OGH vom 11.11.2016, 10ObS141/16g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Hofrat Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Hans Pucher, Rechtsanwalt in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter Straße 65–67, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 67/16y 37, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Der Oberste Gerichtshof hat in der auch vom Revisionswerber zitierten Entscheidung 10 ObS 8/11s, SSV NF 25/26, unter Beachtung der Kritik in der Lehre ( Tomandl , SV System [8. ErgLfg], 334 ff; vgl auch S. Mayer , Entscheidungsanmerkung zu 10 ObS 8/11s, DRdA 2012/24, 344 [346] mwH), daran festgehalten (vgl ausführlich 9 ObS 23/87, SSV NF 1/64), dass Grundlage für die Annahme der Minderung der Erwerbsfähigkeit iSd § 203 ASVG (MdE) regelmäßig ein ärztliches Gutachten über die Unfallfolgen oder die Folgen der Berufskrankheit und deren Auswirkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist. Neben der Beschreibung der gesundheitlichen Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit kommt daher dem medizinischen Gutachter auch die (schwierige) Aufgabe zu, einzuschätzen, wie sich die Unfallfolgen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auswirken. Die dabei in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie vom versicherungsrechtlichen und medizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze bzw Richtlinien über die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Unfallverletzten nehmen nicht nur auf die fortschreitende medizinische Entwicklung Bedacht, sondern auch auf die Verhältnisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (RIS Justiz RS0088964; RS0088972 [T14]), sodass den veränderten Anforderungen des Arbeitsmarkts an Arbeitnehmer Rechnung getragen wird. Auf diese Weise berücksichtigt die medizinische Einschätzung, die sich dieser Richtlinien bedient, auch die Auswirkung einer Unfallverletzung auf die Einsatzmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
2. Eine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts, das diese Rechtsprechung beachtet hat, zeigt der Revisionswerber nicht auf. Die Feststellung des Erstgerichts, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers aus medizinischer Sicht aufgrund der durch den Arbeitsunfall vom bedingten Leiden vorläufig um 30 vH gemindert ist, hat der Kläger in der Berufung nicht bekämpft, sodass diese Einschätzung der Vorinstanzen für den Obersten Gerichtshof nicht mehr überprüfbar ist (10 ObS 90/16g mzwH). Die medizinische Minderung der Erwerbsfähigkeit bildet wie ausgeführt im Allgemeinen auch die Grundlage für die rechtliche Einschätzung, sofern nicht ein Abweichen unter besonderen Umständen geboten ist (9 ObS 23/87, SSV NF 1/64; RIS Justiz RS0040554 [T4]). Ein Abweichen kommt nur bei Vorliegen eines Härtefalls in Frage (RIS Justiz RS0040554 [T5, T 8]), der hier vom – im Verfahren in erster Instanz qualifiziert vertretenen – Kläger nicht behauptet wurde. Mit dem – erstmals in der Berufung aufgestellten – Argument, dass zur Einschätzung der Folgen des Arbeitsunfalls des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im konkreten Fall auch ein berufskundlicher Sachverständiger im Verfahren beizuziehen gewesen wäre, bekämpft der Kläger in unzulässiger Weise die im Revisionsverfahren nicht mehr anfechtbare Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Der in diesem Zusammenhang in der Revision geltend gemachte Mangel des Berufungsverfahrens liegt daher nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00141.16G.1111.000