OGH vom 27.05.2008, 10Ob52/08g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dipl.-Ing. P***** GmbH & Co KEG, *****, vertreten durch Dr. Carl C. Knittl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei M***** Handelsges.m.b.H., *****, vertreten durch Eckert & Fries Rechtsanwälte Gesellschaft m.b.H. in Baden, wegen 9.023,76 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 17 R 316/07b-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 8 C 882/06p-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wie folgt zu lauten hat:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 9.023,76 EUR samt 4 % Zinsen seit dem zu bezahlen und die Prozesskosten zu ersetzen, wird abgewiesen."
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.831,11 EUR (darin 203,46 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 1.905,04 EUR (darin 161,84 EUR Umsatzsteuer und 934 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 1.910,27 EUR (darin 123,71 EUR Umsatzsteuer und 1.168 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Mietvertrag vom vermietete die klagende Partei der beklagten Partei „die auf dem Areal ... befindliche Halle 2 mit einer Nutzfläche von 1165 m2. Vertragsgegenstand ist weiters das ganze vor der Halle 1 befindliche Bürohaus und der vom Bürohaus begehbare und in die Halle 1 hineinragende Raum. Im Parterre der Halle steht der Mieterin weiters die Alleinbenützung des an das Bürohaus anschließenden ersten Raumes sowie des anschließenden Speiseraumes zu. ... Hinsichtlich der an den Speiseraum anschließenden Räume, insbesondere Duschraum, WC und Spindraum, gebührt der Mieterin das Mitbenützungsrecht. Der Mieterin stehen zur Alleinbenützung jedenfalls zumindest so viele Spinde und Duschen zu, wie sie jeweils vom Arbeitsinspektorat für deren Betrieb gefordert werden. Die Fläche zwischen Bürohaus, Halle 1 und Halle 2 einerseits und der Straße andererseits dient als Parkplatz. ... Links vom Bürohaus befinden sich entlang der Längsseite der Halle 1 Parkplätze. Diesen Streifen ist die Mieterin berechtigt mitzubenützen. Es muss jedoch stets das Vorbeifahren gesichert sein."
Punkt 3. des Mietvertrags enthält eine Wertsicherungsklausel, ausgehend vom Indexwert (VPI 1996) für den Jänner 2000. Das Verwaltungs- und Bürogebäude wurde in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, also nach dem , errichtet; öffentliche Mittel wurden nicht verwendet. Es wurde unmittelbar an die seit etwa 150 Jahren bestehende Halle 1 angebaut, um die Mitbenützung von in der Halle 1 untergebrachten Räumlichkeiten zu ermöglichen. Diese in der Halle 1 gelegenen Räumlichkeiten waren bisher nie selbständig vermietet, sondern immer nur im Zusammenhang mit der Vermietung der Hallen bzw des Verwaltungs- und Bürogebäudes zur Mitbenützung im Mietvertrag mitumfasst. Eine selbständige Vermietung würde eine räumliche Umgestaltung erforderlich machen. Die Halle 2 wurde in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, also nach dem , errichtet, ebenfalls ohne Zuhilfenahme öffentlicher Förderungsmittel.
Außer an die beklagte Partei hat die klagende Partei Teile der Liegenschaft an 25 bis 30 weitere Bestandnehmer vermietet. Neben zahlreichen privaten Mietern, die die entsprechenden Flächen als Lagerräume verwenden, befinden sich ein Unternehmen für Trockenausbau, zwei Unternehmen für Altstoffverwertung, eine Softwarefirma und ein Bühnenbildner auf dem Areal der Liegenschaft. Mit der am eingebrachten Klage begehrt die klagende Vermieterin von der beklagten Mieterin 9.023,76 EUR an Wertsicherungsnachforderung für den Zeitraum von August 2003 bis einschließlich März 2006.
Die beklagte Mieterin wandte ein, dass der gesamte Mietvertrag dem Vollanwendungsbereich des MRG, jedenfalls aber dem § 16 Abs 9 MRG unterliege, weshalb eine Nachforderung infolge Indexanpassung unzulässig sei. Darüber hinaus habe die klagende Partei konkludent auf die Anwendung der Wertsicherungsklausel verzichtet. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren (abgesehen von einem Teil des Zinsenbegehrens) statt. Hinsichtlich der Halle 2 und des Verwaltungs- und Bürogebäudes lägen die Voraussetzungen des § 1 Abs 4 Z 1 MRG (Teilanwendungsbereich des MRG) vor, da diese Gebäude jeweils ohne öffentliche Förderungsmittel in den 60er- bzw 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichtet worden seien. Hinsichtlich der in Halle 1 gelegenen, von der beklagten Partei mitgemieteten Räumlichkeiten handle es sich lediglich um Nebenbestandteile des Verwaltungs- und Bürogebäudes, also bloß „mitgemietete" Räumlichkeiten, die nicht eigenständig unter die Tatbestände des MRG subsumierbar seien. Somit falle der gesamte Vertrag in den Teilanwendungsbereich des MRG. Da die klagende Partei auch nicht konkludent auf die Erhöhungsbeträge verzichtet habe, sei das Klagebegehren berechtigt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es verneinte eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens, übernahm die Feststellungen des Erstgerichts und bestätigte dessen rechtliche Beurteilung. Da auch § 16 Abs 9 MRG als „Mietzinsanhebungsvorschrift" zu qualifizieren sei und ein krasses Missverhältnis zwischen dem Gebrauchswert der „geschützten" und der „freien" Räume nicht gegeben sei, die „geschützten" Räumlichkeiten nur zwischen 50 und 70 m2 betragen würden (allein die Halle 2 - ohne Verwaltungs- und Bürogebäude - habe eine Nutzfläche von 1165 m2) und die Vermietung des einen ohne das andere für die beklagte Partei auch nicht zweckentsprechend wäre, sei das gemietete Bestandobjekt zur Gänze unter den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 MRG zu subsumieren. Daraus folge, dass § 16 Abs 9 MRG auf das gesamte gemietete Objekt nicht anzuwenden sei und die Valorisierung auch für die Vergangenheit verlangt werden könne.
Aus der unbeanstandeten Entgegennahme der Mietzinse in der ursprünglichen Höhe durch mehr als fünf Jahre könne für sich allein kein schlüssiger Verzicht auf rückständige Wertsicherungsbeträge abgeleitet werden.
Da es sich bei § 16 Abs 9 MRG um keine klassische „Mietzinsanhebungsvorschrift" handle, sei eine höchstgerichtliche Stellungnahme zu der vom Berufungsgericht vorgenommenen Einordnung angezeigt; daher sei die Revision zuzulassen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsabweisenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die klagende Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
In der Revision werden folgende Punkte in den Vordergrund gerückt:
Auf einen einheitlichen Mietvertrag über ein „Mischobjekt" sei die Bestimmung des § 16 Abs 9 MRG zur Gänze anzuwenden. Da die Halle 1 im Hinblick auf das Errichtungsdatum dem Vollanwendungsbereich des MRG unterliege und die in der Halle 1 gelegenen Bestandräumlichkeiten, denen eine selbständige wirtschaftliche Bedeutung zukomme, selbständig vermietbar seien, unterliege der gesamte Mietvertrag dem § 16 Abs 9 MRG, der die Geltendmachung von Erhöhungsbeträgen aus einer Wertsicherung nur pro futuro zulasse. Im Übrigen sei aus der Vorschreibung und der widerspruchslosen Entgegennahme eines nicht valorisierten Mietzinses durch längere Zeit (hier: mehr als fünf Jahre) bei objektiver Betrachtung ein Verzicht auf die Nachforderung abzuleiten.
Dazu hat der Senat erwogen:
1. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass aus der unbeanstandeten Entgegennahme der Mietzinse in der ursprünglichen Höhe durch mehr als fünf Jahre für sich allein kein schlüssiger Verzicht auf rückständige Wertsicherungsbeträge abgeleitet werden könne, ist zutreffend (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO).
2. Zum Nicht-Vorliegen des Ausnahmetatbestands des § 1 Abs 5 MRG („Wirtschaftspark"):
Nach der gesetzlichen Definition in § 1 Abs 5 MRG handelt es sich dabei um eine wirtschaftliche Einheit von ausschließlich zu Geschäftszwecken genutzten Gebäuden und Liegenschaften, in (auf) denen jedoch nicht überwiegend Handelsgewerbe im Sinne der Gewerbeordnung betrieben werden (zur Definition siehe auch 1 Ob
34/99b = wobl 1999/109, 225 [Dirnbacher]). Ausgehend vom „normalen
Sprachgebrauch" (9 Ob 47/04h = SZ 2004/161 = RIS-Justiz RS0110398
[T2]) dient die Vermietung von Flächen an „private Mieter", die die entsprechenden Flächen als Lagerräume verwenden, nicht deren geschäftlichen Zwecken (vgl auch 1 Ob 588/89 = JBl 1990, 48 = RIS-Justiz RS0066812 [T1]), weshalb eine Subsumtion der Liegenschaft unter den Begriff „Wirtschaftspark" ausscheidet.
3. Zur Frage des Vorliegens eines frei finanzierten Neubaus nach § 1 Abs 4 Z 1 MRG:
3.1. § 1 Abs 4 Z 1 MRG sieht eine Ausnahme vom Vollanwendungsbereich des MRG für Mietgegenstände vor, „die in Gebäuden gelegen sind, die ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel auf Grund einer nach dem erteilten Baubewilligung neu errichtet worden sind". Abgestellt wird eindeutig auf die Neuerrichtung des Gebäudes, in dem sich der Mietgegenstand befindet, nicht jedoch auf die Neuerrichtung bloß des Mietgegenstands selbst (5 Ob 2033/96y = wobl 1998/1, 13 [Dirnbacher]; RIS-Justiz RS0069293). Von einer Neuerrichtung kann nur dann gesprochen werden, wenn es sich um die Gewinnung neuen und nicht bloß bauliche Umgestaltung schon vorhandenen Raums für Wohnzwecke und Geschäftszwecke handelt (RIS-Justiz RS0068742).
Die Halle 2 sowie das Verwaltungs- und Bürogebäude wurden jeweils ohne öffentliche Förderungsmittel in den 60er- bzw 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichtet und würden daher grundsätzlich der Teilanwendung des MRG nach § 1 Abs 4 Z 1 MRG unterliegen. Die in der Halle 1 gelegenen Bestandräumlichkeiten würden dagegen im Hinblick auf das Errichtungsdatum des Gebäudes in den Vollanwendungsbereich des MRG fallen. Nach dem im Akt erliegenden Plan Blg ./B hat die Halle 1 eine Fläche von ca 2500 m2 und ist damit nicht als bloß unbedeutendes Nebengebäude anzusehen.
3.2. Wegen der grundsätzlichen Gleichsetzung von Haus und Liegenschaft im MRG (5 Ob 28/91 = wobl 1992/111, 154 [Call] = RIS-Justiz RS0070018; 5 Ob 13/93 = wobl 1993/123, 183; RIS-Justiz RS0069823) schadet der klagenden Vermieterin, die sich auf den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 MRG beruft, bereits der Umstand, dass es sich bei der gesamten Halle 1 um Altbestand handelt; dass sich das Mietobjekt in Halle 1 in einem rechtlich eigenständigen Gebäude befand, wurde von der hiefür behauptungs- und beweispflichtigen klagenden Partei (RIS-Justiz RS0069235 [T5]) nicht geltend gemacht und ist nach den Feststellungen auch nicht anzunehmen, ist doch das Bürogebäude an die Halle 1 angebaut; die gemieteten Räumlichkeiten in Halle 1 sind in diese hineingebaut.
3.3. Auch das mit (bloß) 50 - 70 m2 festgestellte Ausmaß der „geschützten", in die Halle 1 eingebauten Räumlichkeiten ist dem Ausnahmetatbestand schädlich. Auf eine mangelnde „selbständige" Verwertbarkeit dieser Räumlichkeiten im Sinne einer eigenständigen Vermietbarkeit (von der das Erstgericht ausgeht) kommt es nicht an. Ist die Halle 1 grundsätzlich vermietbar (was im vorliegenden Fall nicht weiter strittig ist), liegt es an den Dispositionen des Vermieters, ob er die nun von der beklagten Partei gemieteten Räumlichkeiten - nach gewissen baulichen Adaptierungen - beispielsweise an einen in der Halle 1 etablierten Mieter oder an den Mieter des Bürogebäudes vermietet. In diesem Sinn kommt den an die beklagte Partei vermieteten Gebäudeteilen der Halle 1 unter dem Aspekt der Vermietbarkeit sehr wohl „selbständige" Bedeutung zu, weil sie nicht nur an den Mieter ganz bestimmter Räumlichkeiten mitvermietet werden können (vgl 5 Ob 19/03k, wonach der Vollanwendung „umschlossene Gebäudeteile, denen unter dem Aspekt der Weitervermietbarkeit jedoch keinerlei selbständige Bedeutung zukommt", unschädlich sind). Keinesfalls ist es auch so, dass der gesamte „alte" Gebäudeteil (hier: Halle 1) für sich allein unvermietbar ist.
4. Angesichts des Mietvertragsinhalts und der festgestellten räumlichen Verhältnisse besteht kein Zweifel an der Einheitlichkeit des Bestandobjekts. In einem solchen Fall sind - neben den Kündigungsschutzbestimmungen (8 Ob 550/91 = MietSlg 43.130; RIS-Justiz RS0020298) - auch die Mietzinsbildungsvorschriften auf das gesamte Bestandobjekt einheitlich anzuwenden oder nicht anzuwenden (H. Böhm in Schwimann, ABGB2 IV § 1 MRG Rz 37).
Im Hinblick auf den Umstand, dass der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs 4 Z 1 MRG nicht hinsichtlich des gesamten Bestandobjekts verwirklicht ist, unterliegt dieses insgesamt dem Vollanwendungsbereich des MRG, weshalb auch die Bestimmung des § 16 Abs 9 MRG anzuwenden ist, die die Geltendmachung von Erhöhungsbeträgen aus einer Wertsicherungsvereinbarung nur pro futuro zulässt (5 Ob 531/86 = SZ 59/48; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht21 § 16 MRG Rz 37 mwN).
5. Damit erweist sich das auf Wertsicherungsbeträge aus der Vergangenheit gerichtete Klagebegehren als unberechtigt.