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OGH vom 13.12.2010, 11Os119/10z

OGH vom 13.12.2010, 11Os119/10z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Dr. Bachner Foregger, Dr. Nordmeyer und Mag. Michel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Koller als Schriftführer, in der Strafsache gegen DDr. Martin B***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 41 Hv 68/09z des Landesgerichts Wiener Neustadt, über den Antrag des Angeklagten Jan K***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO in Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 19 Bs 287/09h (ON 1601), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

In dem bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zur Zahl 6 St 519/06h gegen DDr. Martin B***** und andere wegen des Verdachts der kriminellen Organisation nach § 278a StGB und der schweren Sachbeschädigung nach §§ 125, 126 Abs 1 Z 7 StGB geführten Ermittlungsverfahren war Jan K***** dringend verdächtig, sich in Wien und anderen Orten Österreichs an einer seit zumindest 1997 bestehenden, auf längere Zeit angelegten, international operierenden, auf schwere Nötigung und schwere Sachbeschädigung ausgerichteten Personengruppe (jedenfalls mehr als zehn Personen), die dem militanten Tierrechtsspektrum zuzuordnen ist und unter Pseudonymen wie „Al*****“, „T*****“ und „AR*****“ auftritt, beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB) und im Rahmen der kriminellen Ausrichtung der genannten Organisation zur Ausführung schwerer Sachbeschädigungen beigetragen zu haben (§ 12 dritter Fall StGB).

Jan K***** wurde am aufgrund der gerichtlich bewilligten und auf die Haftgründe des § 170 Abs 1 Z 3 und Z 4 StPO gestützten Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom verhaftet und nach erfolgter Durchsuchung seiner Wohnung gegen 13:00 Uhr in das Polizeianhaltezentrum in Wien 9 überstellt. Bei seiner ersten Vernehmung (von 13:20 Uhr bis 13:25 Uhr) verweigerte er jede Aussage (ON 350 S 137 f).

In der Zeit zwischen 17:00 und 19:00 Uhr kam es zwischen dem Beschuldigten und seiner Verteidigerin zu einer Besprechung, die in Anwesenheit mehrerer Polizeibeamter und des Staatsanwalts stattfand. Eine unüberwachte Besprechung wurde Jan K***** unter Hinweis auf § 59 Abs 1 StPO und das Vorliegen von Verdunkelungs- und Verabredungsgefahr nicht gestattet.

Am teilte die Rechtsvertreterin des Beschuldigten über telefonische Anfrage eines Polizeibeamten mit, dass sie zu der für diesen Tag vorgesehenen Vernehmung ihres Mandanten nicht kommen könne. Davon in Kenntnis gesetzt erklärte Jan K*****, ohne seinen Rechtsbeistand nicht aussagen zu wollen (ON 350 S 219).

Mit Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom (ON 381) wurde aus den Gründen der Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 2 und Z 3 lit b StPO die Untersuchungshaft über den Beschuldigten verhängt. Bei seiner vorangegangenen Vernehmung durch den Journalrichter hatte dieser zu den ihm bekanntgegebenen Verdachtsgründen neuerlich keine inhaltliche Erklärung abgegeben (ON 380 S 5).

Mit Schriftsatz vom erhob der Beschuldigte Einspruch wegen Rechtsverletzung (ON 552), weil ihm am eine unüberwachte Besprechung mit seiner Verteidigerin nicht gestattet worden sei und die Staatsanwaltschaft die entsprechende Anordnung nicht schriftlich ausgefertigt und begründet habe. Eine unüberwachte Besprechung hätte nicht zu einer Beeinträchtigung der Ermittlungen führen können, weil ohnehin sämtliche mit Haftbefehl gesuchten Personen bereits festgenommen und die Hausdurchsuchungen durchgeführt waren. Die Voraussetzungen für eine Überwachung des Kontakts mit der Verteidigerin wären daher nicht vorgelegen.

Mit Beschluss vom , GZ 31 HR 3/08w-1164, stellte der Einzelrichter des Landesgerichts Wiener Neustadt fest, dass der Beschuldigte Jan K***** in seinen Rechten nach § 59 StPO iVm § 102 Abs 1 und 2 StPO verletzt worden war, weil die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt die von ihr angeordnete Überwachung des Kontakts mit dem Verteidiger nicht schriftlich ausgefertigt hat; im Übrigen wies er den Einspruch als unbegründet ab. In der Begründung führte das Landesgericht Wiener Neustadt aus, dass im Zeitpunkt der Besprechung mit der Verteidigerin weder sämtliche Beschuldigte vernommen waren, noch die Ergebnisse der Hausdurchsuchung vorlagen. Im Zusammenhang mit der bekannten Vernetzung der Mitglieder der inkriminierten Personengruppe (kriminellen Organisation) sei daher die Annahme gerechtfertigt gewesen, dass allenfalls die Ermittlungen gefährdende Mitteilungen an andere Mitglieder der Organisation weitergeleitet, bislang noch nicht sichergestellte Beweismittel durch Komplizen beseitigt oder auch Aussagen abgestimmt werden könnten. Die Voraussetzungen des § 59 Abs 1 StPO seien daher vorgelegen.

Der dagegen vom Beschuldigten erhobenen Beschwerde gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom , AZ 19 Bs 287/09h (ON 1601), nicht Folge. Dazu führte es aus, dass jedem Beschuldigten grundsätzlich das Recht auf unbeschränkten Kontakt zu seinem Verteidiger zukomme. Beschränkungen wären aber zulässig, wenn es hiefür gute Gründe gebe (§ 59 Abs 1 zweiter Satz StPO). Ein gewichtiger Grund für die Einschränkung des Verteidigerkontakts liege etwa dann vor, wenn der Beschuldigte wie hier verdächtig ist, Mitglied einer kriminellen Organisation zu sein, deren andere Beteiligte noch nicht festgenommen worden sind. Im Hinblick darauf, dass im vorliegenden Fall noch nicht alle Mittäter ausgeforscht waren, die Vernehmung der bereits in Haft befindlichen Beschuldigten sowie von Zeugen erst begonnen hatte und die bei den Hausdurchsuchungen sichergestellten Beweismittel noch gesichtet werden mussten, sowie unter Berücksichtigung der aus der Überwachung der telefonischen Kontakte und des Internetverkehrs ersichtlichen Bemühungen von Verschlüsselungen und Abschottungsmaßnahmen sei die Beschränkung des Verteidigerkontakts ohne Verletzung des Rechts auf fair trial zulässig gewesen.

Das Verfahren gegen Jan K***** befindet sich mittlerweile im Stadium der Hauptverhandlung.

Mit dem gegenständlichen Antrag begehrt der Angeklagte, gestützt auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht nach Art 6 Abs 3 lit c MRK und unter Wiederholung seines bisherigen Beschwerdevorbringens, die Erneuerung des Beschwerdeverfahrens vor dem Oberlandesgericht Wien.

Rechtliche Beurteilung

Der Antrag ist unzulässig.

In gefestigter Rechtsprechung bejaht der Oberste Gerichtshof die Möglichkeit der Erneuerung eines Strafverfahrens gemäß § 363a StPO, wenn er selbst aufgrund eines darauf gerichteten Antrags eine Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts feststellt (RIS Justiz RS0122228). Schon die weite Umschreibung des möglichen Prüfungsgegenstands (vgl dazu Reindl , WK StPO § 363a Rz 4; vgl auch § 23 Abs 1 StPO und § 1 Abs 1 GRBG) bringt zum Ausdruck, dass diese Erneuerungskompetenz nicht unbedingt auf in rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ergangene (End )Entscheidungen beschränkt ist.

Subsidiarität im ohne vorangegangene Entscheidung des EGMR durchgeführten Erneuerungsverfahren bedeutet demnach Erschöpfung des Instanzenzugs in Ansehung der nach grundrechtlichen Maßstäben zu prüfenden (Einzel )Entscheidung (vgl RIS Justiz RS0114487 zum Grundrechtsbeschwerdeverfahren).

Können aber wie hier im Ermittlungsverfahren zu Unrecht verweigerte Beschuldigtenrechte im Hauptverfahren iSd Art 13 MRK wirksam durchgesetzt werden ( Ratz , ÖJZ 2010, 983 [984]), ist der Antrag unzulässig, zumal es sich nicht anders als bei einer Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bei einem nicht auf ein Urteil dieses Gerichtshofs gestützten Erneuerungsantrag um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt (11 Os 132/06f).

Der Antrag war daher bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 1 und Abs 2 Z 2 StPO zurückzuzweisen.