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OGH vom 19.11.2019, 10ObS145/19z

OGH vom 19.11.2019, 10ObS145/19z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei P*****, vertreten durch Dr. Andreas Rudolph und Dr. Sigrid Urbanek, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 7 Rs 8/19a-51, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 26 Cgs 44/17z-48, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der 1962 geborene Kläger verfügt über einen Lehrabschluss als Installateur und hat Ausbildungen zum Masseur sowie zum Erzieher in Horten und Heimen für Kinder und Jugendliche absolviert. Von Juli 1997 bis 2013 war er (mit Unterbrechungen) als Behindertenbetreuer in einer Wohngemeinschaft für erwachsene, geistig und mehrfach behinderte Menschen bei Jugend am Werk tätig. Er führte den Haushalt (Kochen, Einkaufen und Wäsche waschen), half bei der Körperpflege und beim Ankleiden, begleitete die Klienten zu Ärzten und zu medizinischen Kontrollen, verabreichte gewisse Medikamente und nahm Dokumentationen vor. Parallel zu dieser Berufstätigkeit absolvierte der Kläger ca eineinhalb Jahre lang berufsbegleitend das Basismodul der Berufstätigenform der Lehranstalt für heilpädagogische Berufe der Caritas Wien zum Behindertenbetreuer. Das Basismodul umfasst 630 Unterrichtsstunden und 800 Pflichtpraxisstunden. Diese Ausbildung schloss er im Jänner 2001 ab. Auch nach Abschluss der Ausbildung blieb seine Tätigkeit gleich. Im April 2011 absolvierte er eine Zusatzausbildung „Unterstützung bei Basisversorgungen“ im Ausmaß von 100 Stunden.

Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind dem Kläger trotz seiner medizinischen Leidenszustände noch Tätigkeiten als Reinigungskraft, Küchenhilfe oder Zustellfahrer mit Klein-Lkw möglich.

Das Erstgericht wies das auf Zuspruch der Berufsunfähigkeitspension ab , in eventu Rehabilitationsgeld, in eventu Übergangsgeld und medizinische sowie berufliche Maßnahmen der Rehabilitation gerichtete Klagebegehren ab. Soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass dem Kläger kein Berufsschutz zukomme, weil er nicht ausreichend qualifiziert gearbeitet habe. Da er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch Hilfstätigkeiten ausüben könne, sei er nicht berufsunfähig.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Die Anspruchsvoraussetzungen des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit seien ausschließlich nach der tatsächlichen Tätigkeit des Versicherten zu beurteilen. Die Tätigkeiten des Klägers als Behindertenbetreuer seien keine Angestellten-, sondern Arbeitertätigkeiten, weshalb der Anspruch des Klägers auf Berufsunfähigkeitspension inhaltlich nach dem Invaliditätsbegriff des analog anzuwendenden § 255 ASVG zu beurteilen sei. Der Kläger habe keinen erlernten Beruf im Sinn des § 255 Abs 1 ASVG ausgeübt, da die von ihm absolvierten Ausbildungen an Theorie und Praxis im Gesamtausmaß von 1.430 + 100 Stunden, insgesamt somit 1.530 Stunden nicht ein einem Lehrberuf vergleichbares Ausbildungsniveau erreichen. Sinngemäß sei die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum Berufsschutz einer Altenhelferin, Pflegehelferin und Altenfachbetreuerin heranzuziehen. Auch die vom Kläger angesprochene, am in Kraft getretene Vereinbarung gemäß § 15a B-VG über Sozialbetreuungsberufe, BGBl I 2005/55, führe zu keiner anderen Beurteilung. Maßgeblich sei, ob dem Kläger durch seine Tätigkeit als Behindertenbetreuer ein Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG zukomme, nicht aber ob er aufgrund seiner Ausbildung befähigt gewesen sei, die Tätigkeit eines Behindertenbetreuers auszuüben. Eine Anlernung nach § 255 Abs 2 ASVG komme für den Kläger aufgrund der von ihm tatsächlich ausgeübten Berufstätigkeit nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

In seiner außerordentlichen Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, ihm könne nicht entgegengehalten werden, dass es zum Zeitpunkt seiner Einstellung vor mehr als 20 Jahren keine Berufsausübungsvoraussetzungen für den Beruf des Behindertenbetreuers gegeben habe. Für die Beurteilung des Berufsschutzes sei vielmehr relevant, ob die von ihm ausgeübte Tätigkeit jener des in der heutigen gebräuchlichen Bezeichnung des „Fachsozialbetreuers“ entspreche, wie er in der Vereinbarung gemäß § 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über Sozialbetreuungsberufe beschrieben sei. Seine Tätigkeit sei analog an den heute geltenden Ausbildungsvorschriften für Fachsozialbetreuer zu messen, deren Qualifikationserfordernisse er erfülle.

Rechtliche Beurteilung

Mit diesen Ausführungen wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

1.1 Bei erlernten Berufen iSd § 255 Abs 1 ASVG handelt es sich vor allem um die in der Lehrberufsliste gemäß § 7 BAG angeführten Lehrberufe (RS0084513). Bei diesen liegt die Dauer der Lehrzeit gemäß § 6 Abs 1 BAG innerhalb eines zeitlichen Rahmens von zwei bis vier Jahren, in der Regel drei Jahre; bei einer Reihe von Lehrberufen umfasst die Ausbildungszeit aber auch nur zwei Jahre.

1.2 Bei Berufstätigkeiten, denen ein standardisiertes Ausbildungsprogramm zugrunde liegt, die aber keine Lehrberufe sind, wird von der Rechtsprechung auf eine vergleichbare Dauer und auf eine quantitativ vergleichbare Zahl von Unterrichtseinheiten abgestellt (RS0084513 [T3]).

1.3 Abgestellt wurde jeweils auf die tatsächlich absolvierte Ausbildung und nicht auf die zum Zeitpunkt der Absolvierung dieser Ausbildung vorgesehene Ausbildungsdauer und damals geltende Qualifikationserfordernisse. Eine zweijährige Ausbildung an einer Fachschule für Altendienste zur Altenhelferin mit 1.920 Stunden Theorie und einem Pflichtpraktikum in der Dauer von 1.296 Arbeitsstunden wurde etwa mit der Ausbildung in einem Lehrberuf als durchaus vergleichbar qualifiziert und davon ausgegangen, dass die im Rahmen dieser Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten (auch im Hinblick auf die Ausbildungsinhalte) qualitativ und quantitativ den Anforderungen eines Lehrberufs entsprechen (10 ObS 357/00y SSV-NF 15/15). Ebenso wurde eine erfolgreiche Absolvierung einer zweijährigen Ausbildung zur Alten- und Pflegehelferin mit 1.200 Stunden Theorie und 1.200 Stunden Praxis als berufsschutzbegründend erachtet (10 ObS 66/07i SSV-NF 21/49). Hingegen wurde der Berufsschutz einer Altenfachbetreuerin verneint, die eine Ausbildung in der Dauer von insgesamt knapp 14 Monaten absolviert hatte, die insgesamt nur 1.850 Stunden theoretische und praktische Ausbildung umfasst hat (10 ObS 39/05s SSV-NF 19/35), ebenso der Berufsschutz einer Altenfachbetreuerin mit einer Ausbildungsdauer von 1.850 Stunden (10 ObS 187/09m).

2. Im Rahmen dieser Rechtsprechung bewegt sich die Ansicht des Berufungsgerichts, die im vorliegenden Fall etwa eineinhalb Jahre dauernde, berufsbegleitende Ausbildung zum Behindertenbetreuer an der Lehranstalt für Heilpädagogische Berufe der Caritas Wien („Basismodul der Berufstätigenform“) mit 630 Unterrichtsstunden und 800 Pflichtpraxisstunden (somit insgesamt 1.430 Stunden) sei nicht geeignet, ein einem Lehrberuf vergleichbares Niveau zu erreichen, dies auch nicht, wenn man das Ausbildungsmodul „Unterstützung bei der Basisversorgung“ im Ausmaß von weiteren 100 Stunden zur Vermittlung eines pflegerischen Grundwissens mitberücksichtigt.

3. Der Hinweis auf die mit (somit nach Absolvierung der Ausbildung des Klägers) in Kraft getretene Vereinbarung gemäß § 15a B-VG zwischen dem Bund und den Ländern über Sozialbetreuungsberufe BGBl I 2005/55 kann zu keinem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen:

3.1 In dieser Vereinbarung kamen Bund und Bundesländer überein, das Berufsbild, die Tätigkeiten und die Ausbildung der Angehörigen der Sozialbetreuungsberufe (Diplom-Sozialbetreuer/innen, Fach-Sozialbetreuer/innen ua mit dem Schwerpunkt Behindertenarbeit und Behindertenbegleitung) und Heimhelfer/innen im Rahmen ihrer Zuständigkeit nach gleichen Zielsetzungen und Grundsätzen zu regeln.

3.2 Nach Anlage 1 dieser Vereinbarung sind die Sozialbetreuungsberufe in drei Qualifikationsniveaus gegliedert, und zwar in das Helfer/innen-Niveau (Heimhelfer/innen mit 200 Unterrichtseinheiten Theorie und 200 Stunden Praxis), das Fachniveau (Fach-Sozialbetreuer/innen), das neben der praktischen Ausbildung im Ausmaß von 1.200 Stunden auch 1.200 Stunden Theorie umfasst (die Heimhilfe-Ausbildung miteingerechnet) und auf zwei Jahre aufzuteilen ist sowie das Diplomniveau (Diplom- Sozialbetreuer/innen mit 1.800 Unterrichtseinheiten Theorie und 1.800 Stunden Praxis).

3.3 Der in Art 1 Abs 1 Z 2 der Vereinbarung nach Art 15a B-VG genannte Beruf des Fach-Sozialbetreuers umfasst neben dem Schwerpunkt Altenarbeit (Art 1 Abs 2 lit a) auch den Schwerpunkt Behindertenarbeit und Behindertenbegleitung (Art 1 Abs 2 lit b und c).

4.1 Die bisherige Rechtsprechung erging zum Beruf des Fach-Sozialarbeiters mit dem Schwerpunkt Altenarbeit. Dieser Beruf wurde als qualifizierte Tätigkeit angesehen und davon ausgegangen, dass die für diesen Beruf erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten (die eine 1.200 Stunden Theorie und 1.200 Stunden Praxis umfassende Ausbildung umfasst) qualitativ und quantitativ den Anforderungen eines Lehrberufs entsprechen (10 ObS 66/07i SSV-NF 21/49; siehe auch RS0122353). Diese Rechtsprechung lässt sich auf den (dieselbe Ausbildungsdauer erfordernden) Beruf des Fach-Sozialarbeiters mit dem Schwerpunkt Behindertenarbeit- und Behindertenbegleitung übertragen.

4.2 Wie bereits das Berufungsgericht ausgeführt hat, erreicht die vom Kläger absolvierte Ausbildungsdauer von insgesamt 1.530 Stunden (inklusive der Zusatzausbildung „Unterstützung bei der Basisversorgung“) aber bei weitem nicht das für Fach-Sozialbetreuer/innen erforderliche Ausmaß von 2.400 Stunden. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, auch eine Gleichwertigkeit zwischen der in der Vereinbarung nach Art 15a B-VG genannten Ausbildung zum Fachsozial-Betreuer und der vom Kläger absolvierten Ausbildung sei zu verneinen, weicht demnach von der bisherigen Rechtsprechung nicht ab.

5.1 Wie sich aus den Punkten 2 und 3.1.2 der Vereinbarung nach Art 15a B-VG über die Sozialbetreuungsberufe ergibt, unterstützen Heimhelfer/innen betreuungsbedürftige Menschen bei der Haushaltsführung und führen eigenverantwortlich Aufgaben im hauswirtschaftlichen Bereich durch. Hingegen bestehen die konkreten Tätigkeiten der Fach-Sozialbetreuer/innen mit den Schwerpunkten Behindertenarbeit und Behindertenbegleitung in Maßnahmen der Anleitung, Anregung, Beratung, Assistenz, Förderung und erforderlichenfalls der Intervention. Sie müssen über spezifische Kompetenzen in den Bereichen „Soziale Bedürfnisse“ verfügen (Unterstützung bei Kontakten zu anderen Menschen, Förderung der Teilnahme am sozialen Leben sowie Begleitung in Fragen der Partnerschaft und Sexualität), weiters in den Bereichen Beschäftigung/Arbeit (Interessenabklärung, Förderung, Training), im Bereich Freizeit (Freizeitgestaltung, Entspannung und Erholung, Hobbys, Feste und Feiern), im Bereich Bildung und Persönlichkeitsentfaltung (Einsatz musisch-kreativer Mittel und Bewegung; Förderung von Wahrnehmung, Sinnesschulung und ästhetischer Bildung; kritische Lebensereignisse [Begleitung bei Krankheit, Trauer, Tod, etwa von Angehörigen] mit dem Ziel Sinnstiftung, Sterbebegleitung). (Nur) Bei Bedarf übernehmen sie eine weitergehende oder gänzlich stellvertretende Durchführung von Verrichtungen.

5.2 Im Hinblick auf diese umfassenden Tätigkeitsfelder und Aufgaben von Fach-Sozialbetreuer/innen mit den Schwerpunkten Behindertenarbeit und Behindertenbegleitung zeigt der Revisionswerber auch mit seinem weiteren Revisionsvorbringen, ein ausgebildeter Fach-Sozialbetreuer habe exakt die gleichen Aufgaben in der Behindertenbetreuung wahrzunehmen wie er selbst sie zu bewältigen hatte (Haushaltsführung, Hilfe bei der Körperpflege und Ankleiden, Begleitung zu Ärzten, etc) keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf. Selbst bei gleichen Tätigkeitsbereichen könnte die Zeit der Berufsausübung nicht zur Ausbildung zählen (RS0122353 [T5]).

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00145.19Z.1119.000

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