OGH vom 30.07.2019, 10Ob6/19h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****, vertreten durch Mag. Gerlinde Goach, Rechtsanwältin in Graz, gegen die beklagte Partei P***** GmbH in Liqu., *****, vertreten durch Mag. Doris Riedler, Rechtsanwältin in Wels, wegen 9.299,26 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom , GZ 22 R 337/18t-13, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Berufungsgericht aufgetragen, über die Berufung der klagenden Partei unter Außerachtlassung des gebrauchten Zurückweisungsgrundes zu entscheiden.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 695,64 EUR (darin enthalten 115,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückzahlung des Werklohns von 7.299,26 EUR und die Leistung von 2.000 EUR an Schmerzengeld. Die Beklagte existiere und sei auch passiv legitimiert. Es sei noch Aktivvermögen vorhanden, weil eine Stammeinlage des Gesellschafters der Beklagten nicht voll eingezahlt worden sei. Von der beabsichtigten Löschung der Beklagten sei die Klägerin nicht verständigt worden, die Löschung habe nur deklarative Wirkung.
Die Beklagte wandte ein, dass ihr „mangels Existenz“ die Passivlegitimation fehle (ON 5). Sie habe ein ordnungsgemäßes Liquidationsverfahren durchgeführt. Sämtliche bekannte Gläubiger seien verständigt worden, Forderungen seien nicht geltend gemacht worden. Mangels Erfordernisses der Sicherstellung von Gläubigerforderungen habe die Beklagte auf die Einforderung der restlichen Stammeinlage – deren Höhe die von der Klägerin nunmehr geltend gemachte Forderung überdies nicht erreiche – wirksam verzichtet. Nach Ablauf aller Fristen sei die Beklagte im Firmenbuch gelöscht worden.
Im Verhandlungsprotokoll des Erstgerichts vom hielt die Erstrichterin vor Fassung eines Beschlusses auf Schluss der Verhandlung unter anderem fest (ON 8, AS 35): „Es wird mit den Parteienvertretern erörtert, dass zunächst eine Entscheidung über die Passivlegitimation gefällt wird.“
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit Urteil ab. Es führte aus, dass die Klägerin die Passivlegitimation der Beklagten darauf stütze, dass noch Aktivvermögen vorhanden sei. Die Beklagte habe dagegen eingewendet, dass sie eine vermögenslose und gelöschte GmbH sei, ihr fehle daher die Rechtspersönlichkeit und folglich auch die Parteifähigkeit. Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass der Beklagten jegliche Rechtspersönlichkeit fehle. Eine mögliche offene Stammeinlage sei nach durchgeführter Liquidation nicht mehr zu berücksichtigen. Die grundsätzliche Möglichkeit, die restliche Stammeinlage vom Gesellschafter durch die Gesellschaft einzufordern, stelle kein offensichtliches Vermögen der Beklagten mehr dar. Das Klagebegehren sei daher „vollinhaltlich abzuweisen“.
Dieses Urteil wurde der Klägerin am zugestellt. Die Klägerin brachte am beim Erstgericht elektronisch die Berufung gegen dieses Urteil ein. Die Beklagte erstattete eine Berufungsbeantwortung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wertete das Rekursgericht diese Berufung als Rekurs und wies diesen als verspätet zurück. Ebenso wies es die als Rekursbeantwortung zu behandelnde Berufungsbeantwortung der Beklagten zurück. Die mangelnde Parteifähigkeit sei eine von Amts wegen zu prüfende allgemeine Prozessvoraussetzung, deren Fehlen zur Zurückweisung der Klage mit Beschluss führe. Das Erstgericht sei vom Fehlen jeglichen Aktivvermögens der Beklagten und damit vom Ende der Rechtspersönlichkeit der Beklagten bereits im Zeitpunkt der Löschung im Firmenbuch ausgegangen. Ob diese Rechtsansicht des Erstgerichts zutreffe, könne dahingestellt bleiben: Nach dem maßgeblichen Inhalt seiner Entscheidung hätte das Erstgericht die Klage nämlich mit Beschluss zurückweisen statt mit Urteil abweisen müssen. Das gegen die Entscheidung des Erstgerichts eingebrachte Rechtsmittel sei daher nicht als Berufung, sondern als Rekurs zu behandeln. Dieses Rechtsmittel sei verspätet, weil es nicht innerhalb der für Rekurse offenstehenden Frist von 14 Tagen beim Erstgericht eingebracht worden sei. Dementsprechend sei auch die als Rekursbeantwortung zu wertende Berufungsbeantwortung der Beklagten als verspätet zurückzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluss richtet sich der von der Beklagten beantwortete Rekurs der Klägerin. Der Rekurs ist ohne Rücksicht auf den Streitwert oder das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (RS0043893 [T7]). Der Rekurs ist auch berechtigt.
1. Das Rekursgericht hat sich auf die Rechtsprechung gestützt, nach der das Vergreifen in der Entscheidungsform weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des Rechtsmittels und die Rechtsmittelfrist beeinflusst, weil auch Gerichtsfehler nicht zur Verlängerung der Notfristen führen können (RS0041880; RS0036324 [T14]; RS0041859).
2. Dies setzt voraus, dass das Erstgericht in den Entscheidungsgründen unzweifelhaft und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, das Klagebegehren in Form eines Beschlusses zurückweisen zu wollen, im Spruch aber dann irrtümlich mit einer Klageabweisung vorgegangen ist (10 Ob 57/18g mwH; vgl auch RS0110742 [T1]). Nur unter dieser Voraussetzung wäre davon auszugehen, dass seine Entscheidung trotz der unrichtigen Bezeichnung einen Beschluss darstellt.
3. Ein auf Zurückweisung der Klage gerichteter Entscheidungswille ist im vorliegenden Fall aus der Begründung der erstgerichtlichen Entscheidung nicht zweifelsfrei ableitbar.
3.1 Die mangelnde Parteifähigkeit ist eine von Amts wegen zu prüfende (allgemeine) Prozessvoraussetzung, deren Fehlen zur Zurückweisung der Klage führt (RS0110705; RS0039711 [T2]).
3.2 Anders als die Parteifähigkeit ist die Passivlegitimation keine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung, sondern die materielle Verpflichtung des Beklagten bezüglich des Streitgegenstands; ihr Fehlen führt nicht zur Zurückweisung der Klage, sondern zur Abweisung des Begehrens mit Urteil (RS0035170 [T5]).
3.3 Das Erstgericht hat, worauf die Rekurswerberin richtig hinweist, die Verhandlung geschlossen, um – nach ausdrücklicher Erörterung mit den Parteien – eine Sachentscheidung („Urteil ergeht schriftlich“, ON 8, AS 35) über die „Passivlegitimation“ zu treffen. Diesen Entscheidungswillen hat das Erstgericht mit seinem Urteil umgesetzt: Es gibt in den Entscheidungsgründen das Vorbringen der Klägerin zur „Passivlegitimation“ der Beklagten wieder, es verwendet dessen ungeachtet aber – bei der Wiedergabe des Vorbringens der Beklagten – auch den Begriff der „Parteifähigkeit“, unterscheidet diese Begriffe daher in seinen Entscheidungsgründen bei der Wiedergabe des Vorbringens der Parteien. In seiner rechtlichen Beurteilung spricht das Erstgericht zwar vom Fehlen der Rechtspersönlichkeit der Beklagten, geht aber vom Vorhandensein der „grundsätzlichen Möglichkeit“ aus, die restliche Stammeinlage beim Gesellschafter durch die Gesellschaft einzufordern. Ebenso widersprüchlich ist die Begründung des Erstgerichts, wenn es einerseits ausführt, dass eine mögliche offene Stammeinlage „bei der Berücksichtigung der Rechtspersönlichkeit“ nach durchgeführter Liquidation „nicht mehr zu berücksichtigen“ ist, andererseits die restliche Stammeinlage möglicherweise als Vermögen der Beklagten, nicht jedoch als „offensichtliches“ Vermögen ansieht.
3.4 Ein in der Entscheidung selbst objektiv nicht zweifelsfrei erkennbarer richterlicher Entscheidungswille ist als Auslegungsmittel der gerichtlichen Entscheidung untauglich (RS0000234 [T1]; siehe auch RS0110742 [T1]). Das Erstgericht hat seinen in der Verhandlung ausgedrückten Willen umgesetzt, eine Entscheidung in der Sache zu treffen. Ausgehend von seinem formulierten Willen, über die „Passivlegitimation“ zu entscheiden, war das (grundsätzlich) auch die richtige Vorgangsweise. Ob die Rechtsausführungen des Erstgerichts zutreffend sind, ist an dieser Stelle nicht zu behandeln: Wesentlich ist, dass das Erstgericht zwar inhaltlich auch zur Parteifähigkeit der Beklagten Stellung genommen hat; seine Entscheidungsgründe rechtfertigen jedoch in ihrer Gesamtheit nicht in der geforderten unzweifelhaften und unmissverständlichen Weise die Ansicht des Rekursgerichts, das Erstgericht hätte die Klage mit Beschluss zurückweisen wollen und nur irrtümlich die Urteilsform gewählt.
4. Ausgehend davon war dem Rekurs Folge zu geben und der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Im fortzusetzenden Verfahren wird das Berufungsgericht eine inhaltliche Entscheidung über die Berufung der Klägerin zu treffen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat durch die Erstattung der Rekursbeantwortung einen Zwischenstreit ausgelöst (Obermaier, Kostenhandbuch³ 1.334).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00006.19H.0730.000 |
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Fundstelle(n):
BAAAD-87639