zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 12.06.1995, B1665/94

VfGH vom 12.06.1995, B1665/94

Sammlungsnummer

******

Leitsatz

Verletzung des Beschwerdeführers im Recht auf Privat- und Familienleben durch die Versagung einer Aufenthaltsbewilligung mangels einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft wegen Unterlassung der bei verfassungskonformer Auslegung des § 5 Abs 1 AufenthaltsG gebotenen Interessenabwägung; keine Bedenken gegen § 5 Abs 1 AufenthaltsG

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern, zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit je 18.000,- S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit den angefochtenen Bescheiden des (im Devolutionsweg zuständig gewordenen) Bundesministers für Inneres wurden Anträge der Ehegattin (Beschwerdeführerin zu B1599/94) eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit 1990 rechtmäßig in Österreich aufhält, sowie deren minderjähriger Kinder (Beschwerdeführer zu B1663/94, B1664/94 und B1665/94) unter Berufung auf § 5 Abs 1 des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. 466/1992, abgewiesen.

Die belangte Behörde begründete den die Aufenthaltsbewilligung für die Beschwerdeführerin zu B1599/94 versagenden Bescheid mit folgenden Ausführungen:

"Sie stellten zusammen mit Ihren drei Kindern am einen Antrag auf Familienzusammenführung zu Ihrem Ehemann. Die Erhebungen der BH Bregenz erbrachten, daß ihr Ehemann über eine Beschäftigung und Wohnung verfügt. Lt. Feststellung des Gemeindeamtes Reutte (wohl richtig: Reuthe) entspricht die Wohnung nicht den ortsüblichen Wohnverhältnissen in Vorarlberg.

Ihr Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wird somit abgelehnt."

Die die Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung der Beschwerdeführer zu B1663/94, B1664/94 und B1665/94 abweisenden Bescheide wurden unter Verweis auf den die Beschwerdeführerin zu B1599/94 betreffenden Bescheid mit der Begründung abgewiesen, der gesetzliche Vertreter habe den Nachweis für die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nicht erbringen können.

Gegen die Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützten Beschwerden, mit denen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK), in den Fällen B1663/94, B1664/94 und B1665/94 auch die Verletzung in Rechten wegen Anwendung gesetzwidriger Verordnungsbestimmungen geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1.a) Der angefochtene, eine Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagende Bescheid greift in das den Beschwerdeführern durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein, da sich deren Ehegatte bzw. Vater seit mehreren Jahren rechtmäßig in Österreich aufhält, und die Beschwerdeführer nunmehr Familienzusammenführung beantragten.

b) Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

c) Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis , mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in § 5 Abs 1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung (weil etwa eine Familienzusammenführung verhindert wird), in das durch Art 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art 8 Abs 2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

d) Die belangte Behörde hat in den angefochtenen Bescheiden die iS des Art 8 EMRK gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen.

Die angefochtenen Bescheide waren daher schon aus diesem Grund aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von je 3.000,- S enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.