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VfGH vom 08.10.2008, B1629/07

VfGH vom 08.10.2008, B1629/07

Sammlungsnummer

18589

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung einer Berufung betreffend die Verweigerung der Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung mangels einer Anfechtungserklärung; Unterlassung der gesetzlich gebotenen amtswegigen Veranlassung der Behebung des Mangels

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer wurde als italienischer

Staatsangehöriger geboren und erwarb am die deutsche Staatsbürgerschaft durch Erklärung.

1.2. Im März 1997 wurde ihm nach Abschluss des Studiums der Rechtswissenschaften an der Universität Salzburg der Titel "Magister der Rechtswissenschaften" verliehen. Im selben Jahr absolvierte er seine neunmonatige Gerichtspraxis im Sprengel des Oberlandesgerichtes Linz. Während seines Studiums war er bei diversen deutschen Rechtsanwälten im Rahmen von Praktika beschäftigt. Im März 1999 wurde er mit Bescheid der Universität Salzburg, Rechtswissenschaftliche Fakultät, zum "Doktor der Rechtswissenschaften" promoviert.

Am beantragte der Beschwerdeführer beim Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien als Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung.

2. Mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien als Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission vom wurde der Antrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen, weil für die Zulassung zur Rechtsanwaltsprüfung in Österreich der Nachweis einer mindestens dreijährigen praktischen Verwendung iSd § 2 Rechtsanwaltsordnung (im Folgenden: RAO), davon zwei Jahre als Rechtsanwaltsanwärter bei einem Rechtsanwalt und eine mindestens neunmonatige Gerichtspraxis vorausgesetzt sei.

3. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im Folgenden: OBDK) vom zurückgewiesen. Begründend wird ausgeführt, dass in der Berufung die Anfechtungserklärung fehle. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer selbst bestätigt, dass er niemals in Österreich als Rechtsanwaltsanwärter iSd § 2 Abs 1 RAO tätig gewesen sei.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Erwerbsausübung, auf Freiheit der Berufswahl sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

5. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Ausführungen in der Beschwerde entgegentritt. Die Berufung sei ohne Ausführung der Berufungsgründe und daher nicht dem Gesetz entsprechend erhoben worden; ein solcher Begründungsmangel könne gemäß § 13 Abs 3 AVG nicht behoben werden. Auch das "(erfolgte) 'Nachschieben' von Berufungsgründen" sei unzulässig, weil "das Berufungsrecht durch die einmal bereits erhobene Berufung verbraucht" worden sei.

II. Zur Rechtslage:

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Rechtsanwaltsprüfungsgesetzes (im Folgenden: RAPG), BGBl. 556/1985, in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung, BGBl. 21/1993, lauteten:

"§2. (1) Die Rechtsanwaltsprüfung kann nach Erlangung des Doktorates der Rechte oder, für Absolventen des Diplomstudiums nach dem Bundesgesetz vom , BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften, des Magisteriums der Rechtswissenschaften und einer praktischen Verwendung im Ausmaß von drei Jahren, hievon mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens zwei Jahre bei einem Rechtsanwalt, abgelegt werden.

(2) Voraussetzung für die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung ist überdies die Teilnahme an den für Rechtsanwaltsanwärter verbindlichen Ausbildungsveranstaltungen.

§ 8. Gegen die Nichtzulassung zur Rechtsanwaltsprüfung steht dem Prüfungswerber das Recht auf Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission zu. § 5a der Rechtsanwaltsordnung ist sinngemäß anzuwenden."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen der RAO, RGBl. 96/1868, in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung, BGBl. I 71/1999 bzw. BGBl. I 474/1990, lauteten:

"§2. (1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Eine praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt in Form einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz 1979, BGBl. Nr. 221, oder dem Eltern-Karenzurlaubsgesetz, BGBl. Nr. 651/1989, ist anrechenbar, wenn sie zumindest die Hälfte der Normalarbeitszeit umfaßt; sie ist im Ausmaß der tatsächlich geleisteten Tätigkeit zu berücksichtigen.

(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs 1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.

(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:

1. Zeiten des Doktoratsstudiums bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn an einer inländischen Universität der akademische Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften nach dem Bundesgesetz vom , BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften erlangt wurde;

2. eine im Sinn des Abs 1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist.

(4) Die praktische Verwendung kann frühestens vom erfolgreichen Abschluß der im § 1 Abs 2 litc genannten Studien an gerechnet werden. Eine mehrfache Berücksichtigung von Zeiten nach Abs 1 bis 3 ist ausgeschlossen.

§5a. (1) Wird die Eintragung (§5) vom Ausschuß verweigert, so steht dem Bewerber das Recht der Berufung an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (§§55a ff. des Disziplinarstatutes) zu.

(2) Auf das Verfahren nach Abs 1 vor der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission sind die folgenden Vorschriften anzuwenden:

1. Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission entscheidet mit Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.

2. Die Entscheidung samt Gründen ist dem Ausschuß zu übersenden, dem die erforderlichen Zustellungen obliegen.

3. Im übrigen sind die Vorschriften des AVG 1950 anzuwenden."

3. § 13 AVG, BGBl. 51/1991, in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides geltenden Fassung, BGBl. I 10/2004, lautete auszugsweise:

"3. Abschnitt: Verkehr zwischen Behörden und Beteiligten

Anbringen

§13. (1) (...)

(2) Rechtsmittel und Anbringen, die an eine Frist gebunden sind oder durch die der Lauf einer Frist bestimmt wird, sind schriftlich einzubringen.

(3) Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels mit der Wirkung auftragen, daß das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

(4) - (9) (...)"

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof auch aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich unter anderem in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Die belangte Behörde habe - ebenso wie der Präsident des Oberlandesgerichtes Wien als Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission - zu Unrecht die Unzuständigkeit erklärt und seinem Antrag nicht stattgegeben. Eine Berufung unterliege keinen Formvorschriften. Darüber hinaus gehe aus der Berufung hervor, dass der Beschwerdeführer den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien als Präses der Rechtsanwaltsprüfungskommission im vollen Umfang anfechten habe wollen. Schließlich habe er die Berufungsbegründung nachgeholt.

2.2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde unter anderem verletzt, wenn die Behörde zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Ein solcher Vollzugsfehler ist der belangten Behörde im vorliegenden Fall unterlaufen:

Gemäß § 5a Abs 2 RAO, in der zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung geltenden Fassung, sind auf Verfahren zur Verweigerung der Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte (§5 RAO) vor der OBDK die Vorschriften des AVG anzuwenden. Gemäß § 8 RAPG ist gegen die Nichtzulassung zur Rechtsanwaltsprüfung § 5a RAO sinngemäß anzuwenden. Gemäß § 13 Abs 3 AVG ermächtigen Mängel schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach Ablauf einer angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

Die belangte Behörde hätte somit gemäß § 13 Abs 3 AVG die Berufung des Beschwerdeführers nicht zurückweisen dürfen, weil die Anfechtungserklärung gefehlt habe, sondern von Amts wegen die Behebung des Mangels veranlassen müssen.

Indem die belangte Behörde dies verkannt und die Berufung des Beschwerdeführers zurückgewiesen hat, hat sie eine Sachentscheidung verweigert und damit den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben, ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen war.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,- sowie eine Eingabengebühr in der Höhe von € 180,- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.