OGH vom 30.06.2015, 10Ob57/15b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen D*****, vertreten durch Mag. Thomas Spiegel, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 63/15p 87, womit infolge Rekurses der Betroffenen der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom , GZ 23 P 35/14t 79, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Das Erstgericht bestellte einen Rechtsanwalt zum Sachwalter für die Betroffene und legte den Kreis der zu besorgenden Angelegenheiten gemäß § 268 Abs 3 Z 2 ABGB mit „Einkommens und Vermögensverwaltung“ sowie „Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten“ fest.
Es ging dabei von folgendem Sachverhalt aus:
Bei der Betroffenen findet sich eine psychiatrische Erkrankung im Sinne einer schizoaffektiven Störung, gegenwärtig hypoman. Die Betroffene ist zwar umfassend orientiert und in den Gedächtnisleistungen nicht beeinträchtigt, jedoch etwas beschleunigt und bagatellisierend bis verleugnend. Die Kritikfähigkeit und das Urteilsvermögen sind im Rahmen der angehobenen Stimmungslage und der beschleunigten Gedankengänge eingeschränkt. Außerdem sind Frustrationstoleranz und Belastbarkeit krankheitsbedingt beeinträchtigt. Die Betroffene ist dadurch nicht in der Lage, die Angelegenheiten „Einkommens und Vermögensverwaltung“ sowie „Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten“ ohne Gefahr eines Nachteils selbständig zu regeln.
Das Rekursgericht gab dem erkennbar auf Abänderung in Richtung einer Einstellung des Sachwalterbestellungsverfahrens zielenden Rekurs der Betroffenen nicht Folge und ließ den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen zur psychischen Erkrankung der Betroffenen, traf auf der Grundlage beigeschaffter Ambulanzprotokolle der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie und eines von der Betroffenen vorgelegten Befundes eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom ergänzende Feststellungen und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Betroffene für die im Beschluss des Erstgerichts genannten Angelegenheiten eines Sachwalters bedürfe. Gegen die Betroffene werde eine Reihe von Exekutionsverfahren geführt; sie selbst führe einen Schuldenstand von 80.000 EUR an. Ihren Angaben zufolge beziehe sie Notstandshilfe und strebe eine Schuldenregulierung an. Damit bedürfe sie sowohl bei der Besorgung ihrer finanziellen Angelegenheiten als auch bei einer möglichen Vertretung im Schuldenregulierungs-verfahren der Unterstützung eines Sachwalters.
In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs stellt die (durch einen Verfahrenshelfer vertretene) Betroffene in den Vordergrund, dass sie nach dem Inhalt des Befundes vom psychisch vollkommen gesundet sei und das Einschreiten eines Sachwalters nicht erforderlich sei. Das Rekursgericht habe sich nicht nur mit diesem Befund, sondern auch mit zwei weiteren Attesten unzureichend auseinandergesetzt und sei allein dem Gutachten der vom Erstgericht bestellten Sachverständigen gefolgt. Darüber hinaus rechtfertigten der Schuldenstand, das geringe Einkommen und die Absicht einer Schuldenregulierung keine Sachwalterbestellung.
Rechtliche Beurteilung
Eine erhebliche Rechtsfrage (§ 62 Abs 1 AußStrG) wird damit nicht dargestellt.
1. Ob ausreichend Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters vorliegen, ist immer eine individuell zu beurteilende Frage des Einzelfalls (RIS Justiz RS0106166, RS0087091 [T2], RS0079855 [T7]).
2. Entgegen dem Revisionsrekursvorbringen hat sich das Rekursgericht ausführlich mit dem von der Betroffenen mit dem Rekurs vorgelegten Befund vom auseinandergesetzt. Die Frage, welche Bedeutung das Rekursgericht einem von der Partei vorgelegten Privatgutachten (bzw Befund) beimisst, betrifft die in dritter Instanz nicht mehr angreifbare Beweiswürdigung (RIS Justiz RS0043291 [T3]).
3. Auch die im Revisionsrekurs aufgeworfene Frage der Befassung mit den beiden ärztlichen Bestätigungen bezieht sich auf die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen. Diese beiden Bestätigungen wurden im Übrigen bereits in dem vom Erstgericht eingeholten Sachverständigengutachten berücksichtigt. In beiden Bestätigungen wird eine schizoaffektive Erkrankung bzw Störung diagnostiziert.
4. Die Beurteilung der Frage, ob genügend Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters vorliegen, ist immer eine solche des Einzelfalls; sie ist auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen nach den konkreten Umständen jeweils individuell zu lösen (vgl RIS Justiz RS0087091 [T2], RS0079855 [T7, T 8]).
Der Oberste Gerichtshof teilt die Ansicht der Vorinstanzen, dass nach wie vor ausreichende Anhaltspunkte für die Notwendigkeit eines Sachwalters im beschlossenen Umfang gegeben sind. Dafür, dass die Betroffene weiterhin psychische Auffälligkeiten aufweist und nicht in der Lage ist, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen, sprechen etwa ihre vor Gericht zu Protokoll gegebenen Angaben vom (ON 57) und vom (ON 90; nach Beschlussfassung durch das Rekursgericht am ). Dort gab sie beispielsweise zu Protokoll, dass ihre Wohnung am Wochenende widerrechtlich betreten worden sei und dabei ihre zwei Zuchtkatzen hormonell behandelt worden seien. Die Substanzen seien noch nicht abschließend geklärt, da der eingeholte Befund noch nicht vorliege. Die Polizei habe ihre Anzeige nicht aufnehmen wollen. Diese Angabe deckt sich im Kern auch mit früheren Aussagen der Betroffenen, wonach ihr selbst (allerdings nicht nachgewiesen) verschiedenste Substanzen eingeflößt worden seien. Aus den vom Rekursgericht getroffenen Feststellungen betreffend den Krankheitsverlauf und die finanzielle Situation geht nachvollziehbar hervor, dass die Betroffene nicht in der Lage ist, ihre vor allem finanziellen Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Dies lässt sich auch daraus ableiten, dass sich die Betroffene selbständig machen möchte (ON 57).
5. Zusammenfassend sind die Vorinstanzen in durchaus vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass die Betroffene an einer psychischen Krankheit leidet und aufgrund dieser Krankheit nicht in der Lage ist, ohne Gefahr eines Nachteils für sich in den vom Erstgericht bezeichneten Angelegenheiten zu handeln.
Im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit der Entscheidung und die Vertretbarkeit der Rechtsansicht des Rekursgerichts ist der außerordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00057.15B.0630.000