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OGH vom 26.02.2004, 8ObA113/03f

OGH vom 26.02.2004, 8ObA113/03f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dagmar K*****, vertreten durch Grießer Gerlach Gahleitner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei S***** AG, ***** vertreten durch Dr. Christoph Wolf, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Arbeitsverhältnisses, über die außerordentliche Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 43/03g-46, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Eine relevante Aktenwidrigkeit des Urteils des Berufungsgerichtes liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Ausschließlicher Gegenstand der Rechtsrüge der Revision der Beklagten ist die Frage, ob das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass hier ein Betriebsübergang im Sinne des § 3 Abs 1 AVRAG vorliegt. Ausgehend davon hat das Berufungsgericht dem Feststellungsbegehren der Klägerin bezüglich des gekündigten Arbeitsverhältnisses (vgl DRdA 1996/52 [Gahleitner] = ZAS 1997/4 [Geist]; DRdA 1998/39 [Reissner]; DRdA 2000/10 [Mayr]; RIS-Justiz RS0102122) stattgegeben.

Die wesentlichen Kriterien für die Annahme eines Betriebsüberganges wurden unter Berücksichtigung der Judikatur der EuGH (vgl RIS-Justiz RS0102121 mit zahlreichen weiteren Nachweisen etwa SZ 70/171, SZ 70/219, SZ 71/216; zur richtlinienkonformen Interpretation , Luigi Spano ua, Slg 1995 I-4321 mwN) vom Obersten Gerichtshof bereits in zahlreichen Entscheidungen erarbeitet und zuletzt etwa in der Entscheidung vom zu 8 ObA 122/03d wie folgt zusammengefasst:

"Zweck der Richtlinie 77/187/EWG ist es, die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel zu gewährleisten, indem sie den Arbeitnehmern die Möglichkeit einräumt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu den gleichen Bedingungen, wie mit den früheren Inhabern fortzusetzen (vgl dazu Oy Liikenne Ab, Rz 19; Rs C-173/96 und C-247/96 Hidalgo ua Slg 1998, I 8237 Rz 21 und 24 uva; ebenso OGH RIS-Justiz RS0108458 mit zahlreichen weiteren Nachweisen etwa SZ 70/171, SZ 70/219 und SZ 71/100 ua).

Für das Vorliegen eines Überganges im Sinne der Richtlinie 77/187/EWG, die als Rechtsfolge dann den Übergang der Arbeitsverhältnisse vorsieht, ist die Wahrung der Identität der Einheit entscheidend (vgl , Spijkers, Slg 1986 1119 Rz 11 und 12; Rs C-234/98 Allen ua, Slg 1999 I 8643, Rz 23; Rechtssache Rs C-172/99, Oy Liikenne Ab, Rz 27)."

Im ersten Schritt ist also vorweg zu prüfen, ob eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit, deren Tätigkeit nicht nur auf die Ausführung eines bestimmten Vorhabens beschränkt ist, also ein Betriebsteil betroffen ist. Dabei muss es sich um eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung handeln (vgl EuGH Rs Süzen Rz 13, Rs Hidalgo Rz 26, Rs Oy Liikenne Ab Rz 25; OGH RIS-Justiz RS0108913 mwN etwa in SZ 70/219, SZ 71/216).

Im zweiten Schritt ist dann die Frage zu entscheiden, ob diese wirtschaftliche Einheit also auf den neuen Betreiber übergegangen ist. Die Beurteilung dieser Frage hat unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien zu erfolgen, und zwar

1.) die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes,

2.) der Übergang der materiellen Betriebsmittel, wie etwa der Gebäude und beweglichen Güter, sowie der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Überganges

3.) der Übergang von wesentlichen Teilen der Belegschaft auf den neuen Inhaber

4.) der etwaige Übergang von Kunden und Kundenbeziehungen

5.) der Grad der Ähnlichkeit der vor und nach Übergang verrichteten Tätigkeiten und

6.) die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit.

Die Entscheidung über das Vorliegen eines Überganges hat dann unter gemeinsamer Bewertung all dieser Teilaspekte zu erfolgen (RIS-Justiz RS0082749 mit zahlreichen weiteren Nachweisen etwa in SZ 68/187, SZ 70/171, SZ 71/100, SZ 71/216).

Die Beurteilung wird also regelmäßig von den besonderen Umständen des Einzelfalles abhängen. Eine Rechtsfrage der zur Wahrung der Rechtseinheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zukommen kann, wird dort anzunehmen sein, wo es etwa um die generelle Beurteilung einzelner Faktoren geht. Ferner könnte es aus Gründen der Rechtssicherheit geboten sein, einer erheblichen Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht entgegenzutreten.

Beides liegt aber hier nicht vor.

Die Beklagte kaufte bereits im April 2000 sämtliche Aktien der früheren Arbeitgeberin der Klägerin und es wurde nur wegen der erforderlichen kartellrechtlichen Genehmigung mit der formellen Verschmelzung noch zugewartet. Es wurde aber bereits mit der Übertragung der Aufgaben der Zentrale der früheren Arbeitgeberin in Wien an die Zentrale der Beklagten in St. Pölten begonnen. Dazu wurden die Mitarbeiter gefragt, ob sie bereit wären, zu wechseln. Bei der Klägerin, die die Werbeabteilung (3 Personen) der Zentrale in Wien leitete, kam der Personalverantwortliche der Beklagten jedoch nach Gesprächen zum Ergebnis, dass keine ihren Vorstellungen entsprechende Position vorhanden sei. Bestand doch ohnehin eine Werbeabteilung in St. Pölten (9 Personen). Am 24./ erfolgte die weitgehende Übernahme der von der Zentrale in Wien geleiteten Filialen durch die Zentrale der Beklagten in St. Pölten. Die Buchhaltung und Endabrechnung sowie die Endabwicklung der Kundenkarten verblieben in Wien. Später wurden dann auch die Computer der Zentrale in Wien von jener in St. Pölten übernommen, ebenso teilweise die Büromöbel, während der Rest entsorgt wurde. Die Klägerin wurde mit Schreiben vom zum gekündigt. In der Kündigungszeit wurden noch Flugblätter erstellt, bei denen die letzte Seite bereits der Beklagten zur Verfügung stand. Ferner wurden die Aufgaben an die Werbeabteilung der Zentrale in St. Pölten übertragen, die bis Ende des Jahres auch weiter mit der Werbeagentur der Wiener Zentrale zusammenarbeitete. Mitarbeiter der Werbeabteilung der Wiener Zentrale wurden nicht übernommen, wohl aber jene der Verkaufsabteilung sowie drei Mitarbeiter der Bauabteilung. Der formelle Verschmelzungsbeschluss erfolgte am .

Soweit die Beklagte hervorhebt, dass kein einziger Mitarbeiter der Werbeabteilung der Wiener Zentrale übernommen wurde, ist dem schon entgegenzuhalten, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seiner Entscheidung vom zu C-340/01 (Abler ua) ausgeführt hat, dass der Umstand, dass der neue Unternehmer keinen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernommen hat, welches sein Vorgänger für die Durchführung derselben Tätigkeit eingesetzt hatte, in manchen Bereichen nicht ausreicht, um den Übergang einer ihre Identität bewahrenden Einheit im Sinne der Richtlinie 77/187/EWG auszuschließen (Rz 37). Dass insgesamt die von der Beklagten übernommenen Mitarbeiter nicht doch einen wesentlichen Teil der Belegschafts darstellten, führt die Beklagte auch gar nicht aus. Stellt man so wie die Beklagte auf den Zeitpunkt der faktischen Übertragung der Aufgaben im Sommer 2000 ab, so ist dem Berufungsgericht auch durchaus beizupflichten, wenn es der - wenngleich adaptierten - Fortführung der ehemaligen Werbelinie und der Betrauung der bisherigen Werbeagentur auch eine gewisse Relevanz bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung zuerkannte. Insgesamt vermag die Beklagte jedenfalls keine erhebliche Rechtsfrage im oben dargestellten Sinne darzulegen. Sie setzt sich auch nicht mit der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes auseinander, dass hier bloß auf den Teilbetrieb "Werbeabteilung" abzustellen wäre. Sprächen doch wesentliche Argumente dafür, auch auf die im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Kündigung der Klägerin stehende vollständige Verschmelzung der Unternehmen abzustellen. Diese Verschmelzung von Unternehmen erfüllt nach dem klaren Wortlaut des Art 1 Abs 1 lit a der Betriebsübergangsrichtlinie und dem in diesem Sinne zu interpretierenden § 3 Abs 1 AVRAG die Voraussetzungen für die entsprechenden Schutzbestimmungen (vgl dazu etwa Binder AVRAG § 3 Rz 23; Holzer/Reissner Arbeitsvertragsrechtsanpassungsgesetz, 70 jeweils mwN), was also ebenfalls zu dem vom Berufungsgericht erzielten Ergebnis führen wurde. Eine weitere Auseinandersetzung mit diesen Fragen erübrigt sich also.

Insgesamt vermag es die Beklagte jedenfalls nicht, eine zur Beurteilung des konkreten Falles erforderliche erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO darzustellen.