OGH vom 13.09.2019, 10Ob59/19b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Stefula als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen A*****, geboren am ***** 2002, vertreten durch das Land Steiermark als Kinder- und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung, Sozialreferat KJH, 8020 Graz, Bahnhofgürtel 85) wegen Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs des Bundes gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom , GZ 1 R 101/19h-75, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-West vom , GZ 75 Pu 7/19a-64, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens vor dem Obersten Gerichtshof ist allein noch die Frage, ob dem Kind für den Monat April 2015 ein (in dieser Höhe nicht strittiger) Unterhaltsvorschuss von 240 EUR (Standpunkt des Bundes) oder von 300 EUR (Standpunkt des Kindes) gebührt.
Der Vater wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts GrazWest vom (ON 20) verpflichtet, dem Kind mit Wirkung ab einen Betrag von monatlich 240 EUR an Unterhalt zu zahlen.
Mit Beschluss vom (ON 24) erhöhte das Erstgericht die dem Kind für die Zeit vom bis gewährten Unterhaltsvorschüsse rückwirkend ab auf monatlich 240 EUR. Unterhaltsvorschüsse in dieser Höhe wurden dem Kind über dessen Antrag auch für den Zeitraum bis weiter gewährt (ON 27).
Am beantragte das Kind, den Vater rückwirkend ab zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag „gemäß Prozentsatzmethode“ zu verpflichten (ON 32). Dieser Antrag wurde später dahin konkretisiert, dass für den Monat April 2015 ein Unterhaltsbeitrag von 300 EUR begehrt wurde (ON 48).
Mit rechtskräftigem Beschluss vom (ON 50) verpflichtete das Bezirksgericht GrazWest den Vater unter anderem, zusätzlich zu der ihm bereits auferlegten Unterhaltsleistung von 240 EUR monatlich einen weiteren Unterhaltsbetrag von 60 EUR auch für den Monat April 2015 zu bezahlen, insgesamt daher 300 EUR (auch) für diesen Monat.
Das Erstgericht erhöhte gemäß § 19 Abs 2 UVG die dem Kind für den Zeitraum bis gewährten Unterhaltsvorschüsse auf monatlich 300 EUR.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, mit dem dieser lediglich die Erhöhung des Unterhaltsvorschusses für den Monat April 2015 um 60 EUR bekämpfte, nicht Folge. Richtig sei, dass Unterhaltsvorschüsse nur auf gesetzliche Unterhaltsansprüche gegründet werden könnten und im Antragszeitpunkt der am fällige Unterhalt für April 2015 gemäß § 1418 ABGB verjährt gewesen sei. Die Verjährung sei jedoch nur über Einwand des Verpflichteten wahrzunehmen, sie bewirke keinen durch bloßen Zeitablauf eintretenden Rechtsverlust. Ein mit Beschluss rückwirkend festgesetzter Unterhaltserhöhungs-betrag verliere daher trotz Verjährung nicht den Charakter eines gesetzlichen Unterhaltsanspruchs.
Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil auch die Ansicht vertreten werden könnte, dass § 7 Abs 1 UVG analog auf rückwirkende Unterhaltserhöhungen anzuwenden sei. Denn der Bund könne sich bei Konsens und Kontumazerhöhungen nur auf diesem Weg gegen die Auszahlung verjährter Erhöhungsbeträge schützen.
Rechtliche Beurteilung
Der – nicht beantwortete – Revisionsrekurs des Bundes ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
Der Bund macht im Revisionsrekurs geltend, dass gegen den Unterhaltsvorschusserhöhungsbetrag für den Monat April 2015 Bedenken gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG bestünden. Die Verjährung des Unterhaltsanspruchs für dieses Monat hätte nur im Titelverfahren durch den Verpflichteten geltend gemacht werden können. Der Bund könne sich hingegen nur im Weg des § 7 Abs 1 Z 1 UVG vor der Auszahlung überhöhter Unterhaltsvorschüsse schützen. Dies sei etwa der Fall, wenn eine Unterhaltsfestsetzung im Einvernehmen der Parteien zustande komme, wenn sich der Unterhaltsschuldner zu einer den gesetzlichen Unterhalt übersteigenden Unterhaltsleistung bereit erkläre, oder wenn er einer rückwirkenden, über die Verjährungsfrist in die Vergangenheit reichenden Unterhaltsverpflichtung zustimme. Auch gegen den für April 2015 zugesprochenen Unterhaltsvorschusserhöhungsbetrag bestünden Bedenken gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG.
Dazu wurde erwogen:
1. Wird der Unterhaltsbeitrag erhöht, so hat das Gericht gemäß § 19 Abs 2 UVG von Amts wegen oder auf Antrag die Vorschüsse bis zum Ende des im zuletzt gefassten Beschluss über die Gewährung oder Weitergewährung bestimmten Zeitraums zu erhöhen; die Erhöhung ist mit dem auf das Wirksamwerden der Unterhaltserhöhung folgenden Monatsersten, fällt die Erhöhung auf einen Monatsersten, mit diesem anzuordnen. Dass die Voraussetzungen einer Vorschusserhöhung (auch) für April 2015 nach dieser Bestimmung erfüllt sind, ist nicht strittig.
2.1 Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit sich in den Fällen der § 3 und 4 Z 1 UVG aus der Aktenlage ergibt, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht (mehr) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist im Verfahren nach § 19 Abs 2 UVG entsprechend anzuwenden (RISJustiz RS0117325).
2.2 Titelvorschüsse im Sinn der § 3, 4 Z 1 UVG sind nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG idF des FamRÄG 2009 ganz oder teilweise zu versagen, wenn sich die materielle Unrichtigkeit des bestehenden Unterhaltstitels aus der Aktenlage ergibt (RS0076391 [T16]). Der aufgrund des Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll der jeweiligen materiellen gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen (RS0076391 [T15]), um eine Belastung des Bundes mit zu hohen, offensichtlich nicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechenden Unterhaltsvorschüssen zu verhindern (10 Ob 30/19p mwN).
Diese Voraussetzungen für eine Reduktion des titulierten Unterhalts liegen hier nicht vor:
3.1 Der erste Tatbestand des § 7 Abs 1 Z 1 UVG setzt für eine Versagung von Titelvorschüssen gemäß § 3, 4 Z 1 UVG voraus, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht – oder nicht mehr – besteht. Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor, weil die Unterhaltsforderung des Kindes gegenüber dem Vater aufgrund des rechtskräftigen Titels (auch) für April 2015 in Höhe von 300 EUR besteht.
3.2 Materiell bestünde diese Forderung selbst bei Erhebung des Verjährungseinwands durch den Vater im Unterhaltsfestsetzungsverfahren: Gemäß § 1501 ABGB führt die Verjährung nicht zum amtswegig wahrzunehmenden Erlöschen des Rechts, sondern hindert bloß dessen klageweise Durchsetzung, wenn der Beklagte die Verjährungseinrede erhebt. Verjährte Schulden können gemäß § 1432 ABGB wirksam erfüllt werden. Es bliebe daher, worauf das Rekursgericht hingewiesen hat, auch die verjährte Forderung als Naturalobligation bestehen (anstatt vieler Meissel in KBB5§ 1451 Rz 2).
3.3 Der zweite Tatbestand des § 7 Abs 1 Z 1 UVG setzt voraus, dass die im Titel festgesetzte Unterhaltsverpflichtung zu hoch ist und nicht der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung entspricht. Aus der maßgeblichen Aktenlage ergibt sich jedoch kein Hinweis, dass für April 2015 ein nicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechender, zu hoch bemessener Unterhalt festgesetzt worden wäre. Insbesondere erfolgte die Unterhaltsfestsetzung auf Grundlage vom Erstgericht durchgeführter Erhebungen über das Einkommen des Vaters.
4.1 Aus den von ihm gewählten Beispielen erkennbar fordert der Revisionsrekurswerber eine analoge Anwendung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG auf den vorliegenden Fall, um zu verhindern, dass der Bund mit der Zahlung von Unterhaltsvorschüssen belastet wird, denen verjährte Unterhaltsforderungen zu Grunde liegen, weil der Unterhaltsschuldner im Unterhaltsfestsetzungsverfahren keinen Verjährungseinwand erhoben hat.
4.2 Voraussetzung der Analogie (§ 7 ABGB) ist das Vorliegen einer planwidrigen Lücke in § 7 Abs 1 Z 1 UVG. Eine Analogie ist nämlich jedenfalls dann unzulässig, wenn Gesetzeswortlaut und klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung weisen (P. Bydlinski in KBB5§ 7 ABGB Rz 2; RS0106092 [T2]).
4.3 An dieser Voraussetzung fehlt es im vorliegenden Fall: Ziel des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist nicht dem Bund eine Art nachträglicher Parteistellung betreffend die Unterhaltsfestsetzung einzuräumen, sondern zu verhindern, dass der Bund aufgrund eines unrichtigen Titels zu Leistungen verpflichtet wird, die nicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen. Das ist aber hier gerade nicht der Fall. Speziell gibt es auch keine Hinweise darauf, dass die Titelschaffung über eine verjährte Unterhaltsforderung missbräuchlich erfolgt wäre.
4.4 Die bloße Unterlassung des Verjährungseinwands wird von der Rechtsordnung nicht verpönt. So entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Erfüllung einer verjährten Verpflichtung durch einen Geschädigten keine Verletzung der Schadensminderungspflicht darstellt (RS0114448). Der Oberste Gerichtshof begründete dies in der Entscheidung 2 Ob 296/00v unter anderem damit, dass es nicht zum Wesen der Schadensminderungspflicht gehöre, sich der Bezahlung einer – wenngleich nur mehr naturaliter bestehenden –Obligation zu entziehen.
4.5 Diese Überlegungen lassen sich auch auf den vorliegenden Fall übertragen: Selbst bei Erhebung des Verjährungseinwands im Unterhaltsfestsetzungsverfahren bestünde die Rechtspflicht des Vaters, den gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegenüber dem Kind zu erfüllen, auch für April 2015 weiter.
5. : Wird der Unterhaltsvorschuss gemäß § 19 Abs 2 UVG rückwirkend erhöht und entspricht die Höhe der gesetzlichen Unterhaltspflicht, so schadet der Umstand, dass der Unterhaltsschuldner im Unterhaltsfestsetzungsverfahren einen möglichen Einwand der Verjährung von Unterhaltsansprüchen des Kindes nicht erhoben hat, der Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse nicht. Der Verjährungseinwand kann vom Bund nicht im Vorschusserhöhungsverfahren nachgetragen werden.
Dem Revisionsrekurs ist daher nicht Folge zu geben.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00059.19B.0913.000 |
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