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OGH vom 25.11.2014, 10ObS144/14w

OGH vom 25.11.2014, 10ObS144/14w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Horst Nurschinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Robert Hyrohs, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 97/14g 39, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Antrag, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung der Sätze 2 bis 4 des § 255 Abs 2 ASVG idgF und die Feststellung, dass Satz 2 des § 255 Abs 2 ASVG idF BGBl I 111/2010 verfassungswidrig war, zu beantragen, wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger erwarb in den letzten fünfzehn Jahren vor dem Stichtag () 41 Versicherungsmonate infolge Bezugs einer (befristeten) Invaliditätspension. Im Zeitraum von bis erwarb er 28 Beitragsmonate der Pflichtversicherung aus unselbständiger Erwerbstätigkeit.

Die beklagte Partei lehnte den Antrag des am geborenen Klägers vom auf Gewährung einer Invaliditätspension ab, weil Invalidität nicht vorliege.

Die Vorinstanzen wiesen das auf Zuerkennung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab dem Stichtag gerichtete Klagebegehren mit der Begründung ab, der in § 255 Abs 2 ASVG angeführte Rahmenzeitraum verlängere sich (zwar) um Zeiten des Bezugs von Invaliditätspension und reiche daher hier von bis ; da der Kläger (aber) weniger als 90 Versicherungsmonate aufgrund einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach dem ASVG erworben habe, komme ihm kein Berufsschutz zu, wobei er mit seinem Leistungskalkül noch in der Lage sei, die festgestellten Hilfskrafttätigkeiten im Mengenleistungsbereich auszuüben. Die Anwendung der §§ 255 Abs 3a und 255 Abs 4 ASVG scheitere schon am Alter des Klägers. Das Berufungsgericht teilte auch nicht die vom Kläger gegen die geltende Rechtslage vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene außerordentliche Revision des Klägers ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Der Rechtsmittelwerber wiederholt allein seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 255 Abs 2 ASVG. Durch die zuletzt mit Bescheid vom erfolgte Weitergewährung einer befristeten Invaliditätspension bis habe er einen „grundsätzlichen Anspruch“ auf Gewährung der Invaliditätspension nach den bis zur 75. Novelle zum ASVG in Geltung stehenden gesetzlichen Bestimmungen erworben, sodass eine Bemessung nach der nunmehrigen Vorschrift in seine „wohlerworbenen Rechte eingreifen würde und für die Anspruchsvoraussetzungen daher nicht anzuwenden“ sei. Die Sätze 2 bis 4 des § 255 Abs 2 ASVG idF BGBl I 111/2010 seien verfassungswidrig; eine unterschiedliche Behandlung der Pensionsgewährung bei vor und nach Inkrafttreten der 75. Novelle eingetretenen Fällen widerspreche nämlich dem Gleichheitssatz, weil der Kläger während seiner Berufstätigkeit auf der damals geltenden Rechtslage basierende Pensionsbeiträge bezahlt habe. Wegen der unterschiedlichen Behandlung zwischen aktiven Beamten und Bundespensionisten habe der Verfassungsgerichtshof ( ua) § 40a PG 1965 aufgehoben. Diese Argumentation sei in der Entscheidung 10 ObS 50/12v, EvBl 2012/120 offensichtlich unerörtert geblieben.

Dem ist zu erwidern:

1. Zu diesen, bereits in der Berufung geäußerten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 255 Abs 2 Satz 2 bis 4 ASVG idF BGBl I 111/2010 kann vorweg auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden. Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof in dem vom Revisionswerber zitierten Erkenntnis vom , G 184-194, 200/87 wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt aufgezeigt hat gar keine gleichheitsrechtliche Beurteilung (durch Vergleich der Lage von ASVG Pensionisten und Bundespensionisten) vorgenommen, weil die Verfassungsmäßigkeit des § 40a PG unter anderem im Hinblick auf den nicht erreichten Regelungszweck verneint wurde, wonach sich Pensionisten einer Berufstätigkeit enthalten sollen, damit vorhandene Arbeitsplätze für Arbeitsuchende frei werden, wegen der Entlastung des Bundeshaushaltes und weil auch Bundespensionisten einen Akt der Solidarität zur Arbeitsproblematik „ ungeachtet allfälliger Unterschiede im Tatsächlichen zwischen Beamtenpensionen und Pensionen nach dem ASVG“ leisten sollten (10 ObS 168/90; 10 ObS 261/90; 10 ObS 268/90; 10 ObS 334/90 uva).

2. Der erkennende Senat hat in der Entscheidung 10 ObS 50/12v, SSV-NF 26/33 festgehalten, dass es in diesem Zusammenhang keineswegs unsachlich erscheint, „ dass der Gesetzgeber für die Erlangung des Berufsschutzes grundsätzlich auf das Vorliegen einer bestimmten Mindestversicherungszeit einer qualifizierten Erwerbstätigkeit in einem bestimmten Rahmenzeitraum … abstellt “.

3. Seit ist es somit für die Erlangung eines Berufsschutzes nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG grundsätzlich erforderlich, dass ein Versicherter 7,5 Jahre der Ausübung eines qualifizierten Berufs innerhalb von 15 Jahren vor dem Stichtag nachweisen kann. Motiv des Gesetzgebers war es, nur noch eine längere Ausübung des qualifizierten Berufs zu schützen. Bei Überprüfung des Überwiegens werden alle Zeiten einer qualifizierten Tätigkeit zusammengerechnet, also alle einschlägigen Arbeiter- und Angestelltenberufe berücksichtigt. Liegen in dem Rahmenzeitraum auch Zeiten der Kindererziehung, des Wochengeldbezugs, des Präsenz- oder Zivildienstes, so kommt es zu einer entsprechenden Rahmenfristerstreckung (10 ObS 12/14h; 10 ObS 63/14h mwN).

4. In der Entscheidung 10 ObS 12/14h hat der Oberste Gerichtshof aufgezeigt, dass für die Frage des Erhalts des Berufsschutzes nach § 255 Abs 2 ASVG - gemessen am Konzept des Gesetzgebers und zur Vermeidung einer dem Gleichheitssatz widersprechenden Rechtslage - das Vorliegen einer planwidrigen Gesetzeslücke bei der Frage der Erstreckung der Rahmenfrist anzunehmen und im Hinblick auf das Gebot der verfassungskonformen Interpretation im Wege der analogen Anwendung des § 255 Abs 4 Z 1 ASVG zu schließen ist (RIS-Justiz RS0129361; so auch Födermayr in SV-Komm § 255 ASVG Rz 114; jüngst: 10 ObS 63/14h).

5. Die mit der Novellierung des § 255 Abs 2 ASVG idF BGBl I 111/2010 eingeführte Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Erlangung eines Berufsschutzes wurde also bereits wiederholt dahin beurteilt, dass die unzweifelhafte Ausdrucksweise des Gesetzes in seinem wörtlichen (nächstliegenden) Verständnis keine offenbaren Wertungswidersprüche in der Rechtsordnung provoziert, mit bestehendem Wertungskonsens innerhalb der Rechtsgemeinschaft nicht unvereinbar ist und auch der „Natur der Sache“ nicht zuwiderläuft (10 ObS 50/12v, SSV NF 26/33; 10 ObS 12/14h; 10 ObS 63/14h).

Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher weiterhin nicht zur vom Kläger ausdrücklich beantragten Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof zwecks Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Bestimmungen des ASVG veranlasst, weshalb die außerordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen ist (Punkt I.).

Da den Parteien nach ständiger Rechtsprechung kein Antragsrecht zukommt, beim Verfassungsgerichtshof die Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu begehren (RIS-Justiz RS0054189; RS0058452), ist (zu Punkt II.) auch der diesbezügliche Antrag des Klägers zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0053805 [T13]).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2014:010OBS00144.14W.1125.000