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OGH vom 14.07.2022, 9Ob56/22h

OGH vom 14.07.2022, 9Ob56/22h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie den Hofrat und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Hon.-Prof. Dr. Dehn in der Rechtssache der Antragstellerin S*, vertreten durch Dr. Christian Schauberger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner * P*, vertreten durch die B&S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterhalt (65.306,19 EUR sA), über den Rekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 11 Nc 7/22x-2, mit dem der Delegierungsantrag des Antragsgegners in der Rechtssache des Bezirksgerichts Döbling AZ 2 FAM 9/19g abgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsgegner hat die Kosten seines Rekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner (Vater) Unterhalt. Die Rechtssache wurde aufgrund des ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthalts der Antragstellerin in Wien 19. mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom an das Bezirksgericht Döbling überwiesen. Der Antragsgegner ist (auch) in Bad Vöslau wohnhaft.

[2] Nach zahlreichen Äußerungen beider Parteien, der Einholung eines Sachverständigengutachtens (ON 62) und Anberaumung einer Tagsatzung für den (ON 67) beantragte der Antragsgegner am die Delegierung der Rechtssache an das Bezirksgericht Tulln, weil die Antragstellerin ihren Wohnsitz im Sprengel des Bezirksgerichts Tulln und er selbst auch einen Wohnsitz in Niederösterreich habe und das Verfahren noch nicht weit fortgeschritten sei, sodass eine Delegation zweckmäßig sei (ON 68).

[3] Das Bezirksgericht Döbling gab der Antragstellerin Gelegenheit zur Äußerung (ON 71).

[4] Die Antragstellerin sprach sich gegen die Delegierung aus (ON 72). Das Verfahren sei bereits weit fortgeschritten. Über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren sei Tatsachensubstrat (einschließlich eines berufskundlichen Sachverständigengutachtens) zusammengetragen worden; einzig die – ursprünglich für anberaumte, infolge des Delegationsantrags des Antragsgegners aber wieder abberaumte – mündliche Verhandlung sei noch ausstehend. Eine Delegation würde zu einer Verfahrensverzögerung führen. Im Übrigen gingen sowohl der Antragsgegner als auch sie selbst einer beruflichen Tätigkeit in Wien nach, habe der Antragsgegner seinen Wohnsitz in Wien und wäre das Bezirksgericht Tulln aufgrund der örtlichen Nahebeziehung zum Wohnsitz der Antragstellerin lediglich eine Verbesserung in ihrer Sphäre, womit auch nur sie berechtigt wäre, einen Delegationsantrag zu stellen.

[5] Auch das Bezirksgericht Döbling erachtete – erkennbar – eine Delegierung nicht als zweckmäßig (ON 75). Die Antragstellerin sei erst seit in Sankt Andrä vor dem Hagenthale wohnhaft.

[6] Das Oberlandesgericht Wien – insoweit als Erstgericht (§ 31 Abs 1 JN) – verneinte die Zweckmäßigkeit der Delegierung und wies den Delegierungsantrag ab. Eine Delegierung solle stets nur den Ausnahmefall darstellen. Gegen den Willen der anderen Partei sei eine Delegierung nur auszusprechen, wenn die Frage der Zweckmäßigkeit eindeutig zu Gunsten aller Parteien des Verfahrens gelöst werden kann. Dies sei im vorliegenden Verfahren aber nicht der Fall. Der Antragsgegner argumentiere primär mit dem Wohnsitz der Antragstellerin, die jedoch selbst nicht von einem diesbezüglichen Vorteil für sich ausgehe. Weitere Zweckmäßigkeitserwägungen sprächen nicht für eine Delegierung, vielmehr würde eine solche zum jetzigen Zeitpunkt zu einem erheblichen zusätzlichen Einarbeitungsaufwand führen und bereits getätigter Arbeitsaufwand damit vernichtet werden.

[7] In seinem dagegen gerichteten Rekurs beantragt der Antragsgegner, den Beschluss als nichtig aufzuheben; in eventu, ihn im Sinn einer Antragsstattgabe abzuändern; hilfsweise werde ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Antragsgegner stellt zudem eine Reihe von den Kostenpunkt betreffenden Eventualbegehren.

[8] Die Antragstellerin hat keine Rekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der Rekurs ist nicht berechtigt.

[10] 1. Der Antragsgegner erachtet den Beschluss zunächst infolge eines qualifizierten Begründungsmangels als nichtig. Ihm sei kein explizit festgestellter Sachverhalt zu entnehmen, geschweige denn eine Beweiswürdigung; es sei damit nicht sicher nachvollziehbar und überprüfbar, wie das Oberlandesgericht Wien zu seiner rechtlichen Beurteilung gelangt sei.

[11] Der Rekursgrund des § 57 Z 1 AußStrG entspricht im Wesentlichen § 477 Abs 1 Z 9 ZPO (RS0121710), weshalb die in Lehre und Rechtsprechung entwickelten Kriterien zum Vorliegen dieses Nichtigkeitstatbestands heranzuziehen sind (5 Ob 155/08t). Ein solcher qualifizierter Begründungsmangel ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (RS0007484). Dies ist dann der Fall, wenn konkrete Gründe für die Entscheidung fehlen und nur allgemeine Wendungen gebraucht werden, also eine Scheinbegründung vorliegt (RS0007484 [T7]). Eine bloß mangelhafte Begründung erfüllt den Tatbestand nicht (vgl RS0042133).

[12] Im vorliegenden Fall weist der bekämpfte Beschluss eine über zweiseitige Begründung auf, in der fallkonkret und nachvollziehbar jene Gründe angeführt werden, die für die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien tragend waren. Dabei hat es die Rechtsprechung zu den Grundsätzen einer Delegierung iSd § 31 Abs 1 JN dargelegt, in der Folge das entsprechende Vorbringen des Antragsgegners am bisherigen Verfahrensverlauf gemessen und daraus gefolgert, dass bei einer Delegierung ein erheblicher zusätzlicher Einarbeitungsaufwand erforderlich wäre und getätigter Arbeitsaufwand damit vernichtet würde, weshalb keine Zweckmäßigkeit der Delegierung vorliege. Von einer mangelnden Begründung oder einer Scheinbegründung kann nicht die Rede sein. Eine Nichtigkeit liegt hier nicht vor.

[13] 2. Soweit der Antragsgegner den vermeintlichen Nichtigkeitsgrund auch als Verfahrensmangel geltend macht, ist zunächst auf Pkt 1. zu verweisen.

[14] Ein Verfahrensmangel liegt auch nicht in der Nichtdurchführung seiner Vernehmung als Partei. Nach § 31 Abs 3 Satz 2 JN ist über einen Delegierungsantrag ohne vorgängige mündliche Verhandlung – und damit regelmäßig auch ohne Beweisverfahren – zu entscheiden. Vor der Entscheidung sind lediglich Äußerungen des an sich zuständigen Gerichts sowie der Parteien einzuholen (1 Ob 128/03k; Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 31 JN Rz 6). Derartige Äußerungen lagen dem zur Entscheidung berufenen Oberlandesgericht Wien vor. Im Übrigen hat es den jeweiligen Wohnsitz der Parteien im Sprengel des Bezirksgerichts Tulln bzw Baden nicht angezweifelt und den Fortschritt des Verfahrensstands anhand des Akts beurteilt, wofür es keiner Parteienvernehmung bedurfte.

[15] Der Antragsgegner stößt sich auch daran, dass das Oberlandesgericht Wien die Äußerung der Antragstellerin berücksichtigt habe, obwohl dieser Schriftsatz beim Bezirksgericht Döbling zu AZ 2 FAM 9/19g und „somit nicht im gegenständlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht Wien zu GZ 11 Nc 7/22x“ eingebracht worden sei, weshalb er nicht verwertet werden hätte dürfen. Die Vorgangsweise des Bezirksgerichts Döbling, das der Antragstellerin den Delegierungsantrag des Antragsgegners zur Stellungnahme zugestellt hat (ON 71) und in der Folge den Akt mit deren Äußerung (ON 72) und mit seiner eigenen Stellungnahme (ON 75) vorlegte, ist jedoch nicht zu beanstanden. Vor der Entscheidung ist neben der Äußerung des Gerichts auch die Äußerung der Gegenpartei einzuholen, was vom Bezirksgericht Döbling als Prozessgericht vorgenommen wurde (vgl Mayr in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 31 JN Rz 6 mwN). Ein Verfahrensmangel liegt nicht vor.

[16] 3. In seiner Rechtsrüge sieht der Antragsteller die Voraussetzungen des § 31 Abs 1 JN als erfüllt an.

[17] Gemäß § 31 JN kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit auf Antrag einer Partei anstelle des zuständigen Gerichts ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung bestimmt werden. Diese Möglichkeit besteht auch im außerstreitigen Verfahren (RS0046292). Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Zweckmäßigkeit einer Delegierung wurden bereits vom Oberlandesgericht Wien umfassend und zutreffend dargelegt. Hervorzuheben ist, dass eine Delegierung nur den Ausnahmefall darstellen und nicht durch eine großzügige Handhabung zu einer faktischen Durchbrechung der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung führen soll (RS0046441; RS0046589 [T1, T2]). Um eine Rechtssache gegen den Willen einer Partei dem zuständigen Gericht abzunehmen, müssen besonders schwerwiegende Gründe vorliegen (RS0046455 [T1]). Deren Vorliegen wurde hier vom Oberlandesgericht Wien zutreffend verneint, worauf verwiesen wird (§ 60 Abs 2 AußStrG).

[18] Das Argument des Antragsgegners, dass das schriftlich erstattete Vorbringen und die vorliegenden Aktenstücke im Falle einer Delegierung „nicht verloren“ seien, geht an der Erwägung des Oberlandesgerichts Wien vorbei, dass bei einer Delegierung ein erheblicher zusätzlicher Einarbeitungsaufwand erforderlich wäre und bereits getätigter Arbeitsaufwand vernichtet würde. Darin liegt nach dem Verfahrensstand keine Fehlbeurteilung.

[19] Dass beide Parteien nun (verschiedene) Wohnsitze in Niederösterreich haben, ist für die Beurteilung der Zweckmäßigkeit unbeachtlich. Sekundäre Feststellungsmängel zum – schon aus dem Beschlusskopf ersichtlichen – Hauptwohnsitz der Antragstellerin liegen nicht vor. Welche konkreten Feststellungen der Antragsgegner zu seinen „zahlreichen offenen Beweisanträgen“ vermisst, legt er im Einzelnen nicht dar. Auch seine Rechtsrüge ist danach nicht berechtigt.

[20] 4. Der Antragsgegner erachtet auch die Kostenentscheidung als nichtig, mangelhaft und rechtsunrichtig. Es seien keine Feststellungen zum – seines Erachtens zu Unrecht – honorierten Schriftsatz (Äußerung der Antragstellerin zum Delegierungsantrag) getroffen worden. Dieser sei auch nicht vom Oberlandesgericht Wien beauftragt und nicht zu AZ 11 Nc 7/22x erstattet worden. Dem Beschluss sei auch nicht zu entnehmen, dass die Äußerung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig oder dienlich gewesen wäre. Ein Kostenzuspruch scheide aus.

[21] Auch darin ist dem Antragsgegner nicht zu folgen. Eine Kostenentscheidung ist so weit zu begründen, als es zum Verständnis des Ausspruchs erforderlich ist. Die Kostenentscheidung muss für die Parteien wie auch für das Rekursgericht verständlich und – auch rechnerisch – nachvollziehbar sein (vgl Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.79 [Stand , rdb.at]). Diesen Anforderungen wird im vorliegenden Fall Genüge getan. Das Oberlandesgericht hat bündig erläutert, wen und aus welchen Gründen die Kostenersatzpflicht trifft und unter Berufung auf die Rechtsprechung (RS0036025 [T1]) die Kosten für die Äußerung der Antragstellerin nach TP 2 (statt TP 3A RATG) zuerkannt. Letzteres wird vom Antragsgegner nicht bekämpft. Im Übrigen hat der erfolglose Delegierungswerber dem Prozessgegner dessen notwendige Kosten seiner ablehnenden Äußerung zum Delegierungsantrag unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits zu ersetzen (RS0036025). Sein Rekurs ist damit auch im Hinblick auf die den Kostenpunkt betreffenden sieben (acht) Eventualbegehren nicht berechtigt.

[22] 5. Dem Rekurs ist daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.

[23] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 AußStrG.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0090OB00056.22H.0714.000

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