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OGH vom 19.11.2013, 10ObS146/13p

OGH vom 19.11.2013, 10ObS146/13p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Pflegegeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Rs 61/13h 18, womit das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom , GZ 39 Cgs 87/12p 15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bezog vom befristet bis Pflegegeld der Stufe 2.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom auf Weitergewährung des Pflegegeldes über den hinaus ab.

Das Erstgericht gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage insofern statt, als die beklagte Partei schuldig erkannt wurde, das Pflegegeld der Stufe 1 über den hinaus zu gewähren; das Mehrbegehren auf Zuerkennung von Pflegegeld einer höheren Stufe wurde hingegen abgewiesen. Das Erstgericht legte seiner Entscheidung zugrunde, dass bei der Klägerin nicht mehr ein durchschnittlicher monatlicher Pflegebedarf von über 75 Stunden, sondern ein solcher von nur mehr 59 Stunden gegeben sei. Es bestehe somit ein gegenüber der Gewährung von Pflegegeld der Stufe 2 verringerter Pflegebedarf. Dennoch führe dieser nach § 4 Abs 2 BPGG idF vor dem Budgetbegleitgesetz 2011 zu einem Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 1. Nach der Übergangsbestimmung des § 48b Abs 2 BPGG sei eine Minderung oder Entziehung eines rechtskräftig zuerkannten Pflegegeldes wegen der gesetzlichen Änderungen der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 4 Abs 2 idF des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I Nr 111/2010, nur dann zulässig, wenn auch eine wesentliche Veränderung im Ausmaß des Pflegebedarfs eingetreten ist. Dies gelte auch in den Fällen einer Befristung gemäß § 9 Abs 2 BPGG. Aus den Gesetzesmaterialien zu dieser Bestimmung gehe klar hervor, dass bei der Weitergewährung von schon vor dem Inkrafttreten des Budgetbegleitgesetzes 2011 gewährten Pflegegeldes weiterhin jene Bedarfsgrenzen (im vorliegenden Fall somit von 50 Stunden) anzuwenden seien, die der befristeten Gewährung zugrunde lagen. Dies entspreche dem Grundsatz, dass alleine aufgrund der Gesetzesänderung ein Entzug oder eine Herabsetzung des Pflegegeldes nicht erfolgen solle. Eine zur Herabsetzung bzw zum Entzug berechtigende „wesentliche Veränderung im Ausmaß des Pflegebedarfs“ sei demnach nur dann anzunehmen, wenn diese Veränderung auch nach der Rechtslage vor dem zum Entzug oder der Herabsetzung berechtigt hätte; eine derartige Änderung liege hier nicht vor. Eine neuerliche Befristung sei nicht auszusprechen gewesen, da eine Besserung des Gesundheitszustands und des Pflegebedarfs nicht zu erwarten sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an und führte ergänzend aus, nach dem Willen des Gesetzgebers solle wegen des schutzwürdigen Personenkreises auf vorhandene Einstufungen der pflegebedürftigen Menschen Bedacht genommen und eine Kürzung der vor Inkrafttreten der Novelle zuerkannten Pflegegelder vermieden werden. Eine Herabstufung oder Entziehung allein wegen des Inkrafttretens der geänderten gesetzlichen Voraussetzungen solle nicht in Betracht kommen. In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage seien jene Fälle ausdrücklich erwähnt, in denen im Rahmen einer Nachuntersuchung wie bei der Klägerin ein zeitlicher Pflegebedarf festgestellt wurde, der sich aufgrund der geänderten Anspruchsvoraussetzungen bei der Einstufung auswirken würde. Weiters heben die Erläuterungen hervor, dass das Pflegegeld der Stufe 1 und 2 bei Zutreffen der Voraussetzungen in der bisherigen Höhe gewährt werden soll, wenn der Antrag bereits vor dem eingebracht wurde, die Zuerkennung des Pflegegelds jedoch erst nach diesem Zeitpunkt erfolge. Schließlich solle diese Schutzbestimmung auch in jenen Fällen zum Tragen kommen, in denen das Pflegegeld gemäß § 9 Abs 2 BPGG befristet zuerkannt wurde und keine Änderung im Ausmaß des Pflegebedarfs eingetreten sei. Aus diesen Erwägungen und nicht zuletzt auch angesichts des Gebots der verfassungskonformen Interpretation seien auf „Altfälle“ weiterhin die alten Bedarfsgrenzen anzuwenden. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Auslegung der Übergangsbestimmung des § 48b Abs 2 BPGG keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin vertritt zusammengefasst die Meinung, aus § 48b BPGG ergebe sich, dass in Fällen einer wesentlichen Änderung im Ausmaß des Pflegebedarfs die ab für Neuanträge geltende Rechtslage heranzuziehen sei. Im vorliegenden Fall sei unstrittig von einer wesentlichen Änderung des Pflegebedarfs auszugehen, weil auch nach der alten Rechtslage kein Anspruch mehr auf Pflegegeld der Stufe 2 bestünde, sondern nur mehr ein solcher auf Pflegegeld der Stufe 1. § 48b Abs 2 BPGG sei nicht dahin auszulegen, dass sich der Rechtsanspruch auf Beibehalt des Pflegestufensystems als solches (50/75 Stunden nach dem „alten“ System) erstrecke. § 48b Abs 2 BPGG sei nicht so zu verstehen, dass damit der unveränderte weitere Bestand des Pflegestufensystems hinsichtlich der Pflegegeldstufen 1 und 2 („alt“) neben der aktuell anzuwendenden Rechtslage garantiert werden solle.

Dazu ist auszuführen:

1.1. Wenngleich Pflegegeld grundsätzlich unbefristet zu gewähren ist, erfolgte dessen Zuerkennung im vorliegenden Fall lediglich befristet (vom bis ). Nach § 9 Abs 2 BPGG ist eine Befristung ausnahmsweise dann zulässig, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Wegfall einer Voraussetzung für die Gewährung eines Pflegegelds mit Sicherheit oder sehr hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann. Ein befristet zuerkanntes Pflegegeld fällt nach Ablauf der Frist weg, ohne dass es eines behördlichen Akts bedarf. Eine Weitergewährung erfolgt nur über Antrag. Liegen die Voraussetzungen für die Weitergewährung eines Pflegegelds auch nach Ablauf der Frist vor, so ist das Pflegegeld gemäß § 9 Abs 2 BPGG mit Beginn des auf den Ablauf der Frist folgenden Monats weiter zu gewähren, sofern der darauf gerichtete Antrag innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Befristung gestellt wird. Die Frage, ob nach Ablauf der Befristung weiterhin Pflegegeld gebührt, ist unabhängig von der früheren Einschätzung neu zu prüfen. Es hängt der Anspruch auf Weitergewährung des Pflegegelds somit nur davon ab, ob die Anspruchsvoraussetzungen nach Ablauf der Frist entweder noch, erstmals oder wieder vorliegen.

1.2. Tritt eine für die Höhe des Pflegegelds wesentliche Veränderung ein, so ist das Pflegegeld neu zu bemessen. Nach der bisherigen Rechtsprechung zu § 9 Abs 4 und 5 BPGG ist eine für die Höhe des Pflegegelds wesentliche Änderung dann zu bejahen, wenn eine Veränderung des Zustandsbilds des Pflegebedürftigen und in deren Folge eine Änderung im Umfang des Pflegebedarfs gegeben ist, die die Gewährung einer anderen Pflegegeldstufe erforderlich macht (RIS-Justiz RS0123144).

3. Durch das Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I 2010/111, wurde der die Pflegestufen regelnde § 4 Abs 2 BPGG insoweit geändert, als der Anspruch auf Pflegegeld der Stufen 1 und 2 nicht schon bei 50 Stunden (entsprechend der Stufe 1) bzw 75 Stunden (entsprechend der Stufe 2) monatlichem Pflegebedarf besteht, sondern erst bei einem solchen in der Höhe von 60 (Stufe 1) bzw 85 (Stufe 2; Art 100 Z 1 des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I 2010/111). Diese Änderungen traten mit in Kraft (§ 49 Abs 16 Z 1 BPGG).

1.4. Die entsprechende Übergangsbestimmung des § 48b BPGG idF des BudgetbegleitG 2011 lautet:

„(1) Allen am noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren auf Zuerkennung oder Erhöhung des Pflegegeldes sind die bis zum jeweils für die Beurteilung des Anspruches geltenden Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zugrunde zu legen.

(2) Eine Minderung oder Entziehung eines rechtskräftig zuerkannten Pflegegeldes wegen der gesetzlichen Änderungen der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 4 Abs 2 in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl I Nr 111/2010, ist nur dann zulässig, wenn auch eine wesentliche Veränderung im Ausmaß des Pflegebedarfes eingetreten ist. Dies gilt auch in den Fällen einer Befristung gemäß § 9 Abs 2.

...

(4) Die Bestimmungen der Abs 1 bis 3 gelten auch für gerichtliche Verfahren.“

1.5. Die Gesetzesmaterialien (RV 981 BlgNR 24. GP, 173 f) führen auszugsweise Folgendes aus:

„Durch die demografische Entwicklung und die steigende Lebenserwartung nimmt die Zahl der Menschen mit Pflegebedarf kontinuierlich zu ...

Die Notwendigkeit, geeignete Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung zu setzen, bedingt auch im Bereich der Pflegevorsorge entsprechende Änderungen, wobei jedoch soziale Härten vermieden werden sollen.

Als budgetbegleitende Maßnahme ist vorgesehen, die Zugangskriterien in den Pflegegeldstufen 1 und 2 dahingehend zu ändern, dass jenen Personen, die ab einen Antrag auf Gewährung oder Erhöhung des Pflegegeldes stellen, bei Vorliegen der erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen künftig ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 bei einem durchschnittlichen monatlichen Pflegebedarf von mehr als 60 Stunden und ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 2 bei einem durchschnittlichen monatlichen Pflegebedarf von mehr als 85 Stunden gewährt werden soll. ...

Auch wegen des besonders schutzwürdigen Personenkreises soll dennoch auf vorhandene Einstufungen der pflegebedürftigen Menschen Bedacht genommen und eine Kürzung der vor Inkrafttreten dieser Novelle zuerkannten Pflegegelder vermieden werden. Dies soll beispielsweise auch für Fälle gelten, in denen im Rahmen einer Nachuntersuchung ein zeitlicher Pflegebedarf festgestellt wurde, der sich aufgrund der geänderten Anspruchsvoraussetzungen bei der Einstufung auswirken würde.

Das Pflegegeld der Stufen 1 und 2 soll bei Zutreffen der Voraussetzungen in der bisherigen Höhe gewährt werden, wenn der Antrag bereits vor dem eingebracht wurde, die Zuerkennung des Pflegegeldes jedoch erst nach diesem Zeitpunkt erfolgte ...

Eine Minderung oder Entziehung des Pflegegeldes soll nur dann zulässig sein, wenn eine wesentliche Veränderung im Ausmaß des Pflegebedarfes eingetreten ist. Dieser Schutz soll auch für Fälle des Zuständigkeitswechsels gemäß § 9 Abs 1 des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG) gelten. Davon sollen auch jene Fälle umfasst sein, in denen es aufgrund eines Zuständigkeitswechsels vom Land zum Bund durch die geplante gesetzliche Änderung zu einem Entfall oder einer Minderung des Pflegegeldes kommen würde.

Ebenso soll diese Schutzbestimmung auch in jenen Fällen zum Tragen kommen, in denen das Pflegegeld gemäß § 9 Abs 2 BPGG befristet zuerkannt wurde und keine Änderung im Ausmaß des Pflegebedarfes eingetreten ist. Wurde beispielsweise aufgrund eines monatlichen Pflegebedarfes von 55 Stunden ein Pflegegeld in Höhe der Stufe 1 befristet zuerkannt und liegt der Pflegebedarf in dieser Höhe auch nach Ende der Befristung vor, soll auch weiterhin ein Pflegegeld der Stufe 1 geleistet werden.

Diese Sonderregelungen sollen auch für gerichtliche Verfahren gelten."

2.1. Im vorliegenden Fall einer Weitergewährung nach dem ist entscheidungswesentlich, ob bei Änderung des Pflegebedarfs die sich aus der bis dahin geltenden Rechtslage ergebenden Anspruchsvoraussetzungen für die Pflegegeldstufe 1 und 2 (50 bzw 75 Stunden) maßgeblich bleiben, oder die geänderten Anspruchsvoraussetzungen für die Pflegegeldstufe 1 und 2 nach § 4 Abs 2 BPGG idF des BudgetbegleitG I 2010/111 (60/ bzw 85 Stunden) anzuwenden sind.

2.2. Im Schrifttum wurde zu § 48b BPGG die Ansicht vertreten, dass eine zur Herabsetzung bzw zum Entzug berechtigende „wesentliche Veränderung im Ausmaß des Pflegebedarfs“ iSd § 48b BPGG nur dann angenommen werden könne, wenn diese Veränderung auch nach der Rechtslage vor dem zu Entzug oder Herabsetzung berechtigt hätte ( Greifeneder/Liebhart , Pflegegeld 3 Rz 277, Greifender , Neuerungen beim Pflegegeld- Budgetbegleitgesetz 2011, ÖZPR 2011/11, 12, ders , Frage aus der Praxis: Sind die ab geltenden strengeren Anspruchsvoraussetzungen für die Pflegegeldstufen 1 und 2 in Herabsetzung- bzw Entzugsverfahren maßgeblich? ÖZPR 2011/93, 116). Nach Ansicht von Greifender/Liebhart gebührt in dem mit dem vorliegenden Fall vergleichbaren Fall der bescheidmäßigen Zuerkennung eines Pflegegelds der Stufe 2 seit und Herabsinken des Pflegebedarfs auf monatlich 54 Stunden ab das Pflegegeld der Stufe 1, weil sich die Anspruchsvoraussetzungen weiterhin nach der bis zum bestehenden Rechtslage (Bedarfsgrenze für die Stufe 1 mehr als 50 Stunden) richten ( Greifeneder/Liebhart , Pflegegeld 3 Rz 277). Dies gelte auch in den Fällen der Weitergewährung eines gemäß § 9 Abs 2 BPGG rechtskräftig befristet gewährten Pflegegelds. Den Übergangsbestimmungen sei insgesamt der Grundsatz zu entnehmen, dass es alleine aufgrund dieser Gesetzesänderung nicht zu einem Entzug oder einer Herabstufung kommen solle ( dies ., aaO).

2.3. Die Entscheidung 10 ObS 108/13z vom erging zu der Frage, ob Personen, denen von den Ländern zum ein Pflegegeld zur Vermeidung einer sozialen Härte geleistet wurde, ab Bundespflegegeld zu gewähren sei, obwohl im BPGG eine Nachsichtmöglichkeit wegen sozialer Härte nicht aufrecht erhalten wurde. Es wurde ausgesprochen, der Übergangsbestimmung des § 48c BPGG zum Pflegegeldreformgesetz 2012, BGBl I 2011/58 sei der Grundsatz zu entnehmen, dass allein aufgrund des durch das Pflegegeldreformgesetz 2012, BGBl I 2011/58 erfolgten Zuständigkeitswechsels vom Land zum Bund ein Entzug oder eine Herabsetzung des Pflegegelds nicht erfolgen soll. Daher sei nach § 48c Abs 10 BPGG Personen, denen von den Ländern zum ein Pflegegeld zur Vermeidung einer sozialen Härte geleistet wurde, von Amts wegen mit Wirkung vom anstelle des bisher gewährten Pflegegelds ein Pflegegeld nach den Bestimmungen des BPGG zu leisten. Das Verschlechterungsverbot gelte somit gemäß § 48 Abs 2 iVm § 48b Abs 2 und 4 BPGG auch für die Weitergewährung eines rechtskräftig befristet gewährten Pflegegelds in sogenannten „Härtefällen“. Die in § 48c Abs 1 BPGG angeordnete sinngemäße Anwendung des § 48b Abs 1 bis 4 BPGG bedeute, dass eine Minderung oder Entziehung eines rechtskräftig zuerkannten Pflegegelds wegen der gesetzlichen Änderungen der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 4 Abs 2 BPGG in der Fassung des BudgetbegleitG 2010, BGBl I 2010/111, nur dann zulässig sei, wenn auch eine wesentliche Veränderung im Ausmaß des Pflegegeldes gemäß § 9 Abs 2 BPGG eingetreten sei. In diesem Sinn könne eine zur Herabsetzung bzw zum Entzug des Pflegegelds berechtigende „wesentliche Veränderung im Ausmaß des Pflegebedarfs“ nur dann angenommen werden, wenn diese Veränderung auch nach der Rechtslage vor dem zum Entzug oder der Herabsetzung des Pflegegelds berechtigt hätte. Dies gelte auch für die Fälle der Weitergewährung eines gemäß § 9 Abs 2 BPGG rechtskräftig befristet gewährten Pflegegelds.

3. Für den vorliegenden Fall ergibt sich:

Es ist nicht nur die Änderung der Anspruchsvoraussetzungen in § 4 Abs 2 BPGG idF des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111 zu berücksichtigen, sondern zusätzlich, dass seit dem Ende der Befristung der Pflegebedarf der Klägerin von 75 Stunden auf 59 Stunden herabgesunken ist. D ie rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, aus § 48b Abs 2 und 4 BPGG sei abzuleiten, auch bei derartigen Konstellationen sollten bei Weitergewährung nach dem weiterhin die bis dahin geltenden Anspruchsvoraussetzungen (von 50 bzw 75 Stunden) aufrecht bleiben, ist zutreffend. Sie steht im Einklang mit der zwischenzeitig ergangenen Entscheidung 10 ObS 108/13z und knüpft an die dort dargestellten Wertungen an (siehe oben Pkt 2.2.). Den Ausführungen der Revisionswerberin, es bestehe kein Anspruch auf „Beibehalt des Pflegestufensystem als solches (50/75 Stunden nach dem alten System)“ ist die aus den Gesetzesmaterialien ableitbare Intention des Gesetzgebers entgegen zu halten, nach der wegen des besonders schutzwürdigen Personenkreises auch bei im Rahmen von Nachuntersuchungen zu Tage tretenden geändertem Pflegebedarf auf vorhandene Einstufungen Bedacht genommen werden und eine Kürzung des vor Inkrafttreten der Novelle zuerkannten Pflegegelds vermieden werden soll (RV 981 BlgNR 24. GP, 173). Die Übergangsbestimmung des § 48b Abs 2 BPGG ist daher vom Grundsatz getragen, dass alleine wegen der gesetzlichen Änderungen der Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 4 Abs 2 BPGG idF des BudgetbegleitG I 2010/111 eine Minderung oder Entziehung eines rechtskräftig zuerkannten Pflegegelds nicht zulässig ist. In diesem Sinn kann eine wesentliche Änderung im Ausmaß des Pflegebedarfs, die zur Minderung oder Entziehung berechtigt, nur dann angenommen werden, wenn diese so ein Ausmaß erreicht, dass auch nach der Rechtslage bis zum eine Minderung oder Entziehung zulässig wäre.

Dies führt zwar zur Herabsetzung von Pflegestufe 2, deren Ausmaß auch nach der früheren Regelung nicht mehr erreicht wird, auf Pflegestufe 1, weil die Voraussetzungen dafür im Sinn der alten Bedarfssätze erfüllt sind. Für eine (gänzliche) Entziehung besteht aber keine Rechtsgrundlage.

Die Revision bleibt daher erfolglos.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:010OBS00146.13P.1119.000