OGH vom 30.11.1999, 10ObS146/99i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Walter Kraft (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Georg Genser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Rechtssache der klagenden Partei Maria S*****, vertreten durch Dr. Meinrad Küenburg, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Alterspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 29/99t-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 20 Cgs 68/98t-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge beim Verfassungsgerichtshof den Antrag stellen, "die Bestimmungen des vierten Teils des ASVG, insbesondere § 236 Abs 4 Z 1 lit b ASVG" als verfassungswidrig aufzuheben, wird zurückgewiesen.
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor. Diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO); es sei jedoch darauf hingewiesen, dass angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz (hier insbesondere Verletzung der richterlichen Belehrungs- und Anleitungspflicht), die in der Berufung behauptet, vom Berufungsgericht aber verneint wurden, nach ständiger Rechtsprechung auch in Sozialrechtssachen in der Revision nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden können (vgl Judikaturübersicht bei Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 503; SSV-NF 1/32 = SZ 60/197 ua; aM Fasching, Lehrbuch**2 Rz 1909).
Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts im Zusammenhang mit der Nichterfüllung der Wartezeit für die Alterspension durch die am geborene Klägerin (Stichtag ) ist zutreffend, sodass hierauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin entgegenzuhalten:
Rechtliche Beurteilung
Nach § 236 Abs 4 Z 1 lit b ASVG - die anderen Fälle der Wartezeit nach § 236 Abs 1 Z 2 lit a, Abs 2 Z 2 ASVG und § 236 Abs 4 Z 1 lit a ASVG kommen nach den bindenden Feststellungen von vornherein nicht in Frage - ist die Wartezeit für die Alterspension dann erfüllt, wenn bis zum Stichtag Beitragsmonate und/oder nach dem zurückgelegte sonstige Versicherungsmonate in einem Mindestausmaß von 300 Monaten erworben worden sind. Diese Voraussetzung wird von der Klägerin, die nach den Feststellungen 9 Beitragsmonate und 319 Ersatzmonate für Kindererziehungszeiten erworben hat, die jedoch vollständig vor dem liegen, nicht erfüllt. Aus Überlegungen der Revisionswerberin zur "Doppelberücksichtigung" gemäß § 239 Abs 4 ASVG, welche Bestimmung die Bemessungsgrundlage für Zeiten der Kindererziehung regelt, ist in diesem Zusammenhang nichts zu gewinnen.
Ein Recht, vom Obersten Gerichtshof die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof wegen Verfassungswidrigkeit zu begehren, steht der Revisionswerberin nach ständiger Rechtsprechung nicht zu (SSV-NF 4/86, 4/153, 6/51 uva). Der diesbezügliche Antrag in der Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen.
Im Übrigen vermag aber der erkennende Senat die verfassungsrechtlichen Bedenken der Revisionswerberin, dass § 236 Abs 4 Z 1 lit b ASVG durch die Berücksichtigung lediglich von Ersatzmonaten, die nach dem liegen, den Gleichheitsgrundsatz verletze, nicht zu teilen:
Das Leistungsrecht der Pensionsversicherung kennt neben den Versicherungsfällen Leistungsvoraussetzungen, deren Erfüllung bei Inanspruchnahme sämtlicher Leistungen grundsätzlich erforderlich ist (sekundäre Leistungsvoraussetzungen). Sie sollen den Standort des Leistungswerbers innerhalb der Versichertengemeinschaft, von der er die Leistung begehrt, abstecken. Einerseits wollen sie etwa durch die Wartezeit (§ 236 ASVG) sicherstellen, dass nur solche Leistungswerber in den Genuss von Leistungen kommen, die der Versichertengemeinschaft seit einer bestimmten Zeit angehören und durch Beitragsleistung zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben. Andererseits wollen sie etwa durch Rahmenzeiträume für die Erfüllung der Wartezeit gewährleisten, dass nur solche Leistungswerber anspruchsberechtigt werden, die im Zeitpunkt der Antragstellung in einem - zeitlichen - Naheverhältnis zu dieser Versichertengemeinschaft stehen (SSV-NF 10/88 mwN).
Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung SSV-NF 6/11 bereits ausgesprochen, dass die Regelungen, nach denen Pensionsansprüche von der Erfüllung einer Wartezeit abhängen, verfassungsrechtlich nicht bedenklich sind (vgl auch RIS-Justiz RS0056550). Dies wird auch von der Revisionswerberin nicht weiter in Frage gestellt, wohl aber der hier anwendbare Rahmenzeitraum und die zeitliche Zäsur gemäß § 236 Abs 4 Z 1 lit b ASVG.
Durch den Rahmenzeitraum werden die Bestimmungen über die Wartezeit verschärft. Er führt zum Ergebnis, dass nicht alle erworbenen Versicherungszeiten auf die Erfüllung der Wartezeit angerechnet werden, sondern nur jene, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes liegen. Außerhalb des Rahmenzeitraumes liegende Zeiten bleiben außer Betracht. Die Regelungen über den Rahmenzeitraum wollen verhindern, dass Personen in den Genuss von Leistungen kommen, die längst versicherungsfremd geworden sind (Schrammel in Tomandl, SV-System 143 f; SSV-NF 9/4).
Die Regelung des § 236 Abs 4 Z 1 lit b ASVG, stellt zwar nicht hinsichtlich der Beitragsmonate, wohl aber hinsichtlich der Berücksichtigung sonstiger Versicherungsmonate darauf ab, dass sie nach dem zurückgelegt wurden. Die vom Gesetzgeber für die Erfüllung der ewigen Anwartschaft festgelegten Mindestvoraussetzungen überschreiten dabei nicht den ihm eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsraum. Da die Finanzierung des gesamten Systems überwiegend durch Beiträge der Versicherten erfolgt, ist es gerechtfertigt, Zeiten, in denen Beiträge geleistet wurden, für die Frage der Erfüllung der Wartezeit günstiger zu behandeln, als Zeiten, in denen ein Sachverhalt verwirklicht wurde, der die Voraussetzung für die Anrechnung einer Zeit nur als Ersatzzeit erfüllt; durch die Leistung von Beiträgen wird demgegenüber ein wesentlich engeres Naheverhältnis zur Versichertengemeinschaft hergestellt, weshalb die unterschiedliche Regelung sachlich durchaus gerechtfertigt ist (SSV-NF 9/4).
Die grundsätzliche Regelung über die Anrechnung von Kindererziehungszeiten wurde durch das Sozialrechtsänderungsgesetz 1993, BGBl 1993/335, geschaffen. Die Regierungsvorlage führt dazu aus (932 BlgNR 18. GP, 34), der dem österreichischen Sozialversicherungsrecht immanente Grundsatz der Sicherung des Lebensstandards unter Berücksichtigung einer im Alter etwas geringeren Bedürfnisstruktur solle auch in Zukunft nicht aufgegeben, sondern in Richtung von mehr Verteilungsgerechtigkeit weiterentwickelt werden; dazu gehöre vor allem die Schließung von im derzeitigen Leistungsrecht noch bestehenden Versicherungslücken (zB Anrechnung von Kindererziehungszeiten). Diese Überlegungen gehen von dem typischen Fall aus, dass die Frau nach der Geburt eines oder mehrerer Kinder ihre Berufstätigkeit aufgegeben hatte, um sich der Erziehung der Kinder zu widmen und erst nach einigen Jahren, wenn die Kinder der intensiven Obsorge nicht mehr im vollen Ausmaß bedurften, wieder in das Berufsleben zurückkehrte. Diese Frauen sollten durch das Fehlen von Versicherungszeiten während der erziehungsbedingten Pause der Berusausübung hinsichtlich ihrer Leistungsansprüche aus der Pensionsversicherung nicht weiter benachteiligt werden. Durch die Berücksichtigung der durch das SRÄG 1993 normierten Anrechnung von Ersatzzeiten sollte der Nachteil, den solche Frauen durch die Versicherungslücken bis dahin erlitten, beseitigt werden. Ziel der Regelung war es aber nicht, auch für Frauen, die in untypischer Weise nach der Geburt von Kindern in jungen Jahren für dauernd aus dem Berufsleben ausscheiden, die Anrechnung auch lang zurückliegender Versicherungszeiten zu erreichen (SSV-NF 9/4).
Für die Forderung der Revisionswerberin, vorwiegend durch mehr als 45 Jahre lang zurückliegende Kindererziehungszeiten die Voraussetzungen für einen Pensionsanspruch zu begründen, bietet die Verfassung keine Grundlage. Die Klägerin übte nach dem Jahr 1955 keine versicherungspflichtige Beschäftigung mehr aus; in den letzten 42 Jahren vor dem Stichtag liegen überhaupt keine Versicherungszeiten. Dass es der Verfassungsgerichtshof für zulässig erachtet, dass bei der Beurteilung einer Norm unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes stets von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen sei, sodass vereinzelt mögliche Härtefälle unberücksichtigt zu bleiben haben (VfSlg 3.568, 7.891, 9.908, 10.276; ZAS 1988/29 ua), wurde bereits vom Berufungsgericht ausgeführt.
Die hier anzuwendende Norm des § 236 Abs 4 Z 1 lit b ASVG ist insgesamt gesehen sachlich begründet und nach Auffassung des erkennenden Senates verfassungsrechtlich unbedenklich. Eine "unsachliche Härte" liegt entgegen der Ansicht der Revisionswerberin nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.