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OGH vom 29.01.2013, 10ObS146/12m

OGH vom 29.01.2013, 10ObS146/12m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald Fuchs (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei J*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 49/12y-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 8 Cgs 212/11f-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden vorbehaltlich der in Rechtskraft erwachsenen Teilabweisung des Klagebegehrens auf Weitergewährung der Invaliditätspension vom bis aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom wurde der Antrag des Klägers auf Weitergewährung der von bis befristet gewährten Invaliditätspension mit der Begründung abgelehnt, dass Invalidität über den Befristungszeitraum hinaus nicht vorgelegen sei.

Mit der rechtzeitig gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger die Weitergewährung der Invaliditätspension über den hinaus.

In der Tagsatzung vom beantragte er, „den Stichtag vom auf den zu verlegen“. Zu diesem Zeitpunkt habe er das 50. Lebensjahr bereits vollendet und erfülle auch die sonstigen Voraussetzungen des mit dem BudgetbegleitG 2011 neu eingeführten speziellen Verweisungsschutz für stark leistungseingeschränkte Arbeitnehmer (§ 255 Abs 3a und 3b ASVG „Härtefallregelung“).

Die beklagte Partei wendete ein, dass bei Verfahren zur Weitergewährung einer befristeten Invaliditätspension der für die befristete Leistung maßgebliche (ursprüngliche) Stichtag heranzuziehen und festzustellen sei, ob zu diesem Stichtag Invalidität noch, erstmals oder wieder gegeben sei. Die Schaffung der Regelung des § 255 Abs 3a und 3b ASVG durch das BudgetbegleitG 2011 führe zu keiner Stichtagsverschiebung, weil die neue Rechtslage im Hinblick auf die Besonderheiten des Weitergewährungsverfahrens keine Berücksichtigung zu finden habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es traf zusammengefasst folgende Feststellungen:

„Der am geborene Kläger hat keine qualifizierte Berufsausbildung erworben. Er war als angelernter Tischler und Hilfsarbeiter in verschiedenen Branchen tätig. Seinem zuletzt ausgeübten Beruf als Bauhilfsarbeiter kann er wegen seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht mehr nachgehen. Trotz seiner eingeschränkten Leistungsfähigkeit kommt für ihn auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aber noch die Tätigkeit eines Kontrollarbeiters in der Elektronikbranche in Betracht. Es handelt sich um Tätigkeiten mit leichter körperlicher Beanspruchung zu 90 % im Sitzen, unterbrochen von Gehen und Stehen. Nach spätestens einstündigem Sitzen ist ein fünfminütiges Stehen und/oder Gehen möglich/notwendig. Nach zweistündigem Sitzen ist ein zehnminütiges Stehen oder Gehen möglich/notwendig. Die Arbeiten erfolgen unter durchschnittlichem Zeitdruck.“

Das Erstgericht beurteilte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt dahin, dass der Kläger nicht als invalid iSd § 255 Abs 3 ASVG anzusehen sei. Eine „Stichtagsverschiebung“ auf den sei im Falle der Weitergewährung einer befristeten Invaliditätspension nicht möglich. Allein maßgeblich sei der ursprüngliche Stichtag , zu dem § 255 Abs 2 bis 4 ASVG idF des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111 (die sogenannte „Härtefallregelung“), noch nicht in Geltung gestanden sei. Der Kläger könne sich daher nicht erfolgreich auf den damit eingeführten speziellen Verweisungsschutz für stark leistungseingeschränkte ungelernte Arbeiter berufen.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Berufung des Klägers mit dem Antrag, die beklagte Partei sei schuldig, die Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab zu bezahlen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Rechtlich ging es davon aus, dass im Fall der Weitergewährung einer befristeten Invaliditätspension der für die befristete Leistung maßgebliche (ursprüngliche) Stichtag heranzuziehen und festzustellen sei, ob zu diesem Stichtag die in § 255 ASVG genannten Voraussetzungen vorlägen, etwa auch, ob Berufsschutz gegeben sei. Bei einem Verfahren über die Weitergewährung einer befristet zuerkannten Invaliditätspension handle es sich somit um einen einheitlichen Versicherungsfall, dessen Voraussetzungen durch den für die befristete Leistung maßgeblichen Stichtag bestimmt werden. Zwar lasse die Rechtsprechung eine „Stichtagsverschiebung“ auf einen vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gelegenen Zeitpunkt zu, sofern etwa durch eine Rechtsänderung zum Vorteil des Versicherten dann die Anspruchsvoraussetzungen auf eine Versicherungsleistung gegeben seien. In diesem Fall sei nach Zeiträumen zwischen der bisher geltenden und der neuen Rechtslage (ab dem neuen Stichtag) zu differenzieren. Zu einer Rechtsänderung sei es im vorliegenden Fall durch das BudgetbegleitG 2011, BGBl 2010/111, gekommen, mit welcher die sogenannte „Härtefallregelung“ nach § 255 Abs 3a iVm Abs 3b ASVG geschaffen wurde. Diese Regelung sei mit in Kraft getreten, sodass die Anwendung der neuen Härtefallregelung erst für Stichtage ab in Betracht komme. Das Gericht habe grundsätzlich auf eine Änderung der Rechtslage in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, sofern eine neue Bestimmung ihrem Inhalt nach auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sei. Im vorliegenden Fall führe die Gesetzesänderung aber dennoch nicht zu einer Stichtagsverschiebung, weil die neue Rechtslage im Hinblick auf die Besonderheiten des Weitergewährungsverfahrens keine Berücksichtigung zu finden habe. Es sei daher dem Kläger verwehrt, sich auf den speziellen Verweisungsschutz für stark leistungseingeschränkte ungelernte Arbeiter zu berufen. Vielmehr müsse er sich als ungelernter Arbeiter gemäß § 255 Abs 3 ASVG auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen, auf dem ihm noch die Tätigkeit eines Kontrollarbeiters offen stehe. Wollte er einen neuen nach dem liegenden Stichtag auslösen und damit einen neuen Versicherungsfall herbeiführen, auf den § 255 Abs 3a und Abs 3b ASVG bereits anwendbar ist, könnte er nur einen Antrag auf Neugewährung stellen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil keine einheitliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit von „Stichtagsverschiebungen“ im Weitergewährungsverfahren bestehe.

Die Revision des Klägers ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, nach der Rechtsprechung sei eine „Stichtagsverschiebung“ auf einen vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz gelegenen Zeitpunkt grundsätzlich zulässig, sofern durch eine Rechtsänderung zum Vorteil des Versicherten dann die Anspruchsvoraussetzungen auf eine Versicherungsleistung gegeben sind. Die mit eingeführte „Härtefallregelung“, die einen speziellen Verweisungsschutz für stark leistungseingeschränkte ArbeiternehmerInnen eingeführt habe, gereiche dem Kläger eindeutig zum Vorteil, sodass eine „Stichtagsverschiebung“ sehr wohl zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Dazu ist auszuführen:

1.1. Nach § 223 Abs 2 ASVG ist Stichtag für die Feststellung, ob der Versicherungsfall eingetreten ist und auch die anderen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, sowie in welchem Zweig der Pensionsversicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, bei Anträgen auf eine Leistung aus den Versicherungsfällen des Alters oder der geminderten Arbeitsfähigkeit der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste. Mit dieser durch die 55. ASVG-Novelle (BGBl I 1998/138) neu formulierten Begriffsbestimmung des Stichtags sollte nach dem Willen des Gesetzgebers klargestellt werden, dass die zum Stichtag geltende Rechtslage der Prüfung aller Pensionsanspruchsvoraussetzungen einschließlich des Eintritts des Versicherungsfalls zugrunde zu legen ist (10 ObS 175/01k, SSV-NF 15/87; RIS-Justiz RS0115809; RS0084524).

1.2. Tritt aber während des Verfahrens eine Änderung des Gesundheitszustands, eine Gesetzesänderung oder eine sonstige Änderung der Anspruchsvoraussetzungen (etwa auch das Erreichen eines bestimmten Lebensalters) ein, ist die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen, wenn dies zur Anwendung geänderter Voraussetzungen für den Anspruch auf die begehrte Leistung führt. Es wird durch diese Änderungen, sofern sie für den erhobenen Anspruch von Bedeutung sind, ein neuer Stichtag ausgelöst und die Anspruchsvoraussetzungen sind zu diesem neuen Stichtag zu prüfen (RIS-Justiz RS0084533 [T1]; RS0085973). Voraussetzung ist allerdings, dass die Anspruchsvoraussetzungen zu einem vor Schluss der Verhandlung erster Instanz liegenden Stichtag erfüllt sind (RIS-Justiz RS0084533 [T5]). Entsteht etwa der Anspruch auf eine Pension erst während des aufgrund eines Leistungsantrags eingeleiteten Verfahrens, kommt es demnach zu einem neuen Stichtag (RIS-Justiz RS0084533).

1.3. Zu 10 ObS 302/01m, SSV NF 15/119, wurde ausgeführt, dass unter den zu Pkt 1.2 genannten Voraussetzungen auch Gesetzesänderungen wie die des § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000 zu berücksichtigen sind. Es sei durch die Vollendung des 57. Lebensjahres des Versicherten ein neuer Stichtag ausgelöst worden, sodass die Anspruchsvoraussetzungen zu diesem neuen Stichtag zu prüfen seien.

2.1. Im vorliegenden Fall ist es während des Bezugs der befristet gewährten Invaliditätspension durch die Einführung der sogenannten „Härtefallregelung“ durch das BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, zu einer Gesetzesänderung gekommen, die zur Anwendung geänderter Voraussetzungen für den Anspruch auf die vom Kläger begehrte Leistung führt:

Nach § 255 Abs 3a ASVG idF des BudgetbegleitG 2011 gilt eine versicherte Person auch dann als invalid, wenn sie

1. das 50. Lebensjahr vollendet hat,

2. mindestens zwölf Monate unmittelbar vor dem Stichtag (§ 223 Abs 2) als arbeitslos iSd § 12 AlVG gemeldet war,

3. mindestens 360 Versicherungsmonate, davon mindestens 240 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aufgrund einer Erwerbstätigkeit, erworben hat und

4. nur mehr Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet sind, ausüben kann und zu erwarten ist, dass ein Arbeitsplatz in einer der physischen und psychischen Beeinträchtigung entsprechenden Entfernung von ihrem Wohnort innerhalb eines Jahres nicht erlangt werden kann.

2.2. Unter den Tätigkeiten nach § 255 Abs 3a Z 4 ASVG sind nach der Legaldefinition des § 255 Abs 3b ASVG leichte körperliche Tätigkeiten, die bei durchschnittlichem Zeitdruck und vorwiegend in sitzender Haltung ausgeübt werden und/oder mehrmals täglich einen Haltungswechsel ermöglichen, zu verstehen.

2.3. Die Bestimmung des § 255 Abs 3a iVm Abs 3b ASVG trat gemäß der Schlussbestimmung des § 658 Abs 1 ASVG mit in Kraft.

Nach den Gesetzesmaterialien (RV 981 BlgNR 24. GP 205) soll mit dieser neuen Härtefallregelung für stark leistungseingeschränkte ungelernte ArbeitnehmerInnen und für bestimmte selbständig Erwerbstätige (nämlich Bäuerinnen und Bauern), die das 50. Lebensjahr erreicht bzw überschritten aber das 57. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die die Voraussetzungen für den besonderen Berufsschutz etwa nach § 255 Abs 4 ASVG nicht erfüllen, ein spezieller Verweisungsschutz die derzeit judizierte weite Verweisung auf dem gesamten Arbeitsmarkt zu einer Verweisbarkeit in einem engen Segment einschränken und so diesen Menschen einen Zugang zu einer Invaliditäts oder Erwerbsunfähigkeitspension bzw zu einer entsprechenden Rehabilitation öffnen. Ziel der vorgeschlagenen Regelung ist es also, jene Berufsverweisungen, die bisher zu Härtefällen geführt haben, zu vermeiden. Unter Tätigkeiten mit geringstem Anforderungsprofil sind leichte Tätigkeiten vorwiegend in sitzender Haltung und bei durchschnittlichem Zeitdruck zu verstehen, wobei ein Haltungswechsel möglich sein muss.

2.4. Die Härtefallregelung des § 255 Abs 3a ASVG sieht also nunmehr vor, dass auch Versicherte, die noch in der Lage sind, am allgemeinen Arbeitsmarkt Verweisungstätigkeiten, von diesen jedoch nur mehr die besonders leichten (Tätigkeiten mit dem „geringsten Anforderungsprofil“) zu verrichten, künftig als invalid (erwerbsunfähig) gelten ( Ivansits/Weissensteiner , Die Härtefallregelung Zugangserleichterungen in die Invaliditätspension für Versicherte ab 50, DRdA 2011, 175 ff). Die Definition in Abs 3b beschreibt nicht das medizinische (Rest )Leistungskalkül von Versicherten, sondern jene Tätigkeiten unter allen in Betracht kommenden Verweisungstätigkeiten, die das leichteste Anforderungsprofil erfüllen. Anders ausgedrückt: Um den Anspruchsvoraussetzungen der Härtefallregelung zu genügen, darf der Pensionswerber nur mehr in der Lage sein, die in § 255 Abs 3b ASVG umschriebenen Tätigkeiten und sonst keine weiteren Verweisungstätigkeiten auszuüben (10 ObS 171/11m).

2.5. Wäre also der im Laufe des erstinstanzlichen Weitergewährungsverfahrens am 50 Jahre alt gewordene Kläger bei Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen nur mehr in der Lage eine in § 255 Abs 3 ASVG umschriebene Tätigkeit und keine andere Tätigkeit auszuüben, könnte sein Anspruch auf Invaliditätspension nach der neuen „Härtefallregelung“ zu bejahen sein. Hingegen wäre er bei der Nichtanwendung der „Härtefallregelung“ auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, auf dem nach den bisher getroffenen Feststellungen eine seinem Leistungskalkül noch entsprechende Verweisungstätigkeit vorhanden ist.

3. Ob eine Gesetzesänderung für ein laufendes Verfahren zu beachten ist, ist nach den Übergangsbestimmungen zu beurteilen (RIS-Justiz RS0031419). Mangels Übergangsbestimmungen ist die Härtefallregelung auf Stichtage ab dem zur Anwendung zu bringen.

4.1. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Klagebegehren auf die Weitergewährung einer von bis befristeten Invaliditätspension (§ 256 Abs 1 ASVG) gerichtet ist und zum (ursprünglichen) Stichtag die Regelung des § 255 Abs 3a iVm Abs 3b ASVG noch nicht in Geltung stand. Eine Anwendbarkeit dieser neuen Regelung wäre im vorliegenden Fall nur dann zu bejahen, wenn nicht auf den Stichtag , sondern auch auf einen nach dem liegenden Stichtag abzustellen wäre.

4.2. Dazu ist grundsätzlich auszuführen:

4.2.1. Wurde die Invaliditätspension nur befristet gewährt (§ 256 Abs 1 erster Satz ASVG), so ist die Pension weiter (befristet) zuzuerkennen, wenn nach Ablauf der Befristung Invalidität weiter besteht, sofern die Weitergewährung der Pension spätestens innerhalb von drei Monaten nach deren Wegfall beantragt wurde (§ 256 Abs 1 zweiter Satz ASVG). Da die Zuerkennungsentscheidung bezüglich der Frage der Invalidität keine über den befristeten Zuerkennungszeitraum hinausreichende Bindungswirkung entfaltet, hängt der Anspruch auf Weitergewährung der befristeten Pension davon ab, ob der Versicherte nach Ablauf der Frist, für die sie zuerkannt wurde (noch, erstmals oder wieder) invalid iSd § 255 ASVG ist. Dabei ist ein Vergleich mit den Verhältnissen zur Zeit der Zuerkennung der befristeten Invaliditätspension nicht anzustellen (10 ObS 43/94, SSV-NF 8/46; 10 ObS 261/99a, SSV NF 13/144 ua). Im Hinblick auf die ansonsten bestehende Bindungswirkung der Zuerkennungsentscheidung hat hingegen eine Überprüfung der allgemeinen Voraussetzungen (etwa der Wartezeit) und der Höhe der bescheid- oder urteilsmäßig festgesetzten Pension nicht mehr zu erfolgen (10 ObS 43/94, SSV-NF 8/46). Auch die Frage des Berufsschutzes ist bei einem Antrag auf Weitergewährung der Invaliditätspension nach jenem Stichtag zu beurteilen, der der Gewährung der Pension zu Grunde lag (vgl RIS-Justiz RS0083653).

4.2.2. Im Falle der Weitergewährung der Invaliditätspension handelt es sich um einen letztlich einheitlichen Versicherungsfall, dessen Voraussetzungen durch den für die befristete Leistung maßgeblichen (ursprünglichen) Stichtag bestimmt werden, zu dem festzustellen ist, ob Invalidität noch, erstmals oder wieder gegeben ist (RIS-Justiz RS0105152; RS0085389 [T2]). Im Fall lückenlosen Weiterbestehens der Invalidität löst der fristgerechte Weitergewährungsantrag demnach keinen neuen Versicherungsfall der Invalidiät aus und ebenso auch keinen neuen Stichtag im Sinn des § 223 Abs 2 ASVG (RIS Justiz RS0085389 [T4]).

4.3. Im Zurückweisungsbeschluss 10 ObS 77/12i wurde mit der Begründung, dass im Hinblick auf diese Grundsätze der Rechtsprechung der ursprüngliche (dort im Jahr 2006 gelegene) Stichtag maßgeblich sei, zu dem die Bestimmung des § 255 Abs 3a iVm Abs 3b idF des BudgetbegleitG 2011, BGBl I 2010/111, noch nicht in Geltung stand, die Ansicht der Vorinstanzen gebilligt, die Möglichkeit einer „Stichtagsverschiebung“ auf einen nach dem liegenden Stichtag sei zu verneinen (vgl auch schon den Zurückweisungsbeschluss 10 ObS 156/11f, dem bereits diese Rechtsansicht zu Grunde lag). Hingegen wurde mit der Entscheidung 10 ObS 171/11m ein Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts bestätigt, in dem in einem Weitergewährungsverfahren mit einem (ursprünglichen) Stichtag vor Inkrafttreten der Härtefallregelung eine Differenzierung zwischen Zeiträumen vor Inkrafttreten der Härtefallregelung und dem Zeitraum danach vorgenommen wurde. In dieser Entscheidung war die Frage der Zulässigkeit einer „Stichtagsverschiebung“ aber nicht Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens.

4.4. Bei der nochmaligen Prüfung der Frage, ob die während des erstinstanzlichen Verfahrens über die Weitergewährung der dem Kläger bis befristet zuerkannten Invaliditätspension durch das Inkrafttreten der „Härtefallregelung“ nach § 255 Abs 3a und Abs 3b ASVG eingetretene Rechtsänderung im gegenständlichen Verfahren zu berücksichtigen ist, ist auf die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats Bedacht zu nehmen, wonach dann, wenn eine Änderung des Gesundheitszustands, eine Gesetzesänderung oder eine sonstige Änderung der Anspruchsvoraussetzungen (etwa auch die Erreichung eines bestimmten Lebensalters, wenn dies zur Anwendung geänderter Voraussetzungen für den Anspruch auf die begehrte Leistung führt) während des Verfahrens eintritt, die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist. Es wird durch diese Änderungen, sofern sie für den erhobenen Anspruch von Bedeutung sind, ein neuer Stichtag ausgelöst und die Anspruchsvoraussetzungen sind zu diesem neuen Stichtag zu prüfen (10 ObS 13/04s, SSV NF 18/34 mwN ua). In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof schon zu 10 ObS 319/88, SSV NF 3/1, ganz allgemein ausgesprochen, dass es nicht nur auf die Verhältnisse am Stichtag ankommt, sondern dem Klagebegehren auch dann stattzugeben ist, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch erst nach dem Stichtag eintreten und dass diesbezüglich § 86 ASGG sinngemäß anzuwenden ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die Anspruchsvoraussetzungen zu einem vor Schluss der Verhandlung erster Instanz liegenden Stichtag erfüllt sind (10 ObS 322/89, SSV-NF 3/134 ua). In der Entscheidung 10 ObS 302/01m, SSV-NF 15/119, wurde ausgeführt, dass Gesetzesänderungen wie die des § 255 Abs 4 ASVG idF SVÄG 2000 zu berücksichtigen sind, weil insoweit kein Austausch des Versicherungsfalls (Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit nach § 222 Abs 1 Z 2 ASVG) oder der Art der begehrten Leistung (Invaliditätspension) im gerichtlichen Verfahren vorliegt. Es wurde daher durch die Vollendung des 57. Lebensjahres des damaligen Klägers ein neuer Stichtag ausgelöst und es waren die Anspruchsvoraussetzungen zu diesem neuen Stichtag zu prüfen (vgl auch 10 ObS 199/02s, SSV-NF 16/82).

4.4.1. Schon zu 10 ObS 82/06s, SSV NF 20/34, hat der Oberste Gerichtshof diese Grundsätze auf den Fall eines Verfahrens über die Weitergewährug einer befristet zuerkannten Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (Berufsunfähigkeitspension) angewendet. Der damalige Kläger konnte sich allerdings im Ergebnis nicht mit Erfolg auf diese Rechtsprechung berufen, weil zum damaligen neuen Stichtag kein Antrag des Klägers auf Pensionsgewährung und damit auch kein Leistungsverfahren vor dem Versicherungsträger vorlag, in dem auf den Eintritt der Invalidität iSd § 255 Abs 4 ASVG (iVm § 273 Abs 2 ASVG) hätte Bedacht genommen werden können. Dies ist jedoch im vorliegenden Fall anders, da zu dem vom Kläger geltend gemachten neuen Stichtag das gegenständliche Verfahren vor dem Erstgericht anhängig war.

4.4.2. Es ist somit im Sinn der dargelegten Rechtsprechung auch im gegenständlichen Weitergewährungsverfahren die durch das Inkrafttreten der „Härtefallregelung“ nach § 255 Abs 3a und Abs 3b ASVG bewirkte Rechtsänderung zu berücksichtigen. Die vom erkennenden Senat in den Entscheidungen 10 ObS 77/12i und 10 ObS 156/11f vertretene gegenteilige Rechtsansicht wird nicht aufrechterhalten. Durch die Vollendung des 50. Lebensjahres des Klägers wurde ein neuer Stichtag () ausgelöst, zu dem zu prüfen sein wird, ob er nur mehr die im § 255 Abs 3b ASVG umschriebenen Verweisungstätigkeiten ausüben kann, oder ob er darüber hinaus in der Lage ist, weiteren Verweisungstätigkeiten nachzugehen. Sollte der Kläger nur mehr in der Lage sein, die in § 255 Abs 3b ASVG umschriebenen Tätigkeiten zu verrichten, werden sofern keine diesbezüglichen Außerstreitstellungen erfolgen auch Feststellungen zur Beurteilung der Frage zu treffen sein, ob zu erwarten ist, dass er einen Arbeitsplatz in einer seiner physischen und psychischen Beeinträchtigung entsprechenden Entfernung von seinem Wohnort innerhalb eines Jahres nicht erlangen kann und die sonstigen in § 255 Abs 3a ASVG genannten Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere nach § 255 Abs 3a Z 2 ASVG.

Die Revision des Klägers erweist sich somit im Sinne des Aufhebungsantrags als berechtigt.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:010OBS00146.12M.0129.000