voraussetzung für eine Vorschussgewährung. Ein bloßes Amtshilfeersuchen um Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an einen im vorliegenden Fall gar nicht zuständigen deutschen Jugendwohlfahrtsträger bilde jedenfalls keine ausreichende Grundlage für eine Vorschussgewährung nach § 3 Z 2 UVG idF BGBl I 2009/75.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des § 3 Z 2 UVG nF betreffend die für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach dieser Gesetzesstelle erforderliche Einleitung entsprechender Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar im Ausland noch nicht vorliege.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Minderjährigen mit dem sinngemäßen Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung der antragstattgebenden Entscheidung des Erstgerichts.

Der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel des Minderjährigen keine Folge zu geben. Der Vater und die Mutter haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber vertritt weiterhin die Ansicht, es lägen schon mit dem Einschalten des deutschen Jugendwohlfahrtsträgers zur Veranlassung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in Deutschland die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 3 Z 2 UVG nF vor. Der Ortswechsel des Unterhaltsschuldners und die damit verbundene Änderung der Zuständigkeit des deutschen Jugendwohlfahrtsträgers habe zwar im vorliegenden Fall zu einer Verzögerung der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen geführt, habe aber nichts an der glaubwürdigen Absicht des Jugendwohlfahrtsträgers, entsprechende Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Ausland zu setzen, geändert.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Bis zum Inkrafttreten der Novellierung des UVG mit dem FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, setzte § 3 UVG neben dem Bestehen eines im Inland vollstreckbaren Unterhaltstitels (Z 1) voraus, dass „eine wegen der laufenden Unterhaltsbeiträge geführte Exekution nach § 291c Abs. 1 EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder eine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, eine Exekution nach § 372 EO auch nur einen in den letzten sechs Monaten vor Stellung des Antrags auf Vorschussgewährung fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht voll gedeckt hat“.

Während § 3 Z 1 UVG unverändert blieb, wurde § 3 Z 2 UVG mit dem FamRÄG 2009 novelliert und erhielt folgende Fassung: „Vorschüsse sind zu gewähren, wenn ... 2. der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet sowie das Kind glaubhaft macht (§ 11 Abs. 2), einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung von § 372 EO eingebracht zu haben; lebt der Unterhaltsschuldner im Ausland und muss im Ausland Exekution geführt werden, so hat das Kind glaubhaft zu machen (§ 11 Abs. 2), einen Antrag auf Vollstreckung nach dem Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, BGBl. Nr. 316/1969, dem Auslandsunterhaltsgesetz, BGBl. Nr. 160/1990, einen vergleichbaren Antrag bei der im Inland zur Bearbeitung zuständigen Behörde oder einen Antrag, mit dem entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar im Ausland eingeleitet werden sollen, eingebracht zu haben.“

In den Gesetzesmaterialien (IA 673/A 24. GP 36 f) wird die Novellierung des § 3 Z 2 UVG mit folgenden Erwägungen erläutert:

„Durch die Neufassung dieser Bestimmung sollen die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen geändert werden, sodass diese im Vergleich zur geltenden Rechtslage zu einem früheren Zeitpunkt an die Kinder ausgezahlt werden können. Die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach § 3 setzt in der unverändert bleibenden Z 1 weiterhin einen im Inland vollstreckbaren Exekutionstitel für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch voraus, in Z 2 jedoch nicht mehr das Kriterium der erfolglosen Exekutionsführung. Stattdessen soll es ausreichen, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Titels den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet und das Kind ‘taugliche’ Exekutionsmaßnahmen eingeleitet hat. ... Die Bestimmung der Z 2 legt außerdem fest, welche Schritte der Exekutionsführung vorzunehmen und bei Antragstellung dem Gericht zu bescheinigen sind. ... Lebt der Unterhaltsschuldner im Ausland und muss mangels Vermögens oder Beschäftigung im Inland im Ausland Exekution geführt werden, so regelt der zweite Halbsatz der Bestimmung, welche Vollstreckungsmaßnahmen das Kind in solchen Fällen zu ergreifen und im Verfahren zu bescheinigen hat, um Unterhaltsvorschuss bekommen zu können. Grundsätzlich reicht es aus, bei einer grenzüberschreitenden Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen entsprechende Maßnahmen bei den im Inland zur Bearbeitung zuständigen Behörden zu beantragen. In der Bestimmung ausdrücklich genannt sind ein Vorgehen nach dem Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland (‘New Yorker Unterhaltsübereinkommen’), sowie nach dem Auslandsunterhaltsgesetz. Ein Vorgehen mittels vergleichbarer Anspruchstellung nach anderen Gesetzen oder internationalen Abkommen für die Vollstreckung von Unterhaltsansprüchen bei der jeweils im Inland zur Bearbeitung zuständigen Behörde soll ebenfalls genügen. Sollte der Unterhaltsberechtigte die Exekution des Unterhaltstitels direkt bei den im Ausland zuständigen Behörden beantragen, etwa gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen vom (Brüssel I VO) oder die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen vom (EuVTVO), so sollte die Kopie eines Antrags, mit dem entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar im Ausland eingeleitet wurden, als Nachweis einer tauglichen Forderungsbetreibung ausreichen. In jedem Fall ist das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzung iSd § 11 Abs. 2 UVG glaubhaft zu machen.“

Nach der neuen Rechtslage sollen somit grundsätzlich Vorschüsse geleistet werden können, sobald ein vollstreckbarer Exekutionstitel für den gesetzlichen Unterhaltsanspruch besteht und ein „tauglicher“ Exekutionsantrag bei Gericht eingebracht worden ist. Der Umstand, dass der Exekutionsantrag bereits bei Gericht eingebracht wurde, ist bei der Antragstellung dem Gericht zu bescheinigen.

Lebt der Unterhaltsschuldner wie im vorliegenden Fall im Ausland und muss mangels Vermögens oder Beschäftigung im Inland im Ausland Exekution geführt werden, so regelt der zweite Halbsatz der Bestimmung, welche Vollstreckungsmaßnahmen das Kind in solchen Fällen zu ergreifen und im Verfahren zu bescheinigen hat. Da das Kind durch den Umstand, dass sich der Unterhaltsschuldner im Ausland befindet, nicht benachteiligt werden soll, werden in dieser Bestimmung einem Exekutionsantrag im Inland verschiedene Maßnahmen gleichgestellt, die darauf abzielen, dass der Unterhalt im Ausland durchgesetzt wird. Beispielhaft nennt das Gesetz ein Vorgehen nach dem New Yorker Unterhaltsübereinkommen oder nach dem Auslandsunterhaltsgesetz. In diesen Fällen reicht es aus, entsprechende Maßnahmen bei der im Inland zur Bearbeitung zuständigen Behörde zu beantragen. Darüber hinaus besteht aber auch die Möglichkeit einer Antragstellung, mit der entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar im Ausland eingeleitet werden. Nach den zitierten Gesetzesmaterialien soll auch hier die Kopie eines entsprechenden Antrags als Nachweis einer tauglichen Forderungsbetreibung ausreichen.

Im vorliegenden Fall hat der Minderjährige seinen Anspruch auf Unterhaltsvorschüsse gemäß § 3 Z 2 UVG nF darauf gestützt, dass ein Amtshilfeersuchen mit der zuständigen Behörde in Deutschland „im Laufen“ sei. Ein Amtshilfeersuchen des Minderjährigen bzw seines Vertreters an das deutsche Jugendamt um Einleitung eines Exekutionsverfahrens gegen den Unterhaltsschuldner reicht jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Z 2 zweiter Halbsatz letzter Fall UVG nF für eine Vorschussgewährung nach dieser Gesetzesstelle ebenso wenig aus wie eine im Revisionsrekurs bekundete „glaubwürdige Absicht“ des Jugendwohlfahrtsträgers, Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Ausland zu setzen. Für eine Vorschussgewährung nach § 3 Z 2 zweiter Halbsatz letzter Satz UVG nF ist vielmehr vom Antragsteller die tatsächliche Einleitung entsprechender Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Unterhaltsschuldner unmittelbar im Ausland zu bescheinigen. Dass ein solcher konkreter Schritt gesetzt worden wäre, wurde aber vom Antragsteller bis zum maßgebenden Zeitpunkt der Beschlussfassung in erster Instanz nicht behauptet und auch nicht bescheinigt. Da nach ständiger Rechtsprechung mit Deutschland geordnete Vollstreckungsbeziehungen bestehen (vgl Neumayr in Schwimann , ABGB³ I § 4 UVG Rz 13 mwN), liegt auch eine Aussichtslosigkeit der Exekutionsführung iSd § 4 Z 1 UVG nicht vor.

Die Abweisung des Antrags des Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen durch das Rekursgericht erfolgte daher zu Recht. Dem Revisionsrekurs des Minderjährigen musste somit ein Erfolg versagt bleiben.