VfGH vom 02.12.2002, B1693/01
Sammlungsnummer
16746
Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Nichtberücksichtigung der Frage der Auswirkungen der Gewährung der staatlichen Prämie für die Beschäftigung behinderter Dienstnehmer auf die Preisbildung in einem Ausschreibungsverfahren; Willkür aufgrund Verneinung der Zurechenbarkeit der möglichen Lukrierung der Prämie durch den Auftraggeber infolge bestimmter Art von Leistungserbringung durch den Anbieter zum Zuschlagskriterium des günstigsten Preises
Spruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird insoweit aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit € 2.143,68 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Auftraggeber Internationales Studentenhaus Innsbruck, Gemeinnützige GmbH, hat mit Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften die Lieferung von Einbaumöbeln im offenen Verfahren ausgeschrieben. Als Zuschlagskriterien wurden in den Ausschreibungsunterlagen der Preis, gewichtet mit 90 Punkten, die Gewährleistungsverlängerung, gewichtet mit 5 Punkten, sowie der Kundendienststützpunkt, gewichtet ebenfalls mit 5 Punkten, formuliert. Die beschwerdeführende Gesellschaft hat sich an diesem Vergabeverfahren durch Legung eines Angebots beteiligt. In ihrem Angebot war vermerkt, dass der Auftraggeber im Fall einer an sie erfolgenden Auftragserteilung eine Prämie gemäß § 9a Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) in der Höhe von 15% der Auftragssumme aus dem beim Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales gebildeten Ausgleichstaxfonds lukrieren könnte. Unter Zugrundelegung eines durch Inanspruchnahme der bezogenen Prämie verringerten Gesamtpreises wurde das Angebot erstgereiht; ohne entsprechende Berücksichtigung wäre das Angebot an vierter Stelle gereiht worden.
Nach Bekanntgabe der beabsichtigten Zuschlagserteilung an die beschwerdeführende Gesellschaft gemäß § 53a Bundesvergabegesetz 1997 (BVergG) beantragte ein übergangener Bieter die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens beim Bundesvergabeamt (BVA) mit dem Begehren, die Zuschlagsentscheidung für nichtig zu erklären sowie eine einstweilige Verfügung zu erlassen.
Mit Bescheid vom , Z N-102/01-24, gab das BVA diesem Antrag teilweise statt und erklärte mit Spruchpunkt I. die Zuschlagsentscheidung an die beschwerdeführende Gesellschaft für nichtig. Der auf die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gerichtete Antrag wurde mit Spruchpunkt II. zurückgewiesen.
2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die sich der Sache nach aber nur gegen Spruchpunkt I. des Bescheides richtet und in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie auf Gleichheit vor dem Gesetz behauptet sowie die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.
Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der es den Ausführungen in der Beschwerde entgegentritt.
Jene Gesellschaft, die vor dem BVA als Antragstellerin aufgetreten ist, hat als mitbeteiligte Partei eine als Gegenschrift bezeichnete Äußerung erstattet, in der sie den Ausführungen in der Beschwerde entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Willkürliches Verhalten ist der Behörde unter anderem dann vorzuwerfen, wenn sie bei Erlassung eines Bescheides die Rechtslage grundlegend verkannt hat oder wenn sie in einem entscheidenden Punkt jede Ermittlungstätigkeit oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren überhaupt unterlassen hat (vgl. etwa VfSlg. 10.338/1985, 11.436/1987).
b) Solche Fehler sind der belangten Behörde im vorliegenden Fall anzulasten:
Das BVA ging nämlich davon aus, dass sich das im Angebot enthaltene Versprechen, die ausgeschriebene Leistung in der Weise zu erbringen, dass der Auftraggeber die in § 9a Abs 2 BEinstG vorgesehene Prämie lukrieren könne, nicht dem Zuschlagskriterium des günstigsten Preises zuzurechnen sei; vielmehr handle es sich um ein aliud, da die Prämie nicht vom Auftragnehmer direkt gewährt werde. Die Prämie sei daher ein vom Preisfaktor zu unterscheidender Faktor, auf den eine Zuschlagsentscheidung nicht gegründet werden könne, wenn er in der Ausschreibung nicht ausdrücklich bekannt gegeben worden sei. Diese Auffassung stützte das BVA auch auf die Entscheidung des EuGH in der Rs. 31/87, Beentjes, Slg. 1988, 4635 ff., nach der es zwar unter bestimmten Voraussetzungen zulässig ist, auf "vergabefremde Kriterien" abzustellen, aber auch diesfalls solche Kriterien in der Bekanntmachung der Ausschreibung oder in den Verdingungsunterlagen anzugeben seien.
Mit der Qualifikation der in Rede stehenden Prämie als ein vom Preiskriterium verschiedenes Kriterium hat das BVA die Funktion des Versprechens, die ausgeschriebene Leistung so zu erbringen, dass der Auftraggeber die genannte Prämie lukrieren könne, grundlegend verkannt. Dieser Teil des Angebots des beschwerdeführenden Bieters stellt der Sache nach - wie die vergebende Stelle richtig erkannt hat - einen vom Bieter versprochenen Preisnachlass dar und wäre daher im Rahmen des Vergabekriteriums "Preis" zu würdigen. Der Umstand, dass ein solcher Preisnachlass, stünde er dem Auftraggeber in der Tat zu, nicht direkt vom Auftragnehmer gewährt werden kann, sondern dem Auftraggeber von einem Dritten bezahlt würde, ist bloß eine Folge der spezifischen legistischen Gestaltung des BEinstG. Dieser Umstand kann aber nicht dazu führen, dass eine den Preis, den der Auftraggeber für die bedungene Leistung letztlich zu entrichten hat, mindernde Prämie als vom Vergabekriterium "Preis" unterschiedliches Vergabekriterium gewertet wird. Es kann - vor dem Hintergrund der Anforderungen des Gleichheitsgebotes - für die Zuordnung einer derartigen Prämie zum Vergabekriterium "Preis" nicht maßgeblich sein, ob nach dem BEinstG eine Prämie dem Auftragnehmer zuerkannt wird, der sie dann als Preisnachlass "weitergeben" kann, oder direkt dem Auftraggeber.
Freilich hätte sich die Behörde zunächst ein Bild darüber machen müssen, ob eine Prämie im Sinne des § 9a Abs 2 BEinstG für den Fall, dass ein Auftraggeber einen Auftrag an ein Unternehmen vergibt, das selbst behinderte Mitarbeiter beschäftigt, überhaupt zu gewähren ist, ist eine solche Konstellation in dieser Bestimmung doch unmittelbar nicht geregelt; die fragliche Bestimmung sichert eine Prämie Dienstgebern zu, die im Rahmen ihrer Unternehmertätigkeit Arbeitsaufträge an Einrichtungen erteilen, in denen überwiegend behinderte Personen beschäftigt werden. Ob die Prämie auch für die - vergleichbare - Konstellation zu gewähren ist, dass ein Auftraggeber einen Auftrag an ein derartiges Unternehmen erteilt, hat die belangte Behörde - von ihrer verfehlten Rechtsansicht, dass es sich bei einer solchen Prämie nicht um ein Element des Preises handelt, ausgehend - nicht geklärt. Sie hat daher in einem für ihre Entscheidung wesentlichen Punkt überhaupt keine Überlegungen angestellt.
Zu klären wäre auch gewesen, ob die Berücksichtigung der Prämie - so sie dem Auftraggeber überhaupt zusteht - neben einer Förderung des Unternehmens nach § 9a Abs 1 BEinstG in Betracht kommt. Für sich allein können die Prämien nicht als diskriminierend angesehen werden, da ihnen eine wettbewerbsverzerrende Wirkung nicht zukommt: Denn zum einen stellt sich die Prämie bloß als Ausgleich dafür dar, dass ein Unternehmen durch die - im öffentlichen Interesse erwünschte, auf die Gleichbehandlung von behinderten und nicht-behinderten Menschen abzielende (vgl. Art 7 Abs 1 zweiter und dritter Satz B-VG) - Beschäftigung von behinderten Arbeitnehmern höhere Gestehungskosten für die Erbringung seiner Leistungen in Kauf nimmt (vgl. auch die Erläuterungen zu § 9a leg.cit.: 691 BlgNR, 16. GP). Zum anderen steht die Gewährung der Werkprämie grundsätzlich auch ausländischen Dienstgebern zu, wenn im Zeitpunkt der Auftragserteilung mindestens einer seiner Dienstnehmer im Territorialgebiet der EU beschäftigt wird (vgl. den Hinweis auf einen einschlägigen Erlass des Bundesministers [damals] für Arbeit, Gesundheit und Soziales bei Ernst/Haller, Behinderteneinstellungsgesetz, 2000, 303, Rz 6), so dass die vom EuGH in der oben zitierten Entscheidung in der Rs. Bentjees (vgl. nunmehr auch , Concordia Bus Finnland, noch nicht in Slg.) gezogene Grenze für die Zulässigkeit derartiger Abgeltungen nicht verletzt wäre. Ob das aber auch dann gilt, wenn ein Unternehmen sowohl eine Prämie nach § 9a Abs 1 BEinStG lukriert als auch in der Lage ist, dem Auftraggeber eine Prämie nach Abs 2 dieser Bestimmung zu verschaffen, wäre von der belangten Behörde zu klären gewesen.
Der Umstand, dass das BVA diese Zusammenhänge nicht entsprechend beachtet hat, belastet seine Entscheidung mit Gleichheitswidrigkeit, weshalb der bekämpfte Bescheid im Umfang von Spruchpunkt I. aufzuheben war.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen werden. Der Kostenzuspruch gründet sich auf § 88 VfGG. Im zugesprochenen Kostenersatz ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- sowie eine Eingabegebühr in der Höhe von € 181,68 enthalten.