TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 13.10.1993, B1897/92

VfGH vom 13.10.1993, B1897/92

Sammlungsnummer

13579

Leitsatz

Keine Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Trassenverordnungen betreffend die A 2 Süd Autobahn, "Umfahrung Klagenfurt", und die B 83 Kärntner Straße sowie die B 95 Turracher Straße; kein rechtswidriger Gebrauch des dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten eingeräumten Planungsermessens; Verletzung im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums durch denkunmögliche Anwendung der Enteignungsbestimmungen des BStG 1971; keine Prüfung der Erforderlichkeit bzw Notwendigkeit der zwangsweisen Einräumung von Eigentums- und Dienstbarkeitsrechten infolge Ablehnung entsprechender privatrechtlicher Angebote durch die Beschwerdeführerin

Spruch

1. Die beschwerdeführende Partei ist durch die angefochtenen Bescheide, soweit mit diesen Enteignungen zum Zwecke des Ausbaus der A 2 Süd Autobahn, "Umfahrung Klagenfurt", verfügende Bescheide abgewiesen wurden, in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit ihres Eigentums verletzt worden.

Die angefochtenen Bescheide werden insoweit aufgehoben.

2. Im übrigen ist die beschwerdeführende Partei durch die angefochtenen Bescheide, soweit mit diesen ihre Berufungen zurückgewiesen wurden, weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerden werden insoweit abgewiesen.

3. Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden des Beschwerdevertreters die mit S 30.000,- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten wurden (im Verfahren zu B200/92) zum Zwecke des Ausbaus der A 2 Süd Autobahn, "Umfahrung Klagenfurt", Baulos "Annabichl", eine im Eigentum der Beschwerdeführerin I K stehende Grundfläche enteignet und zwangsweise die Dienstbarkeit "der Duldung der Errichtung, dauernden Erhaltung und des dauernden Betriebes des Ehrentalerbergtunnels und der Entnahmen sowie Verwendung des Ausbruchmaterials dieses Tunnels ..." eingeräumt sowie (im Verfahren zu B1897/92) im Eigentum der beschwerdeführenden Partei stehende Grundflächen zum Zweck des Ausbaus der A 2 Süd Autobahn, "Umfahrung Klagenfurt", Baulos "Halegg, Knoten Nord (Lendorf)" und zum Zweck der "Umlegung der

B 83 Kärntner Straße" enteignet. Die Berufungen wurden zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Höhe der Entschädigung richteten.

In ihren gegen die genannten Bescheide gerichteten Beschwerden macht die Beschwerdeführerin zu B200/92, deren Beschwerde nach ihrem Ableben von der Verlassenschaft ausdrücklich aufrechterhalten wurde, sowie die Verlassenschaft nach I K als beschwerdeführende Partei zu B1897/92 die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unverletzlichkeit des Eigentums, auf "Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung von Rechten wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungen (BGBl. 519/1990 und BGBl. 521/1990) geltend.

2. Die beschwerdeführende Partei begründet die genannten Rechtsverletzungen im wesentlichen wie folgt:

2.1. Die genannten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte seien insbesondere deswegen verletzt, da eine Einräumung von Zwangsrechten zugunsten der Tauernautobahn AG deshalb unzulässig sei, "weil es die Tauernautobahn AG bis zur Enteignungsverhandlung nicht einmal versucht hatte, sich die gewünschten Rechte auf andere Art zu beschaffen". Die Einräumung zwangsweiser Dienstbarkeitsrechte sei grundsätzlich so lange unzulässig, "bis die Behörde die Wirtschaftlichkeit der dem Verfahren zugrundeliegenden Trasse ... geprüft und bejaht hat". Die Einräumung einer Dienstbarkeit zur Entnahme und Verwendung von Tunnel-Ausbruchmaterial sei jedenfalls unzulässig, da die Einräumung einer solchen Dienstbarkeit einer Enteignung von Ausbruchmaterial gleichkomme, die aber "unnotwendig und daher unzulässig" sei.

Die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unverletzlichkeit des Eigentums sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sei insbesondere auch darin zu erblicken, daß im Enteignungsverfahren "entgegen der Bestimmung des § 44 Eisenbahnenteignungsgesetz als einer lex spezialis gegenüber § 74 AVG" der Ersatz der "notwendigen und angemessen verzeichneten Kosten anwaltlicher Vertretung im Enteignungsverfahren nicht zuerkannt" wurde.

2.2. Die Verletzung von Rechten wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungen begründet die Beschwerdeführerin damit, daß die Verordnungen des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom , BGBl. 519/1990 und BGBl. 521/1990, mit denen der Straßenverlauf der A 2 Süd Autobahn im Bereich der Stadt Klagenfurt sowie der Straßenverlauf der B 83 Kärntner Straße und der B 95 Turracher Straße im Bereich der Gemeinden Maria Saal und Klagenfurt bestimmt wurde, gesetzwidrig seien, "weil der Verordnungsgeber die im Bundesstraßengesetz 1971 zur Gewinnung einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage vorgesehene Vorgangsweise nicht eingehalten hat". Entscheidungsgrundlagen für die Erlassung der genannten Verordnungen seien nur mangelhaft ermittelt worden, demzufolge bzw. auch auf Grund falscher Verwertung vorhandener Entscheidungsgrundlagen sei es zur Erlassung der angefochtenen Verordnungen bzw. Verordnungsteile gekommen. Kostenvergleiche seien nicht zwischen allen angeführten Varianten angestellt worden, es fehle "ein für den Zeitpunkt der Erlassung der Verordnung erstellter, entsprechend detaillierter und nach Maßgabe des Bauvorhabens und der einzelnen darin zu errichtenden Bauwerke aufgeschlüsselter Kostenrahmen bzw. Kostenvergleich". Auch "aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs, der Benützungsgefahren sowie unter Betrachtung der funktionellen Bedeutung des Straßenzuges, der Umweltverträglichkeit und des Denkmalschutzes" seien andere Trassen "der letztenendes verordneten Trasse überlegen und daher vorzuziehen".

3. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten als belangte Behörde sowie die - in gesetzlicher Vertretung für den Bund/Bundesstraßenverwaltung - beteiligte Partei Tauernautobahn Aktiengesellschaft (BGBl. 591/1982 idF BGBl. 662/1992 iVm der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom betreffend die Übertragung von Bundesstraßenteilstrecken an die Tauernautobahn Aktiengesellschaft, BGBl. 42/1989) beantragen in ihren - in wesentlichen Teilen gleichlautenden - Stellungnahmen die Abweisung der Beschwerden.

Betreffend die Einräumung von Dienstbarkeiten zum Zwecke der Tunnelerrichtung wird festgestellt, daß dadurch nicht das stärkste Zwangsmittel des Eigentumsentzuges, sondern ein gelinderes Mittel angewendet wurde. Von dieser - im Sinne der Verhältnismäßigkeit zweckmäßigen bzw. gebotenen - Einräumung einer Dienstbarkeit sei auch die Verwendung des Ausbruchmaterials mitumfaßt, das oberhalb der Tunnelanlage gelegene Gelände könne jedenfalls wie bisher ohne Einschränkungen weiter forstlich genutzt werden. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit sei auch in der festgesetzten Entschädigung berücksichtigt worden. Ein Kaufanbot (in bezug auf die im Enteignungsweg erworbenen Rechte) auf Grundlage eines Schätzgutachtens der Sachverständigen des Verwaltungsverfahrens sei der Liegenschaftseigentümerin während der Grundeinlöseverhandlung, somit vor Ergehen der behördlichen Entscheidung unterbreitet worden, dieses sei jedoch abgelehnt worden. Ein Versuch eines einvernehmlichen privatrechtlichen Grunderwerbes vor Einleitung des Enteignungsverfahrens sei im übrigen gemäß § 19 BStG 1971 nicht zwingend vorgeschrieben.

Zur behaupteten Gesetzwidrigkeit der Trassenverordnungen wird ausgeführt, daß "bei der Festlegung einer neuen Bundesstraßentrasse nicht sämtliche theoretisch nur denkbaren Varianten in allen Details untersucht werden können. ... Es haben daher, um die Planungsanforderungen an den Bund sowie die Planungskosten nicht zu überspannen, jene Trassenvarianten aus den Überlegungen auszuscheiden, deren Verwirklichung faktisch undurchführbar ist." Trassenführungen durch dicht bebaute Siedlungsgebiete, die mit dem Raumordnungskonzept der Stadt Klagenfurt nicht in Einklang zu bringen wären, seien daher aus den Trassenvergleichen auszuscheiden gewesen. Die Trassenführung "Mitte", die - zum Teil als Tunnel geführt - das Stadtgebiet von Klagenfurt durchquert, sei trotz positiver Bewertung im Rahmen der vergleichenden Umweltbewertung (Dipl.Ing. O M V) wegen massiven Widerstandes der Stadt sowie nicht gelöster technischer Probleme im Zusammenhang mit den Tunnellüftungen im Wohnbereich eingestellt worden. Von den verbleibenden Nordvarianten sei die verordnete "Flughafentrasse" auf Grund des Kostenvergleiches in der Wirkungsanalyse und der Kosten-Nutzen-Untersuchung der Studie Klagenfurt (Ingenieurgemeinschaft L-F) als beste Variante festgestanden.

In den Planungsunterlagen seien insbesondere Variantenvergleiche enthalten, bei denen die Kosten der einzelnen Trassenvarianten deren jeweiligen Nutzen gegenübergestellt werden, wobei genaue Kostenschätzungen über alle relevanten Kostenwerte vorliegen. Auch ökologische Gesichtspunkte (bauliche Schutzmaßnahmen, landschaftspflegerische Begleitplanung) seien wesentlich mitbestimmend für die Wahl der der angefochtenen Verordnung zugrundeliegenden Trasse der A 2 Süd Autobahn gewesen.

Insgesamt seien damit dem Verordnungsgeber ausreichende Entscheidungsgrundlagen für die Erlassung der den angefochtenen Bescheiden zugrundeliegenden Verordnungen gemäß § 4 Abs 1 BStG 1971 vorgelegen, die Trasse der A 2 Süd Autobahn sei damit unter Bedachtnahme auf die vorgeschriebenen gesetzlichen Voraussetzungen festgelegt worden.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. Mit den Beschwerden wurde mangels Differenzierung auch die in den angefochtenen Bescheiden enthaltene Zurückweisung der Berufungen angefochten, welche die Entscheidung über die Höhe der Entschädigung betraf. Insoweit kommt den Beschwerden, die dazu auch näherer Ausführungen entbehren, keine Berechtigung zu. Die beschwerdeführende Partei wurde durch die Zurückweisung ihrer Berufungen gegen die Entscheidungen über die Höhe der Entschädigung weder in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt.

2. Hingegen verletzten die mit den angefochtenen Bescheiden ausgesprochenen Enteignungen einschließlich der zwangsweisen Begründung einer Dienstbarkeit die beschwerdeführende Partei in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit ihres Eigentums:

a. Die angefochtenen Bescheide greifen in das Eigentumsrecht der beschwerdeführenden Partei ein. Dieser Eingriff ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10356/1985, 10482/1985) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

b. Der Verfassungsgerichtshof hat sohin vorerst untersucht, ob die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom betreffend die Bestimmung des Straßenverlaufes der A 2 Süd Autobahn im Bereich der Stadt Klagenfurt, BGBl. 519, sowie die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom betreffend die Bestimmung des Straßenverlaufes der B 83 Kärntner Straße und der B 95 Turracher Straße im Bereich der Gemeinden Maria Saal und Klagenfurt, BGBl. 521, welche die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Bescheide bilden, dem Gesetz entsprechen.

Der Verfassungsgerichtshof teilt die Bedenken der beschwerdeführenden Partei hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit dieser Verordnungen nicht. Insbesondere hält er es für unbedenklich, daß nicht alle möglichen Trassenvarianten in die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung miteinbezogen wurden. Daß eine durch das Stadtgebiet von Klagenfurt führende Tunneltrasse aus den weiteren Überlegungen der zuständigen Behörde ausgeschieden wurde, kann keine Gesetzwidrigkeit des Planungsverfahrens begründen. Dies schon wegen der generellen Folgewirkungen eines solchen Baugeschehens im innerstädtischen Bereich, im konkreten Fall auch auf Grund der technischen Probleme im Zusammenhang mit den Tunnellüftungen im Wohnbereich sowie angesichts der eindeutigen Stellungnahme der Stadt Klagenfurt für die nunmehr verordnete Trasse (Gemeinderatsbeschluß vom ). Es reichte hin, daß die tatsächlich angestellten Variantenvergleiche lediglich verschiedene Trassenführungen im Norden von Klagenfurt umfaßten. Auch die Überlegungen zur Umweltverträglichkeit im Anhang "Umwelt" zum Generellen Entwurf genügen den gesetzlichen Anforderungen, zumal die diesbezüglich vorgesehenen Schutzmaßnahmen im Rahmen einer landschaftspflegerischen Begleitplanung speziell auf die Umwelt im Bereich der neuen Trasse Bezug nehmen.

In Übereinstimmung mit der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 9823/1983, 12084/1989, 12949/1991; ua.; , V56/92 ua.) zu Verordnungen nach § 4 Abs 1 BStG 1971 hat der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten angesichts der den Verordnungen zugrundeliegenden Überlegungen zu den Auswirkungen der Trasse auf Verkehr, Raum und Umwelt sein Planungsermessen, wie es ihm § 4 Abs 1 BStG 1971 einräumt, auf hinreichende Sachverhaltserhebungen gestützt. Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten ist seiner Verpflichtung zur Bedachtnahme auf die gesetzlich festgelegten Kriterien der Verkehrserfordernisse, der Verkehrssicherheit, der funktionellen Bedeutung des Straßenzuges, des Umweltschutzes und der Wirtschaftlichkeit bei der Bestimmung des Straßenverlaufes zureichend nachgekommen und hat mit der verordneten Trasse eine Entscheidung getroffen, die auf Grund der Unterlagen nachvollziehbar ist und mit den Stellungnahmen der Kärntner Landesregierung sowie des Gemeinderates der Stadt Klagenfurt übereinstimmt. Ein rechtswidriger Gebrauch des ihm eingeräumten Planungsermessens liegt daher nicht vor.

c. Für Eigentumseingriffe in Gestalt von Enteignungen hat der Verfassungsgerichtshof (in VfSlg. 3666/1959) ausgeführt, daß diese von Verfassungs wegen nur zulässig sind, wenn die Enteignung durch das öffentliche Interesse geboten ist; dies ist nur dann der Fall, wenn ein konkreter Bedarf vorliegt, dessen Deckung im öffentlichen Interesse liegt, das Objekt der Enteignung überhaupt geeignet ist, den Bedarf unmittelbar zu decken, und es unmöglich ist, den Bedarf anders als durch Enteignung zu decken. Ist eine Enteignung nicht im Sinne eines derart verstandenen öffentlichen Interesses notwendig, so liegt eine denkunmögliche Gesetzesanwendung und damit eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrechtes vor.

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits unter Hinweis auf VfSlg. 7238/1973 in VfSlg. 7553/1975 ausgesprochen hat, hat die Bundesstraßenbehörde bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses an einer beantragten Enteignung nach § 20 Abs 1 BStG 1971 "insbesondere zu prüfen, ob das Straßenbauprojekt auch ohne Enteignung verwirklicht werden könnte". Der Verfassungsgerichtshof hat dazu weiter ausgeführt, "daß es dem Gegner der beantragten Enteignung offensteht, im Enteignungsverfahren den Mangel der Notwendigkeit der Enteignung einzuwenden; Notwendigkeit in diesem Zusammenhang bedeutet einerseits, daß die zu enteignenden Grundstücke für die Durchführung der projektierten Bundesstraße erforderlich sind, andererseits, daß der für das Projekt erforderliche Grund nicht auf andere Weise als durch Enteignung zu beschaffen ist" (vgl. auch VfSlg. 7469/1974).

In VfSlg. 7553/1975 begründete der Verfassungsgerichtshof die Erforderlichkeit der Enteignung (- und verneinte damit ein gesetzloses Verhalten der belangten Enteignungsbehörde -) damit, daß der beschwerdeführenden Partei bzw. ihrer Rechtsvorgängerin im Grundeigentum ein Kaufangebot unterbreitet und dieses abgelehnt worden war und daher feststand, "daß der Enteignungswerber noch vor der Einbringung des Enteignungsantrages den Versuch unternommen hat, die für die Ausführung des Projektes erforderlichen Grundflächen durch den Abschluß eines Rechtsgeschäftes zu beschaffen". Ähnlich hat der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 7145/1973 die Notwendigkeit einer Enteignung bejaht, nachdem die Entscheidung der Enteignungsbehörde im Einvernehmen mit den Parteien des Verfahrens mehrmals zurückgestellt worden war, "um den Parteien eine in Aussicht genommene Einigung" (über die Einräumung der im öffentlichen Interesse erforderlichen Benützungsrechte in Form einer Dienstbarkeit oder in Form eines Bestandsvertrages) "zu ermöglichen".

d. In den den Gegenstand der Beschwerdeverfahren bildenden Berufungsentscheidungen ist die belangte Behörde auf den (- bereits in der mündlichen Verhandlung im Enteignungsverfahren erhobenen sowie in den Berufungen und nunmehr in ihren Beschwerden wiederholten -) Einwand der nunmehr beschwerdeführenden Partei, daß es die Enteignungswerberin "bis zur Enteignungsverhandlung nicht einmal versucht hatte, sich die gewünschten Rechte auf andere Art" als durch Enteignung zu beschaffen, nicht eingegangen. Sie hat damit - angesichts der diesbezüglich begründungslosen Abweisung der Berufungen - offenbar die Auffassung des Landeshauptmannes für Kärnten als Bundesstraßenbehörde erster Instanz übernommen, die (zu B200/92) in dem auf Grund der Berufung bestätigten Bescheid erster Instanz wie folgt formuliert wurde:

"Das gesamte Straßenrechtsverfahren ist darauf ausgerichtet, ein einvernehmliches Verhandlungsergebnis zu erzielen und im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen die Gleichbehandlung der betroffenen Liegenschaftseigentümer zu gewährleisten. Jeder außerbehördliche Grundstückserwerb oder Dienstbarkeitsvertrag würde diesem Grundsatz und auch den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis des § 39 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 widersprechen. Privatrechtliche Verhandlungen würden zu ungleichen Behandlungen führen, da Kaufverträge und Einräumungen von Dienstbarkeiten nur unter Berücksichtigung wesentlicher subjektiver Vorstellungen erzielt werden könnten. Solche subjektiven Bewertungen sind jedoch von Gesetzes wegen auszuschließen.

Während z. B. eisenbahnrechtliche und wasserrechtliche Bestimmungen vorerst ein außerbehördliches Entschädigungsverfahren vorsehen und nur im Falle der Nichteinigung ein Enteignungsverfahren vorgesehen ist, sieht das Bundesstraßengesetz eine solche Regelung nicht vor.

Die Einwendungen hinsichtlich der Zulässigkeit des Straßenrechtsverfahrens waren daher nicht zu berücksichtigen bzw. abzuweisen."

Entgegen dieser von der Behörde vertretenen Auffassung ist

der Verfassungsgerichtshof der Meinung, daß auch ohne

ausdrücklich gesetzlich statuierte Verhandlungspflicht eine

Enteignung auf Grund des Bundesstraßenrechts nur dann notwendig

und erforderlich, somit im öffentlichen Interesse im Sinne der

Bundesverfassung gelegen ist, wenn der Grundstückseigentümer ein

angemessenes Kaufanbot oder die privatrechtliche Einräumung einer

entsprechenden Dienstbarkeit abgelehnt hat. Auch in der Literatur

wird etwa unter Berufung auf den Grundsatz der

Verhältnismäßigkeit (so bei Adamovich-Funk, Allgemeines

Verwaltungrecht, 3. Aufl, 1987, 177) darauf hingewiesen, daß "die

Zwangsmaßnahme einer Enteignung nur als ultima ratio ... verfügt

werden (darf), wenn das Vorhaben (zB der Bau einer Straße) auf

andere Weise als durch Enteignung nicht verwirklicht werden kann.

... Konsequenterweise ist daraus eine Verhandlungspflicht

zwischen dem Enteignungswerber und dem Eigentümer der Sache abzuleiten". Nach Brunner (Enteignung für Bundesstraßen, 1983, 12) ist das Erfordernis der "Notwendigkeit der Enteignung in dem Sinn, daß der für das Projekt erforderliche Grund nicht auf andere Weise beschafft werden kann, ... dann gegeben, wenn dem Enteigneten oder dessen Rechtsvorgänger ein Kaufanbot unterbreitet und von diesem abgelehnt wurde oder wenn der Enteignete zwar zur Aufgabe seines Eigentums bereit ist, aber keine Einigung über den Kaufpreis erzielt wird, oder der Enteignete von vornherein erklärt, keinen Kaufvertrag schließen zu wollen ...". (Zum "Prinzip des Vorrangs von vertraglicher Einigung" vor dem Instrument der Enteignung vgl. auch Kühne ua., Eisenbahnenteignungsgesetz, 1982, 22 f.)

Angesichts dieser von der bisherigen Judikatur und der Literatur bestätigten Verfassungsrechtslage hält es der Verfassungsgerichtshof für nicht ausreichend, wenn die Enteignungswerberin als mitbeteiligte Partei des verfassungsgerichtlichen Verfahrens - nicht die belangte Behörde - darauf hinweist, daß im vorliegenden Fall "vor Ergehen der behördlichen Entscheidung der Liegenschaftseigentümerin ein Kaufangebot auf Grundlage des Schätzgutachtens der Sachverständigen des Verwaltungsverfahrens unterbreitet (wurde), welches jedoch abgelehnt wurde". Aus den Verwaltungsakten geht nicht hervor, daß die Enteignungsbehörde ein derartiges Kaufangebot verifiziert hat. Im Gegenteil ging die Enteignungsbehörde in gänzlicher Verkennung der Rechtslage davon aus, daß kraft Bundesstraßenrecht kein vertragliches Einvernehmen über den Kauf der notwendigen Liegenschaften vor Einleitung des Enteignungsverfahrens anzustreben ist.

Im öffentlichen Interesse gelegen und in diesem Sinn erforderlich ist eine Enteignung aber nur dann, wenn ernsthafte Bemühungen des Enteignungswerbers mißlungen sind, das für einen öffentlichen Zweck benötigte Grundstück oder das Nutzungsrecht daran privatrechtlich zu angemessenen Bedingungen zu erwerben. Derartige ernsthafte Bemühungen des Enteignungswerbers stellen sohin eine von der Enteignungsbehörde zu prüfende Bedingung der Zulässigkeit einer Enteignung dar.

Der Verfassungsgerichtshof ist auch entgegen der von der Bundesstraßenbehörde erster Instanz in ihren Enteignungsbescheiden vertretenen und von der Berufungsbehörde der Sache nach wohl übernommenen Auffassung nicht der Meinung, daß jeder außerbehördliche Grundstückserwerb oder Dienstbarkeitsvertrag der Gleichbehandlung der betroffenen Liegenschaftseigentümer und dem Grundsatz der Verfahrensökonomie widerspricht. Der privatrechtliche Erwerb von Liegenschaften für öffentliche Zwecke geht vielmehr als gelinderes Mittel jedem zwangsweisen Rechtsentzug vor. Da die vertragliche Einigung vom rechtsgeschäftlichen Willen des Eigentümers ebenso wie des dem Wirtschaftlichkeitsgedanken verhafteten Erwerbers getragen wird, ist - entgegen der Behörde - nicht zu befürchten, daß sich diesfalls die "subjektiven Bewertungen" des Liegenschaftseigentümers (wohl hinsichtlich der Höhe des Kaufpreises) durchsetzen, zumal das Interesse der öffentlichen Hand an einer raschen Inbesitznahme einer Liegenschaft unter Verzicht auf ein sowohl Zeit als auch Kosten verursachendes Enteignungsverfahren durchaus zu Recht die Angemessenheit eines Kaufpreisangebotes zu beeinflussen vermag.

Insgesamt hat sohin die belangte Behörde mit den angefochtenen Bescheiden das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der beschwerdeführenden Partei auf Unversehrtheit ihres Eigentums dadurch verletzt, daß sie in denkunmöglicher Anwendung der Enteignungsbestimmungen des BStG 1971 das Enteignungsverfahren durchführte bzw. bestätigte, ohne daß die Erforderlichkeit und Notwendigkeit der zwangsweisen Einräumung von Eigentums- und Dienstbarkeitsrechten infolge Ablehnung entsprechender privatrechtlicher Anbote durch die beschwerdeführende Partei bzw. ihre Rechtsvorgängerin feststand.

Die angefochtenen Bescheide waren daher im angegebenen Umfang aufzuheben.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Der Kostenzuspruch stützt sich auf § 88 VerfGG. Die Kosten waren jeweils in der Höhe des vollen Pauschalsatzes zuzusprechen, da hinsichtlich jener Beschwerdepunkte, in denen die Beschwerden abgewiesen wurden, kein zusätzlicher Prozeßaufwand entstanden ist und da mit dem Pauschalsatz sämtliche Kosten des Verfahrens abgedeckt sind. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 5.000,- enthalten.