OGH vom 25.10.2017, 8ObA10/17d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martina RosenmayrKhoshideh und Mag. Susanne Haslinger in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei I***** S*****, vertreten durch Klein, Wuntschek Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei E*****, vertreten durch Muhri Weschitz Partnerschaft von Rechtsanwälten GmbH in Graz, wegen 1.883,83 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 50/16a23, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 8 Cga 110/15s19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 418,78 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 69,80 EUR USt) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war beim Beklagten, einem gemeinnützigen Verein, vom 6. 7. bis , als Transitmitarbeiter mit einem monatlichen Bruttolohn von 1.373,68 EUR in Vollzeit beschäftigt.
Der Kläger ist ausgebildeter CNC-Fräser bzw CNC-Programmierer und war in diesem Beruf zwölf Jahre tätig. Außerdem arbeitete er in der Vergangenheit als Mechaniker. Ab 2011 war er rund vier Jahre lang durchgehend arbeitslos, bis er über das AMS an den Beklagten vermittelt wurde.
Der Beklagte sucht für die ihm vom AMS zugewiesenen Langzeitarbeitslosen Einsatzmöglichkeiten, etwa in der Grünraumpflege, ohne auf ihre berufliche Vorbildung besonders Rücksicht zu nehmen. Im Zuge des Beschäftigungsprojekts bietet der Verein den Mitarbeitern zwölf Stunden monatlich an sozialpädagogischer Betreuung an. Sobald sie für den regulären Arbeitsprozess „fit“ erscheinen, wird für sie – parallel zum dreimonatigen Projekteinsatz – eine Stelle gesucht. Insgesamt sollen durch das Beschäftigungsprojekt die individuellen Vermittlungschancen der langzeitarbeitslosen Personen erhöht werden. Die Transitarbeitskräfte werden zu 85 % vom AMS und zu 15 % vom Land Steiermark finanziert.
Der Kläger unterfertigte eine vom AMS konzipierte „Vereinbarung über die Begründung eines Dienstverhältnisses“ mit dem definierten Aufgabenbereich der Park und Grünraumpflege. Er erhielt einen Dienstzettel, in dem der Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreichs (BAGSKV) als anzuwendender Kollektivvertrag genannt ist (./2).
Der Kläger wurde bei der Holding Graz als Arbeiter eingesetzt. Soweit diese ihren jeweils in den Sommermonaten bestehenden Arbeitsbedarf nicht über Transitmitarbeiter des Beklagten decken könnte, müsste sie Saisonarbeiter beschäftigen. Die Beschäftigerin bestimmte die Arbeitsstelle des jeweiligen Transitmitarbeiters, lediglich der allgemeine Einsatzbereich wurde vom Beklagten festgelegt, teilweise führte dieser auch Kontrollen durch.
Der Kläger war in einem Team mit zwei bis vier weiteren Arbeitern eingeteilt, unterstand der Weisung von Mitarbeitern der Holding und war grundsätzlich auch an deren Dienstzeiten gebunden. Erwies sich ein Transitmitarbeiter trotz Ermahnungen als nicht arbeitswillig, wurde er von der Holding an den Beklagten „zurückgeschickt“.
Eigene Beschäftigte der Holding (außer dienstzugeteilten Mitarbeitern der Stadt) werden nach dem Kollektivvertrag der Holding entlohnt. Neu eintretende Grünraumpflegearbeiter würden danach als Helfer eingestuft und ein Jahr eingeschult.
Der Kläger begehrt (der Höhe nach unstrittige) Entgelt und Sonderzahlungsdifferenzen, die sich aus dem Unterschied zwischen einer Entlohnung nach dem Kollektivvertrag der Holding und dem mit der Beklagten vereinbarten Lohn ergeben. Der Kläger habe für die Zeit seiner Überlassung nach dem BAGSKV Anspruch auf jenes kollektivvertragliche Mindestentgelt, das im Beschäftigerbetrieb gezahlt werde.
Die Beklagte wandte zuletzt zusammengefasst ein, der Kläger sei kein Dienstnehmer iSd § 1151 ABGB und des § 1 Abs 1 ArbVG gewesen, sondern Teilnehmer eines sozialen Projekts. Er sei weder dem Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich (BAGSKV) unterlegen, noch habe er Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Beschäftigten der Holding. Es liege keine Arbeitskräfteüberlassung vor, jedenfalls aber komme die Ausnahmebestimmung des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG zum Tragen.
Das wies das Klagebegehren ab. Bei der Vereinbarung der Streitteile handle es sich ungeachtet der Bezeichnung um keinen Arbeitsvertrag. Es sei Absicht der Parteien gewesen, die Anwendung des BAGSKV nur hinsichtlich der Entlohnung zu vereinbaren, die übrigen Bestimmungen seien nicht anwendbar.
Das gab dem Rechtsmittel des Klägers Folge und änderte die Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn ab. Die Vertragsbeziehung sei nicht in erster Linie durch das Interesse des Klägers, überhaupt zu arbeiten, geprägt gewesen, sondern es sei insgesamt von einem Arbeitsverhältnis auszugehen, auf das der BAGSKV anzuwenden sei. Nach § 2 BAGSKV sei auf Transitmitarbeiter wie den Kläger unter anderem der § 28 BAGS-KV anwendbar, der während des Zeitraums der arbeitsmarktpolitischen Maßnahme den Anspruch auf das im Beschäftigerbetrieb für die ausgeübte Tätigkeit gebührende Entgelt normiere.
Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zur Auslegung des § 28 BAGSKV in der hier anwendbaren, seit geltenden Fassung noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Kläger beantwortete des Beklagten ist im Sinne der Begründung des Berufungsgerichts zulässig, weil der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung regelmäßig wegen des größeren Personenkreises der hievon betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Regelfall erhebliche Bedeutung isd § 502 Abs 1 ZPO zukommt.
Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.
1. Der erkennende Senat erachtet die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts zumindest im Ergebnis für zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO).
Der im Zulassungsausspruch in den Raum gestellte und in den Revisionsausführungen behauptete Widerspruch der Entscheidung des Berufungsgerichts zur höchstgerichtlichen Rechtsprechung über die fehlende Arbeitnehmereigenschaft von psychosozial beeinträchtigten Personen, die in einer geschützten Werkstätte arbeiten, besteht insofern nicht, als den zitierten Entscheidungen ein anderer Sachverhalt zugrunde lag. Der Beschäftigerbetrieb in jenen Verfahren verfolgte zwar wie die hier Beklagte keinen eigenständigen Erwerbszweck, hinzu kam aber, dass die dortigen Kläger in ihrer Arbeitsfähigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt überhaupt nicht konkurrenzfähig gewesen wären und deren unbefristete Tätigkeit in erster Linie ihrem eigenen Interesse an einer Beschäftigung diente (9 ObA 105/09w; 8 ObA 48/09f). Dies trifft auf die hier klagende Partei, die grundsätzlich arbeitsfähig ist, jahrelang berufstätig war und deren Defizite im Rahmen der Maßnahme für behebbar erachtet wurden, nicht zu.
Der Kläger war im Rahmen eines befristeten Projekts auf einem Arbeitsplatz mit kommunalen Dienstleistungen beschäftigt, die andernfalls von Saisonarbeitnehmern, wenn auch unter anderen Bedingungen, erbracht worden wären. Andererseits konnte ihm als ausgebildetem CNC-Fräser und CNC-Programmierer eine Tätigkeit als Grünraumpfleger keine beruflichen Zusatzqualifikationen vermitteln, vielmehr war der vornehmliche Zweck dieser von psychosozialer Betreuung begleiteten Beschäftigung, ihn nach langer Arbeitslosigkeit wieder an eine reguläre Arbeit zu gewöhnen.
Ob bei dieser Beschäftigung letztlich doch der Fürsorgecharakter überwogen hat oder, wie das Berufungsgericht bejaht hat, ein reguläres Arbeitsverhältnis anzunehmen ist, kann aber dahingestellt bleiben.
Den Parteien stand es auch im ersteren Fall frei, die Anwendung eines bestimmten Kollektivvertrags auf das Beschäftigungsverhältnis zu vereinbaren. Eine solche Vereinbarung ist dem von beiden Streitteilen unterfertigten „Dienstzettel“ (Beilage ./2) unmissverständlich und ohne Einschränkung oder Vorbehalt zu entnehmen; es ist auch nicht festgestellt worden, dass dem Kläger ein vom Vertragstext abweichender Wille der Beklagten („nur für die Entlohnung“) erkennbar war.
2. Von dieser Vereinbarung ausgehend sind auf den Entlohnungsanspruch des Klägers die Bestimmungen des § 28 iVm § 2 BAGSKV anzuwenden. Danach sind Transitmitarbeiter, die im Rahmen von Sozialökonomischen Betrieben und/oder Gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten mit der Zielsetzung der (Re)Integration arbeiten, verpflichtend psychosozial begleitet und betreut werden, und wenn diese Maßnahmen vom Arbeitsmarktservice, den Ländern und/oder dem Bundessozialamt gefördert sind und das Arbeitsverhältnis mit bzw nach dem begonnen hat, während ihres Einsatzes nach der Regelung des § 28 BAGSKV zu entlohnen.
3. Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte den Anwendungsbereich des § 28 BAGSKV nur auf Transitmitarbeiterinnen im Rahmen der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung bezieht, sodass es ihrer Ansicht nach darauf ankäme, ob die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Arbeitskräfteüberlassung iSd § 1 AÜG zu qualifizieren war.
Die Revision lässt dabei außer Acht, dass sich § 28 BAGSKV nicht auf das AÜG bezieht, sondern genau auf den Sonderfall der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung „im Sinn der Gegenausnahme des § 2 BAGSKV“, also Personen, die in bestimmten gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten mit der Zielsetzung der (Re)Integration arbeiten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Beschäftigungen unter den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 AÜG fallen, weil der Kläger seinen Anspruch nicht auf § 10 Abs 1 AÜG stützt. Auf die Rechtsausführungen des Berufungsgerichts, das sich mit dieser Unterscheidung bereits ausführlich auseinandergesetzt hat, geht der Revisionswerber im Übrigen nicht weiter ein.
Inwiefern es ein unzulässiges „Aushebeln“ des AÜG bedeuten sollte, wenn (Kollektiv)Vertragsparteien für Beschäftigungsverhältnisse, deren Merkmale in weiten Bereichen Ähnlichkeit mit einer Arbeitskräfteüberlassung aufweisen, auch eine ähnliche Entgeltregelung vereinbaren, ist nicht verständlich.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf §§ 2 ASGG, 41 ZPO.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00010.17D.1025.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.