OGH vom 29.01.2013, 10Ob55/12d

OGH vom 29.01.2013, 10Ob55/12d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Kinder A***** M*****, geboren am , und T***** M*****, geboren am , beide vertreten durch das Land Steiermark als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Leoben, Referat für Sozialwesen, Bereich Jugendwohlfahrt, 8700 Leoben, Peter Tunner Straße 6), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom , GZ 2 R 221/12t, 2 R 223/12m 38, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Leoben vom , GZ 1 PU 335/09s 13 und 14, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden, soweit sie nicht mangels Anfechtung der erstgerichtlichen Beschlüsse in Rechtskraft erwachsen sind, dahin abgeändert, dass das Beginndatum im Punkt 1. der erstgerichtlichen Beschlüsse statt „“ „“ zu lauten hat.

Das auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG auch für den Monat März 2012 gerichtete Mehrbegehren der beiden Minderjährigen wird abgewiesen.

Im Übrigen wird der Revisionsrekurs, soweit er sich gegen die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen für den Zeitraum vom bis richtet, zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die beiden Minderjährigen sind die Kinder von S***** M***** und F***** D*****. Sie leben bei ihrer Mutter in Österreich, während der Vater in Deutschland wohnt. Der Vater ist aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses des Erstgerichts vom zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von jeweils 300 EUR an die beiden Minderjährigen verpflichtet.

Mit ihrem am beim Erstgericht eingelangten Antrag vom begehrten die beiden Minderjährigen, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe. Sie brachten im Wesentlichen vor, es bestehe ein Unterhaltsrückstand von jeweils 4.590 EUR. Ein Exekutionsantrag werde nach Erhalt des Europäischen Vollstreckungstitels umgehend nachgereicht. Gleichzeitig übermittelten sie dem Erstgericht eine Ausfertigung des Unterhaltstitels mit dem Ersuchen, eine Bestätigung im Sinne des Anhangs V der EuGVVO anzuschließen, wonach es sich dabei um einen europäischen Vollstreckungstitel handle.

Mit Schriftsatz vom übermittelte der Jugendwohlfahrtsträger dem Erstgericht Anträge nach der Europäischen Unterhaltsverordnung (EuUVO) mit dem Ersuchen um Weiterleitung an das Bundesministerium für Justiz als zuständige Empfangsstelle. Dieser Schriftsatz des Jugendwohlfahrtsträgers langte am beim Erstgericht ein und wurde von diesem am an das Bundesministerium für Justiz weitergeleitet. Am wurden diese Anträge samt ausgefüllten Formblättern vom Jugendwohlfahrtsträger neuerlich an das Erstgericht übermittelt.

Das Erstgericht gewährte den beiden Minderjährigen mit Beschlüssen vom Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe für den Zeitraum vom bis . Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Unterhaltsschuldner nach der am eingetretenen Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze geleistet habe. Gegen den Unterhaltsschuldner sei am beim zuständigen Gericht in Deutschland ein Exekutionsantrag nach der EuUVO eingebracht worden.

Gegen diese Entscheidung erhob der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, rechtzeitig Rekurs mit dem Antrag, die angefochtenen Beschlüsse dahin abzuändern, dass der Antrag der beiden Minderjährigen auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen für den Zeitraum vom bis 31. 3. 3012 abgewiesen werde. Im Übrigen blieben die Beschlüsse unbekämpft.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, keine Folge. Nach seiner Rechtsansicht sei unter anderem Voraussetzung für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen, dass das Kind glaubhaft mache, einen Exekutionsantrag eingebracht zu haben. Einem Exekutionsantrag im Inland seien verschiedene Maßnahmen gleichgestellt, die darauf abzielten, dass der Unterhaltsanspruch im Ausland durchgesetzt werde. Das Kind habe in diesem Fall glaubhaft zu machen, unter anderem einen Antrag, mit dem entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar im Ausland eingeleitet werden sollen, eingebracht zu haben. Im vorliegenden Fall hätten die Kinder am einen Antrag auf Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO eingebracht, welcher als Antrag anzusehen sei, mit dem entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar im Ausland eingeleitet werden sollten. Das Erstgericht habe daher den Minderjährigen zu Recht Unterhaltsvorschüsse bereits ab gewährt.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil für einen vergleichbaren Fall im Übergangsbereich von EuGVVO und EuUVO keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Unterhaltsvorschüsse erst ab zugesprochen werden. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Minderjährigen, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs keine Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist teilweise unzulässig, teilweise zulässig und auch berechtigt.

Im Revisionsrekurs wird geltend gemacht, der im März 2012 nach der EuGVVO eingebrachte Antrag stelle nicht den „richtigen“, von § 3 Z 2 UVG geforderten Exekutionsschritt dar. Da die Verordnung (EG) 4/2009 des Rates der Europäischen Union vom über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (EuUVO) seit anwendbar sei, seien die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen erst mit der Einbringung des Antrags nach der EuUVO am erfüllt worden. Die EuUVO ändere die EuGVVO dahingehend, dass deren für Unterhaltssachen geltende Bestimmungen ersetzt werden (Art 68 Abs 1 EuUVO). Die EuUVO sei zwar grundsätzlich erst auf nach ihrem Inkrafttreten eingeleitete Verfahren anzuwenden (Art 75 Abs 1 EuUVO). Es bestehe aber insofern eine Ausnahme für die Anerkennung und Vollstreckung von sogenannten „Alttiteln“, wenn ihre Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach dem beantragt werde (Art 75 Abs 2 EuUVO). Da keine Wahlmöglichkeit zwischen EuUVO und EuGVVO bestehe, sondern die EuGVVO im Unterhaltsbereich durch die EuUVO ersetzt werde, sei im gegenständlichen Fall die EuUVO anzuwenden.

Der Rechtsmittelwerber sei bei Einbringung seines Rekurses im Hinblick auf die Ausführungen des Erstgerichts davon ausgegangen, dass der Antrag nach der EuUVO am eingebracht worden sei. Nach den Ausführungen des Rekursgerichts seien die Anträge nach der EuUVO jedoch erst am beim Pflegschaftsgericht eingelangt, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung der Vorschüsse erst ab erfüllt seien.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat dazu Folgendes erwogen:

1. Soweit sich der Revisionsrekurs auch gegen die Gewährung der Unterhaltsvorschüsse ab dem richtet, ist er unzulässig, weil der Revisionsrekurswerber diesen Teil der erstgerichtlichen Beschlüsse ausdrücklich unbekämpft ließ. Insoweit steht dem Revisionsrekurs die Rechtskraft der erstgerichtlichen Beschlüsse entgegen. Im Übrigen ist noch darauf hinzuweisen, dass der Jugendwohlfahrtsträger nach der Aktenlage tatsächlich bereits mit dem am beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz vom Anträge nach der EuUVO stellte, sodass das diesbezügliche Vorbringen des Rechtsmittelwerbers auch inhaltlich nicht berechtigt wäre.

2. Nach § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, sind Vorschüsse zu gewähren, wenn der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet sowie das Kind glaubhaft macht (§ 11 Abs 2), einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder ... einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung von § 372 EO eingebracht zu haben; lebt der Unterhaltsschuldner im Ausland und muss im Ausland Exekution geführt werden, so hat das Kind glaubhaft zu machen (§ 11 Abs 2), einen Antrag auf Vollstreckung nach dem Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland, BGBl Nr 316/1969, dem Auslandsunterhaltsgesetz, BGBl Nr 160/1990, einen vergleichbaren Antrag bei der im Inland zur Bearbeitung zuständigen Behörde oder einen Antrag, mit dem entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar im Ausland eingeleitet werden sollen, eingebracht zu haben.

2.1 Nach den Gesetzesmaterialien (IA 673/A 24. GP 40) reicht es bei einer grenzüberschreitenden Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen grundsätzlich aus, entsprechende Maßnahmen bei den im Inland zur Bearbeitung zuständigen Behörden zu beantragen. In der Bestimmung ausdrücklich genannt sind ein Vorgehen nach dem Übereinkommen über die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen im Ausland („New Yorker Unterhaltsübereinkommen“) sowie nach dem Auslandsunterhaltsgesetz. Ein Vorgehen mittels vergleichbarer Anspruchstellung nach anderen Gesetzen oder internationalen Abkommen für die Vollstreckung von Unterhaltsansprüchen bei der jeweils im Inland zur Bearbeitung zuständigen Behörde soll ebenfalls genügen. Sollte der Unterhaltsberechtigte die Exekution des Unterhaltstitels direkt bei den im Ausland zuständigen Behörden beantragen, etwa gestützt auf die Verordnung (EG) Nr 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom (Brüssel I VO) oder die Verordnung (EG) Nr 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen vom (EuVTVO), so sollte die Kopie eines Antrags, mit dem entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar im Ausland eingeleitet werden, als Nachweis einer tauglichen Forderungsbetreibung ausreichen. In jedem Fall ist das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzung iSd § 11 Abs 2 UVG glaubhaft zu machen.

2.2 Die Vorschussgewährung nach § 3 UVG setzt somit voraus, dass das Kind zuvor gegen den Unterhaltsschuldner exekutive Schritte beantragt oder dem Exekutionsantrag gleichgestellte Schritte gesetzt hat, wie sie in § 3 Z 2 UVG angeführt sind, und das Kind das Vorliegen dieser Voraussetzung glaubhaft macht. Da das Kind durch den Umstand, dass sich der Geldunterhaltsschuldner im Ausland befindet, nicht benachteiligt werden soll, werden einem Exekutionsantrag im Inland verschiedene Maßnahmen gleichgestellt, die darauf abzielen, dass der Unterhalt im Ausland durchgesetzt werden muss. Genannt werden ein Antrag nach dem New Yorker Unterhaltsübereinkommen oder dem Auslandsunterhaltsgesetz, ein vergleichbarer Antrag bei der im Inland zur Bearbeitung zuständigen Behörde oder ein Antrag, mit dem „entsprechende Vollstreckungsmaßnahmen unmittelbar im Ausland eingeleitet werden sollen“.

2.3 Die letztgenannte Alternative der unmittelbaren Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen im Ausland wird etwa auch den Antrag auf Vollstreckbarerklärung im Ausland auf der Grundlage der EuGVVO oder des LGVÜ, einen Antrag auf Vollstreckung nach der EuVTVO oder seit der Anwendbarkeit der EuUVO mit die Stellung eines von der Zentralen Behörde (Bundesministerium für Justiz) ins Ausland zu übermittelnden Antrags im Inland und die damit verbundene Inanspruchnahme des Kooperationsmechanismus nach der EuUVO decken. Demgegenüber stellt ein Amtshilfeersuchen an ein deutsches Jugendamt noch keine tatsächliche Einleitung entsprechender Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Unterhaltsschuldner unmittelbar im Ausland dar (vgl Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 3 UVG Rz 31 mwN; RIS Justiz RS0126272). Nichts anderes kann im vorliegenden Fall für die von den Minderjährigen mit ihrem am beim Erstgericht eingelangten Schriftsatz begehrte Ausstellung einer urkundlichen Bescheinigung nach Art 54 EuGVVO gelten. Bei dieser Bescheinigung handelt es sich um ein von der EuGVVO vorgegebenes einheitliches Formblatt laut Anhang V, das auf unbefristeten Antrag durch die Gerichte im Erststaat auszustellen ist. Der Gläubiger bedarf dieser Bescheinigung für den Antrag auf Vollstreckbarerklärung (vgl Rassi in Fasching/Konecny ² V/1 Art 54 EuGVVO Rz 2). Das Ersuchen um Ausstellung einer Bescheinigung nach Art 54 EuGVVO stellt somit weder eine einem Antrag nach dem New Yorker Unterhaltsübereinkommen oder dem Auslandsunterhaltsgesetz vergleichbare noch eine unmittelbare Vollstreckungsmaßnahme iSd § 3 Z 2 UVG dar noch wird dadurch ein Kooperationsmechanismus nach der EuGVVO in Anspruch genommen. Das Ersuchen um Ausstellung einer Bescheinigung nach Art 54 EuGVVO steht daher nicht der in § 3 Z 2 UVG geforderten Einleitung von Exekutionsschritten gleich. Aus diesem Grund liegen die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach dieser Gesetzesstelle für den Monat März 2012 nicht vor.

3. Da somit schon aus diesem Grund eine Unterhaltsvorschussgewährung für den im Rechtsmittelverfahren allein noch strittigen Monat März 2012 nicht in Betracht kommt, erübrigt sich ein Eingehen auf die vom Rekursgericht als rechtserheblich erachtete Rechtsfrage des intertemporalen Anwendungsbereichs der EuUVO im Verhältnis zur EuGVVO (vgl dazu Rauscher / Andrae , EuZPR/EuIPR [2010] Art 75 EG UntVO Rn 1 ff ua).

Es war daher in teilweiser Stattgebung des Revisionsrekurses des Bundes das Beginndatum der Vorschussgewährung auf abzuändern.