OGH vom 26.11.2002, 10ObS145/02z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Mag. Harald Koszanits (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Elisabeth S*****, vertreten durch Mag. Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1031 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Christian Preschitz und Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwälte in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 12 Rs 172/01b-9, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 16 Cgs 266/00i (16 Cgs 305/00z)-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird von Amtswegen fortgesetzt. Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil des Berufungsgerichtes, das in seinem den ehemaligen Kläger Friedrich N***** betreffenden Teil als unangefochten unberührt bleibt, wird in Ansehung der Klägerin dahin abgeändert, dass es insoweit zu lauten hat:
"1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß ab zu gewähren, besteht dem Grunde nach zu Recht.
2. Der beklagten Partei wird aufgetragen, der Klägerin ab bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von EUR 200 monatlich zu erbringen, und zwar die bis zur Zustellung dieses Urteils fälligen Zahlungen binnen 14 Tagen, die weiteren jeweils im Nachhinein am Ersten des Folgemonats.
3. Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit EUR 419,95 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten EUR 69,99 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen."
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der Klägerin binnen 14 Tagen die mit EUR 354,68 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten EUR 59,11 Umsatzsteuer) und die mit EUR 333,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten EUR 55,52 Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die beklagte Partei hat mit Bescheid vom den Antrag der am geborenen Klägerin vom bzw auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitspension bzw vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin nicht erwerbsunfähig sei und die Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit ab dem Stichtag gemäß § 274 Abs 2 BSVG nicht mehr vorgesehen sei. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin Klage mit dem Begehren auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß ab (= Zeitpunkt der Aufgabe der von der Klägerin ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit). Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und trug der beklagten Partei die Erbringung einer vorläufigen Zahlung auf. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, die Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG idF der 23. Novelle zum BSVG, BGBl I Nr 176/1999, sei durch das SVÄG 2000 (BGBl I Nr 43/2000) nicht außer Kraft gesetzt worden und stehe daher weiterhin in Geltung. Die Klägerin erfülle unstrittig die medizinischen und sonstigen Anspruchsvoraussetzungen des § 122c BSVG in der bis geltenden Fassung, weil sie am das 50. Lebensjahr und zum Stichtag das 55. Lebensjahr vollendet habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab. Es teilte zwar unter Bezugnahmen auf die Ausführungen des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung 10 ObS 220/01b vom die Rechtsansicht des Erstgerichtes, wonach die Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG auch nach der Aufhebung des § 122c BSVG durch § 274 Abs 2 BSVG idF SVÄG eine taugliche Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit bildete. Das Berufungsgericht verwies aber darauf, dass sich mittlerweile die Rechtslage geändert habe, da nach § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Novelle, BGBl I Nr 101/2001, die Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG rückwirkend mit Ablauf des außer Kraft getreten sei.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Wie der erkennende Senat bereits in den Entscheidungen 10 ObS 219/01f und 10 ObS 220/01b vom sowie in weiteren Entscheidungen in vergleichbaren Fällen (vgl die Judikaturnachweise in RIS-Justiz RS011590) näher begründet hat, ist die Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG trotz der mit erfolgten Aufhebung des § 122c BSVG durch § 274 Abs 2 BSVG idF SVÄG 2000, BGBl I Nr 43/2000, vorerst weiterhin in Geltung geblieben. Erst durch § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Novelle, BGBl I Nr 101/2001, kundgemacht am , wurde § 255 Abs 21 BSVG rückwirkend mit Ablauf des aufgehoben. Da diese Rechtsänderung im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen ist, der erkennende Senat gegen diese rückwirkende Aufhebung jedoch verfassungsrechtliche Bedenken hatte, stellte er wie bereits in den beiden anhängigen Verfahren 10 ObS 294/01k und 10 ObS 24/02f auch im gegenständlichen Verfahren mit Beschluss vom beim Verfassungsgerichtshof den Antrag, § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Novelle (BGBl I Nr 101/2001) als verfassungswidrig aufzuheben.
Mit dem auch andere Aufhebungsanträge erledigenden Erkenntnis vom , G 42/02 ua, sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass die Wortfolge "rückwirkend mit Ablauf des " in § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Novelle, BGBl I Nr 101/2001, als verfassungswidrig aufgehoben wird und die aufgehobene Bestimmung unter anderem auch im gegenständlichen Verfahren nicht mehr anzuwenden ist. Der Verfassungsgerichtshof erkannte in seiner Begründung die gegen die Rückwirkung der Aufhebung vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken für berechtigt.
Nach Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes war das unterbrochene Revisionsverfahren von Amtswegen fortzusetzen. Auf Grund dieses Erkenntnisses steht fest, dass für die Klägerin zu dem im vorliegenden Verfahren maßgebenden Stichtag (= Zeitpunkt der Aufgabe der von der Klägerin ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit) die Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG noch in Geltung stand und damit eine taugliche Rechtsgrundlage für den von ihr geltend gemachten Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit bildet. Da von der beklagten Partei nicht bestritten wurde, dass die Klägerin unter Bedachtnahme auf § 255 Abs 21 BSVG idF der 23. BSVG-Novelle, BGBl I Nr 176/1999, die Anspruchsvoraussetzungen für die beantragte Leistung zum genannten Stichtag erfüllt, besteht das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht. Es erübrigt sich somit ein Eingehen auf die von der Revisionswerberin noch vorgetragenen gemeinschaftsrechtlichen Argumente. Das angefochtene Urteil ist daher unter Anwendung des § 89 Abs 2 ASGG wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern. Die Höhe der vorläufigen Zahlung orientiert sich an der von der beklagten Partei im Pensionsakt vorgenommenen Pensionsberechnung.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Da gemeinschaftsrechtliche Fragen nicht zu beurteilen waren, kommt eine Erhöhung der auf den Revisionsschriftsatz entfallenden Entlohnung nach der Anmerkung 5 zu TP 3 RATG nicht in Betracht.