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OGH vom 14.09.2010, 10Ob51/10p

OGH vom 14.09.2010, 10Ob51/10p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Sandra B*****, geboren am , *****, vertreten durch das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung für die Bezirke 1, 4 bis 9, Amerlingstraße 11, 1060 Wien), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 239/10f 49 womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , GZ 26 P 62/07z-38, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die der Minderjährigen im Zeitraum vom bis weitergewährten monatlichen Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in Höhe von 83 EUR (ON U-18) wurden zuletzt mit Beschluss des Erstgerichts vom (ON U-25) ab dem auf die volle Titelhöhe von 239,82 EUR monatlich (= 3.300 ATS) gemäß dem Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 2 P 66/00x-54), erhöht.

Nach der Mitteilung des Jugendwohlfahrtsträgers vom , dass der Unterhaltsschuldner seit (laufend) im Pensionsvorschussbezug stehe (Stand des Versicherungsdatenauszugs vom ), ersuchte das Erstgericht den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien mit Beschluss vom (ON U-35), mit der Auszahlung der mit Beschluss ON U-18 gewährten Unterhaltsvorschüsse in der derzeitigen Höhe von 239,82 EUR [monatlich] mit Ablauf des innezuhalten.

In der Folge bestätigte das AMS B***** dem Erstgericht, dass für den Unterhaltsschuldner folgende Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung bzw Beihilfebezüge nach dem Arbeitsmarktgesetz vorgemerkt sind: Pensionsvorschüsse mit Tagsätzen von jeweils 20,17 EUR für die Monate Juli und August 2009 sowie Oktober 2009 bis Juni 2010 und von 19,62 EUR für den Monat September 2009.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom (ON U-38) wurden die gewährten Unterhaltsvorschüsse in Höhe von 239,82 EUR mit Ablauf des eingestellt (Punkt 1) und die mit Beschluss ON U-35 angeordnete gänzliche Innehaltung aufgehoben (Punkt 2).

Seine Entscheidung begründete das Erstgericht damit, dass der Vater lediglich einen Pensionsvorschuss in der Höhe von 615,29 EUR [monatlich] erhalte, wobei Familienzuschläge für drei Kinder - jedoch nicht für die hier vorschussberechtigte Minderjährige - ausbezahlt würden. Gemäß § 20 UVG seien die gewährten Unterhaltsvorschüsse daher einzustellen.

Das Rekursgericht gab dem gegen Punkt 1 dieses Beschlusses (Einstellung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 20 UVG) gerichteten Rekurs der Minderjährigen Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass die angeordnete Einstellung der gewährten Unterhaltsvorschüsse im Umfang von monatlich 30 EUR ersatzlos behoben wurde und dass dem Kind monatliche Unterhaltsvorschüsse von 30 EUR weitergewährt wurden (Punkt a), gleichzeitig ordnete es die Innehaltung der den monatlichen Betrag von 30 EUR übersteigenden Vorschussauszahlung beginnend ab an (Punkt b). Im verbleibenden Umfang (soweit die dem Kind in der Titelhöhe von 239,82 EUR monatlich weitergewährten Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des auf monatlich 30 EUR herabgesetzt wurden) wurde der angefochtene Beschluss zur neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht nach Verfahrensergänzung aufgehoben und ausgesprochen, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Rechtlich führte das Rekursgericht aus, dass mit der Novellierung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG durch das FamRÄG 2009 offenbar ein Anreiz geschaffen werden sollte, die aktenmäßige Entscheidungsgrundlage vor der Vorschussbewilligung nicht zu verbreitern, sondern die Frage, ob der Vorschussanspruch materiell bestehe oder nicht, in das Herabsetzungs- und Einstellungsverfahren zu verschieben, in dem auf „verbreiterter“ Aktenlage zu entscheiden sei. Im vorliegenden, von Amts wegen eingeleiteten Einstellungs- (bzw Herabsetzungs-)verfahren müsse daher geprüft werden, ob der unstrittige Pensionsvorschussbezug des Vaters für sich allein genüge, um die materielle Unrichtigkeit des bestehenden Unterhaltstitels annehmen zu können.

Dabei könne es zunächst nicht zum Nachteil der hier vorschussberechtigten Minderjährigen ausschlagen, dass der Vater für sie (anders als für seine anderen drei minderjährigen Kinder) - mangels Ansuchens - keinen Familienzuschlag erhalte. Daher ergebe sich bereits aufgrund der Aktenlage, dass der Minderjährigen ein Unterhaltsvorschuss in Höhe des zu gewährenden Familienzuschlags (gerundeter Betrag von 30 EUR monatlich) zustehe.

Der Argumentation der Rekurswerberin folgend sei auch der dokumentierte Pensionsvorschussbezug des Vaters für sich allein noch nicht geeignet, dem Unterhaltsschuldner gänzliche Leistungsunfähigkeit hinsichtlich des Kindesunterhalts zu unterstellen. Vielmehr sei im Rahmen des „verbleibenden“ Herabsetzungsverfahrens nach § 19 UVG, dem Untersuchungsgrundsatz entsprechend, noch zu prüfen, ob aufgrund der geringen Pensionsvorschussleistung (rund 614 EUR im Monat) noch zusätzliche Leistungen, wie zB Sozialhilfeleistungen, an den Vater ausgezahlt würden. Solche seien nämlich nach ständiger Rechtsprechung als frei verfügbares Einkommen Grundlage für die Unterhaltsbemessung, sofern sie nicht der Deckung eines bestimmten Sonderbedarfs dienten.

Im verbleibenden Entscheidungsteil der angeordneten Einstellung bestünden allerdings nach der Aktenlage, nämlich in Bezug auf den dokumentierten Pensionsvorschuss, begründete Bedenken iSd § 16 Abs 2 UVG idF des FamRÄG 2009 an einer den Betrag von 30 EUR übersteigenden Unterhaltsverpflichtung. Diese führten insoweit zu der gemäß § 19 Abs 4 UVG idF FamRÄG 2009 anzuordnenden Innehaltung. Eine Entscheidung, ob bzw in welchem Umfang eine Herabsetzung der Vorschussgewährung für den fraglichen Zeitraum iSd § 19 UVG bzw die Aufhebung der teilweisen Innehaltung anzuordnen sei, könne erst nach einer Verfahrensergänzung im aufgezeigten Sinn erfolgen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zu den hier maßgeblichen Bestimmungen der §§ 7 Abs 1, 16 UVG iVm §§ 19, 20 UVG idF FamRÄG 2009 noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der unbeantwortet gebliebene Revisionsrekurs der Minderjährigen, die eine ersatzlose Behebung der „auferlegten Innehaltung“ anstrebt, ist nicht zulässig.

Die Neufassung der zitierten Bestimmungen ist, nämlich im Sinn der bereits veröffentlichten Entscheidung des zuständigen Fachsenats vom , 10 Ob 36/10g, wie folgt zu beurteilen:

Das UVG wurde durch das FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, novelliert. Die geänderte Fassung ist im Wesentlichen am in Kraft getreten (§ 37 UVG) und daher hier bereits anzuwenden.

Unverändert geblieben ist die Rechtslage insoweit, als die Innehaltung der Vorschussauszahlung (§ 16 Abs 2 iVm § 19 Abs 4 UVG) nach dem Zweck dieser Bestimmungen auch ohne Rekurs im Zug eines allenfalls auch von Amts wegen eingeleiteten Herabsetzungsverfahrens (§ 19 Abs 1 UVG) angeordnet werden darf. Allerdings gilt in diesem Fall der im § 16 Abs 2 letzter Satz UVG normierte Rechtsmittelausschluss gegen die Innehaltungsanordnung nur dann, wenn bereits über die Herabsetzung entschieden und gegen die Entscheidung Rekurs erhoben wurde. Die - wie hier - auf ein laufendes erstinstanzliches Herabsetzungs- oder Einstellungsverfahren gegründete Innehaltung ist anfechtbar (RIS-Justiz RS0076752 [T1] = 1 Ob 78/03g = SZ 2003/118 mwN).

Der novellierte § 16 Abs 2 UVG erhöht die Anforderungen an eine Innehaltung. Die mit der Novelle aus § 7 Abs 1 Z 1 UVG eliminierten „begründeten Bedenken“ kehren in der Neufassung des § 16 Abs 2 UVG wieder. Es ist nunmehr für eine Anordnung der Innehaltung erforderlich, dass die im Rekurs gegen einen Gewährungsbeschluss (aber auch bei Herabsetzungs- und Enthebungsanträgen [ Neumayr , Unterhaltsvorschuss neu Änderungen des UVG mit dem FamRÄG 2009, ÖJZ 2010, 164, 168]) vorgetragenen Einwendungen „begründete Bedenken“ an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung hervorrufen. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung zu § 7 Abs 1 Z 1 UVG (so auch IA 673/A BlgNR 24. GP 41) muss eine hohe Wahrscheinlichkeit der materiellen Unrichtigkeit der titelmäßigen Entscheidung bestehen. Es muss eine schon zur Zeit der Schaffung des Unterhaltstitels vorhandene oder durch Änderung der Unterhaltsbemessungsgrundlagen inzwischen eingetretene Unangemessenheit mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein. Eine „non liquet“ Situation in Bezug auf diese Voraussetzungen geht zu Lasten des Vorschuss gewährenden Bundes (RIS-Justiz RS0108443). Begründete Bedenken iSd § 16 Abs 2 UVG liegen - der bisherigen Rechtsprechung zu § 7 Abs 1 Z 1 UVG entsprechend insbesondere dann nicht vor, wenn die Voraussetzungen für die Anspannung des Unterhaltsschuldners auf einen Unterhalt in Titelhöhe gegeben sind (RIS-Justiz RS0076377; RS0076391 [T4] und RS0126041 = 10 Ob 36/10g).

Dass die Anspannungsvoraussetzungen vom Vater (weiterhin) erfüllt würden, wird im vorliegenden Revisionsrekurs aber gar nicht behauptet. Die Rechtsmittelwerberin macht vielmehr geltend, dass allein der Bezug von Pensionsvorschüssen die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit der Nichtberechtigung zum weiteren Unterhaltsvorschussbezug nicht begründe und daher eine Innehaltung nicht rechtfertige. Für eine genaue Beurteilung sei „die Durchführung weiterer Erhebungen“ erforderlich.

Insoweit wurde bereits in der Entscheidung 10 Ob 5/10y (noch zur früheren Rechtslage) ausgesprochen, dass [etwa] der Bezug einer Invaliditätspension in einer unter dem Existenzminimum liegenden Höhe im Allgemeinen begründete Bedenken dagegen erwecke, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) bestehe oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt sei, sodass die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG) oder nach deren Gewährung herabzusetzen (§ 19 Abs 1 UVG) oder einzustellen sind (§ 20 Abs 1 Z 4 lit b UVG). Auch eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen auf ein erzielbares Einkommen kommt dann nicht mehr in Betracht, wenn er beispielsweise wegen Krankheit zu einer Erwerbstätigkeit nicht mehr in der Lage ist. Die Gewährung der Invaliditätspension bildet daher einen Anlass zu überprüfen, ob die gewährten Unterhaltsvorschüsse der Unterhaltspflicht des Vaters noch entsprechen. Die sinngemäße Anwendung des § 16 UVG in den Fällen der amtswegigen Einleitung eines Herabsetzungs- oder eines Einstellungsverfahrens bedeutet, dass die Innehaltung nur dann anzuordnen ist, wenn beachtliche Gründe dafür sprechen, dass nach den noch durchzuführenden Erhebungen begründete Bedenken gegen eine weitere Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse (in der bisherigen Höhe) bestehen. In diesem Sinne ist bei begründbaren Zweifeln zu prognostizieren, ob sich diese voraussichtlich zu begründeten Bedenken verdichten werden oder nicht. Ist dies zu erwarten, ist innezuhalten; ist dies nicht zu erwarten (oder liegt eine „non-liquet" Situation vor), ist nicht innezuhalten (so bereits: 10 Ob 111/08h mwN).

Die (noch erforderliche) Prüfung dieser Fragen führte bereits im Verfahren 10 Ob 5/10y zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung; die Notwendigkeit „weiterer Erhebungen“ wird im vorliegenden Revisionsrekurs gar nicht bestritten und hat das Rekursgericht - auch hier - veranlasst, dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Der Beschluss des Rekursgerichts steht insoweit auch mit der eingangs zitierten - bereits zur aktuellen Rechtslage ergangenen - Entscheidung vom , 10 Ob 36/10g, in Einklang. Darin ist der Oberste Gerichtshof dem Argument des Jugendwohlfahrtsträgers, es sei bestenfalls eine „ non liquet “ Situation gegeben, nämlich bereits mit folgender Begründung entgegengetreten: Trotz bescheinigter erheblicher Verminderung des zum Zeitpunkt der Titelschaffung erzielten Einkommens des Vaters aus unselbständiger Erwerbstätigkeit (die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Herabsetzung der Unterhaltstitel erwarten ließ) habe die Minderjährige im dort erhobenen Revisionsrekurs gar nicht behauptet, dass die Voraussetzungen für eine Anspannung des Vaters auf einen Unterhalt in Titelhöhe gegeben seien, wobei auch nach dem Akteninhalt nicht von ihrem Vorliegen ausgegangen werden könne. Der Vater wies vielmehr [auch] dort „ein schlechtes Arbeitskraftprofil“ (schlechter Berufsverlauf) auf und zählte zur Personengruppe der bei angespanntem allgemeinen Arbeitsmarkt schwer vermittelbaren Hilfsarbeiter (wobei ein früheres berufskundliches Sachverständigengutachten seine damaligen Verdienstmöglichkeiten mit 900 EUR monatlich einschließlich anteiliger Sonderzahlungen angab).

Im vorliegenden Fall ist dem Akt zu entnehmen (Versicherungsdatenauszug ON U-34), dass der am geborene Vater zuletzt in den Jahren 2000 bis 2002 (jeweils nur kurzfristig) beschäftigt war. Seit März 2003 hat er Arbeitslosengeld, Notstandshilfe (Überbrückungsgeld), Krankengeld, Kinderbetreuungsgeld und schließlich (seit laufend) Pensionsvorschuss vom AMS bezogen. Die dem Vater zuerkannten Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bzw seine Beihilfebezüge nach dem Arbeitsmarktservicegesetz ab dem haben eine tägliche Höhe von 20,17 EUR (im September 2009 von täglich 19,62 EUR).

Von dieser Aktenlage ausgehend entspricht die Beurteilung des Rekursgerichts, die Höhe dieser Leistungen (durchschnittlich 615,19 EUR monatlich) erwecke begründete Bedenken, die eine Innehaltung der den monatlichen Betrag von 30 EUR übersteigenden Vorschussauszahlung (auch) nach der neuen Rechtslage rechtfertigen, den dargelegten Grundsätzen.

Davon abgesehen ist es eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, ob begründete Bedenken gegen das Bestehen (oder die Höhe) der festgesetzten Unterhaltspflicht iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG bestehen, was in der Regel schon gegen das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage spricht (RIS-Justiz RS0076391 [T5] = RS0076405 [T4]).

Mangels einer solchen ist der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.