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OGH vom 27.04.2022, 15Os36/22s

OGH vom 27.04.2022, 15Os36/22s

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Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. MichelKwapinski in Gegenwart des OKontr. Bodinger als Schriftführer in der Strafsache gegen * L* wegen § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 122 Hv 1/20s des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 19 Bs 54/22p (ON 980), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

* L* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

[1] * L* wurde mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 122 Hv 1/20s-921, der Verbrechen der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (A./), der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 und Abs 2 StGB (B./) und des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 StGB (C./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt; zugleich wurde eine bedingte Strafnachsicht (neun Monate Freiheitsstrafe) widerrufen.

[2] Mit Beschluss vom (ON 975) setzte der Vorsitzende des erkennenden Schöffengerichts die am (ON 658) über den Genannten verhängte Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a, b und c StPO fort.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht mit Beschluss vom , AZ 19 Bs 54/22p (ON 980), nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den genannten Haftgründen an.

[4] Der dagegen erhobenen Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten kommt keine Berechtigung zu.

[5] Die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren überprüft der Oberste Gerichtshof dahin, ob sie aus den im angefochtenen Beschluss angeführten bestimmten Tatsachen (vgl § 174 Abs 3 Z 4 StPO) abgeleitet werden durften, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich, demnach als nicht oder als offenbar unzureichend begründet, angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 49).

[6] Das Beschwerdegericht gründete seine Einschätzung, der Angeklagte werde – auf freiem Fuße – flüchten oder sich verborgen halten (§ 173 Abs 2 Z 1 StPO), auf die „jahrelange Flucht“ und die im angefochtenen Beschluss detailliert beschriebenen Versuche des Beschwerdeführers, „sich dem Strafverfahren zu entziehen“ (BS 10 ff).

[7] Damit hat es bestimmte Tatsachen angeführt, aus denen es die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 Z 1 StPO genannten Gefahr willkürfrei ableiten konnte.

[8] Die Grundrechtsbeschwerde setzt sich mit diesen Erwägungen des Beschwerdegerichts inhaltlich nicht auseinander, sondern bestreitet bloß das Vorliegen eines Haftgrundes und behauptet dabei, das Beschwerdegericht habe keine bestimmten Tatsachen angeführt, „sondern vielmehr bloß spekulative Mutmaßungen zu Lasten“ des Angeklagten angestellt. Zum in der Beschwerde vermissten Berücksichtigung der aktuellen Situation („Gegenwartsbezug“) ist der Beschwerdeführer insbesondere auf BS 11 f und 17 zu verweisen. Dass bei der Prognoseentscheidung einzelne aus Sicht des Beschwerdeführers erörterungsbedürftige Verfahrensergebnisse nicht in der von ihm gewünschten Weise gewichtet wurden, stellt keine Grundrechtsverletzung dar (RIS-Justiz RS0117806 [T1 und T11]).

[9] Da bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, auf die Beschwerdeeinwände gegen den weiteren Haftgrund einzugehen (RIS-Justiz RS0061196).

[10] Im Übrigen aber hat das Beschwerdegericht auch die Annahme von Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a, b und c StPO) ohne Willkür aus der Begehung zahlreicher Tathandlungen mit einem Schaden in Millionenhöhe in einem mehrjährigen Zeitraum, in dem der Beschwerdeführer zudem zweimal wegen einschlägiger strafbarer Handlungen verurteilt wurde, abgeleitet (BS 13 ff).

[11] Zur Frage der Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) hat eine Grundrechtsbeschwerde konkret darzulegen, worin dem Beschwerdegericht, das diese verneint hat, insoweit ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (RIS-Justiz RS0116422 [T1]). Diesem Erfordernis entspricht die Beschwerde nicht, indem sie das Fehlen einer entsprechenden Begründung bloß behauptet und daran anschließend das insoweit in der Haftbeschwerde erstattete Vorbringen wiederholt (vgl RS0116422 [T2]), ohne dabei auf die – nicht zu beanstandenden – Ausführungen des Beschwerdegerichts einzugehen, nach denen die Substituierbarkeit der Haft aufgrund „des massiven Gewichts der angenommenen Haftgründe der Flucht- und der Tatbegehungsgefahr und des außerordentlichen Ausmaßes der vom Beschwerdeführer gezeigten beharrlichen kriminellen Energie“ zu verneinen ist (BS 16 f).

[12] Beim – vom Beschwerdeführer angeregten – elektronisch überwachten Hausarrest (§ 173a StPO) handelt es sich um eine besondere Form des Vollzugs der Untersuchungshaft, jedoch nicht um ein gelinderes Mittel. Da die Bedingungen des Vollzugs der Untersuchungshaft nicht in den Schutzbereich des GRBG fallen, kann die Ablehnung des Begehrens, die Untersuchungshaft in Form des Hausarrests fortzusetzen, nicht mit Grundrechtsbeschwerde bekämpft werden (RIS-Justiz RS0126401).

[13] Dass das Beschwerdegericht angesichts der im Ersturteil verhängten – in diesem Zusammenhang maßgeblichen (vgl RIS-Justiz RS0108401; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 13, 16) – Freiheitsstrafe von sechs Jahren sowie eines Widerrufs von neun Monaten Freiheitsstrafe und der Bedeutung der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden strafbaren Handlungen die Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft verneint hat (BS 18), erweist sich ohne weiteres als vertretbar (RIS-Justiz RS0120790).

[14] Dem dazu erstatteten Vorbringen zuwider hat das Beschwerdegericht der Frage einer allfällig zu erwartenden bedingten Entlassung zu Recht keine Bedeutung beigemessen (vgl RIS-Justiz RS0123343; Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 14).

[15] Abschließend behauptet der Beschwerdeführer eine „sonstige unrichtige Gesetzesanwendung gemäß § 2 Abs 1 letzter Fall GRBG“. Denn ihm sei „das Protokoll vom zusammen mit dem Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom [Fortsetzungsbeschluss] zugestellt“ worden. Weshalb ihm dieser Umstand „nur eine Beschwerdeausführung gestattete“ und ihm die Möglichkeit genommen habe, „selbige hernach zu ergänzen“, bleibt unerfindlich (vgl RIS-Justiz RS0118014; Fabrizy/Kirchbacher, StPO14 § 88 Rz 1; Ratz, WK-StPO Vor §§ 280–296a Rz 6). Bleibt noch anzumerken, dass mit diesem Vorbringen dSn das rasche Agieren des Vorsitzenden kritisiert wird; diese Kritik ist mit Blick auf das in Haftsachen in besonderer Weise geltende Beschleunigungsgebot (vgl § 9 Abs 2 und § 177 Abs 1 StPO) nicht nachvollziehbar.

[16] * L* wurde somit in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0150OS00036.22S.0427.000

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