OGH vom 10.06.2008, 10Ob55/08y

OGH vom 10.06.2008, 10Ob55/08y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Nathalie N*****, geboren am , *****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung Bezirk 10, Van der Nüll-Gasse 20, 1100 Wien), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 652/07m-U36, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , GZ 28 P 23/01w-U26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts einschließlich des bereits rechtskräftig gewordenen Teils zu lauten hat:

Die der mj Nathalie N*****, geboren am , mit Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , 28 P 23/01w-U10, gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährten Unterhaltsvorschüsse werden für den Zeitraum von bis eingestellt.

Text

Begründung:

Das Erstgericht hat der am geborenen Nathalie N***** auf den Unterhaltsanspruch gegen ihren Vater Erich O***** mit Beschluss vom , 28 P 23/01w-U10, für den Zeitraum von bis Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährt.

Mit Beschluss vom (ON U26) hat das Erstgericht die Unterhaltsvorschüsse rückwirkend mit Ablauf des Jänner 2005 mit der Begründung eingestellt, dass von Gewährungsbeginn bis Ende Juni 2007 ein gemeinsamer Haushalt des Vaters mit dem Kind (mit gemeinsamer Wirtschaftsgebarung mit der Mutter) bestanden habe.

In einem Aktenvermerk vom (ON U54) hielt das Erstgericht fest, dass die Unterhaltsvorschüsse mit dem Beschluss ON U26 ab Gewährungsbeginn eingestellt worden seien, wie aus der Begründung dieses Beschlusses eindeutig hervorgehe. Nur der Jugendwohlfahrtsträger verstehe den Beschluss falsch.

Das Rekursgericht gab am (ON U36) dem auf Einstellung der Vorschüsse nur für die Zeit von bis und Weitergewährung ab gerichteten Rekurs der Minderjährigen nicht Folge. Der Antrag auf Vorschussbewilligung sei von Anfang an unberechtigt gewesen; eingestellte Vorschüsse könnten nicht „wiederaufleben".

Das Rekursgericht sprach zunächst aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig sei.

Den über Antrag der Minderjährigen mit Beschluss vom nachträglich abgeänderten Zulässigkeitsausspruch begründete es damit, dass es aufgrund des § 20 Abs 2 UVG de facto für den Monat Jänner 2005 bei der Vorschussgewährung geblieben sei und eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob Personen, die einen Vorschuss von vornherein erschleichen, durch diese Bestimmung privilegiert werden sollten.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag auf Abänderung dahingehend, dass die Vorschüsse nur für den Zeitraum von bis einzustellen seien.

Der Bund und der Vater haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt (Zustellung an den Vertreter des Bundes am und an den Vater am ).

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht in der Entscheidung über die Zulassungsvorstellung genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

Die Argumentation der Minderjährigen in ihrem Revisionsrekurs lässt sich dahin zusammenfassen, dass durchaus eine Einstellung nur für den Zeitraum von bis erfolgen könne; zum Zeitpunkt der erstgerichtlichen Beschlussfassung habe jedenfalls kein gemeinsamer Haushalt mehr bestanden. Ein „Wiederaufleben" von eingestellten Vorschüssen liege nicht vor.

Dazu hat der Senat erwogen:

1.1. Ungeachtet des Wortlauts des § 20 Abs 1 Z 4 lit a UVG („... wenn eine der Voraussetzungen der Gewährung der Vorschüsse ... wegfällt") sieht die herrschende Auffassung auch dann einen Grund für eine Einstellung von Unterhaltsvorschüssen, wenn der Einstellungsgrund materiell bereits am Beginn der Vorschussgewährung vorlag, aber erst nach der Vorschussbewilligung hervorgekommen ist (1 Ob 364/98f = SZ 72/50 = RIS-Justiz RS0111783; Knoll, Kommentar zum Unterhaltsvorschußgesetz [13. Lfg 1990] § 20 Rz 4 und 7); in diesem Fall ist die Einstellung rückwirkend ab dem Tag des Beginns der Vorschussgewährung anzuordnen (Haselberger, UVG [1996] § 20 Anm 6; Neumayr in Schwimann3 I § 20 UVG Rz 9 und 12).

1.2. Eine Einstellung von Vorschüssen nur für einen begrenzten, aus Sicht der erstinstanzlichen Beschlussfassung in der Vergangenheit liegenden Zeitraum wird in der Literatur für zulässig erachtet (Knoll, § 20 UVG Rz 9 [„Unterbrechung"]; Neumayr in Schwimann, ABGB3 I § 20 UVG Rz 4 mit Hinweis auf die divergente ältere zweitinstanzliche Rechtsprechung). Dieser Ansicht schließt sich der Oberste Gerichtshof an.

1.3. Nach ganz herrschender Auffassung können eingestellte Vorschüsse nicht gleichsam automatisch (nach Wegfall des Einstellungsgrundes) wieder „aufleben"; vielmehr ist ein neuer Vorschussantrag zu stellen (Knoll, § 20 UVG Rz 8 aE; Neumayr in Schwimann3 I § 20 UVG Rz 10 mwN aus der zweitinstanzlichen Rechtsprechung).

2.1. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht zum einen die Vorschüsse nicht bereits ab Gewährungsbeginn (), sondern erst ab eingestellt, obwohl der Begründung des erstgerichtlichen Beschlusses zu entnehmen ist, dass die Voraussetzungen für eine Vorschussgewährung bereits von Anfang an nicht vorgelegen wären. Nach dem Spruch der Entscheidung ist allerdings der Vorschussanspruch für Jänner 2005 als berechtigt anzusehen.

Zum anderen war zum Zeitpunkt der Beschlussfassung erster Instanz der gemeinsame Haushalt im Sinne des § 2 Abs 2 Z 1 UVG bereits wieder aufgehoben (nach den Feststellungen bestand er bis Ende Juni 2007).

War aber nach der insoweit nicht bekämpften Entscheidung des Erstgerichts (wie sie sich im Spruch manifestiert) der Vorschussanspruch im Jänner 2005 als berechtigt anzusehen, und lagen die Vorschussvoraussetzungen ab Juli 2007 wieder vor, wären die Vorschüsse nur für einen begrenzten in der Vergangenheit liegenden Zeitraum - nämlich von bis - einzustellen gewesen.

2.2. Die vom Rekursgericht ins Spiel gebrachte „Privilegierung" von Personen, die einen Vorschussanspruch von vornherein erschlichen haben, betrifft in erster Linie die Frage, ob die Nicht-Einstellung des Vorschusses für Jänner 2005 einen Einfluss darauf hat, dass der Vorschussanspruch von vornherein als materiell unberechtigt anzusehen wäre. Allerdings wird außer Acht gelassen, dass der Vorschuss für Jänner 2005 nach dem Spruch der erstinstanzlichen Entscheidung gerade nicht eingestellt wurde, sodass die Anspruchsvoraussetzungen für diesen Monat als erfüllt anzusehen sind.

2.3. In zweiter Linie wird damit auch die Problematik angesprochen, ob hinsichtlich des Vorschussanspruchs ab danach differenziert werden kann, ob die Vorschüsse ab oder ab eingestellt wurden. Wenn - wie hier - Vorschüsse in der Vergangenheit laufend gewährt wurden, kann in keinem der beiden Fälle von einem „Wiederaufleben" nach einer Einstellung gesprochen werden, sondern immer nur von einer rückwirkenden Einstellung für einen begrenzten Zeitraum. Während des Laufes der Vorschüsse bestand auch für das Kind kein Anlass, mit Aufhebung der Lebensgemeinschaft seiner Eltern (im Hinblick auf eine mögliche rückwirkende Einstellung) einen neuen Vorschussantrag zu stellen.

3. Demnach ist dem Revisionsrekurs der Minderjährigen Folge zu geben; die Entscheidungen der Vorinstanzen sind im Sinne einer Einstellung der Unterhaltsvorschüsse nur für den Zeitraum von bis abzuändern.