OGH vom 28.06.2005, 10Ob54/05x
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kärntner S***** G***** GesmbH, *****, vertreten durch Dr. Franz Zimmermann, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagten Parteien 1.) Erich S*****, und 2.) Elfriede S*****, beide *****, vertreten durch Mag. Dr. Rainer Beck, Rechtsanwalt in Graz, wegen Abgabe einer Aufsandungserklärung (Streitwert EUR 8.720,74), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 320/04t-38, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom , GZ 20 C 1145/01b-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien zu Handen des Beklagtenvertreters die mit EUR 732,23 (darin enthalten EUR 122,04 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 157 GB ***** mit den Grundstücken 11/3, 14/2, 14/5, 387, 388 und 6/8. Die Beklagten sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft EZ 166 GB *****, zu deren Gutsbestand ua das Grundstück 386 gehört.
Rechtskräftig entschieden ist bereits, dass entsprechend dem Anerkenntnis der Beklagten der Klägerin zu Gunsten ihrer Liegenschaft über das Grundstück 386 der Liegenschaft der Beklagten ein Geh- und Fahrrecht beschränkt auf die private Nutzung jener beider Wohnungen im Gebäude auf dem Grundstück 6/8 zusteht, die sich bereits am in diesem Haus befunden haben, und die Beklagten in die Verbücherung dieser Dienstbarkeit einzuwilligen haben. Nach wie vor strittig ist jedoch, ob der Klägerin ein darüber hinausgehendes - unbeschränktes - Geh- und Fahrrecht über das Grundstück 386 der Beklagten zusteht.
Das Erstgericht wies dieses Mehrbegehren sowie ein diesbezügliches Eventualbegehren der Klägerin im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Beklagten hätten insoweit mit Recht den gutgläubigen lastenfreien Erwerb des Grundstückes 386 im Jahr 1970 geltend gemacht. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Die Klägerin stütze ihr Begehren einerseits auf Ersitzung (Ausübung des Geh- und Fahrrechtes durch mehr als 30 Jahre) und andererseits auf eine vertragliche Einräumung an ihre Rechtsvorgänger im Jahr 1931. Beiden möglichen Anspruchsgrundlagen sei jedoch der gutgläubige Erwerb der - im noch strittigen Umfang - lastenfreien Liegenschaft durch die Beklagten im Jahr 1970 entgegenzuhalten. Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil keine Frage von der im § 502 Abs 1 ZPO genannten besonderen und über den vorliegenden Einzelfall hinausgehenden Bedeutung zu beurteilen sei. Über Antrag der Klägerin änderte es diesen Ausspruch jedoch dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei. Dieser Beschluss wird lediglich damit begründet, dass „das Gewicht der Argumente der Revisionswerberin unter Berücksichtigung der Aktenlage die Zulassung der ordentlichen Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO rechtfertige".
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht nimmt damit auf den konkreten Sachverhalt nicht Bezug und verstößt daher gegen die zwingende Bestimmung des § 508 Abs 3 letzter Halbsatz ZPO, wonach der Beschluss über die Abänderung des Zulässigkeitsausspruches kurz zu begründen ist. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass sich die nach dem Gesetz erforderliche Prüfung der Stichhaltigkeit eines Abänderungsantrags gemäß § 508 Abs 1 ZPO nicht in einer Scheinbegründung erschöpfen dürfe und sich das Gericht zweiter Instanz bei seiner Prüfung mit den Antragsargumenten wenngleich kurz, so doch sachlich auseinanderzusetzen habe (1 Ob 46/04b mwN). Allerdings ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an die Beurteilung des Gerichtes zweiter Instanz über das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage nicht gebunden. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.
Die Revisionswerberin macht inhaltlich den Nichtigkeitsgrund gemäß § 477 Abs 1 Z 9 ZPO geltend, weil die Fassung des Berufungsurteiles so mangelhaft sei, dass eine Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden könne. Es bleibe nämlich unklar, welcher Sachverhalt der rechtlichen Beurteilung unterzogen worden sei. Der genannte Nichtigkeitsgrund ist nur dann gegeben, wenn die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt (SZ 52/196). Davon kann hier aber keine Rede sein. Auch der Umstand, dass ein Berufungsgericht die gesamten erstrichterlichen Feststellungen übernimmt und hinsichtlich der Einzelheiten auf die Ausführungen des Ersturteiles verweist, begründet weder eine Nichtigkeit noch eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens (SZ 52/196).
Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens (§ 503 Z 2 ZPO) und eine Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 3 ZPO) liegen nicht vor; diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Die in den Rechtsmittelausführungen zu diesen beiden Revisionsgründen auch enthaltene Beweisrüge ist unzulässig.
In der Sache selbst ist ausgehend davon, dass der strittige Dienstbarkeitsvertrag nicht verbüchert wurde, darauf hinzuweisen, dass das dingliche Recht der Dienstbarkeit nach österreichischem Recht grundsätzlich nur durch Eintragung im Grundbuch erworben wird (§ 481 Abs 1 ABGB). Der Oberste Gerichtshof vertritt in stRsp die Ansicht, dass vertragliche, nicht verbücherte Servituten zwar zulässig sind, jedoch nur die Vertragsparteien binden. Darüber hinaus sind sie gegen deren Gesamtrechtsnachfolger und bei Übernahme durch einen Einzelrechtsnachfolger auch diesem gegenüber wirksam. Nach hM wird das Eintragungsprinzip dann durchbrochen, wenn der Belastete die Dienstbarkeit kannte oder sie offenkundig ist. Wer in Kenntnis der Ausübung von Rechten Dritter an einer Liegenschaft ein grundbücherlich lastenfreies Grundstück erwirbt, kann sich nicht mit Erfolg auf den Grundbuchsstand berufen. Dasselbe gilt nach ständiger Rechtsprechung, wenn auf Grund der Umstände bei einiger Aufmerksamkeit das Bestehen einer Dienstbarkeit zu vermuten ist. Offenkundige, nicht verbücherte Dienstbarkeiten, die dem Eigentümer der belasteten Liegenschaft bekannt sind oder bekannt sein müssen, werden sachenrechtlich somit wie eingetragene Dienstbarkeiten behandelt. Wer einen gültigen Titel besitzt, ist bei offenkundigen Dienstbarkeiten trotz Nichtverbücherung geschützt, sofern es nicht nach dem Willen der Parteien bei einem bloß obligatorischen Recht ohne Verbücherung bleiben soll (NZ 2003/17, 52; 4 Ob 285/00s; SZ 72/192 jeweils mwN ua). Eine nicht verbücherte, nicht offenkundige Dienstbarkeit erlischt daher - von hier nicht relevanten regionalen Ausnahmen abgesehen - durch den gutgläubigen Erwerb des belasteten Grundstückes (1 Ob 128/98z mwN).
Darüber hinaus muss der Eigentümer sowie jeder Erwerber nicht verbücherte Servituten an seiner Sache gemäß § 1455 ABGB dann gegen sich gelten lassen, wenn diese Dienstbarkeiten ersessen sind. Das durch Ersitzung erworbene Dienstbarkeitsrecht braucht der Erwerber aber nicht gegen sich gelten zu lassen, wenn er gutgläubig war (§ 1500 ABGB). Ein neuer bücherlicher Eigentümer erwirbt daher frei von einer laufenden oder schon vollendeten Ersitzung, wenn er die Ausübung der Dienstbarkeit nicht kennen musste, also eine offenkundige Dienstbarkeit nicht vorlag (NZ 2002/29, 77; 9 Ob 252/02b; 5 Ob 283/00d jeweils mwN).
Diese dargelegten Grundsätze sind durch ständige höchstgerichtliche Rechtsprechung geklärt.
Der gute Glaube des Erwerbers muss nach ebenfalls ständiger und einheitlicher Rechtsprechung dabei sowohl im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses als auch im Zeitpunkt des Ansuchens um Einverleibung gegeben sein; auf einen nachträglichen schlechten Glauben kommt es nicht an. Gutgläubigkeit des Erwerbers ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ausgeschlossen, wenn er in schuldhafter Weise Indizien für das Abweichen des Grundbuchsstandes von den tatsächlichen Verhältnissen ignoriert. Es genügt hiebei leichte Fahrlässigkeit. Der Umfang der Sorgfaltspflichten bestimmt sich nach der Verkehrsübung. Der Erwerber einer Liegenschaft ist zu Nachforschungen verpflichtet, wenn sich aus den besonderen Umständen Bedenken gegen die Vollständigkeit des Grundbuches ergeben. Dies ist der Fall, wenn sichtbare Anlagen auf dem Grund oder sonstige Einrichtungen oder Vorgänge, die man dort bzw von dort aus bei einiger Aufmerksamkeit wahrnehmen kann, das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen. Die Sorgfaltsanforderungen an den Erwerber dürfen aber nicht überspannt werden, weil sonst das Grundbuch entwertet würde. Wenn auch das Grundbuch für Dienstbarkeiten von vornherein eine geringere Aussagekraft besitzt, weil diese Rechte erfahrungsgemäß nicht immer lückenlos verbüchert sind, muss der Erwerber einer Liegenschaft das Bestehen nicht verbücherter Benützungsrechte nicht geradezu vermuten. Für den mangelnden guten Glauben des Erwerbers einer Liegenschaft an der Freiheit von Dienstbarkeiten ist der angebliche Dienstbarkeitsberechtigte - hier die Klägerin - behauptungs- und beweispflichtig (7 Ob 95/03a; NZ 2002/29, 77; 1 Ob 150/99m jeweils mwN).
Ob im Zeitpunkt des Erwerbes des dienenden Grundstückes Anlagen oder sonstige Einrichtungen vorhanden waren, die diesen Zweck des Dienens als offenkundig erkennen ließen und eine Erkundigungspflicht auslösten, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und stellt zufolge dieser Einzelfallbezogenheit nur dann eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO dar, wenn dem Berufungsgericht eine Fehlbeurteilung unterläuft, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf (7 Ob 95/03a; NZ 2002/29, 77 jeweils mwN).
Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen eine Offenkundigkeit des Servitutsrechtes der Klägerin deshalb verneint, weil die Beklagten beim Erwerb der Liegenschaft auf Grund des Kaufvertrages vom vom Verkäufer ausdrücklich darauf hingewiesen wurden, dass niemand ein Servitutsrecht betreffend das verfahrensgegenständliche Grundstück habe. Diese im Grundbuch ersichtliche und vertraglich zugesicherte Lastenfreiheit der Liegenschaft wurde den Beklagten nach den bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen durch eigene Wahrnehmungen in den Jahren vor dem Vertragsabschluss auch dadurch bestätigt, dass sie regelmäßig beobachten konnten, dass zur Liegenschaft der Klägerin auf direktem Wege über das Grundstück 6/2 der Nachbarliegenschaft und nicht über ihr Grundstück 386 zugefahren wurde. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen waren die Beklagten daher überzeugt, dass keine Dienstbarkeiten zu Lasten der Kaufliegenschaft bestehen, zumal der Verkäufer der Liegenschaft bei den beiden Beklagten den Ruf eines sehr ehrlichen Menschen genossen hat und der Grundbuchsstand die von ihm mitgeteilte Lastenfreiheit vollinhaltlich bestätigt hat. Soweit die behauptungs- und beweispflichtige Klägerin in ihren Revisionsausführungen erstmals geltend macht, die Verbücherung des Kaufvertrages vom sei erst im Jahr 1980, also rund 10 Jahre nach Vertragsabschluss, erfolgt und die Beklagten hätten nach ihrem Wissensstand zu diesem Zeitpunkt nicht mehr darauf vertrauen dürfen, dass dem Eigentümer der klägerischen Liegenschaft kein Geh- und Fahrrecht über das Grundstück 386 (auch zum Zwecke einer gewerblichen Nutzung) zustehe, handelt es sich dabei um eine im Rechtsmittelverfahren unzulässige Neuerung. Die Vorinstanzen haben somit dadurch, dass sie eine weitergehende Erkundigungspflicht der Erwerber der Liegenschaft im gegenständlichen Fall verneinten, den ihnen zustehenden Beurteilungsspielraum nicht verlassen und insofern keine Rechtsansicht vertreten, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte. Es sind daher die in den Revisionsausführungen ebenfalls relevierten Aussagen des Erstgerichtes zur Frage der Auswirkungen von Zeiten eines öffentlich-rechtlichen Gemeingebrauchs auf die Frage der Ersitzung einer Dienstbarkeit nicht mehr entscheidungsrelevant (vgl dazu Kiendl-Wendner in Schwimann, ABGB3 § 480 Rz 7).
Die Revision der Klägerin war daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.