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OGH vom 30.10.2017, 9Ob50/17v

OGH vom 30.10.2017, 9Ob50/17v

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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Peter Melicharek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Hübel & Payer, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 335.969,89 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 13 R 56/17a-96, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Klägerin erachtet das Urteil des Berufungsgerichts wegen Missachtung der Bindungswirkung des Urteils des Vorprozesses als nichtig.

Die Prüfung, ob diese Nichtigkeit besteht, unterliegt in der vorliegenden Verfahrenskonstellation zwar der Kognition des Obersten Gerichtshofs (s RIS-Justiz RS0107339). Eine solche Nichtigkeit wurde hier aber in nicht korrekturbedürftiger Weise verneint.

Die Klägerin hatte der hier Beklagten im Vorprozess den Streit verkündet. Diese war jedoch auf Seiten ihres dort beklagten Präsidenten dem Streit beigetreten. Nach der Rechtsprechung kann zwar ein Regresspflichtiger, dem von einer Prozesspartei der Streit verkündet wurde, nicht willkürlich auf Seiten der Gegenpartei beitreten und damit im Verhältnis zur streitverkündenden Partei in einem Folgeprozess die Bindung vermeiden. In einem solchen Fall wäre der auf Seiten der Gegenpartei beitretende Nebenintervenient ebenso zu behandeln wie eine Partei, die nach Streitverkündung dem Verfahren überhaupt nicht als Nebenintervenient beigetreten ist (RIS-Justiz RS0129019 [T1]). Im vorliegenden Verfahren können aber die Zweifel der Klägerin, ob die Beklagte im Vorprozess zurecht auf Seiten der Gegenpartei dem Streit beitrat, dahingestellt bleiben, weil die Bindungswirkung des Urteils des Vorprozesses schon aus anderen Gründen nicht die von der Klägerin angenommene Reichweite hat:

Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung ist dann gegeben, wenn der als Hauptfrage rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage für den Anspruch im zweiten Prozess bildet (s RIS-Justiz RS0127052)

. Die durch die materielle Rechtskraft bewirkte Maßgeblichkeit der Entscheidung äußert sich in einer inhaltlichen Bindung an diese, wenn der rechtskräftig entschiedene Anspruch Vorfrage, also bedingendes Rechtsverhältnis für den im zweiten Prozess erhobenen Anspruch ist (RIS-Justiz RS0041251 [T3]). Die Rechtsprechung nimmt somit eine Bindung nur an die im Vorprozess entschiedene Hauptfrage, nicht aber an eine dort beurteilte Vorfrage an (RIS-Justiz RS0127052 [T1]; RS0042554 [T6]).

Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sowie nach der Lehre sind materiell-rechtliche Nahebeziehungen über die echte Präjudizialität hinaus allein kein hinreichender Grund für eine Erweiterung der Rechtskraftwirkungen. Die Bindungswirkung der Rechtskraft ist daher nicht auf „bestimmte Sinnzusammenhänge zwischen den Feststellungen zum Gegenstand des Vorprozesses“ oder auf „im Sinnzusammenhang stehende Rechtsverhältnisse“ zu erstrecken. Auch „das Gebot der Entscheidungsharmonie“ oder „das Bedürfnis der Rechtssicherheit“ sind keine Argumente dafür, die Rechtskraft eines Urteils „als Sonderfall der Präjudizialität“ über den entschiedenen Anspruch hinaus auf Vorfragen desselben zu erweitern (RIS-Justiz RS0041572 [T24]).

Es ist jeweils im Einzelfall konkret zu prüfen, worüber im Vorprozess als Hauptfrage bzw Hauptgegenstand entschieden wurde. Dabei kommt es auf den Gegenstand der spruchmäßigen Entscheidung an. Zur Individualisierung des Hauptgegenstands sind auch die rechtserzeugenden Tatsachen und der rechtliche Subsumtionsschluss heranzuziehen (RIS-Justiz RS0127052 [T5]). Dies gilt insbesondere, wenn der Umfang der Rechtskraftwirkung des abweisenden Urteils festgestellt werden soll (RIS-Justiz RS0043259). Bei abweislichen Entscheidungen beschränkt sich die Bindungswirkung auf die maßgeblichen Abweisungsgründe (RIS-Justiz RS0041454 [T3]).

Im Vorprozess hat die Klägerin ihr gegen den dort beklagten Präsidenten der Beklagten gerichtetes Zahlungsbegehren auf seine Haftung nach § 24 Abs 2 VereinsG und als falsus procurator gestützt. Das Klagebegehren wurde abgewiesen, weil er die strittige Schuldbeitrittserklärung – auch für den Kläger erkennbar – „wirksam und durchsetzbar“ für die Beklagte abgegeben hatte. Das Erstgericht (dessen Urteil unbekämpft in Rechtskraft erwuchs) begründete dies mit einer entsprechenden (Anscheins-)Vollmacht des Präsidenten und damit, dass der Schuldbeitritt aufgrund der Interessenlage der Beklagten auch keiner Form bedurft hätte. Im hier bekämpften Berufungsurteil legte das Berufungsgericht aber zutreffend dar, dass die Frage der Formpflicht des Schuldbeitritts im Vorprozess nicht der entscheidungswesentliche Grund für die Klagsabweisung war, weil bereits die Zurechnung der Schuldbeitrittserklärung an die Beklagte eine Haftung des Präsidenten als falsus procurator ausschloss; dafür kam es auf die Frage der Formwirksamkeit des Schuldbeitritts – die im vorliegenden Verfahren verneint wurde – nicht weiter an.

Richtig ist, dass das Erstgericht im Vorprozess die Wirksamkeit des Schuldbeitritts weiter als Begründung dafür heranzog, dass der Präsident auch nicht auf schadenersatzrechtlicher Grundlage (§ 24 Abs 2 VereinsG) zu haften hatte, weil mangels Prozessführung der Klägerin gegen die Beklagte noch nicht feststand, ob der Klägerin überhaupt ein Schaden erwachsen war. Das Erstgericht ging somit aufgrund des von ihm als wirksam erachteten Schuldbeitritts von der Möglichkeit einer erfolgreichen Klagsführung gegen die Beklagte aus. Davon unabhängig verneinte es allerdings eine schadenersatzrechtliche Haftung des Präsidenten auch deshalb, weil ihm kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen sei. Auch im Hinblick auf eine schadenersatzrechtliche Haftung des Präsidenten war die Frage der Formwirksamkeit des Schuldbeitritts sohin weder ein notwendiger noch ein ausreichender Grund für die Klagsabweisung. Die Verneinung der Haftung des dort beklagten Präsidenten aus den im Vorprozess genannten Gründen ist damit insgesamt keine Vorfrage im Sinn eines bedingenden Rechtsverhältnisses für den nun gegen die Beklagte erhobenen Anspruch. Wenn das Berufungsgericht eine Bindungswirkung des Vorprozesses für die Frage der Formwirksamkeit des Schuldbeitritts verneinte, so ist dies danach nicht weiter korrekturbedürftig.

2. Die Klägerin ist weiter der Ansicht, dass die Haftungserklärung der Beklagten materiell ihre eigene Schuld betroffen und deshalb keiner Schriftform bedurft hätte. Das Berufungsverfahren sei mangelhaft geblieben. Aufgrund der in der Berufung geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel wäre von der Wirksamkeit des formfreien Schuldbeitritts auszugehen gewesen.

Das Berufungsgericht stellte die Rechtsprechung zum Schriftformerfordernis (§ 1346 Abs 2 ABGB analog) für den sicherungshalber erklärten Schuldbeitritt zutreffend dar, sodass darauf verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO). Hervorzuheben ist davon, dass ausschlaggebend für das Vorliegen einer Interzession iSv § 25c KSchG – und damit auch für die Analogie bei der Formpflicht – ausschließlich die Frage ist, ob der Dritte die Haftung für eine materiell fremde Schuld übernimmt. Dafür ist das dem Gläubiger bekannte oder leicht erkennbare Innenverhältnis zwischen dem ursprünglichen und dem hinzutretenden Schuldner maßgebend. Eine materiell fremde Schuld liegt vor, wenn dem zahlenden Interzedenten ein Regressanspruch gegen den ursprünglichen Schuldner zusteht. Entscheidend ist nicht das Eigeninteresse des Interzedenten, sondern allein, dass er (typischerweise) damit rechnen kann, die Schuld zumindest wegen eines Regressanspruchs letztlich materiell nicht tragen zu müssen. Das gilt auch für das – insofern eine Warnfunktion erfüllende – Schriftformerfordernis des § 1346 Abs 2 ABGB (4 Ob 205/09i ua, s RIS-Justiz RS0119014 [T12; T 14]).

Die von der Klägerin konkret vermissten Feststellungen (Berufung ON 93, Punkt 8., S 9) lassen keine Rückschlüsse darauf zu, dass die Beklagte im Fall von Zahlungen keinen Regress beim Hauptschuldner nehmen hätte wollen. Im Übrigen haben die Vorinstanzen nach dem festgestellten Sachverhalt in vertretbarer Weise einen Schuldbeitritt zu Gutstehungszwecken angenommen: Die Beklagte hatte nach der Erklärung ihres Präsidenten (die Beklagte werde „die Zahlung übernehmen, wenn es der O***** nicht habe“) nachträglich die Haftung für eine fremde Schuld übernommen. Beide Rechtsträger hatten Zahlungsengpässe. Dass sie sich gegenseitig immer wieder kurzfristige Darlehen gewährten, begründet entsprechende Rückzahlungspflichten. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die von ihr für den Hauptschuldner geleisteten Zahlungen nicht nach Möglichkeit zurückfordern hätte wollen, ergeben sich aus dem festgestellten Sachverhalt nicht. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es sich hier um eine – formbedürftige, damit aber formunwirksame – Schuldbeitrittserklärung der Beklagten handelte, ist damit vertretbar und nicht weiter zu beanstanden.

3. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0090OB00050.17V.1030.000
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