OGH vom 10.05.2001, 8ObA109/01i

OGH vom 10.05.2001, 8ObA109/01i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Anton Wladar und Dr. Ernst Galutschek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 5020 Salzburg, Dr. Franz-Rehrl-Platz 5, vertreten durch Tusch-Flatz-Dejaco Anwaltspartnerschaft in Feldkirch, wider die beklagten Parteien 1. Herbert F*****, und 2. Horst W*****, beide vertreten durch Mag. Martin Mennel, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen S 139.659,66 sA und Feststellung (Streitwert S 50.000,--), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 12/01d-18, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Den von der klagenden Unfallversicherungsanstalt gemäß § 334 ASVG in Anspruch genommenen beklagten Facharbeitern war der 15 jährige Lehrling ohne nähere Anweisungen zugewiesen worden. Lehrlingsausbildner war der Geschäftsführer. Die beklagten Facharbeiter, denen die einschlägigen Bestimmungen des KJBG und der dazu ergangenen VO nicht bekannt waren, setzten den Lehrling bei einer Abkantpresse ein. Ihm wurden die Gefahren dieser Maschine genau erklärt, der Arbeitsvorgang mehrfach demonstriert und im folgenden überwacht. Nach den ausdrücklichen Feststellungen entsprach die Abkantpresse sämtlichen Sicherheitsbestimmungen und war bereits 10 Jahre unfallfrei in Verwendung. Trotzdem verlor der Lehrling bei einem Arbeitsunfall zwei Finger. Die Beklagten wurden strafgerichtlich wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 StGB verurteilt.

Die Vorinstanzen haben die Klage übereinstimmend abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin vermag es nicht, eine Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs 1 ASGG aufzuzeigen.

Gemäß § 334 Abs 1 ASVG iVm § 333 Abs 4 ASVG haftet ua der Aufseher im Betrieb für alle aus einem Arbeitsunfall nach dem ASVG zu gewährenden Leistungen, wenn er den Arbeitsunfall grob fahrlässig verursacht hat. Maßgeblich wird daher die Frage, ob den Beklagten ein grob fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen ist.

Vom Begriff der groben Fahrlässigkeit - auch im Sinne des § 334 Abs 1 ASVG (vgl Krejci-Böhler in Tomandl [Hrsg] System des österr. Sozialversicherungsrechts Punkt 3.3.4.1) - werden nur ungewöhnliche, auffallende Vernachlässigungen bei vorhersehbaren Schäden erfasst (vgl RIS-Justiz RS0085373 mit zahlreichen weiteren Nachweisen, etwa zuletzt 9 ObA 219/97i, 9 ObA 403/97y, 9 ObA 85/99m; 8 ObA 308/00b; RIS-Justiz RS0030644 mwN). Die Übertretung von einzelnen Arbeitnehmerschutzbestimmungen und Unfallverhütungsvorschriften muss an sich noch kein grobes Verschulden begründen (vgl RIS-Justiz RS0052197). Vielmehr ist auf die Gefährlichkeit der Situation besonders Bedacht zu nehmen (vgl ferner auch RIS-Justiz RS0022698).

Hier hat der Einsatz des erst vor ca einer Woche aufgenommenen Lehrlings an der Abkantpresse gegen das Verbot des § 8 Abs 1 Z 1 lit f iVm Abs 3 lit c der damals noch maßgeblichen KJBG-VO BGBl 527/1981 (vgl nunmehr § 6 Abs 1 Z 7 KJBG-VO BGBl II 1998/436) verstoßen. Es wurde jedoch festgestellt, dass die Beklagten gar nicht die Ausbildner des Lehrlings im Sinne des BAG waren und vom Ausbildner auch keine Anweisungen oder Aufklärungen erhielten. Aus ihrer mangelnden Kenntnis der einschlägigen Vorschriften kann also zumindest kein eigenes grobes Verschulden abgeleitet werden. Nur für ihr eigenes, nicht aber auch für fremdes, wenn auch grobes

Verschulden hätten sie jedoch einzustehen (vgl RIS-Justiz RS0085276 =

insb SZ 40/164, EvBl 1973/264, 550, SZ 57/17 = JBl 1985, 111 ua;

Teschner/Widlar MGA ASVG § 335 Anm 2). Ein etwaiges Organisationsverschulden des Geschäftsführers des Betriebes, der auch der Lehrlingsausbildner war und für eine entsprechende Information und Schulung der Vorarbeiter verantwortlich ist (vgl zuletzt OGH 8 ObA 308/00b; allgemein auch zum Organisationsverschulden RIS-Justiz RS0023796 mit zahlreichen weiteren Nachweisen insb SZ 41/146, EvBl 1970/334, 605, SZ 60/256 = JBl 1988, 318 uva), kann ihnen daher nicht angelastet werden.

Von der von der Klägerin herangezogenen Entscheidung des Obersten

Gerichtshofes vom zu 9 ObA 219/97i (DRdA 1998, 60 = ARD

4901/29/98 = ÖA 1998, 73 = RdW 1998, 366 = infas 1998, 14), in der

die Haftung bei Beschäftigung eines 14 jährigen Lehrlings auf einem 4 Meter hohen, gegen die technischen Arbeitnehmerschutzvorschriften verstoßenden Gerüst bejaht wurde, unterscheidet sich der vorliegende Fall mehrfach. Wurde doch hier ausdrücklich festgestellt, dass die Abkantpresse als solche den technischen Arbeitnehmerschutzvorschriften entsprochen hat. Ferner erfolgte damals die Arbeitsanweisung offensichtlich durch den Ausbildner im Sinne des BAG, dem auch die einschlägigen Beschäftigungsbeschränkungen bekannt sein müssen, während hier der Einsatz nur von nicht näher informierten Facharbeitern angeordnet wurde. Schließlich ist die Gefahr des Einsatzes an nicht entsprechend gesicherten Gerüsten selbst für nicht mit den einschlägigen Beschäftigungsverboten nach dem KJBG-VO vertraute Personen offensichtlicher als die - nach entsprechender Ausbildungsdauer und unter Aufsicht dann später auch im Rahmen einer Lehre grundsätzlich zulässige - Beschäftigung an einer Abkantpresse, die bisher auch noch zu keinen Verletzungen führte.