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OGH vom 27.05.2014, 15Os43/14h

OGH vom 27.05.2014, 15Os43/14h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter A***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom (richtig:) , GZ 42 Hv 41/13z 28, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wachberger, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Friis zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch sowie im Ausspruch der Verhängung eines Tätigkeitsverbots nach § 220b Abs 1 StGB aufgehoben.

Peter A***** wird für die ihm zur Last liegenden Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 206 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, wobei gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.

Im Umfang der Aufhebung des Ausspruchs des Tätigkeitsverbots nach § 220b Abs 1 StGB wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter A***** des Verbrechens (richtig: der Verbrechen) des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A./) und des Vergehens (richtig: der Vergehen) des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB schuldig erkannt und zu einer gemäß § 43a Abs 3 StGB zum Teil bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt. Gemäß § 220b Abs 1 StGB wurde ein Tätigkeitsverbot für den „Bereich der Pädagogik“ für die Dauer von fünf Jahren ausgesprochen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er „in Wien zumindest im Zeitraum Mitte November 2008 bis Mitte November 2010

A./ mit einer unmündigen Person, nämlich dem am geborenen Noah R***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung, nämlich Oralverkehr in zahlreichen Angriffen [in ca zwanzig Fällen, US 5] unternommen, indem er dessen Penis lutschte;

B./ mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, und zwar durch die unter A./ genannten Taten“.

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der zum Teil Berechtigung zukommt:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) beruht das Urteil insoweit, als im Rahmen der Beweiswürdigung auf die polizeilichen Ermittlungs ergebnisse Bezug genommen wird, durchaus auf gemäß § 258 Abs 1 zweiter Satz StPO in der Hauptverhandlung vorgekommenen Beweismitteln. Die Behauptung, die Vorsitzende habe die betreffenden Aktenstücke nicht einmal kurz referiert, orientiert sich nicht am Inhalt des unbeanstandet gebliebenen Hauptverhandlungsprotokolls, wonach gemäß § 252 Abs 2a StPO der gesamte Akteninhalt zusammengefasst vorgetragen wurde (ON 27 S 8).

Ob die Tatbegehung in beiden oder nur in einer der beiden Wohnungen stattgefunden hat, die der Angeklagte nach seinem Auszug aus der mit dem Tatopfer und dessen Mutter gemeinsam bewohnten Wohnung benützt hat, ist weder entscheidend noch erheblich (zu den Begriffen vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 398 ff, 409 ff). Der darauf bezogene Einwand (Z 5 zweiter Fall), ein Detail der Aussage des Tatopfers sei nicht erörtert worden, geht daher ins Leere.

Da konkrete Tatzeitpunkte gar nicht festgestellt werden konnten, betrifft die Kritik an der Unterlassung einer Erörterung der Verantwortung des Angeklagten, sich zu einzelnen Tatzeitpunkten gar nicht in Österreich befunden zu haben, keine erhebliche Tatsache.

Mit der Aussage des Tatopfers, die Übergriffe hätten nur tagsüber stattgefunden, haben sich die Tatrichter auseinandergesetzt. Dem stehen die Angaben des Angeklagten, täglich bis 17:00 Uhr gearbeitet und eine Stunde für den Heimweg benötigt zu haben, nicht entgegen, weshalb sie nicht gesondert zu erörtern waren. Im Übrigen lässt der Nichtigkeitswerber die Erwägungen der Tatrichter zu seinen Arbeitszeiten außer Acht (US 8 f) und verfehlt somit die gesetzmäßige Ausführung einer Mängelrüge (RIS Justiz RS0119370).

Da Verjährung gar nicht in Rede steht, betrifft der konkrete Tatzeitraum fallbezogen ebenfalls keine entscheidende Tatsache; deshalb scheitert auch der Vorwurf diesbezüglich im Urteil fehlender Begründung (Z 5 vierter Fall).

Im Recht ist allerdings die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) mit dem Einwand, dass das Erstgericht bei der Strafbemessung die „fehlende Schuldeinsicht“ des Angeklagten in Anschlag gebracht hat. Die Wertung des Fehlens eines Geständnisses als erschwerend stellt eine unrichtige Gesetzesanwendung dar, weil es jedem Angeklagten freisteht, die ihm zweckmäßig erscheinende Verantwortung zu wählen. Es darf ihm aus seiner Verteidigungsstrategie im Verfahren kein Nachteil erwachsen (RIS-Justiz RS0090897 [T2, T 8]). Die Aufhebung des Strafausspruchs erweist sich demnach als unvermeidlich. Somit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere aus Z 11 gegen den Sanktionsausspruch erstattete Vorbringen des Angeklagten.

In Ansehung der vorbeugenden Maßnahme des nach § 220b Abs 1 StGB verhängten Tätigkeitsverbots reklamiert der Beschwerdeführer zudem zutreffend das Fehlen von Feststellungen betreffend eine hohe Wahrscheinlichkeit, er werde sonst unter Ausnützung einer ihm durch seine Tätigkeit gebotenen Gelegenheit eine weitere derartige strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen begehen (Z 11 zweiter Fall). Die Konstatierung, es bestehe die Gefahr, „dass er die Möglichkeit hat “, weitere strafbare Handlungen dieser Art zu begehen (US 11), bringt dies nicht zum Ausdruck. Der Begriff „Gefahr“ meint nichts anderes als jener der „Befürchtung“ in §§ 21 bis 23 StGB. Da wie dort erfordert die Gefährlichkeitsprognose ein hohes Maß an Wahrscheinlichkeit für die Tatwiederholung (RIS Justiz RS0128997).

Es war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten teilweise Folge zu geben und das angefochtene Urteil, welches im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Strafausspruch sowie im Ausspruch der Verhängung eines Tätigkeitsverbots nach § 220b Abs 1 StGB aufzuheben.

Bei der damit notwendig gewordenen Strafneubemessung war erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit mehreren Vergehen während eines längeren Deliktszeitraums, mildernd hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel.

Ausgehend von einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe erweist sich eine Sanktion von zwei Jahren als tat und schuldangemessen.

Präventive Gesichtspunkte lassen mit Blick auf die wiederholten Angriffe während eines längeren Zeitraums die Gewährung gänzlicher bedingter Strafnachsicht und auch die Anwendung des § 43a Abs 2 StGB nicht zu. Angesichts des bisher tadellosen Vorlebens aber kann gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe von 16 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen werden, weil auch aufgrund der seit den Taten verstrichenen Zeit davon ausgegangen werden kann, dass es nicht der Vollstreckung der ganzen Strafe bedarf, um den Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten und der Begehung durch andere entgegenzuwirken.

Im Umfang der Aufhebung des Ausspruchs eines Tätigkeitsverbots nach § 220b Abs 1 StGB war die Sache mangels Spruchreife (s auch die zueinander in Widerspruch stehenden erstgerichtlichen Ausführungen zum bisherigen dienstlichen Wohlverhalten einerseits [US 11 vorletzter Absatz] und zur Notwendigkeit eines Tätigkeitsverbots andererseits [US 11 erster Absatz]) zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO; Ratz , WK StPO § 285i Rz 5 aE). Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass ein Tätigkeitsverbot wie vom Erstgericht ausgesprochen für den „Bereich der Pädagogik“ jedenfalls zu weit greift, weil es entgegen § 220b Abs 1 StGB auch Erwachsenenpädagogik umfasst.

Im Übrigen war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.