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VfGH vom 07.10.1991, B1838/88

VfGH vom 07.10.1991, B1838/88

Sammlungsnummer

12849

Leitsatz

Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit und im Hausrecht durch Festnahme und Hausdurchsuchung ohne richterlichen Befehl; Einschreiten ohne Kenntnis bestimmter, einen konkreten Tatverdacht begründender Tatsachen; Zurückweisung eines Teils der Beschwerde gegen die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt wegen ungenauer Sachverhaltsdarstellung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind dadurch, daß sie am , gegen 22.00 Uhr, in Wien von Organen der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen wurden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit sowie dadurch, daß Organe derselben Behörde am selben Tag in dem von ihnen bewohnten Haus Wien 23., R-gasse, eine Hausdurchsuchung durchführten, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt worden.

Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen und der Antrag auf Beschwerdeabtretung an den Verwaltungsgerichtshof insoweit abgewiesen.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 11.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wenden sich beide Beschwerdeführer zunächst dagegen, daß sie am gegen 22.00 Uhr in dem von ihnen als Lebensgefährten bewohnten Haus Wien 23., R-gasse, von Beamten der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen worden seien, sowie daß daran anschließend diese Beamten eine Durchsuchung des Hauses durchgeführt hätten; beide Amtshandlungen seien im Dienst der Strafjustiz ohne richterlichen Befehl vorgenommen worden. Die Beschwerdeführer begehren die Feststellung, daß sie durch die Festnahme im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit sowie durch die Hausdurchsuchung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt wurden.

2. Die Finanzprokuratur legte namens der belangten Bundespolizeidirektion Wien die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher die Abweisung der Beschwerde beantragt wird; die angefochtenen Amtshandlungen seien gesetzmäßig vorgenommen worden.

II. 1. Der Anlaß zu den bekämpften Amtshandlungen und deren Durchführung wird in den vorgelegten Verwaltungsakten in einem Aktenvermerk sowie in einem Bericht (beide datiert mit ) wie folgt dargestellt:

"Im Zuge der Suchtgiftstreife wird von GrI L von der Abt. II/8, EBS 2 mitgeteilt, daß zum Wochenende ein BRD Staatsangehöriger namens H H, ca. 30 Jahre alt, mit einer größeren Menge Kokain aus der BRD nach Wien kommt. In Wien soll er zu seiner Freundin, einem Fotomodell namens C kommen. Beide wären in Wien 23., R-gasse aufhältig."

"Am wurde Gefertigter zu Hause verständigt, daß der

H H nach Hause gekommen ist. Gefertigter sowie die Beamten GrI R,

BzI H und BzI H begaben sich nach Wien 23., R-gasse, wo GrI L

nachtrug, daß dieser H lt. Information mit einem Mercedes 190 E,

weiß lackiert mit Kennzeichen B... (D) das Kokain nach Österreich

hätte bringen sollen. Doch wäre dieser nicht mit dem Mercedes

gekommen, sondern hätte ihn die im gleichen Hause wohnhafte

Freundin C mit einem schwarz lackierten Toyota Pajero mit

Kennzeichen W ... abgeholt und ins Haus gebracht.

An der Anschrift Wien 23., R-gasse konnten schließlich nach mehrmaligem Läuten der aus der Hausgarage kommende

H H, geb. B

Kaufmann, in Halle/Saale, DDR geb., BRD-Sta., led., E.: K u. R und im Wohnhaus dann das Fotomodell

P C M,

in Bludenz, Vrlbg. geb., österr. Stbg., led., E.: C u. I, beide Wien 23., R-gasse wh. angetroffen werden.

Da H angab, schon fast alle Suchtgifte, darunter auch Kokain probiert zu haben, sich über den Verbleib seines Pkw. Mercedes 190 E mit deutschem Unterscheidungskennzeichen B... ständig in Widersprüche verwickelte, wurden beide Genannten am um 22.00 Uhr aus eigenem Antriebe - die Einholung eines richterlichen Auftrages war wegen Gefahr im Verzuge untunlich - bei bestehender Verabredungs- bzw. Verdunkelungsgefahr festgenommen und in der Folge mittels Dienst-Kfz. dem Pol.Gef. Haus zur Verfügung des Sicherheitsbüros überstellt.

Bemerkt wird auch, daß im Zuge von Einvernahmen und Erhebungen immer wieder der Name 'Berliner-Holger' als Kokainlieferant genannt wird.

Im Hause, es handelt sich um ein Einfamilienhaus von ca. 120 m2 verbauter Fläche wurde aus eigenem Antriebe - die Einholung eines richterlichen Auftrages war wegen Gefahr im Verzuge untunlich - eine Hausdurchsuchung durchgeführt, wobei jeder Raum in Anwesenheit der beiden Genannten durchsucht worden ist. Ebenso durchsucht wurde der in der Garage abgestellte Pkw. Toyota Pajero der C P. Kokain oder andere Suchtgifte konnten nicht vorgefunden werden. Hiezu wird jedoch bemerkt, daß, obwohl beide Genannten vollständig bekleidet und noch nicht zu Bett gegangen waren, von diesen erst nach längerer Zeit (ca. 5 Minuten) geöffnet worden ist.

Die in dem Haus befindlichen 4 Hunde waren von P versorgt worden."

2. In rechtlicher Hinsicht geht der Verfassungsgerichtshof aufgrund des in allen wesentlichen Belangen übereinstimmenden Vorbringens der Prozeßparteien zum Sachverhalt davon aus, daß die gegen die Festnahme am sowie die am selben Tag vorgenommene Hausdurchsuchung als Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gerichtete Beschwerde, da sämtliche Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, zulässig ist. Die Beschwerde ist insoweit auch gerechtfertigt.

Es ist nach Ansicht des Verfassungsgerichtshofs offenkundig, daß die im § 4 des (im vorliegenden Fall maßgeblichen - s. Art 8 Abs 4 des BVG BGBl. 684/1988) Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit, RGBl. 87/1862, bezogenen gesetzlichen Voraussetzungen für eine Festnahme nicht vorlagen. Es bestand kein im Dienst der Strafjustiz (nach § 177 iVm § 175 StPO) wahrzunehmender Grund für eine vorläufige Verwahrung der Beschwerdeführer, weil von einem konkreten Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung (s. dazu etwa mit Bezugnahme auf VfSlg. 8439/1978 und 10976/1986) nicht gesprochen werden kann. Der Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten bietet insgesamt das Bild, daß die behördlichen Organe bloß vage Mutmaßungen zum Anlaß ihres Einschreitens nahmen, ihnen aber keineswegs bestimmte Tatsachen bekannt waren, aus denen der Tatverdacht bezüglich eines Suchtgiftdeliktes mit gutem Grund, also in vertretbarer Weise, hätte abgeleitet werden können (s. dazu zB ); als derartige, einen Tatverdacht in vertretbarer Weise begründende Tatsachen kommen insbesondere die von der belangten Behörde in der Gegenschrift ins Treffen geführten Umstände nicht in Betracht, daß die Beschwerdeführer ohne nähere, konkretisierte Hinweise von einem anderen Beamten (GrI L) der beabsichtigten Beförderung und Aufbewahrung von Suchtgift verdächtigt wurden noch daß sie die einschreitenden Beamten nicht unverzüglich in das Wohnhaus einließen.

Grundsätzlich das gleiche gilt im Hinblick auf § 2 des Gesetzes zum Schutze des Hausrechtes für die ohne Vorliegen eines richterlichen Befehls vorgenommene Hausdurchsuchung; auch sie erforderte - wie aus § 141 Abs 2 StPO hervorgeht - einen - nach Lage des Falles nicht gegebenen - konkreten Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung (s. auch dazu das zuletzt zitierte hg. Erk. B1285-1288/88).

Es war sohin auszusprechen, daß die Beschwerdeführer durch die in Rede stehenden Amtshandlungen im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit bzw. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht verletzt wurden.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen 1.000 S auf die Umsatzsteuer.

III. 1. Der Erstbeschwerdeführer H H macht überdies geltend, er sei dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden, daß er am , als er mit dem PKW "aus Ungarn nach Österreich ein(reiste)", von einem Zollwachebeamten wegen des Verdachtes des Rauschgiftschmuggels festgenommen worden sei. Welchen Grenzübergang der Beschwerdeführer hiebei benutzte, wird in der Beschwerde nicht dargelegt; es wird - ohne jegliche Begründung - lediglich behauptet, daß die Amtshandlung der Bundespolizeidirektion Wien zuzurechnen sei.

2. Die Beschwerde erweist sich in diesem Umfang als unzulässig.

Gemäß dem ersten Satz des § 83 Abs 2 VerfGG hat die Beschwerde den Sachverhalt genau darzulegen; dem letzten Satz dieses Absatzes zufolge ist bei Beschwerden im Sinne des Abs 2 (ds. Beschwerden gegen einen in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt ergangenen Verwaltungsakt), soweit dies zumutbar ist, auch anzugeben, welches Organ die unmittelbare verwaltungsbehördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt hat und welcher Behörde sie zuzurechnen ist.

Im Hinblick auf die in der hier maßgeblichen Beziehung besonders ungenaue Sachverhaltsdarstellung und den Umstand, daß dem Beschwerdeführer zumindest zumutbar gewesen wäre, den benutzten Grenzübergang anzugeben, kann die dem Verfassungsgerichtshof obliegende Feststellung, welche Verwaltungsbehörde den angefochtenen Verwaltungsakt als belangte Behörde zu vertreten hat (s. dazu ) nicht getroffen werden. Daß die vom Erstbeschwerdeführer genannte Bundespolizeidirektion Wien nicht als belangte Behörde in Betracht kommt, folgt aus § 6 Abs 1 des (idF der Novellen BGBl. 527/1974 und 76/1980 geltenden) Bundesgesetzes betreffend die Übertragung der durch Sicherheitsorgane zu versehenden Grenzüberwachung und Grenzkontrolle auf Zollorgane, BGBl. 220/1967, iVm § 1 Z 1 der Durchführungsverordnung BGBl. 447/1981 (wonach die einschreitenden Zollorgane in den betreffenden Belangen den zuständigen Sicherheitsbehörden unterstehen).

3. Die Beschwerde war sohin insoweit zurückzuweisen; ferner war mangels der Voraussetzungen des Art 144 Abs 3 B-VG der hilfsweise gestellte Antrag auf Beschwerdeabtretung an den Verwaltungsgerichtshof abzuweisen.

IV. Diese Entscheidung wurde gemäß § 19 Abs 4 Z 2 bzw. in sinngemäßer Anwendung des § 19 Abs 3 Z 2 litc VerfGG ohne vorangegangene Verhandlung getroffen.