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VfGH vom 29.02.2000, B1710/99

VfGH vom 29.02.2000, B1710/99

Sammlungsnummer

15730

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht, im Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung durch Nichtanrechnung von als Rechtsanwaltsanwärter ohne Legitimationsurkunde verbrachter Zeiten auf Zeiten der Alternativ- oder Ersatzpraxis; verfassungskonforme Gesetzesauslegung im Wege der Analogie geboten

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung verletzt worden.

Der Bescheid wird daher aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin die mit S 18.000,-- bestimmten Kosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom wurde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Vorstellungsbescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Plenum), betreffend die Anrechnung ihrer Tätigkeit bei Rechtsanwältin Dr. H B im Zeitraum zwischen und auf die Dauer der praktischen Verwendung gemäß § 2 Abs 1 RAO, keine Folge gegeben.

1.2. Dem Bescheid der belangten Behörde liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Schreiben vom teilte Rechtsanwältin Dr. H B der Rechtsanwaltskammer Wien mit, daß sie die nunmehrige Beschwerdeführerin als Konzipientin neu eingestellt habe und beantragte darin auch die Ausstellung der sog. kleinen Legitimationsurkunde sowie die Eintragung ihrer Konzipientin in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter. Gleichzeitig ersuchte sie zur Überbrückung des Zeitraumes bis zum Erhalt der Legitimationsurkunde, um Übergabe einer "Präsentationsrubrik". Der Antrag der Rechtsanwältin auf Ausstellung einer Legitimationsurkunde und Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter wurde von der Abteilung II des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien mit Bescheid vom abgewiesen, weil nach Auffassung der Rechtsanwaltskammer Wien die vom Gesetz geforderte Ausbildungsqualität nur bei höchstens drei Rechtsanwaltsanwärtern pro Rechtsanwalt gewährleistet sei, und bei Rechtsanwältin Dr. H B zum damaligen Zeitpunkt bereits drei Rechtsanwaltsanwärter in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen waren. Rechtsanwältin Dr. H B war inzwischen mit Schreiben der Rechtsanwaltskammer Wien vom aufgefordert worden, die ihr für die Beschwerdeführerin ausgestellte "Präsentationsrubrik", deren Geltungsdauer für den Zeitraum zwischen bis begrenzt war, zurückzustellen, weil sie bereits das Kontingent an auszubildenden Rechtsanwaltsanwärtern ausgeschöpft habe.

Die Beschwerdeführerin war im Zeitraum zwischen und bei Rechtsanwältin Dr. H B beschäftigt, ohne in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen zu sein.

Am stellte die Beschwerdeführerin den Antrag, das Verwendungszeugnis über ihre Ausbildungszeit bei Rechtsanwältin Dr. H B zu vidimieren. (Laut OBDK hat die Vidimierung eines Praxiszeugnisses des Ausbildungsanwaltes durch die Rechtsanwaltskammer über einen bestimmten darin angeführten Verwendungszeitraum, die in Verbindung mit der üblichen Erklärung des Rechtsanwaltes, daß der Rechtsanwaltsanwärter in diesem Zeitraum in seiner Kanzlei die Praxis "in der im Gesetz vorgeschriebenen Weise vollstreckt hat und seiner Kanzlei während der ganzen Zeit seiner Tätigkeit voll und ausschließlich zur Verfügung stand", im Ergebnis die gleiche Rechtswirkung wie ein Feststellungsbescheid der Rechtsanwaltskammer, mit dem konkrete andere Ausbildungsstellen und Ausbildungsarten als zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung iS des § 2 Abs 1 RAO anerkannt werden.) Dieser Antrag wurde mit Bescheid der Abteilung II des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien abgewiesen. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung an das Plenum des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien wurde teilweise stattgegeben: Das von Rechtsanwältin Dr. H B für die Beschwerdeführerin ausgestellte Verwendungszeugnis wurde für die Zeit vom bis vidimiert. Gleichzeitig wurde ausgesprochen, daß dieser Zeitraum als Zeit der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt angerechnet werde. Im übrigen wurde die Vorstellung abgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung an die OBDK und beantragte die Vidimierung des Verwendungszeugnisses über die Ausbildungszeit auch für den Zeitraum vom bis . In dieser Berufung stellte sie auch den Eventualantrag, die praktische Verwendung bei Rechtsanwältin Dr. H B für diesen Zeitraum analog zu den in § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO angeführten Tätigkeiten der Alternativ- oder Ersatzpraxis anzuerkennen. Sie begründete ihre Berufung vor allem damit, daß sie für den in Rede stehenden Ausbildungszeitraum bei Dr. H B "mit Ausnahme von Verhandlungen sämtliche Tätigkeiten durchgeführt habe, die ein Rechtsanwaltsanwärter im Rahmen seiner Ausbildung üblicherweise übertragen erhält".

Wie bereits unter Punkt I.1.1. dargelegt, gab die OBDK der Berufung mit Bescheid vom keine Folge.

1.3. Die OBDK begründet ihren Bescheid ua. damit, daß nach der Spruchpraxis der OBDK Zeiträume einer Verwendung bei einem Rechtsanwalt grundsätzlich nicht als praktische Verwendung iS des § 2 Abs 1 RAO anerkannt werden können, wenn der Berufsanwärter für diesen Zeitraum nicht in die Liste einer Rechtsanwaltskammer eingetragen ist. Im vorliegenden Fall habe sich die Beschwerdeführerin jedoch bis zur Aufforderung der Rechtsanwaltskammer vom an Rechtsanwältin Dr. H B, die Präsentationsrubrik zurückzustellen, auf ihren guten Glauben berufen können, daß sie bereits in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen sei. Eine Anrechnung durch den Kammerausschuß habe daher nur bis zu diesem Zeitpunkt und nicht für den daran anschließenden Zeitraum ihrer Tätigkeit bei der Rechtsanwältin erfolgen können. Den Eventualantrag, die Ausbildung im Zeitraum zwischen und auf Zeiten der sog. Alternativ- oder Ersatzpraxis anzurechnen, wurde nicht stattgegeben, weil nach Auffassung der Behörde die Ausbildungszeiten bei einem Rechtsanwalt nur auf die zwingend bei einem Rechtsanwalt zu verbringende dreijährige Ausbildungszeit (§2 Abs 2 RAO) angerechnet werden könne.

2. Gegen diesen Bescheid der OBDK wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie die Verletzung des Verbotes der ungerechtfertigten Diskriminierung gemäß Art 14 EMRK bzw. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

Die Beschwerdeführerin sieht sich durch den angefochtenen Bescheid gegenüber anderen bei Rechtsanwälten beschäftigten Rechtsanwaltsanwärtern (gemeint ist: denen die Ausbildungszeit bei einem Rechtsanwalt auf die zwingend bei einem Rechtsanwalt zu verbringende dreijährige Ausbildungszeit angerechnet werde) ohne sachlich gerechtfertigten Grund diskriminiert: Sie habe mit Ausnahme jener Tätigkeiten, die die Berufung auf die Legitimationsurkunde voraussetzen, in der in Rede stehenden Ausbildungszeit all jene Aufgaben verrichtet, welche üblicherweise Rechtsanwaltsanwärter mit ihrem Ausbildungsstand zu erledigen haben. Auch setze der Wortlaut der Anrechnungsbestimmung des § 2 Abs 1 RAO nicht die Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter für die Anrechnung der Zeit der praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt voraus.

In der Verweigerung der Anrechnung liege zudem eine Ungleichbehandlung gegenüber jenen Berufsanwärtern, denen eine Alternativ- oder Ersatzpraxis bei einem Notar, einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule, bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater oder bei der Finanzprokuratur auf die Dauer der praktischen Verwendung gemäß § 2 RAO angerechnet werde.

Im übrigen hätte es an der Rechtsanwältin Dr. H B gelegen, bei sonstiger disziplinärer Verantwortlichkeit für die (erfolgreiche) Anmeldung der Beschwerdeführerin Sorge zu tragen. Das Risiko für ein etwaiges Fehlverhalten des Rechtsanwaltes dürfe nicht auf den Rechtsanwaltsanwärter überwälzt werden.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der angefochtene Bescheid stützt sich insbesondere auf § 2 Abs 1 RAO; diese Bestimmung (zuletzt geändert durch BG BGBl. I 1999/71), sowie die Abs 2 und 3 (idF des BG BGBl. 1992/176) lauten:

"§2

(1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Eine praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt in Form einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz 1979, BGBl. Nr. 221, oder dem Eltern-Karenzurlaubsgesetz, BGBl. Nr. 651/1989, ist anrechenbar, wenn sie zumindest die Hälfte der Normalarbeitszeit umfaßt; sie ist im Ausmaß der tatsächlich geleisteten Tätigkeit zu berücksichtigen.

(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs 1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.

(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:

1. Zeiten des Doktoratsstudiums bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn an einer inländischen Universität der akademische Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften nach dem Bundesgesetz vom , BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften erlangt wurde;

2. eine im Sinn des Abs 1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist."

1.2. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich aufgrund des Beschwerdevorbringens nicht dazu veranlaßt, ein Gesetzesprüfungsverfahren in Bezug auf die Bestimmung des § 2 Abs 1 RAO einzuleiten. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof schon bislang gegen § 2 Abs 1 RAO idF BGBl. 1985/556 (der durch die RAO-Novelle BGBl. I 1999/71 eingefügte letzte Satz dieser Bestimmung ist für die vorliegende Beschwerdesache nicht präjudiziell), der im Zusammenhalt mit den Absätzen 2 und 3 dieser Vorschrift anordnet, daß angehende Rechtsanwälte Rechtskenntnisse und sonst für den Beruf des Rechtsanwaltes erforderliche Kenntnisse und Fähigkeiten vornehmlich bei einem inländischen Rechtsanwalt und bei Gericht zu erwerben haben, wobei in eingeschränktem Maße eine Ausbildung in anderen Berufen - bei denen eine fachspezifische Aus- und Weiterbildung gesichert ist - für zulässig erklärt wird, keine verfassungsrechtlichen Bedenken hegte (vgl. VfSlg. 12337/1990, 12670/1991, 12700/1991, 13560/1993, 14205/1995, 14410/1996; zuletzt:

und , B442/98).

2.1. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschrift kann eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfSlg. 13560/1993) nur vorliegen, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei der Erlassung des Bescheides Willkür geübt hätte.

Durch die Nichtanrechnung von Praxiszeiten bei einem Rechtsanwalt wird auch in die Grundrechte der Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung eingegriffen (vgl. etwa VfSlg. 13560/1993, , B442/98). Eine (in der Beschwerde nicht relevierte) Verletzung dieser verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte läge bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften nur vor, wenn die Behörde das Gesetz denkunmöglich angewendet hätte (vgl. VfSlg. 10413/1985, 12700/1991).

Nach erfolgreichem Abschluß des nach § 1 Abs 2 RAO erforderlichen Studiums hat die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung insgesamt fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit zwingend bei einem Rechtsanwalt zu verbringen. (Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur wird der Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt uneingeschränkt gleichgesetzt). Die Anrechnung einer in § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO (rechtsberuflichen) Alternativ- oder Ersatzpraxis bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde (wobei der Begriff der Verwaltungsbehörde extensiv zu interpretieren ist - vgl. VfSlg. 13560/1993), einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater ist mit maximal fünfzehn Monaten begrenzt.

2.2. Es kann der Rechtsansicht der belangten Behörde, daß für den Zeitraum zwischen und eine Anrechnung auf die Zeit der praktischen Verwendung, die zwingend bei einem Rechtsanwalt vorgesehen ist (§2 Abs 1 erster Satz erster Halbsatz iVm. § 2 Abs 2 RAO), nicht in Frage kommt, aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden:

Rechtsanwaltsanwärter ohne Legitimationsurkunde können den Rechtsanwalt, bei dem sie beschäftigt sind, nicht nach außen vertreten, sodaß die für die dreijährige hauptberufliche Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt erforderliche umfassende Ausbildung (vgl. VfSlg. 14238/1995) nicht gewährleistet ist.

2.3. Die Beschwerde ist jedoch - soweit sie eine verfassungswidrige Interpretation des dem Bescheid ebenfalls zugrundeliegenden § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO durch die belangte Behörde behauptet - im Recht:

2.3.1. Bereits im Erk. vom , VfGH B434/98, B442/98, hat der Verfassungsgerichtshof in der Nichtanrechnung einer (rechtsberuflichen) Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt eine unsachliche Diskriminierung jener Rechtsanwaltsanwärter, die nur halbtags oder im Ausmaß von drei Tagen pro Woche bei einem Rechtsanwalt gearbeitet haben, gegenüber jenen Berufsanwärtern angenommen, denen nach der Spruchpraxis der OBDK eine Halbtagsbeschäftigung im Rahmen der Alternativ- oder Ersatzpraxis angerechnet wird. Die OBDK begründete damals ihren Bescheid damit, daß § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO eine aliquote Anrechnung einer (rechtsberuflichen) Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt nicht zulasse, weil diese Bestimmung nur bestimmte Tätigkeiten erfasse, die nicht bei Gericht oder bei einem Rechtsanwalt zu erbringen seien. Der Verfassungsgerichtshof stellte demgegenüber fest, es gehe

"weder aus diesem Wortlaut noch aus dem Sinn des § 2 RAO idF BGBl. 1985/556 noch aus den Gesetzesmaterialien zu den Novellen 1973 (BGBl. 1973/570) und 1985 (BGBl. 1985/556) des § 2 Abs 1 RAO die Absicht des Gesetzgebers hervor, die Anrechnung einer (rechtsberuflichen) Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt zur Gänze unberücksichtigt zu lassen. Aus dem offenkundigen Zweck des Gesetzes, die Ausbildung bei einem Rechtsanwalt in den Mittelpunkt der Ausbildung eines Rechtsanwaltsanwärters zu stellen, kann dagegen geschlossen werden, daß hier eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt, die im Hinblick auf das Gebot der verfassungskonformen Interpretation im Wege der analogen Anwendung des § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO iVm. § 2 Abs 2 RAO zu schließen ist."

2.3.2. In der vorliegenden Beschwerdesache sprechen die gleichen Gründe für das Gebot der verfassungskonformen Interpretation des § 2 Abs 1 RAO, die dafür bereits im Erk. des Verfassungsgerichtshofes vom , B434/98, B442/98, ausschlaggebend waren. Weder Gesetzesmaterialien noch Wortlaut des Gesetzes stehen einer verfassungskonformen Interpretation entgegen. Die Intention des Gesetzgebers, die rechtsberufliche Ausbildung bei einem Rechtsanwalt in den Mittelpunkt der Ausbildung eines Rechtsanwaltsanwärters zu stellen, läßt auch hier eine analoge Anwendung des § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO iVm. § 2 Abs 2 RAO notwendig erscheinen:

Auch hier ist die rechtsberufliche Ausbildung bei einem Rechtsanwalt mit einem Defizit belastet, sodaß der Nichtanrechnung der Tätigkeit auf die zwingend bei einem Rechtsanwalt vorgesehene dreijährige Ausbildungszeit aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden kann (vgl. Punkt II.2.2.).

Im vorliegenden Fall geht die OBDK davon aus, daß eine Anrechnung auf Zeiten der Alternativ- oder Ersatzpraxis nicht erfolgen könne, weil § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO nur Tätigkeiten umfasse, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt zu erbringen sind. Wie im Falle der Nichtanrechnung der (rechtsberuflichen) Teilzeitbeschäftigung bei einem Rechtsanwalt unterstellt die Nichtanrechnung der in Rede stehenden Ausbildungszeiten auf anrechenbare Zeiten der sog. Alternativ- oder Ersatzpraxis dem verfassungsrechtlich unbedenklichen § 2 Abs 1 RAO einen gleichheitswidrigen Inhalt: Sie diskriminiert ohne sachlich gerechtfertigten Grund jene Berufsanwärter, die ohne Eintragung bei der Rechtsanwaltskammer bei einem Rechtsanwalt beschäftigt sind, und mit Ausnahme jener Tätigkeiten, die eine Berufung auf die Legitimationsurkunde voraussetzen, grundsätzlich mit allen bei einem Rechtsanwalt anfallenden rechtsberuflichen Aufgaben betraut werden können, gegenüber jenen Rechtsanwaltsanwärtern, denen - weniger berufsspezifische - Tätigkeiten gemäß § 2 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz RAO im Rahmen der sog. Alternativ- oder Ersatzpraxis angerechnet werden können.

2.3.3. Die belangte Behörde unterließ die gebotene verfassungskonforme Interpretation und rechnete die Tätigkeit der Beschwerdeführerin für den Zeitraum zwischen und nicht auf die Zeiten der Alternativ- oder Ersatzpraxis an. Damit unterstellte sie dem Gesetz fälschlich einen gleichheitswidrigen Inhalt und verletzte die Beschwerdeführerin im Gleichheitsrecht. Daraus ergibt sich zugleich, daß die belangte Behörde das Gesetz denkunmöglich ausgelegt und die Beschwerdeführerin im Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und der Berufsausbildung verletzt hat.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von

S 3.000,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.