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VfGH vom 07.03.2007, B1708/06

VfGH vom 07.03.2007, B1708/06

Sammlungsnummer

18092

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Versagung eines Löschungsbegehrens hinsichtlich personenbezogener Daten in einem Kopienakt bzw Papierakt; kein Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens in Folge Unkenntlichmachung der Protokollbucheintragungen durch Schwärzung der Daten

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der vorliegenden, gegen einen Bescheid der Datenschutzkommission vom gerichteten, auf Art 144 B-VG gestützten Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Löschung unzulässigerweise verarbeiteter personenbezogener Daten (§1 Abs 3 Z. 2 DSG 2000), auf Achtung des Privatlebens (Art8 EMRK) und auf eine wirksame Beschwerde (Art13 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt. Im Wesentlichen bringt der Beschwerdeführer dazu Folgendes vor:

"I. Sachverhalt

Gegen den [...] Beschwerdeführer (Bf) wurden im Februar 2001 seitens der Kriminalbeamtenabteilung des Koat. Innere Stadt Wien Ermittlungen wegen des Verdachts nach dem anti-homosexuellen Sonderstrafgesetz § 209 StGB geführt [...].

Auf Grund der Anzeige an die StA Wien wurde gegen den Bf am Landesgericht für Strafsachen Wien ein Strafverfahren eingeleitet [...], das am mit Freispruch geendet hat, weil die Unschuld des Bf erwiesen wurde. Zudem ist § 209 StGB [...] mit Ablauf des außer Kraft getreten (BGBl 1 134/2002, [...]). Seit sind auch in Österreich einverständliche gleichgeschlechtliche Kontakte mit männlichen (14 bis 18jährigen) Jugendlichen legal.

Da sich der Bf niemals etwas zu [S]chulden kommen hat lassen und zudem § 209 nicht mehr in Kraft ist und menschenrechtswidrig war, werden die, von der Bundespolizeidirektion Wien (BPDion Wien) als Auftraggeber, zur Person des Bf verarbeiteten Daten, insb. für Tätigkeiten im Dienste der Strafrechtspflege oder für Zwecke der Sicherheitspolizei, nicht (mehr) benötigt, weshalb sie zu löschen sind (§63 Abs 1 SPG; §§51f SPG, § 61 SPG iVm §§1 Abs 2, 27 DSG 2000; Art 8 EMRK; [...]). Dies[,] zumal an einmal erfolgte Menschenrechtsverletzungen [...] keine weiteren negativen Folgen geknüpft werden dürfen (EGMR: Thlimmenos v. Greece , insb. par. 44). Die weitere Aufbewahrung von aus der am Bf begangenen Grundrechtsverletzung stammenden stigmatisierenden Daten stellt eine solche Knüpfung weiterer negativer Folgen an die damalige Grundrechtsverletzung dar, zumal über Heterosexuelle und Lesben mangels damaliger Strafbarkeit solche Daten, über analoge intime Beziehungen, jedenfalls nicht aufbewahrt werden (können).

Der Bf hat am bei der BPDion Wien beantragt, sämtliche zur Person des Bf (automationsunterstützt oder konventionell) verarbeitete Daten, insb. auch die in der Zentralen Informationssammlung gem. § 57 SPG zur Person des Bf verarbeiteten Daten, zu löschen und sowohl die Empfänger der Daten als auch den Bf, [L]etzteren zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters, hievon zu verständigen.

Mit Schreiben vom [...] teilte die BPDion Wien hinsichtlich der automationsunterstützt verarbeiteten Daten lediglich mit, da[ss] 'die Überprüfung der Datenbestände ... im Hinblick auf das Löschungsbegehren durchgeführt wurde'. Hinsichtlich der konventionell verarbeiteten Daten sah die BPDion Wien jedoch keine Notwendigkeit der Geheimhaltung und Vorgangsweise nach § 27 (4) DSG 2000[,] sondern ging gem. § 27 (4) DSG 2000 vor.

Der Bf hat daher am Beschwerde an die belangte Behörde (bB) (a) gegen die Unterlassung der Mitteilung von der Löschung (oder der Begründung der Nichtvornahme derselben) bzw. gegen die Unterlassung der Erlassung eines Bescheides sowie (b) gegen die Nichtvornahme der beantragten Löschung und Verständigungen erhoben und beantragt,

1.a. die Gesetzmäßigkeit der Mitteilung der BPDion Wien vom zu prüfen[...] und

aa. festzustellen, dass diese Auskunft nicht gesetzmäßig erfolgte und der Bf in seinem Recht auf Information gem. § 27 (4) DSG 2000 verletzt worden ist und der BPDion Wien mit Bescheid die Offenlegung der Daten (die Information des Bf gem. § 27 Abs 4 DSG 2000) aufzutragen, in eventu

bb. festzustellen, dass diese Auskunft nicht gesetzmäßig erfolgte und der Bf in seinem Recht auf bescheidmäßige Erledigung seines Antrages verletzt worden ist und der BPDion Wien mit Bescheid die bescheidmäßige Erledigung des Antrags des Bf aufzutragen[,]

2.a. die Gesetzmäßigkeit der Nichtvornahme der vom Bf beantragten Löschung zu überprüfen,

b. festzustellen, dass der Bf durch die Verweigerung der Löschung in seinem Recht auf Löschung dieser Daten verletzt worden ist und

c. der BPDion Wien mit Bescheid die Löschung dieser Daten sowie die beantragten Verständigungen aufzutragen,

3. über sämtliche Anträge (oben 1. und 2.) bescheidmäßig abzusprechen.

Mit Bescheid vom hat die bB die Beschwerde des Bf abgewiesen. Nach Aufhebung dieses Bescheides durch den Verfassungsgerichtshof () hat die BPD Wien die beantragten Löschungen durchgeführt, mit Ausnahme des Kopienaktes. Der Bf hat die Beschwerde an die bB daher insoweit aufrechterhalten.

Mit dem bekämpften Bescheid hat die bB die Beschwerde des Bf abgewiesen.

II. Beschwerdepunkte

l. Recht auf Löschung (§1 Abs 3 Z. 2 DSG, Art 8 EMRK)

Die bB weist die Beschwerde des Bf ab, weil an nicht automationsunterstützt verarbeiteten Daten nur mehr die Papierakten (Erhebungsakten, Kopienakten) vorhanden sind, die aber keine Dateien im Sinne des DSG darstellten, sodass kein datenschutzrechtliches Löschungsrecht bestehe [...].

Der Bf hat sich aber für seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Anspruch auf Löschung nicht nur auf § 1 (3) Z. 2 DSG berufen[,] sondern vor allem auch auf Art 8 EMRK, welche Verfassungsbestimmung jedenfalls einen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Anspruch auf Löschung (auch) unstrukturiert (konventionell) verarbeiteter Daten verleiht (vgl. EGMR: Amann vs. CH , par. 78ff; Rotaru vs. ROM [GC], ). Auch die einfachgesetzlichen Bestimmungen des § 63 SPG und der §§6 Abs 1 Z. 2 und Z. 5 DSG sind nicht auf personenbezogene Daten in Dateien beschränkt.

Der Kopienakt wird nicht mehr benötigt [...].

Der Bf wurde durch die Verweigerung der Löschung (Skartierung, Anonymisierung) in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (gem. § 1 Abs 3 Z. 2 DSG, Art 8 EMRK; Art 2 StGG; Art 7 B-VG) verletzt, woraus folgt, dass die bB die auf Löschung gerichtete Beschwerde nicht abweisen hätte dürfen, sondern die Löschung anzuordnen gehabt hätte. Dadurch[,] dass sie dies nicht getan und damit im Effekt die Zulässigkeit der weiteren Verarbeitung der Daten bestätigt hat, hat sie selbst diese Rechte verletzt ().

Der Bf übersieht nicht, dass der VwGH die Ausführungen der bB zum Dateibegriff des DSG teilt (, 2004/06/0086). Der VwGH hat jedoch in dieser Entscheidung ausdrücklich betont, dass sich seine Ausführungen lediglich auf einfachgesetzliche Bestimmungen beziehen:

'Soweit die Beschwerdeausführungen dahin zu verstehen sein sollten, dass sich der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid auch in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten als verletzt erachte, fiele dies in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes und nicht des Verwaltungsgerichtshofes; im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist daher hierauf nicht weiter einzugehen.' ()

Zu den hier zu klärenden verfassungsrechtlichen Fragen (insb. gem. Art 8 EMRK) vermag das Erkenntnis des VwGH daher nichts beizutragen.

Der Bf übersieht auch nicht, dass der VfGH sich der Ansicht des VwGH zum Dateibegriff des DSG angeschlossen hat (zuletzt wieder ). Jedoch hat der VfGH, entgegen der Darstellung der bB [...], in keiner dieser Entscheidungen zur Frage des sich aus Art 8 EMRK ergebenden Löschungsanspruchs Stellung genommen (ebendort). Art 8 EMRK setzt das Vorliegen einer 'Datei' im Sinne des DSG nicht voraus.

2. Recht auf eine wirksame Beschwerde (Art13 EMRK)

Das rechtsstaatliche Prinzip verlangt, dass alle Akte staatlicher Organe im Gesetz und letzten Endes in der Verfassung begründet sein müssen und ein effizientes System von Rechtsschutzeinrichtungen Gewähr dafür bietet, dass nur solche Akte in ihrer rechtlichen Existenz als dauernd gesichert erscheinen, die in Übereinstimmung mit den sie bedingenden Akten höherer Stufe gesetzt werden (). Ein Rechtsschutzsuchender darf nicht generell einseitig mit den Folgen einer potentiell rechtswidrigen Entscheidung belastet werden (ebendort).

Genau das bewirkte aber die Rechtsansicht der bB.

Gem. dieser Rechtsansicht hat der Bf keinerlei Möglichkeit, [gegen] eine Rechtswidrigkeit der weiteren Verarbeitung/Evidenthaltung des Kopienaktes vorzugehen, die Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen.

Da die Verweigerung der Löschung seitens der Sicherheitsbehörden auch verfassungsgesetzlich gewährleistete subjektive Rechte unmittelbar verletzte, die sich aus der EMRK ergeben (Art8), muss dem Bf auch gem. Art 13 EMRK eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz eingeräumt sein.

Der bekämpfte Bescheid verletzte den Bf daher auch in seinem Recht auf eine wirksame Beschwerde gem. Art 13 EMRK."

2. Die Datenschutzkommission legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Ablehnung, in eventu die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Zur Frage des Rechts auf Löschung von nicht automationsunterstützt verarbeiteten personenbezogenen Daten in einem "Kopienakt" bzw. "Papierakt" vertrat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis die folgende Auffassung:

"In Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides wird die Beschwerde von der Datenschutzkommission 'im Übrigen' abgewiesen. Damit wird dem Löschungsbegehren des Beschwerdeführers hinsichtlich des so genannten Kopienaktes keine Folge gegeben. Die Datenschutzkommission ist damit im Recht. Unter einer Datei ist nach § 4 Z 6 DSG nur eine 'strukturierte Sammlung von Daten, die nach mindestens einem Suchkriterium zugänglich sind', zu verstehen. Dem genügt ein - vgl. § 4 Z 1 DSG - nicht personenbezogen strukturierter Papierakt nicht. Die Datenschutzkommission weist zutreffend darauf hin, dass dieser Dateibegriff des § 4 Z 6 DSG auch mit dem der RL 95/46/EG übereinstimmt, deren Erwägungsgrund 27 deutlich macht, 'dass Akten, Aktensammlungen sowie deren Deckblätter ... nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen'."

In der vorliegenden Beschwerde bringt der Beschwerdeführer vor, dass sich ein verfassungsgesetzlich gewährleisteter Anspruch auf Löschung derartiger Daten

"vor allem auch [aus] Art 8 EMRK [ergebe], welche Verfassungsbestimmung jedenfalls einen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Anspruch auf Löschung (auch) unstrukturiert (konventionell) verarbeiteter Daten verleih[e] (vgl. EGMR: Amann vs. CH , par. 78ff; Rotaru vs. ROM [GC], )."

Aus dieser Rechtsprechung des EGMR (und auch aus dessen Urteil v. , Thlimmenos gg. Griechenland, Reports 2000-IV,

S 265) lässt sich indes für den Standpunkt des Beschwerdeführers, aus Art 8 EMRK ergebe sich ein Recht auf Löschung personenbezogener Daten in einem "Kopienakt" bzw. in einem "Papierakt", nichts gewinnen: Das Urteil v. , Amann gg. Schweiz, Reports 2000-II, S 203, betraf eine "Karteikarte in der staatlichen Sicherheitskartei" und nicht - so wie hier - einen "Kopienakt" bzw. "Papierakt". Im Urteil

v. , Rotaru gg. Rumänien, Reports 2000-V, S 63, gelangte der EGMR zur Auffassung, dass die Aufbewahrung und Sammlung von Geheimdienstinformationen über den Beschwerdeführer aus der Zeit des kommunistischen Regimes "nicht gesetzlich vorgesehen" gewesen sei und dieser Umstand ausreiche, eine Verletzung des Art 8 EMRK zu begründen. Das Urteil Thlimmenos gg. Griechenland, S 265, schließlich betrifft allein die Art 9 und 14 EMRK und nicht deren Art 8.

Der Verfassungsgerichtshof ist vielmehr der Auffassung, dass nach Lage des vorliegenden Falles aus Art 8 EMRK hinsichtlich der Löschungsverpflichtung kein weiter reichendes Recht abzuleiten ist als aus der Verfassungsbestimmung des § 1 Abs 3 des - zur Umsetzung der Richtlinie 95/46/EG zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. 1995 L 281, S 31, ergangenen - DSG 2000. Dazu ist auch darauf hinzuweisen, dass selbst das Europarats-Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten, BGBl. 1988/117, - das zu Folge seiner Präambel "den Schutz der Rechte und Grundfreiheiten jedes Menschen, vor allem das Recht auf Achtung des Persönlichkeitsbereichs, [...] erweitern" möchte - nur "automatisierte Dateien/Datensammlungen" betrifft und nicht auch personenbezogene Daten in einem konventionellen "Kopienakt" bzw. "Papierakt". Ferner ist noch Folgendes zu berücksichtigen: Auch der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass - wie in der Begründung des bekämpften Bescheides ausgeführt wird -

"die Protokollbucheintragungen betreffend den Beschwerdeführer durch Schwärzung der Daten Namen, Geburtsdatum und Anschrift 'unkenntlich gemacht', die entsprechenden Aktenzahlen und Hinweise auf das Delikt auf den Steckzetteln ebenfalls geschwärzt worden seien".

Der "Papierakt" ist personenbezogen (dh. mit dem Namen des Beschwerdeführers) nicht mehr auffindbar. Angesichts dessen ist aber davon auszugehen, dass die Zugänglichkeit (Erkennbarkeit) der ihn betreffenden personenbezogenen Daten im "Kopienakt" bzw. "Papierakt" derart reduziert wurde, dass diesbezüglich von einem Eingriff in das aus Art 8 EMRK erfließende Recht auf Achtung des Privatlebens nicht mehr die Rede sein kann.

2. Vor diesem Hintergrund trifft aber auch die Behauptung nicht zu, dass der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in seinem Recht auf eine wirksame Beschwerde gemäß Art 13 EMRK zur Geltendmachung seines Löschungsanspruches verletzt ist.

3. Die vom Beschwerdeführer behauptete Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art 8 und 13 EMRK liegt daher nicht vor.

Der Beschwerdeführer wurde aus den in der Beschwerde vorgetragenen Erwägungen auch weder in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass dies aus anderen, in der Beschwerde nicht dargelegten Gründen der Fall gewesen wäre.

4. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.