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OGH vom 26.02.2013, 10Ob58/12w

OGH vom 26.02.2013, 10Ob58/12w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Dr. Gerd Mössler, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.085,76 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wr. Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 18 R 207/12p-3, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Neunkirchen vom , GZ 3 C 2027/11p-11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die beklagte GmbH war Abschluss- und Konzernprüferin für die Jahresabschlüsse 2000 bis 2008 der A***** AG, deren IAS-Konzernabschlüsse für die Jahre 2004 bis 2008 und der Jahres- und Konzernabschlüsse 2001 bis 2008 der A***** AG (seit : A***** AG). Bei sämtlichen Abschlüssen bis zum Jahr 2007 erteilte die Beklagte einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk, bei den Jahresabschlüssen für 2008 jeweils nur einen eingeschränkten Bestätigungsvermerk. Die Jahres- und Konzernabschlüsse der beiden Aktiengesellschaften samt Bestätigungsvermerken wurden jeweils im Firmenbuch veröffentlicht.

Die Genussscheine der A***** AG der Serie 2001 notierten am im Freiverkehr an der Frankfurter Börse. Der Kläger erwarb am vier A*****-Genussscheine zum Gesamtkaufpreis von 9.085,76 EUR.

Am entsprach der Kurswert der Genussscheine 0,00 EUR.

Im Mai 2010 wurde über das Vermögen der beiden Aktiengesellschaften das Konkursverfahren eröffnet.

Mit der am eingelangten Klage begehrt der Kläger Schadenersatz von der Beklagten als Abschlussprüferin und Prospektkontrollorin, die zahlreiche näher ausgeführte Unrichtigkeiten trotz positiver Kenntnis im eigenwirtschaftlichen Interesse seit Beginn ihrer Tätigkeit nicht aufgedeckt, sondern uneingeschränkte Bestätigungsvermerke erteilt habe. Das Hauptbegehren lautet auf Ersatz des Kaufpreises von 9.085,76 EUR; das Eventualbegehren auf Feststellung der Haftung der Beklagten für jenen Schaden, den der Kläger dadurch erleide, dass er im Fall eines Verkaufs der Genussscheine weniger als den von ihm gezahlten Kaufpreis erhalte. Die Beklagte habe ursächlich dazu beigetragen, dass sich das „A*****-System“ bis Oktober 2008 halten habe können und so Genussscheine ohne tatsächliche Werthaltigkeit emittiert worden seien, die ua der Kläger gekauft habe. Dadurch sei der Kläger am Vermögen im Umfang des Totalverlusts des eingesetzten Kapitals geschädigt worden. Wäre die Beklagte ihren Pflichten nachgekommen, hätte der Kläger, der auf die korrekte, gewissenhafte und gesetzeskonforme Prüfung durch die Beklagte vertraut habe, den Kauf der Genussscheine nicht getätigt und sich um deren Verkauf bemüht. Wäre ihm insbesondere die fehlende Werthaltigkeit bekannt gewesen, hätte er sich niemals zum Kauf oder Behalten der Genussscheine entschlossen. Der Anspruch sei auch nicht verjährt, weil der Schaden erst durch die Insolvenzeröffnung über die A***** AG und die A***** AG eingetreten sei. § 275 Abs 5 UGB gelte für die Dritthaftung nicht. Die zehnjährige Präklusionsfrist nach § 11 Abs 7 KMG laufe nicht ab Prospektveröffentlichung, sondern erst ab Beendigung des prospektpflichtigen Angebots.

Die Beklagte bestritt schadenersatzpflichtig zu sein und wendete primär Verjährung nach § 275 Abs 5 UGB und Präklusion nach § 11 Abs 7 KMG idF BGBl 1994/210 ein. Die Beklagte berief sich dazu auch auf die mit ihren Auftraggebern vereinbarten Allgemeinen Auftragsbedingungen für Wirtschaftstreuhandberufe (AAB), die vorsähen, dass Ansprüche nur binnen sechs Monaten geltend gemacht werden könnten. Dem Kläger sei bereits durch den Erwerb der Genussscheine ein realer Schaden durch „Vermögensumschichtung“ entstanden. Soweit der Kläger auf einen Verkauf der Genussscheine abstelle, sei ein allenfalls pflichtwidriges Handeln der Beklagten nicht kausal, weil bei früherer Einschränkung oder Versagung des Bestätigungsvermerks der Zusammenbruch des „A*****-Systems“ nur zeitlich vorverlagert worden wäre. Eine Prospektpflicht in Österreich habe gar nicht bestanden. Mit Einführung der Genussscheine im Freiverkehr der Frankfurter Börse sei ein allfälliges prospektpflichtiges Anbot beendet gewesen.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Verjährung des auf § 275 UGB gestützten Anspruchs gegen die Beklagte als Abschlussprüfer (Beginn der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB mit Eintritt des Schadens durch Kauf der nach den Behauptungen des Klägers schon damals nicht werthaltigen Genussscheine am ) und wegen Präklusion der Prospekthaftung (Beginn der weiter anzuwendenden kürzeren Präklusivfrist des § 11 Abs 7 KMG aF von fünf Jahren mit Zulassung der Genussscheine an der Frankfurter Börse am ) zur Gänze ab.

Das Berufungsgericht bestätige das Ersturteil und übernahm die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Ergänzend verwies es zur Verjährung auf die Entscheidung 1 Ob 35/12x; ein Vorbringen über einen Sachverhalt, der für den Vorwurf einer mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung hinreichen würde, habe der Kläger nicht erstattet, weshalb die lange Verjährungsfrist nach der zweiten Variante des § 1489 Satz 2 ABGB nicht in Frage komme. Das Vorbringen, der Kläger hätte bei ordnungsgemäßer Versagung/Einschränkung des Bestätigungsvermerks sofort schadensfrei verkaufen können, sei nicht nachvollziehbar, weil diesfalls eine Veräußerung der Genussscheine ebenso wenig wie nunmehr auch nicht möglich gewesen wäre; Gegenteiliges habe der Kläger trotz Hinweises der Beklagten auch nicht behauptet. Eine Schadensvergrößerung stelle ebenfalls einen Folgeschaden dar, dessen Verjährung schon mit Eintritt des Primärschadens (Erwerb der Genussscheine) zu laufen beginne. Zur Schlüssigkeit der Prospekthaftung fehle trotz eines entsprechenden Hinweises der Beklagten die Behauptung der Kenntnis des konkreten, von der Beklagten kontrollierten Prospekts. Allfällige Ansprüche des Klägers daraus seien aber ohnehin entsprechend der zutreffenden Rechtsansicht des Erstgerichts präkludiert.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Fragen fehle, ob § 275 Abs 5 UGB auch bei vorsätzlichem Handeln gelte, wann der Primärschaden diesfalls eintrete und wann das öffentliche Angebot nach § 11 Abs 7 KMG als beendet gelte.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Aufhebung des Ersturteils und Zurückverweisung zur Verfahrensergänzung. Zur Abschlussprüferhaftung wendet sie sich vor allem gegen die analoge Anwendung des § 275 Abs 5 UGB auf Drittschäden und will die kurze subjektive Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB, hilfsweise die lange Verjährungsfrist nach § 1489 Satz 2 2. Variante ABGB angewendet wissen. Der Schaden des Klägers sei frühestens mit Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der beiden Aktiengesellschaften entstanden. Weiters beruft sich der Kläger ausdrücklich auf weitere Anspruchsgrundlagen, und zwar § 255 AktG und § 275 Abs 2 UGB als Schutzgesetze und § 1300 2. Satz ABGB, was zur Anwendung des § 1489 ABGB führe. Es bestünden auch sekundäre Feststellungsmängel zum behaupteten Schadenseintritt wegen verhinderter Verkaufsmöglichkeit. Zur Haftung der Beklagten als Prospektprüfer bestreitet der Kläger eine Präklusion nach § 11 Abs 7 KMG aF und macht als weitere Anspruchsgrundlage § 80 BörseG geltend.

Die Beklagte verweist in ihrer Revisionsbeantwortung sowohl auf die Unzulässigkeit der Revision als auch auf deren fehlende inhaltliche Berechtigung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt .

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in einem Parallelakt zu den auch hier relevanten Rechtsfragen in einer ausführlich begründeten Entscheidung vom , AZ 3 Ob 230/12p, Stellung genommen. Auf den Inhalt dieser Entscheidung kann daher verwiesen werden. Deren wesentliche Aussagen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. An der bisherigen Rechtsprechung, nach der der Prüfungsvertrag zwischen Gesellschaft und Abschlussprüfer als ein Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter zu qualifizieren ist, wird festgehalten.

2. Auf dem Boden der Dritthaftung aufgrund der Schutzwirkungen des Prüfungsvertrags zugunsten Dritter ist die Verjährungsfrage für den Bereich bloß fahrlässiger Schadensverursachung durch den Abschlussprüfer dahin zu lösen, dass die Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB sowohl bei Schäden der Gesellschaft als auch denen Dritter eine von Kenntnis des Schadens und Schädigers unabhängige objektive Frist ist, die ab Entstehen des Schadens zu laufen beginnt:

2.1. Bei der Frist des § 275 Abs 5 UGB handelt es sich um eine lex specialis zur allgemeinen Verjährungsvorschrift des § 1489 ABGB, die als objektive, von der Kenntnis des Schadens und des Schädigers unabhängige Frist nicht nur die kurze, sondern auch die lange Frist des § 1489 Satz 2 1. Variante ABGB verdrängt.

2.2. Die fünfjährige Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB gilt auch für den Bereich der Dritthaftung. Sie beginnt unabhängig von Kenntnis des Schadens und Schädigers mit dem Eintritt des (primären) Schadens durch Umschichtung des Vermögens des Dritten zu laufen, wenn dieser die Vermögensumschichtung nicht vorgenommen hätte, hätte er die Unrichtigkeit des Jahresabschlusses gekannt (1 Ob 35/12x, 10 Ob 88/11f ua).

2.3. Der als Einheit konzipierte § 275 UGB ist uneingeschränkt auch auf die Dritthaftung als Abschlussprüfer anzuwenden, sodass der Dritte verjährungsrechtlich nicht anders zu behandeln ist als die geprüfte Gesellschaft selbst.

2.4. Die gegen die Haftungsbegrenzung des § 275 Abs 2 UGB und die Auslegung der Verjährungsfrist als objektive Frist im Schrifttum teilweise geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken, werden nicht geteilt.

3.1. Für die vorsätzliche Schadenszufügung im Sinn auch eines „einfachen“ Vorsatzes, ohne dass die Voraussetzungen der zweiten Variante des § 1489 Satz 2 ABGB vorliegen, ist die Verjährungsfrist aber eine subjektive. Es wäre sachlich nicht begründbar, dass dem vorsätzlich handelnden Abschlussprüfer die zeitliche Privilegierung in Gestalt einer kurzen objektiven Verjährungsfrist zugute kommen sollte. Gerade der Vorsatztäter wird anders als der fahrlässig Schädigende bestrebt sein, seine Malversationen möglichst zu verschleiern, sodass die Kenntnis des Geschädigten davon hinausgezögert und wegen des davon unabhängigen Fristbeginns oft erst nach Ablauf der Verjährungsfrist zu erlangen sein wird. Damit würde ein besonders raffinierter Schädiger in den Vorteil der Fristverkürzung gelangen und könnte von der selbst verursachten Unwissenheit des Geschädigten in bedenklicher Weise profitieren. Ein solches Ergebnis der Interpretation würde den natürlichen Rechtsgrundsätzen widersprechen, soll doch niemand durch Arglist Rechtsvorteile erlangen. Bei vorsätzlicher Pflichtverletzung des Abschlussprüfers ist der Beginn der fünfjährigen Verjährungsfrist daher nicht mit Entstehung des Schadens, sondern erst mit Kenntnis des Geschädigten von Schaden und Schädiger anzusetzen.

3.2. Ob die lange Frist des § 1489 Satz 2 1. Variante ABGB greift, wenn dem Geschädigten der Schaden oder der Schädiger nicht bekannt geworden ist, muss hier nicht untersucht werden.

Ausgehend von den oben wiedergegebenen Grundsätzen (Pkte 1 und 2) haben die Vorinstanzen auch im vorliegenden Fall zutreffend die Verjährung eines auf Fahrlässigkeit gestützten Schadenersatzbegehrens angenommen.

Eine Verjährung bei einfachem Vorsatz ist jedoch zu verneinen:

Nach der hier gegebenen Aktenlage kann eine Kenntnis des Klägers von der Wertlosigkeit der Genussscheine schon im Zeitpunkt ihres Erwerbs am und damit vom primär geltend gemachten Schaden frühestens mit der Erteilung von nur eingeschränkten Bestätigungsvermerken bei den Jahresabschlüssen für 2008, die naturgemäß erst 2009 erteilt und beim Firmenbuchgericht eingereicht wurden, angenommen werden. Die fünfjährige Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB wäre deshalb bei Einbringung der Klage am noch nicht abgelaufen gewesen.

Es bedarf daher der Prüfung der Berechtigung der erhobenen Vorwürfe vorsätzlichen Handelns, weshalb eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung unumgänglich ist.

Zu den weiteren dem Akt 3 Ob 230/12p gleichgelagerten Argumenten in der Revision und der Revisionsbeantwortung ist ebenfalls sinngemäß auf die Entscheidung 3 Ob 230/12p zu verweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.