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OGH vom 28.02.1995, 10ObS150/94

OGH vom 28.02.1995, 10ObS150/94

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Meches (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Lohr (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Parteien 1. Silvia K*****, Hausfrau, 2. Michael K*****, Student, 3. Andreas K*****, Student, alle *****, vertreten durch Dr.Walter Suppan, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Hinterbliebenenleistungen infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 79/93-15, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 35 Cgs 28/93h-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssachen werden zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens und der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Dipl.-Ing. Franz K*****, der Ehegatte der Erstklägerin und eheliche Vater der beiden anderen volljährigen Beklagten, starb am . Er war als Forstmeister beschäftigt und auf Grund des ASVG vollversichert.

Mit drei Bescheiden vom lehnte die Beklagte 1. den Anspruch der Erstklägerin auf Teilersatz der Bestattungskosten und Witwenrente nach den §§ 214 und 215 ASVG, 2. und 3. die Ansprüche des Zweit- und Drittbeklagten auf Waisenrente nach den §§ 218 und 252 ASVG mit der Begründung ab, daß der Tod des Versicherten auf ein durch eine Herzkranzgefäßverengung hervorgerufenes akutes Herzversagen zurückzuführen sei und daher in keinem ursächlichen Zusammenhang mit den Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit stehe.

Die Begehren der von der Witwe und den beiden Waisen eingebrachten Klagen richten sich auf Feststellung des Ereignisses vom als Arbeitsunfall und die mit den angefochtenen Bescheiden abgelehnten Hinterbliebenenleistungen gemäß den §§ 214 und 215 ASVG bzw den §§ 218 und 252 leg cit im gesetzlichen Ausmaß. Sie stützen sich darauf, daß der während einer im Dienst durchgeführten Jagd eingetretene Herztod (Herzinfakt) des Versicherten nicht hauptsächlich durch dessen Coronarsklerose, sondern durch die große Hitze und übermäßige Belastung verursacht worden sei. Er habe nämlich zwei schwere Rehböcke über eine längere Strecke in unwegsamen Gelände schleifen und dann aufbrechen müssen. Auch die für einen passionierten Jäger mit dem Schießen von Wild verbundene Aufregung sei mitzubewerten.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Sie wendete ein, daß die vom Versicherten verrichteten Tätigkeiten die zumutbare Leistungsgrenze nicht überschritten hätten. Sie seien gegenüber seiner hochgradigen Herzkranzgefäßveränderungen nur als Gelegenheitsursache zu werten.

Die Rechtsstreite wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.

Das Erstgericht wies nur die Leistungsbegehren spruchmäßig ab.

Es traf im wesentlichen folgende Feststellungen:

Der am geborene Versicherte fuhr am gegen 18.00 Uhr in seiner (beruflichen) Funktion als Jagdaufsichtsorgan mit seinem Pkw auf Abendpirsch. Er erlegte zwei Stück Rehwild, die er in einem sehr steilen und unwegsamen Gelände etwa 300 m weit schleifen mußte. Nachdem er ein Reh aufgebrochen hatte, erlitt er gegen 21.00 Uhr einen Herzinfakt. Es handelte sich um einen Sekundenherztod bei hochgradiger stenosierender Herzkranzgefäßverkalkung. Der Versicherte klagte nie über Herzbeschwerden. Er lebte gesundheitsbewußt, rauchte nicht und trank nicht, machte Spaziergänge, fuhr Rad und schwamm. Er jagte auch außerhalb der Dienstzeit als Leiter des Jagdwesens. Es war auch privat körperlich nicht nur leicht beansprucht, verrichtete daheim die üblichen Arbeiten und mähte auch den Rasen. Im Sommer lebte er mit seiner Familie auf einer Hütte und machte dort das Übliche einschließlich Holztragen. Der plötzliche Herztod (Myokandischämie, stummer Herzinfakt) ist ein natürlicher, unerwarteter und sehr rascher Tod. Es bestand eine hochgradige Verkalkung der Herzschlagadergefäße ohne vorherige klinische Symptomatik. Der plötzliche Herztod wurde durch die mit einer größeren körperlichen Anstrengung und einem emotionalen (Jagd)Erlebnis verbundene (unmittelbar) vorangegangen Tätigkeit ausgelöst. Andere Ereignisse, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zum selben Ergebnis (Herztod) geführt hätten, sind alle körperlichen Arbeiten mittelschwerer oder schwerer Art, bei denen zusätzlich emotionelle Faktoren hinzukommen (Jagderlebnis, Beischlaf). Das emotionale Element ist für die Auslösung eines Herzinfaktes nicht unbedingt nötig, kommt aber als erschwerend hinzu. Auch beim Anschieben eines Pkw, Schneeschaufeln etc, aber auch bei einer privaten Jagd hätte es unter denselben Umständen zum selben Vorfall kommen können. Daß der Tod bei einer beruflichen Verrichtung eintrat, ist ein zufälliger Umstand. Geradezu typisch ist, daß der Tod erst nach dem Schleifen der Tiere, also nach einer Anstrenung, eintrat. Da der Versicherte nicht getestet wurde, kann nicht gesagt werden, wo seine individuelle Belastungsgrenze lag. Man kann eine hochgradige Herzgefäßverkalkung haben, ohne es zu merken und damit jahrzehntelang leben, wenn es nicht zu einem auslösenden Geschehen kommt. Auch der Vater des Versicherten erlitt einen Herztod. Neben der Anstrengung kommt auch Zeitdruck als Auslöser in Betracht; hohe Temperpaturen stellen eine zusätzliche Belastung dar. Beim Rasenmähen ohne Zeitdruck ist eher nicht mit einem Herzinfakt zu rechnen, doch hängt dies vom Rasenmäher und auch vom Gelände ab.

Unter diesen Umständen beurteilte das Erstgericht die (berufliche) Jagdausübung nur als Gelegenheitsursache für den Tod des Versicherten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger nicht Folge und bestätigte das erstgerichtliche Urteil mit der Maßgabe, daß es auch das Feststellungsbegehren spruchmäßig abwies.

Es übernahm die als ausreichend und unbedenklich erachteten Feststellungen des Erstgerichtes und führte zur Rechtsrüge nach Darstellung zweier E des erkennenden Senates (SSV-NF 5/22 und 140) aus, der Sekundenherztod des Ehegatten bzw Vaters der Kläger sei in erster Linie nicht auf die Jagdausübung am , sondern auf die hochgradige stenosierende Herzkranzgefäßverkalkung zurückzuführen. Dieser Tod sei jedenfalls keine typische Folge einer Jagdausübung. Daher stehe die anlagebedingte Komponente im Vordergrund. Mit zumindest gleich hoher Wahrscheinlichkeit hätte in naher Zukunft ein dem Privatleben zuzuordnender Auslösefaktor zum Eintritt des Herztodes führen können, etwa eine private Jagdausübung. Das Ereignis vom sei daher nur eine Gelegenheitsursache des Todes gewesen, so daß kein Arbeitsunfall iS des § 175 ASVG vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision der Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache und den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist hinsichtlich des Feststellungsbegehrens und bezüglich der auf die Witwen- und Waisenrenten gerichteten Leistungsbegehren nach § 46 Abs 3 ASGG in der hier noch anzuwendenden Fassung vor der ASGG-Nov 1994 BGBl 624 zulässig, hinsichtlich des auf den Teilersatz der Bestattungskosten gerichteten Leistungsbegehrens nach Abs 1 leg cit in der zit Fassung, weil das Berufungsgericht teilweise von der Rsp des Obersten Gerichtshofs abweicht; sie ist auch berechtigt.

Wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, sind als Ursache oder Mitursache eines Arbeitsunfalles unter Abwägung ihres Wertes nur solche Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben, also nicht gegenüber den Mitursachen so erheblich in den Hintergrund treten, daß sie als unwesentlich erscheinen. Die Rsp bezeichnet aber nur jene Bedingungen als wesentlich, ohne die der Erfolg in einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringem Umfang eingetreten wäre. Dieser Grundsatz ist auf die sog Anlagefälle zugeschnitten, in denen der Gesundheitsschaden oder Tod zwar real durch die kausale Einwirkung aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung entstanden ist, aller Wahrscheinlichkeit nach aber innerhalb kurzer Zeit in ähnlicher Schwere auf Grund einer schicksalhaften inneren Anlage entstanden wäre. In einem solchen Fall wird der Körperschaden nur dann der Unfallversicherung zugerechnet, wenn er ohne den Umstand aus der Gefahrensphäre der Unfallversicherung erheblich später oder erheblich geringer eingetreten wäre. Dabei ist eine Verfrühung des Körperschadens oder Todes durch den Unfall um mehr als ein Jahr jedenfalls als erheblich iS dieser Ausführungen anzusehen (SSV-NF 5/22 ua).

Im vorliegenden Fall haben die Kläger den Anschein für sich, daß der Tod des Versicherten durch einen Arbeitsunfall wesentlich mitverursacht wurde, weil er auf ein als Unfall zu wertendes Ereignis zurückgeht, das sich während der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignete. Daß ein Herzinfarkt grundsätzlich als Unfall angesehen werden kann, wenn er anläßlich eines zeitlich begrenzten Ereignisses eintritt, entspricht der Rsp (SSV-NF 2/112 = ZAS 1990/8 [Tomandl]) und Lehre. Unfall ist ein zeitlich begrenztes Ereignis, das zu einer Körperschädigung führt. Daher würde ein Herzinfakt infolge Dauerstreß nicht als Unfall gelten (Tomandl, Grundriß des österr. Sozialrechts4 Rz 135; ders, SV-System 7. ErgLfg 269f), wohl aber ein Herzinfarkt im Zusammenhang mit außergewöhnlicher Belastung (Grillberger, Österreichisches Sozialrecht2 55f). Nach dem bisher festgestellten Sachverhalt läßt sich jedoch nicht verläßlich beurteilen, ob es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß die hochgradige stenosierende Herzkranzgefäßverkalkung des Versicherten die wesentliche Ursache seines plötzlichen Herztodes war. Bei Beurteilung dieser Frage kommt es nämlich nicht darauf an, ob wegen dieses Leidens jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis dieselbe Schädigung hätte herbeiführen können, sondern darauf, ob es zumindest gleich wahrscheinlich ist, daß ein solches Ergeignis in naher Zukunft tatsächlich vorgekommen wäre und dieselbe Schädigung ausgelöst hätte (SSV-NF 5/140; 6/30; , 10 Ob S 222/92; 7/10 jeweils mwN).

Zur Widerlegung des von den Klägern erbrachten Anscheinbeweises genügt also nicht der Beweis einer abstrakten Möglichkeit, sondern es muß die konkrete, zumindest gleich hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes bewiesen werden. Daher sind Feststellungen darüber erforderlich, welche konkreten anderen Ereignisse dieselbe Schädigung (Tod) ausgelöst hätten. Nur dann kann beurteilt werden, ob derartige Ereignisse in naher Zukunft tatsächlich eingetreten wären, wobei eine hohe Wahrscheinlichkeit genügen würde (zB SSV-NF 7/10).

Die Urteile der Vorinstanzen sind daher aufzuheben und die Sozialrechtssachen zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen (§§ 496, 503 Z 4, 510, 511 und 513 ZPO).

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens und der Revision beruht auf dem nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 52 Abs 1 ZPO.