VfGH vom 02.10.2002, B1653/99

VfGH vom 02.10.2002, B1653/99

Sammlungsnummer

16652

Leitsatz

Keine Verletzung im Eigentumsrecht durch Abweisung eines Antrags auf Festsetzung einer Entschädigung für zuviel abgetretenen Straßengrund; vertretbare Annahme der Verwirklichung des Zweckes der Abtretung mehr als 30 Jahre vor Änderung des Bebauungsplanes zur Schaffung von öffentlichen Erholungsflächen; keine Bedenken gegen die Regelungen der Wr BauO 1930 hinsichtlich der 30-jährigen Frist zur Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft, Eigentümerin der Liegenschaft EZ 346 KG Heiligenstadt, beantragte beim Magistrat der Stadt Wien am die Festsetzung der Entschädigung für "zuviel abgetretenen Straßengrund", insbesondere für zwei Grundflächen im Ausmaß von 288 und 787 m².

Ein Schreiben der Magistratsabteilung 35 an die Magistratsabteilung 64 vom lautet auszugsweise folgendermaßen:

"Zur vorliegenden Grundabteilung wird nachstehende gutachtliche Stellungnahme abgegeben:

[...]

Am Kreilplatz tritt kein Entschädigungsanspruch ein [...]. Dies deshalb, weil [...] die unentgeltlich abgetretenen Flächen bereits weit länger als 30 Jahre im phys. Besitz der Stadt Wien als Park stehen [...]."

Mit Bescheid vom wies der Magistrat der Stadt Wien den Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft gemäß § 58 Abs 2 litdStGG Art 5 ; Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idgF (im Folgenden: BO f. Wien), ab. Die Grundflächen seien im Zuge der grundbücherlichen Durchführung der mit Bescheid vom , Z MA XIV-2093/8, genehmigten Wr BauO 1930 § 58 Abs 2 litd;Abteilung unentgeltlich in das öffentliche Gut übertragen worden. Erst im Jahre 1992 sei der Flächenwidmungs- und Bebauungsplan insoferne abgeändert worden, als diese Grundflächen nunmehr nicht mehr als Verkehrsflächen, sondern als Erholungsgebiet-Park, Grundfläche für öffentliche Zwecke ausgewiesen seien. Amtliche Erhebungen hätten ergeben, dass sich diese Grundflächen bereits vor 1992 weit länger als 30 Jahre im physischen Besitz der Stadt Wien befunden hätten. Gemäß § 58 Abs 2 litd BO f. Wien bestehe daher kein Entschädigungsanspruch.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde, die Bauoberbehörde für Wien, mit dem bekämpften Bescheid vom ab. Es sei unbestritten, dass zur Zeit der Beschlussfassung über die Änderung des Bebauungsplanes weit mehr als 30 Jahre seit der Übergabe des Straßengrundes verstrichen gewesen seien. Aus diesem Grund könne aus der Änderung des Bebauungsplanes im Jahre 1992 kein Anspruch auf Geldentschädigung mehr abgeleitet werden.

2. Dagegen richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der "die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes" behauptet und ausgeführt wird:

"Die Aufrechterhaltung einer einmal verfügten Enteignung - und als solche ist die Verpflichtung zur unentgeltlichen Grundabtretung zu Verkehrsflächen aus Anlaß der Bauplatzschaffung rechtlich zu werten - ist verfassungsrechtlich unzulässig, wenn der öffentliche Zweck, zu dessen Verwirklichung ein Gesetz eine Enteignungsmöglichkeit vorsieht, tatsächlich nicht verwirklicht wurde. Eine einfachgesetzliche Regelung, die eine Enteignung für einen bestimmten öffentlichen Zweck für zulässig erklärt, hat daher auch wesensgemäß den Vorbehalt zu enthalten, daß es unzulässig ist, die Enteignung aufrechtzuerhalten, wenn der öffentliche Zweck, auf den die Enteignung gestützt wird, wegfällt. Die Rückgängigmachung für den Fall der Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zwecks, sei es durch Naturalrestitution oder in der Form einer Geldentschädigung, ist daher dem Rechtsinstitut der zulässigen Enteignung immanent, andernfalls die Enteignung zu einer unberechtigten Bereicherung führen würde.

[...] § 58 Abs 2 litd BO für Wien regelt diesen Rückstellungsanspruch in der Form der Gewährung einer Entschädigung, womit dem vorstehenden Erfordernis einer zulässigen Enteignung dem Grunde nach entsprochen wird. Es bestehen auch aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken dagegen, die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruches etwa an bestimmte Fristen zu binden. Entscheidend ist jedoch, daß diese Frist in verfassungsrechtlich zulässiger Weise nur so gesetzt werden darf, daß die durch Art 5 StGG und Art 1 des 1. ZPEMRK vorgegebenen Grenzen der Eigentumsgarantie gewahrt bleiben. Dies bedeutet, dass die Verjährungsfrist erst mit dem Zeitpunkt beginnen darf, in dem feststeht, dass der als Enteignungsgrund normierte öffentliche Zweck nicht verwirklicht wird, weil erst ab diesem Zeitpunkt die Möglichkeit der Geltendmachung des Rückstellungsanspruches besteht. Eine Regelung, die - wie im gegenständlichen Fall - die Verjährungsfrist für den Rückstellungs- bzw. Entschädigungsanspruch bereits vor dem Zeitpunkt beginnen läßt, ab dem dieser Anspruch überhaupt geltend gemacht werden kann, verstößt hingegen gegen das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums, wenn sich nämlich, so wie im gegenständlichen Fall, erst nach mehr als 30 Jahren herausstellt, daß der Enteignungszweck (Bereitstellung von Grundflächen als Verkehrsflächen) nicht verwirklicht wird. § 58 Abs 2 litd BO für Wien, wonach ein Entschädigungsanspruch nur zustehen soll, wenn zur Zeit der Beschlussfassung über die Änderung des Bebauungsplanes 30 Jahre seit der Abschreibung und Übergabe des Straßengrundes noch nicht verstrichen sind, ist daher verfassungswidrig. Eine zweckverfehlte entschädigungslose Abtretung kann und darf nicht durch bloßen Zeitablauf saniert werden. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Flächenwidmungs- und Bebauungspläne Verordnungen bilden, die mit Beschluss des Gemeinderates festgesetzt und abgeändert werden. Den beteiligten Personen steht nur die Möglichkeit der Mitsprache durch Abgabe von Stellungnahmen bei geplanten Änderungen zu. Das Recht, eine Änderung der Flächenwidmungs- und Bebauungspläne durch selbständigen Initiativantrag herbeizuführen, ist im Gesetz nicht vorgesehen. Es steht daher im alleinigen Belieben der Behörde, im Zuge einer Bauplatzschaffung die unentgeltliche Übertragung von Grundflächen zu verlangen, diese physisch zu übernehmen und zu widmen. Nach Verstreichen der 30-jährigen Frist soll jeglicher Entschädigungsanspruch präkludiert sein, danach kann die vormals abgetretene Grundfläche einem anderen Widmungszweck zugeführt werden, ohne daß die öffentliche Hand für die Grundstücke Entschädigung geleistet hat. Aus rein objektiver Sicht ergibt sich bei einem solchen Vorgehen eine entschädigungslose und noch dazu zweckverfehlte 'de facto' Enteignung, die das verfassungsgesetzlich gewährleistete Eigentumsrecht verletzt."

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt und zur Bestimmung des § 58 Abs 2 litd BO f. Wien ausführt:

"Bei dem durch den letzten Satz dieser Bestimmung erfolgten Ausschluss des Anspruches auf Rückstellung oder Entschädigung ist der Gesetzgeber offenbar davon ausgegangen, dass nach mehr als 30 Jahren angenommen werden müsse, dass eine Herstellung der früheren Verhältnisse nicht mehr zweckmäßig sei. Diese Frist muss auch in Analogie zu der Frist für die Verjährung und Ersitzung des bürgerlichen Rechtes mit 30 Jahren als durchaus gerechtfertigt angesehen werden. So sieht etwa die vergleichbare Bestimmung des Bundesstraßengesetzes (§20a) bloß eine Frist von zehn Jahren ab Rechtskraft des Enteignungsbescheides vor."

4. Die Wiener Landesregierung erstattete eine Stellungnahme, in der sie die Ansicht äußert, § 58 Abs 2 litd BO f. Wien sei nicht verfassungswidrig, und ausführt:

"§58 Abs 2 litd BO sieht einen Entschädigungsanspruch des Eigentümers eines Bauplatzes oder Bauloses an die Gemeinde für die Mehrleistung vor, die dadurch entstanden ist, dass das Ausmaß der zu Verkehrsflächen unentgeltlich abgetretenen Grundflächen nach dem zurzeit der Abtretung in Geltung gestandenen Bebauungsplan größer war, als es sich nach dem neuen Bebauungsplan ergeben würde. Dieser Anspruch steht nach dem letzten Satz dieser Bestimmung jedoch nur zu, wenn zur Zeit der Beschlussfassung über die Änderung des Bebauungsplanes 30 Jahre seit der Abschreibung und Übergabe des Straßengrundes noch nicht verstrichen sind.

Nach dem Wortlaut der zitierten Vorschrift wird die genannte Frist von 30 Jahren also nicht allein durch die Abschreibung einer Grundfläche ins öffentliche Gut ausgelöst, sondern ist hiefür der Zeitpunkt der Übergabe des Straßengrundes in den physischen Besitz der Gemeinde maßgeblich.

Wenn daher die Übergabe einer Verkehrsfläche in den physischen Besitz der Gemeinde und damit der straßenmäßige Ausbau dieser Fläche, also im Sinne der Beschwerde die 'Verwirklichung des Enteignungszweckes', trotz Erfüllung einer Abtretungsverpflichtung nicht erfolgt, beginnt die Frist des § 58 Abs 2 litd BO gar nicht zu laufen und besteht stets ein Anspruch auf unentgeltliche Rückstellung der zu viel abgetretenen Grundflächen ins Eigentum des seinerzeit zur Abtretung Verpflichteten bzw. hat dieser einen Anspruch auf Geldentschädigung in der Höhe des vollen Grundwertes. Bemerkt wird, dass das bei der Abtretung einer Grundfläche ins öffentliche Gut der Gemeinde übertragene Eigentum ein nudum ius darstellt; das dingliche Recht des Besitzes bleibt bis zur tatsächlichen Übergabe beim Abtretungsverpflichteten.

Wenn seit der tatsächlichen Übergabe einer Verkehrsfläche in den physischen Besitz der Gemeinde bis zur Änderung des Bebauungsplanes mehr als 30 Jahre verstrichen sind, in denen diese Verkehrsfläche der Gemeinde für den widmungsmäßigen Zweck gedient hat, sollen die Entschädigungsansprüche gemäß § 58 Abs 2 litd BO nicht mehr zustehen. Diese Frist steht im Einklang mit den Verjährungs- bzw. Ersitzungsfristen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, wobei davon auszugehen ist, dass durch einen ungestörten und widmungsgemäßen Besitzstand über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren im Sinne der Rechtssicherheit für jedermann ersichtliche Rechtsverhältnisse geschaffen wurden und auf dieser Basis allfällige Neuordnungen der Eigentums- und Besitzverhältnisse an dieser Grundfläche ohne Rücksicht auf ehemalige Eigentums- und Besitzverhältnisse rechtlich möglich sein sollen.

Eine willkürliche Rückwidmung der Verkehrsfläche - wie sie die Beschwerdeführerin für möglich hält - scheidet aus, da einerseits Änderungen der Flächenwidmungs- und Bebauungspläne gemäß § 1 Abs 4 BO nur aus wichtigen Rücksichten vorgenommen werden dürfen und andererseits an einer seit mehr als 30 Jahren bestehenden Straße erfahrungsgemäß eine Bebauung stattfindet, die eine Änderung der Widmung faktisch erschwert oder unmöglich macht.

Ist die Frist von 30 Jahren ab der Übergabe des Straßengrundes im Zeitpunkt der Änderung des Bebauungsplanes noch nicht verstrichen, sind die im § 58 Abs 2 litd BO geregelten Ansprüche voll aufrecht; insofern räumt die Bauordnung für Wien dem Anlieger sogar mehr Rechte ein, als sie es nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes tun müsste, da eine Rückstellung sogar dann erfolgt, wenn der so genannte 'Enteignungszweck' (der Straßenausbau) realisiert wurde und die Verkehrsfläche längere Zeit [-] sogar bis nahezu drei Jahrzehnte [-] Verkehrszwecken diente."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Zur maßgeblichen Rechtslage:

1.1. Als Rechtsgrundlage für den - dem Verfassungsgerichtshof nicht vorliegenden - "Bescheid vom , Z MA XIV-2093/8", mit welchem der beschwerdeführenden Gesellschaft (bzw. deren Rechtsvorgänger) eine Grundabteilung genehmigt und die unentgeltliche Abtretung der Grundflächen vorgeschrieben wurde, kommt ausschließlich § 10 der Wiener Bauordnung 1883 ("Gesetz vom 17. Jänner 1883, womit eine Bauordnung für die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien erlassen wird", Landes-Gesetz- und Verordnungsblatt für das Erzherzogtum Österreich unter der Enns Nr. 35, zitiert nach Mayrhofer/Pace, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst in den im Reichsrathe vertretenen Königreichen und Ländern5 III [1897], 942) in Betracht. Diese Bestimmung lautete:

"Grundabtretung bei Parcellierungen.

§. 10.

Bei allen Parcellierungen ist derjenige Raum, welcher zur Verbreiterung bestehender oder zur Eröffnung neuer Straßen, Gassen oder Plätze erforderlich ist, jedoch nur bis zum Höchstausmaße von 23 m außerhalb der bestimmten Baulinie unentgeltlich abzutreten.

[...]"

§ 17 BO f. Wien, LGBl. Nr. 11/1930, lautete in der Stammfassung:

"§17. Grundabtretungen bei Abteilungen.

(1) Bei Abteilung eines Grundes [...] sind die nach Maßgabe der Baulinien zu den Verkehrsflächen entfallenden Grundteile bei beiderseitiger Bebauungsmöglichkeit bis zur Achse der Verkehrsfläche, bei einseitiger Bebauungsmöglichkeit bis zur ganzen Breite der Verkehrsfläche, in beiden Fällen aber nur bis zu 20 Meter, [...] gleichzeitig mit der grundbücherlichen Durchführung in das Verzeichnis des öffentlichen Gutes zu übertragen und über Auftrag der Behörde in der festgesetzten Höhenlage in den physischen Besitz der Gemeinde zu übergeben. [...]

(2) [...]

(3) Hinsichtlich der Verpflichtung zur Grundabtretung sind die an die Verkehrsflächen angrenzenden und vor der Baulinie gelegenen öffentlichen Erholungsflächen den Verkehrsflächen gleichzuhalten.

(4) Soweit die Verpflichtung zur Übertragung in das Verzeichnis des öffentlichen Gutes gemäß Absatz 1 besteht, sind hiebei unentgeltlich abzutreten:

a) alle zu den neuen Verkehrsflächen entfallenden Grundteile

[...]."

Wolf/Schmid, Bauordnung für Wien (1930), 49, zitieren zu dieser Bestimmung aus den Gesetzesmaterialien:

"Bedenken wurden gegen die Bestimmung geäußert, daß die an Verkehrsflächen angrenzenden öffentlichen Erholungsflächen den Verkehrsflächen gleichgehalten werden und sohin auch sie zum Teil unentgeltlich abzutreten sind. Diese Bestimmung bringt aber nichts Neues; denn auch nach der geltenden Bauordnung [Anm: gemeint: Wiener Bauordnung 1883] besteht die gleiche Verpflichtung, da sich die Grundabtretung nach § 10 zu einem Platze bis auf 23 Meter erstreckte, gleichgültig, ob diese Fläche späterhin zur Gänze als allgemeine Verkehrsfläche (wie beispielsweise Michaelerplatz, Hoher Markt, Neuer Markt u. dgl.) oder nur zum Teil unmittelbar vor der Baulinie als Verkehrsfläche und im übrigen Teil als öffentliche Gartenanlage (wie Einsiedlerplatz, Richard Wagner-Platz, Hammerlingplatz, Arenbergring u. dgl.) ausgestaltet wurde. [...] Der Unterschied der neuen Bauordnung gegenüber den Bestimmungen der geltenden Bauordnung ist nur darin gelegen, daß es statt 'Plätze' nunmehr 'Verkehrs- und Erholungsflächen' heißt."

Die Rechtslage zur Zeit der Erlassung des Bescheides über die unentgeltliche Abtretung der Grundflächen (1908), für die nunmehr - nach Widmungsänderung von "Verkehrsfläche" in "Erholungsgebiet-Park" (1992) - Entschädigung begehrt wird, sah also unentgeltliche Abtretungen auch zur Schaffung von öffentlichen Erholungsflächen in dem geschilderten Rahmen - unter dem Titel der "Eröffnung neuer Plätze" - vor.

1.2. § 58 Abs 2 litd BO f. Wien, LGBl. Nr. 11/1930 in der hier maßgeblichen Fassung der Novelle LGBl. Nr. 61/1998, lautet:

"Besondere Bestimmungen bei Änderung des Bebauungsplanes

durch Verschmälerung, Verbreiterung, Auflassung oder

Änderung der Verkehrsflächen

§58. (1) [...]

(2) Sind anläßlich einer Abteilungsbewilligung Grundflächen zu Verkehrsflächen unentgeltlich abgetreten worden, treten bei Änderung des Bebauungsplanes folgende Rechtswirkungen ein:

[...]

d) Der Eigentümer eines Bauplatzes oder Bauloses hat nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Anspruch auf Entschädigung für die Mehrleistung, die dadurch entstanden ist, daß das Ausmaß der zu Verkehrsflächen unentgeltlich abgetretenen Grundflächen nach dem zur Zeit der Abtretung in Geltung gestandenen Bebauungsplan größer war, als es sich nach dem neuen Bebauungsplan ergeben würde. Müssen für Verkehrsflächen seinerzeit unentgeltlich abgetretene Grundflächen nach der neuen Baulinie als Baugrund einbezogen werden, sind diese Flächen im Ausmaß der seinerzeitigen Mehrleistung unentgeltlich und geräumt zurückzustellen. Für die über dieses Ausmaß zum Bauplatz oder Baulos einzubeziehenden Grundflächen hat der Eigentümer dieses Bauplatzes bzw. Bauloses Entschädigung in der Höhe des vollen Grundwertes zu leisten. Fällt die seinerzeit gegenüber der neuen Verpflichtung zuviel abgetretene Grundfläche nicht in den Bauplatz oder in das Baulos, hat die Gemeinde an den Eigentümer des Bauplatzes oder Bauloses, von dem die Grundflächen seinerzeit unentgeltlich abgetreten worden sind, Geldentschädigung in der Höhe des vollen Grundwertes zu leisten. Diese Ansprüche stehen jedoch nur zu, wenn zur Zeit der Beschlußfassung über die Änderung des Bebauungsplanes dreißig Jahre seit der Abschreibung und Übergabe des Straßengrundes noch nicht verstrichen sind.

e) [...]"

2. Soweit die beschwerdeführende Gesellschaft die Verletzung in Rechten wegen Anwendung der aus ihrer Sicht verfassungswidrigen Bestimmung des § 58 Abs 2 litd BO f. Wien behauptet, ist Folgendes zu entgegnen:

2.1. Die Bestimmung ist vom Verfassungsgerichtshof (im Umfang des Einleitungssatzes des Abs 2 und des vorletzten und des letzten Satzes des Abs 2 litd) anzuwenden, da auch die belangte Behörde sie im bekämpften Bescheid angewendet hat.

2.2. Eine Abtretung von Grundflächen zu Verkehrsflächen anlässlich einer Abteilungsbewilligung stellt - so wie eine im Zusammenhang mit einer Bauplatzbewilligung erfolgte Abtretung (vgl. VfSlg. 3666/1959, 8980/1980, 8981/1980, 11.017/1986, 13.744/1994, 14.042/1995) - eine Enteignung dar. Unter anderem im Erkenntnis VfSlg. 8981/1980 hat der Verfassungsgerichtshof ausführlich dargelegt, dass die Aufrechterhaltung einer einmal verfügten Enteignung verfassungsrechtlich unzulässig ist, wenn der öffentliche Zweck, zu dessen Verwirklichung ein Gesetz eine Enteignungsmöglichkeit vorsieht, tatsächlich nicht verwirklicht wird. Eine einfachgesetzliche Regelung, die eine Enteignung für einen bestimmten öffentlichen Zweck (dem Art 5 StGG entsprechend) für zulässig erklärt, enthalte wesensgemäß den Vorbehalt, dass es unzulässig sei, die Enteignung aufrecht zu erhalten, wenn der öffentliche Zweck vor seiner Verwirklichung wegfällt. Die Rückgängigmachung für den Fall der Nichtverwirklichung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zweckes sei dem Rechtsinstitut der Enteignung immanent. Der Eigentumsschutz des Art 5 StGG könne sich jedoch nur "insolange" auswirken, als die enteignete Sache dem Enteignungszweck noch nicht zugeführt worden ist; ist der Zweck unter Verwendung der enteigneten Sache einmal verwirklicht, so sei die Enteignung unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie des Art 5 StGG irreversibel, selbst wenn der Zweck in späterer Folge aufgegeben wird (VfSlg. 8981/1980).

Wie der Gerichtshof in seiner Judikatur des weiteren ausgesprochen hat (s. auch dazu VfSlg. 8981/1980, 13.744/1994, 14.042/1995) ist die mit dem Rechtsinstitut der Enteignung wesensgemäß verbundene Rückgängigmachung in verschiedener Beziehung einer näheren Regelung zugänglich. Gegen eine Regelung, die - wie § 58 Abs 2 BO f. Wien - den Anspruch auf Rückgängigmachung von einer entsprechenden Änderung des Bebauungsplanes abhängig macht, bestehen keine Bedenken (vgl. VfSlg. 13.744/1994, S. 442). Auch der Umstand, dass § 58 Abs 2 litd BO f. Wien dann, wenn "die seinerzeit gegenüber der neuen Verpflichtung zuviel abgetretene Grundfläche nicht in den Bauplatz oder in das Baulos" fällt - wenn also der durch die Abtretung Belastete die abgetretenen Flächen nicht mit seinem Grundstück vereinigen kann und sie daher für ihn nicht verwendbar sind -, anstelle einer Rückstellung der Grundflächen in das Eigentum des durch die Abtretung Belasteten die Leistung einer "Geldentschädigung in der Höhe des vollen Grundwertes" vorsieht, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Regelung des § 58 Abs 2 litd BO f. Wien entspricht insofern ohne Zweifel den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus der Sicht des Eigentumsschutzes, als sie die Rückgängigmachung einer Abtretung nicht nur dann vorsieht, wenn ihr Zweck (Errichtung der Verkehrsfläche) nie verwirklicht wurde, sondern auch, wenn eine bereits errichtete Verkehrsfläche in einem geänderten Bebauungsplan nicht mehr vorgesehen ist.

2.3. Den Bedenken der beschwerdeführenden Gesellschaft gegen den letzten Satz des § 58 Abs 2 litd BO f. Wien ("Diese Ansprüche stehen jedoch nur zu, wenn zur Zeit der Beschlußfassung über die Änderung des Bebauungsplanes dreißig Jahre seit der Abschreibung und Übergabe des Straßengrundes noch nicht verstrichen sind.") ist Folgendes zu entgegnen:

Mit dem Erkenntnis VfSlg. 13.744/1994 hob der Verfassungsgerichtshof die Wendung "4," in § 18 Abs 7 OÖ BauO idF LGBl. Nr. 82/1983 ("Die Verpflichtungen und Berechtigungen nach den Absätzen 4 [Anm: Rückstellung abgetretener, ehemals als Verkehrsflächen ausgewiesener Grundflächen nach Änderung des Bebauungplans], 5 und 6 bestehen nicht mehr, wenn seit der Abtretung der Grundflächen mehr als 30 Jahre vergangen sind.") als verfassungswidrig auf. Dies begründete er folgendermaßen:

"Die Oberösterreichische Landesregierung bestreitet zwar nicht, daß die in Prüfung gezogene Regelung 'in Einzelfällen zu unbilligen Ergebnissen führt', hält aber die in Abs 7 des § 18 OÖ BauO festgelegte Frist von 30 Jahren ab Grundabtretung zur Geltendmachung eines Zurückstellungsanspruches für 'durchaus ausreichend'.

Dies mag in vielen Fällen schon deshalb zutreffen, weil die Frist zur Verwirklichung jenes Zweckes, für den enteignet wurde, im allgemeinen wohl nicht Jahrzehnte lang währen dürfte (vgl. auch hiezu VfSlg. 11.849/1988). Es ist aber denkbar, daß in manchen - durchaus nicht vernachlässigbaren - Fällen wie dem Anlaßfall im Verfahren B332/93 oder bei den dem Erkenntnis VfSlg. 8981/1980 zugrundegelegenen Enteignungen, wo die jeweilige Enteignung mehr als 30 Jahre zurücklag, die Frist zur Verwirklichung des Enteignungszweckes länger dauern kann, ohne daß dies sachwidrig wäre.

Die hier in Prüfung gezogene Regelung legt den Beginn der Frist aber mit einem einheitlichen Zeitpunkt (Abtretung der Grundfläche) fest und nimmt in keiner Weise darauf Bedacht, daß ein Zurückstellungsanspruch überhaupt erst nach Ablauf einer zur Verwirklichung des mit der Enteignung verbundenen Zwecks angemessenen (oder auch gesetzlich festgelegten) Frist entstehen kann. Dies kann dazu führen, daß zur Geltendmachung eines Zurückstellungsanspruches nur eine unvertretbar kurze Frist zur Verfügung steht oder der Eigentümer seinen Anspruch überhaupt nicht mehr geltend machen kann.

Die in Prüfung gezogene Regelung widerspricht somit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums."

Der letzte Satz des § 58 Abs 2 litd BO f. Wien unterscheidet sich von der aufgehobenen Regelung allerdings insbesondere dadurch, dass die Frist nicht mit der "Abtretung der Grundflächen" allein, sondern mit der "Abschreibung und Übergabe des Straßengrundes" zu laufen beginnt, und ist damit im Ergebnis nicht verfassungswidrig bzw. einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich.

Die Wiener Landesregierung bemerkt zur Auslegung dieser Bestimmung:

"Nach dem Wortlaut der zitierten Vorschrift wird die genannte Frist von 30 Jahren also nicht allein durch die Abschreibung einer Grundfläche ins öffentliche Gut ausgelöst, sondern ist hiefür der Zeitpunkt der Übergabe des Straßengrundes in den physischen Besitz der Gemeinde maßgeblich.

Wenn daher die Übergabe einer Verkehrsfläche in den physischen Besitz der Gemeinde und damit der straßenmäßige Ausbau dieser Fläche, also im Sinne der Beschwerde die 'Verwirklichung des Enteignungszweckes', trotz Erfüllung einer Abtretungsverpflichtung nicht erfolgt, beginnt die Frist des § 58 Abs 2 litd BO gar nicht zu laufen und besteht stets ein Anspruch auf unentgeltliche Rückstellung der zu viel abgetretenen Grundflächen ins Eigentum des seinerzeit zur Abtretung Verpflichteten bzw. hat dieser einen Anspruch auf Geldentschädigung in der Höhe des vollen Grundwertes. Bemerkt wird, dass das bei der Abtretung einer Grundfläche ins öffentliche Gut der Gemeinde übertragene Eigentum ein nudum ius darstellt; das dingliche Recht des Besitzes bleibt bis zur tatsächlichen Übergabe beim Abtretungsverpflichteten."

Ganz in diesem Sinne spricht § 17 Abs 1 BO f. Wien LGBl. Nr. 11/1930 idgF (ähnlich bereits die oben zitierte Stammfassung) im Zusammenhang mit Grundabtretungen anlässlich von Abteilungsbewilligungen einerseits (im ersten Satz) von der Pflicht, bestimmte Grundstücke "gleichzeitig mit der grundbücherlichen Durchführung satz- und lastenfrei in das öffentliche Gut zu übertragen"; andererseits ist gemäß dem dritten Satz erst "[ü]ber [Anm: bescheidmäßigen] Auftrag der Behörde [...] der jeweilige Eigentümer (Miteigentümer) des anliegenden Bauplatzes oder Bauloses [...] verpflichtet, diese Grundflächen lastenfrei und geräumt der Stadt Wien zu übergeben; bis zur Übergabe steht dem jeweiligen Eigentümer (Miteigentümer) [...] das Nutzungsrecht zu." Der bescheidmäßige Auftrag zur Übergabe der Grundflächen an die Stadt Wien darf erst zum Ausbau der Straße erteilt werden (vgl. Wolfgang Hauer, Fragen der Grundabtretung und der Entschädigung, 301); dem entspricht die Verwaltungspraxis auch regelmäßig (vgl. Hauer, 20, 301).

Wenn § 58 Abs 2 litd BO f. Wien von der "Abschreibung und Übergabe des Straßengrundes" als Zeitpunkt des Beginns des Laufs der 30-jährigen Frist spricht, so fordert diese Bestimmung - im Lichte der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Eigentumsschutzes - zusätzlich zur Übertragung ins öffentliche Gut und zur grundbücherlichen Durchführung einerseits die tatsächliche Übergabe in den physischen Besitz der Stadt Wien, darüber hinaus aber auch, dass im Anschluss daran die "Straße" tatsächlich ausgebaut, oder allgemeiner: der Abtretungszweck verwirklicht wurde. Der letzte Satz des § 58 Abs 2 litd BO f. Wien steht - bei der geschilderten Auslegung - deshalb nicht im Widerspruch zur verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie, weil er einen Anspruch auf Rückgängigmachung einer Grundabtretung nur in Fällen ausschließt, in denen der Abtretungszweck zu irgendeinem Zeitpunkt verwirklicht und erst mehr als 30 Jahre nach dessen Verwirklichung aufgegeben wurde. Wurde der Abtretungszweck niemals verwirklicht, führt eine Änderung des Bebauungsplanes, die zur Herstellung von Verkehrsflächen abgetretene Grundflächen nicht mehr als solche ausweist, jedenfalls zur Entstehung von Ansprüchen auf "Rückgängigmachung" (ev. in Form einer Geldentschädigung) - ohne Bindung an eine Frist. Ist allerdings "der Zweck unter Verwendung der enteigneten Sache einmal verwirklicht, so ist die Enteignung unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie des Art 5 StGG irreversibel, selbst wenn der Zweck in späterer Folge aufgegeben wird" (VfSlg. 8981/1980). Deshalb begegnet der Umstand, dass eine Änderung des Bebauungsplans mehr als 30 Jahre nach Grundabtretung und Verwirklichung des Zwecks keine "Rückgängigmachung" der Grundabtretung mehr bewirkt, keinen Bedenken aus der Sicht der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie.

Wenn die Abtretung während der Geltung der BO f. Wien 1930 vorgeschrieben wurde, wird im Regelfall die Verwirklichung des Abtretungszwecks und damit der Beginn des Fristenlaufs schon dann anzunehmen sein, wenn ein bescheidmäßiger Auftrag zur Übergabe der Grundflächen - der ja erst zum Ausbau der Straße erteilt werden darf - ergangen, rechtskräftig geworden und befolgt worden ist. Wenn die Abtretung schon vor Geltung der BO f. Wien 1930 verfügt wurde, gebietet § 58 Abs 2 litd BO f. Wien, autonom zu überprüfen, ob die von einer Änderung des Bebauungsplans betroffenen ehemaligen "Verkehrsflächen" vor der Änderung zu irgendeinem Zeitpunkt dem Abtretungszweck gedient haben, um den Beginn des Laufs der Frist anzunehmen.

2.4. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist daher nicht durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

3. Die beschwerdeführende Gesellschaft behauptet darüber hinaus, durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) verletzt zu sein. Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Rechtsgrundlagen des angefochtenen Bescheides würde dieser das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nur verletzen, wenn die Behörde das Gesetz in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (zB VfSlg. 10.370/1985, 11.470/1987). Auf einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung beruht ein Bescheid insbesondere dann, wenn ein - an sich verfassungsrechtlich unbedenkliches - Gesetz entgegen den verfassungsrechtlichen, aus Art 5 StGG abzuleitenden Anforderungen des Eigentumsschutzes ausgelegt wird (vgl. VfSlg. 13.369/1993).

Wie oben dargelegt, hatte die belangte Behörde, um den Beginn des Laufs der Frist des § 58 Abs 2 litd letzter Satz BO f. Wien annehmen zu dürfen, ohne einen derartigen Fehler zu begehen, festzustellen, ob jemals der Zweck der Abtretung verwirklicht wurde. Die durchgeführten Ermittlungen ergaben (zwar), dass "die unentgeltlich abgetretenen Grundflächen bereits weit länger als 30 Jahre im phys. Besitz der Stadt Wien als Park stehen" (Schreiben der Magistratsabteilung 35 an die Magistratsabteilung 64 vom ). Die belangte Behörde konnte jedoch vertretbarer Weise annehmen, dass der Zweck der Abtretung mehr als 30 Jahre vor der Änderung des Bebauungsplans verwirklicht wurde - dies insbesondere vor dem Hintergrund der geschilderten Rechtslage zur Zeit der Abtretung (vgl. II.1.1.), die unentgeltliche Abtretungen auch zur Schaffung von öffentlichen Erholungsflächen in gewissem Umfang - unter dem Titel der "Eröffnung neuer Plätze" - vorsah.

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist somit nicht in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) verletzt worden.

4. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass die beschwerdeführende Gesellschaft in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

5. Dies konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.