OGH vom 19.03.2014, 15Os179/13g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Dr. Michel Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Patrick H***** und weitere Angeklagte wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 148 erster Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 162 Hv 10/12x 384, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Schuldspruch wegen §§ 146, 148 erster Fall StGB sowie einen rechtskräftigen Freispruch (A./1.) dieses Angeklagten und Freisprüche der Mitangeklagten (B./ und C./) enthält, wurde soweit für das Nichtigkeitsverfahren von Bedeutung Patrick H***** von der Anklage freigesprochen, er habe sich in Wien als Mitglied (§ 278 Abs 3 StGB) an terroristischen Vereinigungen, nämlich jeweils einem seit Jahren bestehenden und auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung eine oder mehrere terroristische Straftaten (§ 278c StGB), somit Mord (§ 75 StGB), Körperverletzung nach §§ 84 bis 87 StGB, erpresserische Entführung (§ 102 StGB), schwere Nötigung (§ 106 StGB), gefährliche Drohung (§ 107 Abs 2 StGB), schwere Sachbeschädigung (§ 126 StGB) und Datenbeschädigung (§ 126a StGB), „wenn dadurch eine Gefahr für das Leben eines anderen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß entstehen kann“, vorsätzliche Gemeingefährdungsdelikte (§§ 169, 171, 173, 175, 176, 177a, 177b, 178 StGB) oder vorsätzliche Beeinträchtigung der Umwelt (§ 180 StGB), Luftpiraterie (§ 185 StGB), vorsätzliche Gefährdung der Sicherheit der Luftfahrt (§ 186 StGB) oder eine nach § 50 des Waffengesetzes 1996 oder § 7 des Kriegsmaterialgesetzes strafbare Handlung, die terroristische Straftaten sind, „wenn die Tat geeignet ist, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen“, und mit dem Vorsatz „begangen wird“, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder eine internationale Organisation zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates und einer internationalen Organisation ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, ausgeführt werden, und zwar der A***** bzw den ihr zugeordneten „AL ***** auf der A*****“, H*****, A***** S***** oder einer nicht mehr näher festzustellenden, im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet operierenden, radikal-islamischen terroristischen Vereinigung, zu nachstehenden Zeiten in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die terroristischen Vereinigungen oder deren strafbare Handlungen fördert, und zwar im Frühjahr 2011, indem er Achmad At***** aufforderte, ihn nach P***** zwecks Teilnahme an einem Terrorcamp der islamischen Bewegung U***** zu begleiten und nach dessen Zustimmung Thomas A***** J***** bat, auch die Reise von Achmad At***** zu dem Terrorcamp über Kerim B***** zu organisieren sowie dem Genannten bei der Erlangung eines Visums für die Türkei behilflich war (I./B./b./ der Anklageschrift [ON 260 S 3] = A./2./ des Freispruchs).
Rechtliche Beurteilung
Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützter Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch fehl schlägt.
Die Rechtsrüge lässt mit der bloßen Behauptung, das Erstgericht habe die Tat in verfehlter Auslegung des § 278b Abs 2 iVm § 278 Abs 3 StGB für straflos gehalten, außer Acht, dass es für den Erfolg einer Nichtigkeitsbeschwerde dann nicht hinreicht, einen Rechtsfehler bloß in Ansehung der getroffenen Urteilsannahmen aufzuzeigen, wenn das Urteil nicht hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale Konstatierungen enthält. Diesfalls ist unter Bezugnahme auf die fehlenden Feststellungen indizierende und in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse ein Feststellungsmangel geltend zu machen (RIS-Justiz RS0127315; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 607 f).
Die Staatsanwaltschaft stützt ihre Rechtsbehauptung ausschließlich auf die Feststellungen (US 14), wonach „Patrick H***** wusste, dass sich sein Freund Achmad At***** ebenfalls für eine Teilnahme am bewaffneten J***** in P***** interessierte, erzählte er ihm von seiner Möglichkeit mit Hilfe von Thomas A***** J***** zu Kerim B***** zu reisen und bot At***** an, mit ihm und seiner Familie nach P***** zu kommen. Wenngleich At***** anfänglich noch zögerte und Bedenken wegen der gefährlichen und beschwerlichen Reise hatte, entschloss er sich letztendlich, mit Patrick H***** und dessen Familie zu Kerim B***** in ein terroristisches Ausbildungslager zu fahren. Ob At***** während dieser Überlegungsphase von Patrick H***** beeinflusst oder zur Teilnahme an der Reise gedrängt bzw überredet wurde, kann nicht festgestellt werden. Nachdem Patrick H***** die Zustimmung von Thomas A***** J*****, noch eine Person auf die Reise mitzunehmen, erhalten hatte, war er At***** behilflich, ein Visum für die Türkei zu erlangen. Der Flug in die Türkei wurde von beiden selbst gebucht und bezahlt. Patrick H***** wusste, dass er durch sein an At***** gestelltes Angebot und seine Hilfestellung bei der Visumserlangung eine nicht mehr näher festzustellende, im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet agierende radikal-islamistische terroristische Vereinigung, bei der Kerim B***** sich befand, oder deren strafbaren Handlung fördert.“
Dem Urteil fehlen jedoch (positive oder negative) Konstatierungen zum Tatbestandsmerkmal einer terroristischen Vereinigung iSd § 278b Abs 3 StGB, insbesondere wurden von der Vereinigung beabsichtigte terroristische Straftaten (§ 278c StGB) nicht einmal in rechtlichen Kategorien, geschweige denn derart hinreichend konkret (vgl Fabrizy in WK 2 StGB § 12 Rz 58) angesprochen, dass ihre terroristische Eignung und Zielsetzung (vgl Plöchl in WK 2 StGB § 278c Rz 6 ff) beurteilt werden könnte (vgl 13 Os 83/08t; 13 Os 39/09y).
Dass die vorliegend aktuelle „im pakistanisch afghanischen Grenzgebiet operierende radikal islamische terroristische Vereinigung“ allenfalls gerichtsnotorisch auf die Begehung derartiger, in § 278c StGB aufgelisteter (terroristischer) Straftaten ausgerichtet ist, vermag daran übrigens nichts zu ändern, weil es in Betreff notorischer Tatsachen zwar keiner Beweisaufnahme, wohl aber deren Feststellung bedarf (RIS Justiz RS0124169; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 348, 456, 600).
Dies lässt die Staatsanwaltschaft in ihrem Rechtsmittel außer Acht, indem sie lediglich auf die festgestellten Tathandlungen des Angeklagten verweist, jedoch keinen Mangel an Feststellungen zu den angeführten Tatbestandsmerkmalen geltend macht.
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0150OS00179.13G.0319.000