VfGH vom 14.03.2002, B1859/98

VfGH vom 14.03.2002, B1859/98

Sammlungsnummer

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Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Aufhebung des § 17 Abs 4 lita Wr BauO 1930 mit E v , G342/01.

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Stadt Wien ist schuldig, den Beschwerdeführern zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit 2.339,88 € bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Im Zuge eines Verfahrens zur nachträglichen Baubewilligung eines konsenslos errichteten Kleingartenhauses beantragten die nunmehrigen Beschwerdeführer beim Magistrat der Stadt Wien die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen für die Grundstücke Nr. 261/3 und Nr. 261/46, beide KG Neuwaldegg.

Im Bescheid vom über die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen wurde vom Magistrat ua. eine Baulinie zu den beiden die Liegenschaft im Norden ("Eigenheimweg", öffentliche Verkehrsfläche) und im Südwesten ("Tiefauweg", Verkehrsfläche gemäß § 53 der Bauordnung für Wien) begrenzenden, jeweils 6 m breiten Straßen bekannt gegeben. Auf der Grundlage dieses Bescheides wurde ein Teilungsplan für die betreffenden Grundstücke erstellt.

Die nunmehrigen Beschwerdeführer beantragten daraufhin mit Schreiben vom die Abteilung der Grundstücke Nr. 261/46 und Nr. 261/3, KG Neuwaldegg, zur Schaffung eines Bauplatzes "samt der damit verbundenen Abtretung an das Öffentliche Gut" sowie der Schaffung einer Verkehrsfläche gemäß § 53 Bauordnung für Wien.

2. Mit Bescheid vom erteilte der Magistrat der Stadt Wien die beantragte Genehmigung zur Abteilung der angeführten Grundstücke. Gleichzeitig schrieb er den nunmehrigen Beschwerdeführern gemäß § 17 Abs 1 und 4 der Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO für Wien) ua. die unentgeltliche und lastenfreie Abtretung einer im Teilungsplan als Teilstück 4 bezeichneten, 115 m² großen Fläche entlang der Baulinie am Eigenheimweg und deren Übergabe in den physischen Besitz der Stadt Wien zum Zweck der Vereinigung mit dem Grundstück Nr. 259/18 öffentliches Gut (Eigenheimweg) vor. Außerdem wurden die Beschwerdeführer in Punkt 2. und 3., 5.b und 5.c der Vorschreibungen dieses Bescheides gemäß § 53 BO für Wien verpflichtet, das im Teilungsplan mit (261/3) bezeichnete, 91 m² große, provisorische Grundstück (Teilstück 2) entlang des Tiefauweges gemäß § 53 BO für Wien straßenmäßig herzustellen und zu erhalten, zu reinigen und zu beleuchten, die notwendigen Einbauten herzustellen und zu erhalten, sowie auf diesem Grundstück den Durchgang und die Durchfahrt zu dulden. Weiters wurde ihnen die Ersichtlichmachung dieser Verpflichtungen im Grundbuch aufgetragen.

Gegen diesen Bescheid erhoben die nunmehrigen Beschwerdeführer mit Schreiben vom Berufung, in der sie behaupteten, sie hätten aufgrund des erstinstanzlichen Abteilungsbescheides mehr als die Hälfte ihres Grundstückes an das öffentliche Gut abzutreten. Die Verpflichtung zur unentgeltlichen Grundabtretung und zur Herstellung der Höhenlage auf den unentgeltlich abzutretenden Grundflächen sei zwar eine Anliegerverpflichtung, sie erfahre jedoch eine Grenze, soweit diese Verpflichtungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerstritten. Weiters brachten sie vor, sie bekämpften überhaupt die Anwendung von § 17 Abs 4 lita der BO für Wien, weil mit dem angefochtenen Bescheid ein Bebauungsplan vollzogen würde, der gegen den Gleichheitssatz und gegen das Recht auf Eigentum verstoße.

Eine entschädigungslose Abtretung sei in ihrem Fall nicht vorgesehen, die Erstbehörde hätte eine Schadloshaltung aussprechen müssen. Sie bekämpften weiters die Verpflichtungen, die ihnen gemäß § 53 BO für Wien durch den angefochtenen Bescheid auferlegt worden seien.

3. Mit Berufungsbescheid vom hob die belangte Behörde die angeführten Punkte 2., 3., 5.b und 5.c der Vorschreibungen des erstinstanzlichen Bescheides auf, da sie die Ansicht vertrat, Punkt 2. sei aufgrund seiner Formulierung einer Vollstreckung gemäß § 53 Abs 2 BO für Wien im Wege der Ersatzvornahme nicht zugänglich, die in Punkt 3. ausgesprochene Verpflichtung resultiere bereits unmittelbar aus der Tatsache, dass auch Straßen nach § 53 BO für Wien straßenrechtlich öffentliche Straßen seien und die Punkte 5.b und 5.c stünden in untrennbarem inhaltlichem Zusammenhang mit den Vorschreibungen unter Punkt 2. und 3.

Im Übrigen wurde der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Beschwerdeführer die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) behaupten und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragen. Sie bringen ua. vor, die belangte Behörde hätte im vorliegenden Fall willkürlich gehandelt und die Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt. Sie übersehe, dass die vorgeschriebene Abtretung in das öffentliche Gut keinesfalls unentgeltlich erfolgen könne, zumal nicht nur das Teilstück 4 im Ausmaß von 115 m², sondern auch das (an den Tiefauweg, Verkehrsfläche gemäß § 53 BO für Wien, abzugebende) Teilstück 2 im Ausmaß von 91 m² als öffentliches Gut nutzbar sein solle, der Nutzung der Beschwerdeführer sohin eine Fläche von insgesamt 206 m² entzogen werde, was fast 50% der ursprünglichen Grundstücksgröße ausmache. Nach § 17 BO für Wien hätte eine Schadloshaltung zu erfolgen, soweit Grundteile in einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß in das öffentliche Gut abgetreten oder zu Verkehrsflächen gemäß § 53 der BO für Wien erklärt würden. Die belangte Behörde übersehe, dass das verfahrensgegenständliche Grundstück durch die mittlerweile vom Land Wien erlassenen "Amnestiegesetze" als bebaut einzustufen sei. Es lägen daher nicht einmal die gesetzlichen Voraussetzungen des § 17 Abs 4 BO für Wien vor. Weiters seien der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, Plandokument 6536, sowie die Bekanntgabe der Bebauungsbestimmungen vom gesetzwidrig, "in eventu verfassungswidrig".

5. Die Bauoberbehörde für Wien als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Sie führt ua. aus, die Liegenschaft der Beschwerdeführer stelle ein Eckgrundstück dar, das an den Verkehrsflächen Wien 17., Eigenheimweg, Ecke Tiefauweg liege. Der Eigenheimweg sei als öffentliche Verkehrsfläche, der Tiefauweg als Verkehrsfläche gemäß § 53 BO für Wien ausgewiesen, beide seien 6 m breit. Der angefochtene Bescheid verpflichte die Beschwerdeführer nur zur unentgeltlichen und lastenfreien Abtretung des Teilstückes 4 im Ausmaß von 115 m², welches entlang der Baulinie am Eigenheimweg liege. Die Fläche des Eckbauplatzes würde dadurch von 546 m² (Grundbuchstand) auf 431 m² verringert. Die Sachverhaltsannahmen, die den rechtlichen Schlussfolgerungen der Beschwerdeführer zugrunde lägen, seien daher unrichtig. Es seien nicht 50% der Grundfläche abzutreten, die Liegenschaft befinde sich auch nicht in einer Kleingartenanlage. Der den Beschwerdeführern auferlegten Verpflichtung stehe der Vorteil der Aufschließung mit Verkehrsflächen in dem im Lageplan dargestellten Ausmaß gegenüber.

II. 1. Aus Anlass der vorliegenden Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen mit Beschluss vom gemäß Art 140 Abs 1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 17 Abs 4 lita der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930 in der Fassung LGBl. Nr. 18/1976, eingeleitet.

In der nichtöffentlichen Sitzung am , G342/01, hat der Verfassungsgerichtshof § 17 Abs 4 lita der Bauordnung für Wien als verfassungswidrig aufgehoben.

2. Die belangte Behörde hat daher eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (vgl. VfSlg. 10.404/1985).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von 359,70 € und eine Eingabegebühr von 181,68 € enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 Z 3 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.