OGH vom 29.11.2017, 8Ob106/17x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn sowie die Hofrätin Mag. Korn und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** M*****, vertreten durch Dr. Robert Kerschbaumer, Rechtsanwalt in Lienz, gegen die beklagte Partei Dr. J***** M*****, vertreten durch Mag.iur. Oliver Lorber Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Teilanfechtung (in eventu Gesamtanfechtung) eines Vergleichs, 4.818,87 EUR und Unterhalt, in eventu 369.818,87 EUR und Unterhalt, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 161/17v-38, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom , GZ 2 C 72/14w-33, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Streitteile haben am die Ehe geschlossen. Ihr entstammt die am ***** 1994 geborene Tochter *****. Der Beklagte ist freiberuflich tätiger Zahnarzt, die Beklagte arbeitete während der Ehe in seiner Ordination. Der letzte gemeinsame Wohnsitz war auf der den Ehegatten je zur Hälfte gehörigen Wohnhausliegenschaft *****. Die Ehe wurde über einvernehmlichen Antrag gemäß § 55a EheG am vom Bezirksgericht Klagenfurt zu 2 Fam 45/12t geschieden. Der dabei geschlossene Vergleich hat – gekürzt – folgenden Wortlaut:
„1. Ehegattenunterhalt und Kindesunterhalt
1.1. Beide Antragsteller verzichten mit sofortiger Wirkung wechselseitig auf jeglichen Unterhalt und nehmen die Verzichtserklärung wechselseitig an. [...]
1.2. Der Zweitantragsteller verpflichtet sich, für seine Tochter ***** einen Betrag von monatlich 500 EUR an Unterhalt zu bezahlen. Weiters verpflichtet sich der Zweitantragsteller aus diesem Titel seiner Tochter ***** auf die Dauer ihres geplanten Studiums eine Wohnung mit einem fiktiven monatlichen Mietwert von mindestens 400 EUR am Studienort zur Verfügung zu stellen. […]
1.3. Bis zur Volljährigkeit der gemeinsamen Tochter ***** steht die Obsorge beiden Antragstellern gemeinsam zu, die gemeinsame Tochter ***** verbleibt bis zur ihrer Volljährigkeit im Familienverband mit der Erstantragstellerin, danach steht es dieser frei den Familienverband selbst zu wählen.
2. Ehewohnung
2.1. Die letzte gemeinsame Ehewohnung steht im jeweiligen Hälfteeigentum der Antragsteller und ist ein Einfamilienhaus mit der Adresse ***** repräsentiert durch die Liegenschaft in *****.
2.2. Hinsichtlich der Aufteilung dieses unbeweglichen Vermögens, repräsentiert durch die Liegenschaft *****, vereinbaren die Vertragsparteien, dass diese Liegenschaft in Zukunft der Erstantragstellerin zur Hälfte, also wie bisher, und der Tochter der beiden Antragsteller ***** [...] zukommen soll. Der Zweitantragsteller Dr. J***** M***** verpflichtet sich daher mit ausdrücklicher Zustimmung der Erstantragstellerin I***** M*****, den ihm gehörenden Hälfteanteil an der Liegenschaft ***** an die gemeinsame Tochter ***** [...] frühestens mit dem Tage der Volljährigkeit der *****, jedoch spätestens mit , dieser schenkungsweise zu übertragen. […]
2.3. Unter ClNr. 1 und 2 sind bei der obgenannten Liegenschaft jeweils das Belastungs- und Veräusserungsverbot für die Antragsteller wechselseitig einverleibt. Die Antragsteller verzichten jeweils auf das zu ihren Gunsten einverleibte Belastungs- und Veräußerungsverbot und erteilen ihre ausdrückliche Einwilligung zur Löschung dieser Belastungs- und Veräußerungsverbote bei der Liegenschaft *****.
Das dem unter ClNr. 3 einverleibten Pfandrecht von 326.000 ATS samt Anhang zugrundeliegende Wohnbauförderungsdarlehen zugunsten des Landes Kärnten wurde von den Antragstellern vorzeitig getilgt. Dieses Pfandrecht wird von der Erstantragstellerin bei der Liegenschaft ***** belassen solange bis eine grundbuchsfähige Löschungsurkunde ausgestellt wird. Die Kosten für die Löschung dieses Pfandrechtes trägt der Zweitantragsteller.
[…]
2.7. Beide Antragsteller erklären wechselseitig keinerlei vermögensrechtliche Ansprüche hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens des jeweiligen anderen zu stellen.
3. Kraftfahrzeuge
3.1. Jeder Antragsteller behält den in seinem Eigentum und in seinem Besitz stehenden PKW ohne dass es diesbezüglich zu einer Ausgleichszahlung kommt.
4. Eheliches Gebrauchsvermögen
4.1. Das eheliche Gebrauchsvermögen wurde insofern bereits aufgeteilt, als die Antragsteller ihre persönlichen Sachen bereits geteilt haben und bereits gesondert nutzen. Das eheliche Gebrauchsvermögen bestehend aus der Wohnungseinrichtung des Hauses ***** bleibt im Haus ***** und übernimmt somit die Erstantragstellerin in ihr Eigentum.
5. Eheliche Ersparnisse
5.1. Festgehalten wird, dass keine ehelichen Ersparnisse vorhanden sind.
6. Ausgleichsleistung
6.1. Zur Abfindung der Ansprüche aus Mitwirkung am Erwerb, Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und dergleichen verpflichtet sich der Zweitantragsteller der Erstantragstellerin eine einmalige Abschlagszahlung von 50.000 EUR zu bezahlen, zahlbar bis .
7. Kosten und Gebühren
7.1. Die Pauschalgebühren trägt der Zweitantragsteller, ebenso wie die Kosten für die Errichtung des Scheidungsvergleichs, etwaige Abgaben, Gebühren und Steuern alleine.
8. Abfindungserklärung
8.1. Mit dieser Vereinbarung sind daher sämtliche gegenseitigen Ansprüche der Antragsteller insbesondere aus dem Titel der Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse ein für allemal verglichen und bereinigt, sodass kein Teil vom anderen mehr etwas zu fordern hat.
8.2. Beide Antragsteller verzichten wechselseitig auf jede weitere Antragstellung nach § 81 Ehegesetz und § 85 ABGB und nehmen diese Verzichtserklärungen wechselseitig an.“
Die Klägerin begehrt den Scheidungsvergleich in seinen Punkten 1.1., 2.7., 5.1., 6.1., 8.1. und 8.2. für nichtig zu erkennen, in seinem Punkt 6.1. jedoch nur insofern, als sie damit auf eine über den Betrag von 50.000 EUR hinausgehende Abschlagszahlung verzichtet hat, und den Beklagten für schuldig zu erkennen, ihr 4.818,87 EUR und ab einen monatlichen Unterhalt von 3.000 EUR zu bezahlen. Eventualiter soll der Scheidungsvergleich zur Gänze für nichtig erkannt und der Klägerin 4.818,87 EUR und ab ein monatlicher Unterhalt von 3.000 EUR zuerkannt werden. Hierzu wiederum im Eventualverhältnis stehend begehrt die Klägerin vom Beklagten 369.818,87 EUR und ab einen monatlichen Unterhalt von 3.000 EUR.
Die Klägerin brachte im Wesentlichen zum einen vor, dass sie der Beklagte mit massiven Drohungen und Psychoterror veranlasst habe, den Scheidungsvergleich abzuschließen. Er habe immer wieder für den Fall einer nicht einvernehmlichen – von ihm nicht gewollten – Scheidung, die nicht nach seinen Regeln passiere, mit dem Umbringen gedroht, weiters damit, dass er die Klägerin mit dem besten Anwalt von Wien fertigmachen und die gemeinsame Tochter kein Geld mehr für das Studium bekommen werde. Die Klägerin sei aufgrund dessen sowie der übrigen jahrelangen
– näher vorgebrachten – Grausamkeiten des Beklagten traumatisiert gewesen, sie habe einfach nicht mehr können, nur noch die Scheidung wollen und daher den von einem Freund des Beklagten, einem Notar, vorbereiteten Scheidungsfolgenvergleich akzeptiert. Die Klägerin sei zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses ausschließlich von Zwang und Drohung des Beklagten gesteuert gewesen.
Zum anderen habe ihr der Beklagte arglistig aus seiner zahnärztlichen Tätigkeit stammende beträchtliche Finanzmittel verschwiegen. Von deren Existenz habe sie erst dadurch Kenntnis erlangt, dass sich der Beklagte bereits kurz nach der Scheidung ein Grundstück in bester Lage in ***** gekauft und darauf eine – zudem teuerst eingerichtete – Villa errichtet habe, wobei der Investitionsaufwand zumindest 600.000 EUR betragen habe; zudem habe der Beklagte nach der Scheidung in ***** eine Wohnung um knapp 270.000 EUR gekauft. Hätte die Klägerin von diesen aus der zahnärztlichen Tätigkeit vor der Scheidung stammenden beträchtlichen Finanzmitteln gewusst, hätte sie niemals einen Unterhalts- und Generalverzicht abgegeben und sich auch nicht mit einer Zahlung von nur 50.000 EUR begnügt.
Ohne Beeinträchtigung ihrer Willensbildung hätte die Klägerin, zumal den Beklagten das Alleinverschulden am Scheitern der Ehe getroffen habe, mit einer Scheidungsklage obsiegt und einen nachehelichen Unterhalt von 3.000 EUR sowie eine Zahlung von nicht bloß 50.000 EUR, sondern eine um 365.000 EUR höhere Zahlung vor Gericht erstritten. Dem begehrten Betrag von 4.818,87 EUR liege zugrunde, dass der Klägerin durch die Observierung des Beklagten durch einen Detektiv, wobei der Beklagte bei einem außerehelichen Geschlechtsverkehr ertappt worden sei, Kosten in dieser Höhe entstanden seien. Auch diesen Betrag hätte sie bei Kenntnis der ihr verheimlichen Finanzmittel vom Beklagten mit Erfolg verlangt.
Der bestritt das Vorbringen der Klägerin, beantragte die Abweisung der Klage und erhob insbesondere den Einwand der verglichenen Sache. Der Vergleich sei gültig. Aufgrund des vorhandenen Vermögens und des Einkommens sei kein anderes Ergebnis möglich gewesen. Das zumindest überwiegende Verschulden am Scheitern der Ehe habe die Klägerin getroffen, die – näher vorgebrachte – Eheverfehlungen zu verantworten habe. Selbst wenn der Vergleich unwirksam sein sollte, seien die erhobenen Ansprüche unberechtigt. Der Klägerin seien durch den Vergleich rund 500.000 EUR zugeflossen, dies durch die Barzahlung von 50.000 EUR, die Übernahme sämtlicher Kosten für die Durchführung der Scheidung durch den Beklagten, die Rückzahlung des Wohnbauförderungsdarlehens durch den Beklagten und durch die über ausdrückliche Anweisung der Klägerin erfolgte Übertragung der Liegenschaftshälfte des Beklagten an die Tochter. Bei ordnungsgemäßer Aufteilung hätten dem Beklagten ebenfalls Werte in Höhe von rund 500.000 EUR zufließen müssen, um eine gleichmäßige Aufteilung zu erwirken.
Das wies – ausgehend bloß vom eingangs wiedergegebenen, unstrittigen Sachverhalt – die Klage ohne Durchführung eines Beweisverfahrens und Treffen weiterer Feststellungen ab. Ein Scheidungsfolgenvergleich sei zwar nach bürgerlichem Recht anfechtbar, eine Teilanfechtung sei aber nur insoweit möglich, als er quantitativ und qualitativ teilbar sei, woran es hier mangle. Beim Scheidungsvergleich handle es sich um ein Gesamtpaket. Nur die der Klägerin nachteiligen Teile dieses Pakets für unwirksam zu erklären und den Beklagten zu einer Ausgleichszahlung zu verpflichten, wäre eine gröbliche Benachteiligung des Beklagten. Das Begehren der Klägerin, nur Teile des Scheidungsvergleichs für unwirksam zu erklären, demnach jene, die zu ihrem Nachteil gereichten, den Rest des Vergleichs jedoch aufrecht zu belassen, käme einem „Rosinen picken“ gleich, wodurch der Beklagte massiv benachteiligt wäre und der Sinn eines synallagmatischen Scheidungsvergleichs ad absurdum geführt würde. Auch das Eventualbegehren vermöge daran nichts zu ändern, da es sich hiebei lediglich um eine andere Formulierung handle, im Endeffekt jedoch dasselbe Ziel erreicht werde; entgegen dem Scheidungsvergleich käme es zu einer Bezahlung eines hohen Kapitalbetrags und eines Unterhalts an die Klägerin, wodurch wieder die Relationen verschoben würden. Im Übrigen müsste auch in diesem Fall die Voraussetzung für den Unterhaltsanspruch, nämlich das (hypothetische) Scheidungsverschulden geprüft werden.
Das Berufungsgericht behob das klagsabweisende Urteil und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.
Der vorliegende Scheidungsvergleich sei kein Gesamtpaket, welches einer bloß teilweisen Anfechtung unzugänglich sei. Die den Kindesunterhalt und die Obsorgeregelung betreffenden Vergleichsteile stünden hier unstrittig nicht zur Disposition, sodass gegenständlich ausschließlich die unterhalts- und vermögensrechtlichen Vereinbarungen der Ehegatten seien. Nur diese könnten ein Gesamtpaket, eine „untrennbare Einheit“ sein. Allein die Tatsache, dass die Eigentumsübertragung der ursprünglich dem Mann gehörigen Liegenschaftshälfte an die Tochter irreversibel erscheine, hindere eine Neubeurteilung der Ansprüche der Frau noch nicht, zumal diese Eigentumsübertragung durch eine Bewertung in einem Geldbetrag zumindest fiktiv ausgeglichen werden könnte. Bislang habe auch der Beklagte noch kein Vorbringen erstattet, dass und vor allem aus welchen Gründen eine Neubeurteilung aller Ansprüche gemäß §§ 81 ff EheG (nämlich ohne Rückübertragung jener Liegenschaftshälfte an ihn) für ihn unzumutbar sein sollte. Jedenfalls erscheine zudem das zweite Eventualbegehren als zulässig, weil die Klägerin damit den Vergleich unberührt lasse, allerdings gemäß § 874 ABGB Schadenersatz begehre, was schon nach dem Gesetzeswortlaut „in jedem Falle“ zulässig sei, das heißt unabhängig davon, ob der Vergleich angefochten werde oder nicht.
Der Rekurs sei zulässig, da der zu beurteilende Fall dadurch charakterisiert sei, dass ein mit dem Scheidungsvergleich vereinbarter Eigentumsübergang an einem Liegenschaftsanteil nicht mehr rückführbar sei, und ein solcher Fall vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden und beurteilt worden sei.
In seinem wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen beantragt der Beklagte die Wiederherstellung des Ersturteils.
Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage ; er ist aber im Ergebnis .
1.
Der Vergleich über die Scheidungsfolgen nach § 55a Abs 2 EheG ist nicht nur Scheidungsvoraussetzung und allenfalls Exekutionstitel, sondern auch
privatrechtlicher Vertrag, der die Ehegatten – auch ohne Einhaltung der im § 55a Abs 2 EheG geforderten Form – an die Vereinbarung
unter der Voraussetzung, dass die einvernehmliche Scheidung rechtskräftig wird, privatrechtlich bindet (RIS-Justiz
RS0106968; Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht § 55a EheG Rz 10; Schwimann in Schwimann, ABGB-TaKom3 § 55a EheG Rz 7; Weitzenböck in Schwimann/Kodek4 § 55a EheG Rz 21). Als privatrechtlicher Vertrag kann ein Scheidungsfolgenvergleich wegen Willensmängeln oder Sittenwidrigkeit (Wucher) angefochten werden (RIS- Justiz
RS0014757; Weitzenböck in Schwimann/Kodek4 § 55a EheG Rz 21; Stabentheiner in Rummel3 § 55a EheG Rz 22). Der Erfolg der Anfechtung hat auf die Wirksamkeit des Scheidungsbeschlusses keinen Einfluss (RIS-Justiz
RS0014757 [T1]; Aichhorn in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht § 55a EheG Rz 12; Koch in KBB5 § 55a EheG Rz 9).
1.2. Eine Teilanfechtung eines Scheidungsfolgen-
vergleichs ist möglich, wenn er nach allgemeinen Vertragsregeln teilbar ist (8 Ob 697/89 = RIS-Justiz RS0014818 [T4] = RS0014775 [T1]; 1 Ob 568/92 = RIS-Justiz
RS0014757 [T3]), also der andere Teil den Vertrag auch ohne den ungültigen Teil geschlossen hätte (RIS-Justiz RS0014822 [T1]). Das Begehren auf nur teilweise Nichtigerklärung eines – hier vorliegenden – Generalvergleichs bedeutet nichts anderes als ein Begehren auf Vertragsanpassung (6 Ob 568/94).
1.3. Vertragsanpassung ist nur bei einem unwesentlichen Irrtum und nur dann möglich, wenn der Gegner im Zeitpunkt des Kontrahierens hypothetisch den Willen gehabt hätte, gegebenenfalls auch zu den Bedingungen, die der andere Teil nunmehr durchzusetzen bestrebt ist, abzuschließen (RIS-Justiz
RS0016237). Dem Gegner kann nicht einseitig ein Vertragsinhalt
aufgezwungen werden, den er nicht akzeptiert hätte (9 Ob 50/10h = RIS-Justiz RS0016262 [T5] = JBl 2011, 40 [P. Bydlinski]; vgl auch RS0014770 [T5]; RS0016259 [T1]).
1.4. Der listig Irregeführte ist für die Voraussetzungen der §§ 870 und 872 ABGB behauptungs- und beweispflichtig (RIS-Justiz
RS0014792 [T2]). Listige Irreführung beim Vertragsabschluss setzt in tatsächlicher Hinsicht stets Irreführungsabsicht voraus (RIS-Justiz RS0014821 [T6]). Ob der Irreführende absichtlich oder doch bewusst vorgegangen ist, ist dementsprechend – als eine der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof entzogene Frage der Beweiswürdigung – eine Frage tatsächlicher Natur (1 Ob 1538/95; 10 Ob 74/05p; RIS-Justiz RS0014776); auch die Frage, ob eine List Einfluss auf die Willensbildung des anderen hatte, ist keine Rechtsfrage, sondern eine Tatfrage (RIS-Justiz RS0014762).
Damit ist der listig Irregeführte auch für die Unwesentlichkeit des Irrtums im Sinne des § 872 ABGB behauptungs- und beweispflichtig (3 Ob 23/13y). Es ist aber Sache des Täuschenden, Tatsachen zu behaupten und erforderlichenfalls zu beweisen, aus denen sich ein zuverlässiger Schluss dafür ableiten lässt, dass er bei Aufklärung des Irrtums den Vertrag nicht mit einem angemessenen Inhalt statt des vereinbarten Inhalts geschlossen hätte (vgl RIS-Justiz RS0014792 – Unangemessenheit des Entgelts). Allgemein ist die Vertragsanpassung nur dann abzulehnen, wenn positiv feststeht, dass der arglistige Vertragspartner nicht zu den geänderten Bedingungen abgeschlossen hätte; anderenfalls ist darauf abzustellen, mit welchem Inhalt redliche, nicht in einem Irrtum verfangene Parteien den Vertrag abgeschlossen hätten (3 Ob 23/13y; 9 Ob 15/17x; RIS-Justiz RS0016237 [T8]).
Dass er den Vertrag anders nicht geschlossen hätte, kann der listig Irreführende dem Begehren des Vertragspartners auf Vertragsanpassung aber nur einwenden, wenn durch die begehrte Anpassung wesentliche Interessen auf seiner Seite beeinträchtigt würden (RIS-Justiz RS0014780; Rummel in Rummel/Lukas4 § 870 ABGB Rz 10). Er darf der Vertragsanpassung nur dann widersprechen, wenn es ein redlicher Vertragspartner könnte, also wenn durch die Anpassung sachlich gerechtfertigte wesentliche Interessen auf seiner Seite beeinträchtigt würden, wofür ihn die Behauptungs- und Beweislast trifft (Riedler in Schwimann/Kodek4 § 870 Rz 20 mwH).
1.5. All dies gilt sinngemäß für den anderen Fall des § 870 ABGB, das Vorliegen ungerechter und gegründeter Furcht, da auch den Bedrohten die Behauptungs- und Beweispflicht für die Anfechtbarkeit des Vergleichs trifft (8 ObA 2/99y) und auch ihm das Recht zusteht, in Analogie zu § 872 ABGB statt der Auflösung des Vertrags eine Anpassung zu begehren (Koziol-Welser/Kletečka, Bürgerliches Recht I14 Rz 530; Rummel in Rummel/Lukas4 § 870 Rz 14).
1.6. Es kommt damit jedenfalls maßgeblich auf den Willen beider Vertragspartner an. Dabei können, wie bei jeder Auslegung, der
wirkliche Wille im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, hilfsweise ein
hypothetischer Parteiwille und die Verkehrsübung sowie der Vertragszweck Anhaltspunkte liefern (9 Ob 42/98m; Rummel in Rummel/Lukas4 § 878 ABGB Rz 10; idS auch 1 Ob 2012/96f). Nur wenn sich – wie es bei 1 Ob 36/66 = EvBl 1966/255 der Fall war – unmittelbar aus dem Vergleichsinhalt ergibt, dass sämtliche Vergleichspunkte nur als Einheit bestehen können, und zugleich kein Hinweis vorliegt, dass die Parteien keinen vom Vergleichswortlaut abweichenden Willen hatten, scheidet Teilanfechtung ohne weiteres aus. Mangelt es an einer eindeutigen Vertragslage, ist es unabdingbar, den Parteiwillen zu erforschen.
1.7. Im vorliegenden Fall mangelt es – im Unterschied zum Fall EvBl 1966/255 – an einer eine Teilanfechtung eindeutig ausschließenden Vertragslage, weshalb es unabdingbar ist, den Parteiwillen zu erforschen. Zur Frage, wie sich die Parteien ohne die (präsumtive) Willensbeeinträchtigung der Klägerin durch List und/oder ungerechte und gegründete Furcht verhalten hätten, wurde von den Parteien nicht vorgetragen. Die Fragen der Behauptungs- und Beweislast wurden mit ihnen aber auch nicht im Sinne des § 182a ZPO erörtert.
Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RIS-Justiz RS0037300). Das Verbot von Überraschungsentscheidungen gilt auch für den Obersten Gerichtshof (Rassi in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 §§ 182, 182a ZPO Rz 99 mwN). Es ist daher notwendig, dass das Erstgericht die Rechtslage mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit gegeben wird, angesichts der Rechtslage erheblich erscheinendes Vorbringen zu erstatten und entsprechende Beweisanbote zu machen. Im weiteren wird das Erstgericht über das Vorbringen der Streitteile ein Beweisverfahren durchzuführen und den Sachverhalt festzustellen haben. Die Aufhebung des Ersturteils ist damit jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden.
2. Im fortgesetzten Verfahren wird zudem Folgendes zu beachten sein:
2.1. Sollte keine Teilanfechtung möglich sein, wird das Erstgericht über den als Eventualbegehren geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Gesamtanfechtung zu entscheiden, mithin jedenfalls zu beurteilen haben, ob die Klägerin einer Arglist oder Drohung des Beklagten unterlag. Die Ansicht des Erstgerichts, bei dem eventualiter erhobenen Gesamtanfechtungs- samt (auch) damit verknüpftem Leistungsbegehren handle es sich lediglich um „eine andere Formulierung“, im Endeffekt werde jedoch mit ihm „dasselbe Ziel“ erreicht, übersieht, dass die (Teil- oder Gesamt-)Anfechtung eines Vergleichs nicht nur ein Instrument ist, um Ansprüche zu erheben, die bei Gültigkeit des Vergleichs ausgeschlossen wären, sondern dass ein Recht der irregeführten Partei auf die Vergleichsanfechtung selbst besteht. Bei der Anfechtung eines Vertrags wegen Willensmängeln handelt es sich nämlich um
eine Rechtsgestaltung (RIS-Justiz RS0014815 [T10]), weshalb auf die Teil- oder Gesamtnichtigkeit des Vergleichs auch allein geklagt werden könnte. Dass die Klägerin für die Fälle der Teil- bzw Gesamtnichtigkeit des Vergleichs dieselben Leistungsansprüche erhebt, bedeutet daher nicht, dass das (erste) Eventualbegehren mit dem Hauptbegehren kongruent ist.
2.2. Sowohl in dem Fall, dass sich die Klägerin mit ihrem Hauptbegehren auf Teilanfechtung, als auch in dem Fall, dass sie sich mit ihrem (ersten) Eventualbegehren auf Gesamtanfechtung im Recht befinden sollte, würde das Erstgericht zu prüfen haben, ob sie einen Anspruch auf Zahlung eines Betrags von 4.818,87 EUR und auf einen monatlichen Unterhalt ab von 3.000 EUR hat. Hinsichtlich des erstgenannten Betrags würde das Erstgericht mit den Parteien die Rechtslage betreffend Ersatz von Detektivkosten für das Aufdecken ehewidriger Beziehungen zu erörtern haben (dazu zB
3 Ob 221/15v [in Punkt 4.1.];
Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht § 90 ABGB Rz 15 ff; Wagner in Schwimann/Kodek4 § 1293 Rz 51 ff), hinsichtlich des begehrten Unterhalts die durch das EheRÄG 1999 eingeführte Vorschrift des § 69a Abs 2 EheG, wonach mangels einer rechtswirksamen Vereinbarung über die unterhaltsrechtlichen Beziehungen der Ehegatten im Fall einer Scheidung im Einvernehmen ein Ehegatte dem anderen Unterhalt zu gewähren hat, soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten und der nach § 71 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Berechtigten der Billigkeit entspricht (vgl Koch in KBB5 § 69a EheG Rz 2; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht § 69a EheG Rz 12).
2.3. Sollte die Klägerin weder mit dem Hauptbegehren noch mit dem (ersten) Eventualbegehren durchdringen wird das Erstgericht sich mit dem (zweiten) Eventualbegehren auseinanderzusetzen haben. Hier wird das Erstgericht zunächst mit der Klägerin zu erörtern haben, unter welchen Voraussetzungen sie dieses Eventualbegehren erhebt, da unklar ist, ob es auch für den Fall einer bloßen Teilabweisung der vorrangigen Leistungsbegehren geltend gemacht wird.
Der listig Irregeführte kann auch ohne Anfechtung des Vertrags Schadenersatz fordern (
RIS-Justiz RS0014779). Zumal das zweite Eventualbegehren – wie vom Berufungsgericht zutreffend erkannt – gerade nicht zur Voraussetzung hat, dass es der Klägerin gelingt, den Vergleich teilweise oder zur Gänze zu Fall zu bringen, wird das Erstgericht hier zu berücksichtigen haben, dass wegen der Aufrechterhaltung des Vergleichs bei der Schadensberechnung die relative Berechnungsmethode Anwendung findet (Bollenberger in KBB5 § 874 Rz 1).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0080OB00106.17X.1129.000 |
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