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OGH vom 17.12.2019, 10Ob51/19a

OGH vom 17.12.2019, 10Ob51/19a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers I*****, vertreten durch die Erwachsenenvertreterin C*****, beide *****, vertreten durch Dr. Renate Weinberger, Rechtsanwältin in Mödling, gegen den Antragsgegner Dr. A*****, vertreten durch Dr. Marco Nademleinsky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts, infolge des Revisionsrekurses des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 489/18g-43, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 35 Fam 11/18t-38, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner ist schuldig, dem Antragsteller die mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Rechtsmittelbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Antragsteller ist der erwachsene Sohn von C*****, in deren Haushalt er lebt, und dem Antragsgegner. Er hat aufgrund einer geistigen Behinderung laufend einen erhöhten Bedarf an Betreuung und Aufsicht.

Er forderte vom Antragsgegner zuletzt Geldunterhalt in Höhe des 3,3fachen Regelbedarfs ab dem und bezifferte diesen Anspruch mit 1.841,40 EUR von bis und von 1.877,70 EUR monatlich ab , sowie den sich daraus ergebenden Unterhaltsrückstand von insgesamt 6.722,40 EUR für den Zeitraum von bis .

Das Erstgericht verpflichtete den Antragsgegner zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 1.877,70 EUR ab dem und zur Zahlung des begehrten Unterhaltsrückstands, dies jeweils unter Anrechnung der bereits geleisteten Beträge.

Ausgehend vom Einkommen des geldunterhaltspflichtigen Vaters von 9.000 bis 10.000 EUR ergebe sich nach der Prozentmethode ein monatlicher Unterhaltsbetrag von zumindest 1.980 EUR. Die von der Mutter in Anspruch genommene häusliche Fremdbetreuung des Antragstellers durch eine auch als Haushaltshilfe eingesetzte Dienstnehmerin sei in der Person des Antragstellers begründet. Aufgrund des Umfangs der außerhäuslichen und häuslichen Betreuung des Antragstellers erscheine es angemessen, ein Viertel der Kosten der Haushaltshilfe von insgesamt rund 1.900 EUR monatlich für die Deckung des Betreuungsbedarfs des Antragstellers anzusetzen. Dadurch sei der sich nach der Prozentmethode ergebende Betrag nicht einmal ausgeschöpft.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragsgegners, der sich gegen eine den 2,5-fachen Regelbedarf übersteigende Unterhaltspflicht wandte, nicht Folge. Es ließ den Revisionsrekurs nachträglich zu, um eine Korrektur einer allfälligen unvertretbaren Rechtsauffassung zu ermöglichen. Übereinstimmend mit dem Erstgericht bejahte es das Vorliegen eines laufenden Sonderbedarfs an Kosten häuslicher Drittbetreuung sowie die Deckungspflicht des Antragsgegners über die „Luxusgrenze“ hinaus. Die Gefahr der Überalimentierung bestehe aufgrund des konkreten Betreuungsbedarfs nicht.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Antragsgegners ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG) nicht zulässig.

1. Sonderbedarf ist jener – auch längerfristige (6 Ob 175/18f) – Mehrbedarf eines unterhaltsberechtigten Kindes, der sich aus der Berücksichtigung der beim Regelbedarf (allgemeiner Durchschnittsbedarf) bewusst außer Acht gelassenen Umstände des Einzelfalls ergibt (RS0117791; RS0047564; vgl RS0109908). Generell kann gesagt werden, dass ein Sonderbedarf durch Momente der Außergewöhnlichkeit, Dringlichkeit und Individualität bestimmt wird (RS0047539), also nicht mit weitgehender Regelmäßigkeit für die Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder zusteht (RS0047539 [T3]). Darunter fallen hauptsächlich Aufwendungen für die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und die Persönlichkeitsentwicklung sowie Ausbildungskosten (RS0107180).

2. Ob ein solcher Sonderbedarf vom Unterhaltspflichtigen zu decken ist, hängt davon ab, wodurch er verursacht wurde (vgl RS0047560 [T4]) und ob er dem Unterhaltspflichtigen angesichts der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern des Kindes zumutbar ist (RS0107179; vgl RS0047543).

2.1. Erbringt der Unterhaltsschuldner ohnedies Unterhaltsleistungen, die den Regelbedarf beträchtlich übersteigen, ist im Rahmen der Unterhaltsbemessung Sonderbedarf nur dann zu ersetzen, wenn dessen Aufwendungen höher sind als die Differenz zwischen dem Regelbedarf und der laufenden monatlichen Unterhaltsverpflichtung (RS0047525 [T9]).

2.2. Erhält jedoch der Unterhaltsberechtigte lediglich deshalb Unterhaltsbeiträge, die nicht der vollen Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen entsprechen, weil er schon die „Luxusgrenze“ erreicht hat, muss der Sonderbedarf zusätzlich zugesprochen werden, weil bei einer solchen Konstellation das Argument der nicht zu billigenden Überalimentierung des Unterhaltsberechtigten ins Leere ginge (RS0047525 [T8]). Leistungen aus dem Titel des Sonderbedarfs sind nämlich zweckbestimmt und stehen nicht zur freien Verfügung des Unterhaltsberechtigten (RS0047525 [T8]; 6 Ob 175/18f; 8 Ob 3/18a je mwN).

2.3. Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein Sonderbedarf vom Unterhaltspflichtigen zu decken ist, sind immer die Umstände des Einzelfalls (RS0047560 [T12]; RS0107179 [T1]).

3.1. Der Revisionsrekurs zieht zunächst die Qualifikation der hier zu beurteilenden Kosten einer teilweisen häuslichen Drittpflege als Sonderbedarf in Zweifel.

3.2. Damit wird keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG dargetan. Nach der Rechtsprechung kommt es darauf an, ob ein bestimmter Bedarf mit weitgehender Regelmäßigkeit für die Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder zusteht (8 Ob 3/18a; 6 Ob 175/18f). So wurde etwa der behinderungsbedingte diätische Mehraufwand eines Unterhaltsberechtigten jüngst als Sonderbedarf beurteilt (8 Ob 3/18a). Es liegt auf der Hand, dass die Mehrzahl erwachsener unterhaltsberechtigter Kinder keiner Aufsicht durch eine Betreuungsperson bedarf und die Notwendigkeit der Beaufsichtigung hier der Befriedigung der aus der Behinderung resultierenden Bedürfnisse des Antragstellers entspricht. Die Qualifikation der Kosten der teilweisen häuslichen Drittbetreuung als Sonderbedarf begründet daher keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung.

4.1. Das Erstgericht hat – disloziert in seiner rechtlichen Beurteilung – Feststellungen zum Umfang der häuslichen Drittbetreuung des Antragstellers getroffen. Offenkundig unter Anwendung des § 34 AußStrG erachtete es die Berücksichtigung der Kosten der Haushaltshilfe im Umfang eines Viertels als Sonderbedarf für angemessen.

4.2. Die verfahrensrechtliche Entscheidung des Erstgerichts über die Anwendung des § 34 AußStrG wäre im Rekurs zu bekämpfen gewesen (vgl RS0040282 zu § 273 ZPO); dies kann im Revisionsrekurs nicht nachgeholt werden (vgl RS0043111 [T18, T 26]).

5.1. Der Revisionsrekurswerber geht zutreffend davon aus, dass Sonderbedarf dann zusätzlich zuzusprechen ist, wenn der Unterhaltsberechtigte lediglich deshalb Unterhaltsbeiträge erhält, die nicht der vollen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners entsprechen, weil er schon die „Luxusgrenze“ erreicht hat (RS0047525 [T8]).

Dem Unterhaltspflichtigen muss aber ein zur Deckung der seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse entsprechender Betrag verbleiben (RS0047544 [T3]). Diese Voraussetzung wurde in einem Fall als erfüllt angesehen, in dem dem Unterhaltspflichtigen neben dem begehrten Sonderbedarf und seinen sonstigen Unterhaltspflichten monatlich mehr als 7.000 EUR für seinen eigenen Unterhalt verblieben (3 Ob 144/10p).

5.2. Die Beurteilung der Vorinstanzen, die angesichts des festgestellten Einkommens des Vaters auch im vorliegenden Fall die Tragung des Sonderbedarfs als zumutbar ansahen, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung wird auch in diesem Zusammenhang nicht aufgezeigt.

6. Der Revisionsrekurs ist daher mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 Abs 2 AußStrG.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0100OB00051.19A.1217.000

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