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OGH vom 29.08.2011, 9Ob63/10w

OGH vom 29.08.2011, 9Ob63/10w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E***** W*****, 2. A***** J*****, beide *****, beide vertreten durch die Divitschek Sieder Sauer Rechtsanwälte GmbH in Deutschlandsberg, gegen die beklagten Parteien 1. W***** G*****, 2. T***** G*****, beide *****, beide vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in Graz, wegen 11.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 85/10b 29, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 18 Cg 219/08p 19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Beklagten inserierten die ihnen seit 14 Jahren gehörende Eigentumswohnung in E***** um den Preis von 70.000 EUR. Die Kläger waren an einem Kauf interessiert. Nach Reduktion des Preises auf 65.000 EUR erwarben die Kläger mit Kaufvertrag vom von den Beklagten deren je 1266/20.000 Anteile samt Wohnungseigentum an W 6, B-LNr 9 und 10, an der Liegenschaft EZ ***** GB ***** E*****. Das Haus, in dem sich die Wohnung befand, war mit einem Aufwand von rund 195.000 EUR saniert worden. Auf die einzelnen Wohnungseigentümer sollten deshalb Sanierungsbeiträge entfallen, die in absehbarer Zeit für eine Laufzeit von 10 Jahren monatlich zur Vorschreibung gelangen sollten. Die Beklagten nannten den Klägern in diesem Zusammenhang einen monatlichen Betrag von 223,70 EUR, der auch die Betriebskosten, die Instandhaltungsrücklage, die Verwaltungsgebühr und die Umsatzsteuer von zusammen 153,79 EUR beinhalten sollte. Der monatliche Sanierungsbeitrag hätte demzufolge rund 70 EUR betragen. Im Kaufvertrag wurde diesbezüglich unter Punkt VII Ziffer 4 festgehalten:

„Die Verkäufer erklären, dass für die kaufgegenständlichen Anteile derzeit monatliche Annuitäten in der Höhe von € 223,70 (zweihundertdreiundzwanzig Euro und siebzig Cent) (inklusive Betriebskosten, Umsatzsteuer, Instandhaltungsrücklage und Sanierungsbeitrag) zur Vorschreibung gelangen und bestätigt, dass keine Bewirtschaftungskosten unberichtigt aushaften.“

Die Kläger bezogen die Wohnung am . Zunächst bezahlten sie noch wie die Beklagten monatlich 153,79 EUR an Betriebskosten, Instandhaltungsrücklage, Verwaltungsgebühr und Umsatzsteuer. Ab wurde ihnen dann aber von der Hausverwaltung ein monatlicher Betrag von 361,36 EUR vorgeschrieben, der sich aus dem bisherigen Betrag von 153,79 EUR zuzüglich dem (als „Annuitäten“ bezeichneten) Sanierungsbeitrag von 207,57 EUR zusammensetzte.

Mit der vorliegenden Klage begehren die Kläger von den Beklagten eine Preisminderung von 11.000 EUR sA. Die Beklagten haben ihnen zugesichert, dass sich die monatliche Gesamtbelastung auf maximal 223,70 EUR belaufen werde; tatsächlich betrage sie jedoch 361,36 EUR. Hilfsweise stützen sich die Kläger auch auf Schadenersatz, Vertragsanpassung wegen Irrtums und jeden erdenklichen Rechtsgrund.

Die Beklagten bestritten das Klagebegehren, beantragten dessen Abweisung und wendeten ein, dass sie bei Vertragsunterfertigung davon ausgegangen seien, dass im Betrag von 223,70 EUR auch die Betriebskosten enthalten seien. Im Übrigen haben sie die Kläger ohnehin darauf hingewiesen, dass sie sich bei der Hausverwaltung über die genaue Höhe der Rückzahlung informieren müssen. Dass ab August 2008 weitere 137,66 EUR vorgeschrieben werden, sei den Beklagten nicht bekannt gewesen. Für die Wohnung wäre ein Kaufpreis von 80.000 EUR erzielbar gewesen, was die von den Klägern begehrte Preisminderung „ad absurdum“ führe.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren unter Zugrundelegung der eingangs getroffenen Feststellungen statt. Der Kaufgegenstand sei mangelhaft, weil er bezüglich der Höhe der „Betriebskosten“ nicht die bedungenen Eigenschaften aufweise. Die im Kaufvertrag angegebenen Annuitäten von 223,70 EUR hätten sich ab August 2008 um 137,66 EUR erhöht. Bei einer Laufzeit von 10 Jahren entstehe daher den Klägern ein Mehraufwand von 16.519,20 EUR. Die Preisminderung von 11.000 EUR sei daher gerechtfertigt. Der wahre Wert der Wohnung sei ohne Belang, weil die Parteien von einer Wertäquivalenz ausgegangen seien.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil über Berufung der Beklagten im klageabweisenden Sinn ab und ließ die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO zu. Die in den Kaufvertrag aufgenommenen monatlichen Annuitäten von 223,70 EUR resultieren nicht aus Aufwendungen, die unmittelbar einem einzelnen Wohnungseigentümer für die Erhaltung und Wartung zuzuordnen seien, sondern aus einer Rückzahlungsverpflichtung für einen zur Gebäudesanierung aufgenommenen Kredit. Es handle sich daher nicht um eine „Eigenschaft der Sache“ iSd § 922 Abs 1 ABGB, sondern um Aufwendungen „für die Liegenschaft“ iSd § 32 Abs 1 WEG. Die ab in Abweichung vom Kaufvertrag zur Vorschreibung gelangenden Aufwendungen für die Liegenschaft seien kein Mangel an der Substanz des übergebenen Wohnungseigentumsobjekts. Die begehrte Preisminderung scheitere daher daran, dass die gemeinsame Fehlvorstellung der Kaufvertragspartner über die künftige Höhe der Aufwendungsbeiträge weder ein Sach- noch ein Rechtsmangel sei. Es liege jedoch ein von den Beklagten veranlasster gemeinsamer Irrtum vor. Eine Vertragsanpassung um die von den Klägern begehrten 11.000 EUR komme jedoch ebenfalls nicht in Betracht, weil die Beklagten das Wohnungseigentumsobjekt nicht um 55.000 EUR (gemeint: 54.000 EUR) verkauft hätten. Die Irrtumsregeln haben den Zweck, jenen Zustand herbeizuführen, der bei irrtumsfreiem Handeln bestünde. Ein Eingriff in die privatautonome Willensgestaltung komme nicht in Betracht. Den Klägern bleibe daher nur die Vertragsaufhebung wegen eines wesentlichen, von den Beklagten veranlassten Geschäftsirrtums. Das Zahlungsbegehren sei daher abzuweisen.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagestattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig und im Sinne des gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

Mit Kaufvertrag vom erwarben die Kläger die den Beklagten gehörigen Miteigentumsanteile an der vorgenannten Liegenschaft samt Wohnungseigentum bezüglich der vorgenannten Wohnung um den Kaufpreis von 65.000 EUR. Wohnungseigentum ist gemäß § 2 Abs 1 WEG 2002 das dem Miteigentümer einer Liegenschaft oder einer Eigentümerpartnerschaft eingeräumte dingliche Recht, ein Wohnungseigentumsobjekt (zB eine Wohnung) ausschließlich zu nutzen und allein darüber zu verfügen. Kaufgegenstand waren daher im vorliegenden Fall Rechte der Beklagten (vgl Würth/Zingher/Kovanyi , Miet- und Wohnrecht 21 § 2 WEG Rz 3 ua).

Wer einem anderen eine Sache gegen Entgelt überlässt, leistet Gewähr, dass sie dem Vertrag entspricht. Der Verkäufer haftet dafür, dass die Sache die bedungenen Eigenschaften hat (§ 922 Abs 1 ABGB). „Sache“ wird in diesem Zusammenhang weit verstanden; es ist daher auch für gegen Entgelt überlassene Rechte Gewähr zu leisten (vgl Reischauer in Rummel , ABGB³ §§ 922, 923 Rz 2; Aicher in Rummel , ABGB³ § 1053 Rz 6 ua). Wer somit der Sache Eigenschaften beilegt, die sie nicht hat und die ausdrücklich bedungen worden sind, hat dafür zu haften (§ 923 ABGB).

Zutreffend legte das Erstgericht die Gespräche der Parteien und den schriftlichen Kaufvertrag dahin aus, dass zwischen den Parteien bezüglich der veräußerten Rechte eine bestimmte Eigenschaft ausdrücklich bedungen wurde. Konkret ging es dabei vor dem Hintergrund einer umfangreicheren Sanierung des Hauses um die künftige, über 10 Jahre gehende Belastung der Kläger mit monatlichen Sanierungsbeiträgen, deren baldige Vorschreibung durch die Hausverwaltung bei Kaufvertragsabschluss absehbar war. Der schriftliche Kaufvertrag ist insoweit ungenau, weil in Punkt VII Ziffer 4 der Eindruck geweckt wird, dass die Sanierungsbeiträge („Annuitäten“) damals () bereits vorgeschrieben worden seien. Dies war jedoch noch nicht der Fall. Diesem Umstand kommt aber im vorliegenden Zusammenhang keine Bedeutung zu. Zwischen den Parteien bestand nämlich Konsens darüber, dass es bezüglich der Betriebskosten, der Instandhaltungsrücklage, der Verwaltungsgebühr und der Umsatzsteuer einen bestimmten monatlichen Betrag gab (153,79 EUR), zu dem aus dem Titel der „Sanierung“ in absehbarer Zukunft ein weiterer monatlicher Beitrag kommen sollte. Den Klägern ging es in Bezug auf die anstehende Finanzierung und die Kaufentscheidung erkennbar darum, von den Verkäufern eine verbindliche Erklärung bezüglich der künftigen Kostenbelastung zu bekommen. Die Beklagten nannten den Klägern einen monatlichen Betrag von 223,70 EUR, der neben den Betriebskosten, der Instandhaltungsrücklage, der Verwaltungsgebühr und der Umsatzsteuer von zusammen 153,79 EUR auch den monatlichen Sanierungsbeitrag beinhalten sollte. Letzterer hätte demzufolge rund 70 EUR betragen. Die Bedeutung dieser Frage für die Kläger wurde dadurch unterstrichen, dass die Kostenbelastung nicht nur gesprächsweise erörtert, sondern ausdrücklich im schriftlichen Kaufvertrag festgehalten wurde.

Wenn das Berufungsgericht das Vorliegen eines Mangels „an der Substanz“ des übergebenen Wohnungseigentumsobjekts verneint, dann geht diese Beurteilung am Prozessthema vorbei. Die Kläger haben mit ihrer Klage keine Mängel an der Substanz der Wohnung geltend gemacht. Der Prozessstandpunkt der Kläger geht vielmehr dahin, dass die Ausübung der von ihnen käuflich erworbenen Rechte mit einer höheren monatlichen Kostenbelastung verbunden ist, als ihnen von den Beklagten vor Vertragsabschluss und im Kaufvertrag zugesagt wurde. Während die Beklagten nur von einem monatlichen Sanierungsbeitrag von rund 70 EUR sprachen, beträgt dieser tatsächlich 207,57 EUR. Damit haben die Beklagten aber dem Kaufgegenstand eine Eigenschaft - nämlich eine um 137,57 EUR geringere monatliche Kostenbelastung bezüglich des Sanierungsbeitrags - beigelegt, die er nicht hatte. Ein Mangel liegt vor, wenn das Geleistete in negativer Weise vom Geschuldeten abweicht ( P. Bydlinski in KBB³ § 922 Rz 1 ua). Dafür haben sie den Klägern im Rahmen der Gewährleistung gemäß den §§ 922, 923 ABGB einzustehen. Ob es sich dabei um einen Sach- oder Rechtsmangel handelt (vgl zur Unterscheidung etwa P. Bydlinski in KBB³ § 933 Rz 3 ua), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben (vgl 1 Ob 636/80 = SZ 53/107 ua), zumal diese grundsätzlich gleich behandelt werden (vgl RIS-Justiz RS0018480 ua). Widersprüchlich ist das Vorbringen der Beklagten, wenn sie zum einen das Vorliegen eines Mangels überhaupt negieren, zum anderen offenbar selbst von dessen Vorliegen ausgehen, aber meinen, der Mangel wäre „offenkundig“ gewesen. Letzteres findet aber in den Feststellungen keine Deckung, zumal die Beklagten für sich selbst das Vorliegen eines Irrtums bezüglich des Sanierungsbeitrags in Anspruch nehmen. Überlegungen der Beklagten, die Kläger hätten bei „erhöhter Sorgfalt“ selbst herausfinden können, dass die Vorstellungen der Beklagten unrichtig gewesen seien, ist mit dem Hinweis zu begegnen, dass das Gewährleistungsrecht verschuldensunabhängig ist (vgl P. Bydlinski in KBB³ § 922 Rz 6 ua).

Die wohnungseigentumsrechtlichen Überlegungen des Berufungsgerichts unter dem Titel „Aufwendungen für die Liegenschaft“ sind in diesem Zusammenhang nicht zielführend. Dass die Aufwendungen für die Liegenschaft (einschließlich der Beiträge zur Rücklage) gemäß § 32 Abs 1 WEG 2002 von den Wohnungseigentümern nach dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile zu tragen sind, ist ohnehin nicht strittig, hier aber ohne besondere Bedeutung. Die Kläger und die Beklagten stehen einander nicht als Wohnungseigentümer, sondern als Kaufvertragsparteien gegenüber. Die Beklagten machen auch nicht geltend, dass die Kläger einen höheren Sanierungsbeitrag als er ihrem Anteil nach § 32 Abs 1 WEG 2002 entspreche, im Rahmen der Gewährleistung reklamieren würden. Es ist daher nicht erkennbar, was aus der Aufteilung der Aufwendungen unter den Wohnungseigentümern gemäß § 32 Abs 1 WEG 2001 für die entscheidende Frage, welche Eigenschaften des Kaufobjekts zwischen den Parteien ausdrücklich bedungen wurden, folgen könnte.

Da im vorliegenden Fall eine Behebung des Mangels durch Verbesserung oder Austausch nicht in Frage kommt - Gegenteiliges wurde von den Beklagten auch nicht eingewendet -, haben die Kläger gemäß § 932 Abs 4 ABGB das Recht auf Preisminderung. Dabei ist nach der herrschenden „relativen Berechnungsmethode“ die Leistung des Käufers nach dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsabschlusses der Wert der mangelfreien Sache zum Wert der mangelhaften Sache gestanden ist (vgl P. Bydlinski in KBB³ § 932 Rz 21; RIS-Justiz RS0018764 ua). Insoweit besteht im vorliegenden Verfahren allerdings - entgegen der Beurteilung des Erstgerichts noch Erörterungs-, Klärungs- und Feststellungsbedarf. Der „wahre Wert der Wohnung“ kann nicht dahingestellt bleiben, zumal die Beklagten ausdrücklich eingewendet haben, dass der Verkauf deutlich unter dem Wert des Kaufobjekts erfolgt sei.

Die Revision der Kläger ist daher mangels Spruchreife der Sache im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt. Die Rechtssache ist zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren - unter Zugrundelegung eines bestehenden Gewährleistungsanspruchs der Kläger - die Frage der Berechnung der gebührenden Preisminderung mit den Parteien zu erörtern und die dazu beantragten Beweise aufzunehmen haben.

Auf die von den Klägern - neben der begehrten Preisminderung hilfsweise geltend gemachten Anspruchsgrundlagen ist derzeit nicht einzugehen. Das Berufungsgericht setzte sich mit der Irrtumsanfechtung nur deshalb auseinander, weil es den von den Klägern geltend gemachten Gewährleistungsanspruch verneinte.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.