OGH vom 23.05.2018, 15Os38/18d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinksi, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Gschiel, LL.M., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gaberli O***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 44 Hv 147/17h-38, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Gaberli O***** der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I.) sowie der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 2 SMG (II.) schuldig erkannt.
Danach hat er am in W***** und an anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 15fache (zu II.) bzw das 25fache (zu I.) der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich 199,2 Gramm Kokain mit zumindest 128,7 Gramm Reinsubstanz Cocain (8,58fache Grenzmenge) und 632,5 Gramm Heroin mit zumindest 305,2 Gramm Reinsubstanz Diacetylmorphin, 8,49 Gramm Reinsubstanz Monoacetylmorphin und 17,75 Gramm Reinsubstanz Acetylcodein (105,16fache Grenzmenge)
I.) aus den Niederlanden (zu ergänzen: aus) und über Polen und die Tschechische Republik nach Österreich eingeführt, indem er in Amsterdam (richtig:) 84 Bodypacks (US 4, 5) mit dem oben angeführten Suchtgift verschluckte und mit diesem sodann nach Österreich reiste;
II.) mit dem Vorsatz befördert und besessen, dass dieses in Verkehr gesetzt werde, indem er mit dem verschluckten Suchtgift von der österreichischen Staatsgrenze bis nach (richtig:) Wi***** (US 4) reiste.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf Z 4, 5, 9 lit b und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, die ihr Ziel verfehlt.
Entgegen der Kritik der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Vernehmung der in L***** aufhältigen Ehefrau des Angeklagten zum Beweis dafür, „ob er auf strafrechtlich relevante Art im Notstand war oder nicht“ und, „dass der Notstand […] dergestalt war, dass er seine Frau und Familie tatsächlich unter so großem Druck und in so großer Gefahr sah, dass er keine andere Wahl hatte, um die Tat, der er beschuldigt war, zu begehen“ (ON 37 S 17), Verteidigungsrechte nicht verletzt.
Im Hinblick darauf, dass sich der Angeklagte, der sich zunächst pauschal auf „finanzielle Schwierigkeiten“ (ON 21 S 7) berief, in der Hauptverhandlung dann dahin verantwortete, er habe die Tat nur „wegen des ganzen Drucks und der Gefahr“ begangen (ON 37 S 4), und wenn er das Geld nicht abbezahle, „würden sie sie nehmen und dort wiederverheiraten“ (ON 37 S 11), ohne die Unmittelbarkeit der Gefahr (vgl dazu RISJustiz RS0089449; Lewisch in WK2 StGB Nachbem zu § 3 Rz 36 ff; Höpfel in WK2 StGB § 10 Rz 7) oder den Konnex zwischen dem erwarteten Schmuggellohn und der Abwendung des Nachteils in irgendeiner Weise zu konkretisieren, ließ die beantragte Beweisaufnahme nicht erkennen, warum sie das behauptete Ergebnis erwarten lasse. Anträge aber, die das Gericht lediglich zur Vornahme von Ermittlungen veranlassen wollen, um die Frage zu klären, ob von bestimmten Beweisen eine Förderung der Wahrheitsfindung zu erwarten ist, laufen auf eine bloße Erkundungsbeweisführung hinaus und sind aus Z 4 nicht relevant (RISJustiz RS0099353). Dass – wie die Rüge vorbringt – die Kenntnis der „genaueren Motive der Tat“ „zu einer wesentlichen Milderung der Strafe geführt“ hätte, betrifft keinen für die Schuld oder Subsumtionsfrage bedeutsamen Umstand und ist daher unter dem Regime der Verfahrensrüge (Z 4) unbeachtlich (Ratz, WKStPO § 281 Rz 321 f).
Die die Abweisung eines Beweisantrags nach Ansicht des Erstgerichts rechtfertigenden Entscheidungsgründe („mangels rechtlicher Relevanz“, ON 37 S 17; „ohnehin schwer durchführbar“, US 7) stehen als solche nicht unter Nichtigkeitssanktion, sodass das darauf bezogene Vorbringen der Rüge auf sich beruhen kann (RISJustiz RS0116749).
Soweit die Beschwerde die Feststellung, der Angeklagte habe „aus diversen Gründen“ finanzielle Probleme (US 4), als „schwammig und unbestimmt“ kritisiert (Z 5 erster Fall) und vorbringt, die finanziellen Probleme seien ausschließlich Folge der Bedrohung seiner Familie gewesen, bekämpft sie lediglich die Beweiswürdigung des Erstgerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Berufung wegen Schuld. Entgegen der weiteren Kritik haben die Tatrichter die Verantwortung des Angeklagten nicht übergangen, daraus aber andere Schlüsse gezogen (US 5; Z 5 zweiter Fall).
Der zur Überzeugung der Tatrichter von der (Un)Glaubwürdigkeit des Angeklagten aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritischpsychologische Vorgang als solcher ist der Anfechtung mit Mängelrüge entzogen (RISJustiz RS0106588). Insofern waren die Tatrichter auch nicht gehalten, eine gesonderte Begründung dafür zu geben (Z 5 vierter Fall), weshalb sie den Angeklagten in manchen Punkten für nicht glaubwürdig erachteten.
Die Rechtsrüge (Z 9 lit b), die von einem „rechtfertigenden oder jedenfalls entschuldigenden Notstand“ ausgeht, begehrt Feststellungen dahin, dass der Angeklagte wusste, dass „seine Familie in Nigeria in Gefahr war und bedroht wurde“ und dass „dies sein einziger Beweggrund“ für die Tatbegehung war, übergeht dabei aber – entgegen den für die gesetzmäßige Ausführung eines materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes maßgeblichen Kriterien (RISJustiz RS0099810) – die dem entgegenstehenden, einen solchen Beweggrund gerade nicht annehmenden Konstatierungen (US 9). Zudem unterlässt sie es, konkrete Beweisergebnisse zu bezeichnen, die die Konstatierung einer zum Tatzeitpunkt Notstandssituation ermöglicht hätten (RISJustiz RS0118580).
Im Übrigen übersieht sie, dass die Notstandshandlung beim rechtfertigenden Notstand das einzige Mittel zur Abwendung des Nachteils (RISJustiz RS0089696; Lewisch in WK2 StGB Nachbem zu § 3 Rz 52 ff; Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15, Z 14 Rz 16 ff), beim entschuldigenden Notstand (§ 10 StGB) erforderlich, fremde Güter möglichst wenig beeinträchtigend und nicht unangemessen (Fuchs, AT I9, 24/18; Kienapfel/Höpfel/Kert, AT15, Z 20 Rz 15; vgl auch RISJustiz RS0089644) sein muss.
Entgegen dem Vorbringen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) verstößt die Wertung der „großen Menge Suchtgift“ (insgesamt mehr als 113fache Überschreitung der Grenzmenge) als erschwerend (US 9) nicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 StGB), weil dieser Umstand weder Strafbarkeit noch Strafdrohung bestimmt (RISJusitz RS0088028).
Bleibt unter dem Aspekt des § 290 Abs 1 StPO zur Stellungnahme der Generalprokuratur anzumerken, dass aus Sicht des Obersten Gerichtshofs eine – auch den Tenor (US 2 f: „… vorschriftswidrig Suchtgift […] eingeführt […] befördert und besessen“) in den Blick nehmende (vgl RISJustiz RS0114639) – Analyse des Urteils die Beurteilung zulässt, dass sich die Feststellungen auf – die vom Angeklagten im Übrigen nicht bestrittene (vgl ON 37 S 9: „gewusst, dass das nicht richtig ist“) – vorschriftswidrige Einfuhr bzw Beförderung und Besitz von Suchtgift beziehen (vgl US 4 f, wo der von 84 verschluckten Bodypacks mit Drogen [Heroin und Kokain] in Rede steht und ein – nur als Ausnahme angelegter (vgl § 5 Abs 1, § 6 Abs 1 SMG) zulässiger – Verkehr mit Suchtgift nach dem ersten Abschnitt des zweiten Hauptstück des SMG gar nicht thematisiert wird), und die Tatrichter auch einen darauf gerichteten Vorsatz des Angeklagten feststellen wollten (vgl US 5, wonach der Angeklagte die Menge und Qualität des geschmuggelten Kokain und Heroin billigend in Kauf nahm, und US 8 f, wonach sein Vorsatz darauf gerichtet war, „Suchtgift ins österreichische Staatsgebiet zu verbringen“; vgl RISJustiz RS0117228). Auch die – von der Generalprokuratur vermisste – auf das Befördern und den Besitz des Suchtgifts gerichtete subjektive Tatseite zu II. (zu § 28 Abs 1 zweiter und dritter Fall SMG als alternatives Mischdelikt vgl im Übrigen RISJustiz RS0125736) ergibt sich hinreichend deutlich aus den Urteilsannahmen, wonach der Vorsatz des Angeklagten auf die Verbringung von Suchtgift in das Staatsgebiet gerichtet war, er die geschmuggelte Menge Kokain und Heroin billigend in Kauf nahm und er die „Drogen in W***** übergeben“ wollte (US 5, 9).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung ergibt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00038.18D.0523.000 |
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