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OGH vom 13.09.2019, 10ObS14/19k

OGH vom 13.09.2019, 10ObS14/19k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, durch die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Wolfgang Kozak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei H*****, vertreten durch Dr. Herwig Mayrhofer, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kostenerstattung (Streitwert: 124.544 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 25 Rs 63/18b-35, mit dem über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 35 Cgs 57/16y-31, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.435,94 EUR (darin enthalten 405,99 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin erlitt am einen Schlaganfall. Sie befand sich danach in stationärer Behandlung.

Am beantragte die Klägerin bei der Beklagten einen Rehabilitationsaufenthalt. In der ärztlichen Stellungnahme wird ein Rehabilitationsaufenthalt für den „Neurologischen Formenkreis“ in einer Einrichtung in V***** in der Schweiz vorgeschlagen.

Mit Schreiben vom bewilligte die Beklagte als „Heilverfahren gemäß § 307d ASVG (Gesundheitsvorsorge)“ der Klägerin „entsprechend ihrem Antrag“ für die Dauer von 29 Tagen einen Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik M***** in Österreich (Schreiben bei ON 3 und 5). Diesen von der Beklagten bewilligten Aufenthalt hat die Klägerin nicht angetreten.

Am wurde die Klägerin aus dem stationären Aufenthalt entlassen. Vom bis befand sie sich stationär zur Rehabilitation im Rehabilitationszentrum V*****, Schweiz. Für den Aufenthalt dort und den Transport musste die Klägerin (umgerechnet) 124.544 EUR bezahlen.

Es steht fest, dass die im Rehabilitationszentrum V***** durchgeführten Rehabilitationsmaßnahmen ausreichend, zweckmäßig und das Maß des Notwendigen nicht überschreitend waren. Hingegen war die Rehabilitationsklinik M***** zum Zeitpunkt der Entlassung der Klägerin aus der stationären Behandlung für die Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen für sie keine geeignete Einrichtung. Eine entsprechende Rehabilitation der Klägerin wäre in anderen Einrichtungen in Österreich möglich gewesen.

Mit Schreiben vom begehrte der Rechtsvertreter der Klägerin von der Beklagten die Kostenrückerstattung im Umfang einer Zwischenabrechnung von 41.106 CHF für den Aufenthalt im Rehabilitationszentrum V***** (Beil./G bei ON 5).

Mit Schreiben vom lehnte die Beklagte die Übernahme der Kosten für den Aufenthalt der Klägerin im Rehabilitationszentrum V***** ab (Schreiben bei ON 3).

Am beantragte die Klägerin bei der Beklagten, „über den begehrten Kostenersatz für den Aufenthalt in der Rehaklinik in V***** sowie der entsprechenden Transportkosten durch Bescheid abzusprechen“ (Beil./i bei ON 5).

Mit Bescheid vom wies die Beklagte den Antrag vom auf bescheidmäßige Absprache über die Kostenübernahme für die Unterbringung in einer Rehabilitationseinrichtung als Maßnahme der Gesundheitsvorsorge bzw über die angefallenen Transportkosten zurück. Die Gewährung von Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge erfolge als freiwillige Leistung nach Ermessen und zähle nicht zu den Aufgaben der Rehabilitation. Eine gesetzliche Pflicht zur Bescheiderlassung bestehe nicht.

Mit ihrer gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von 124.544 EUR sA sowie die Feststellung, dass die Beklagte ihr hinkünftig die Kosten für weitere Rehabilitationsmaßnahmen, allenfalls auch im Rehabilitationszentrum V*****/Schweiz sowie die Transportkosten im Zusammenhang mit dem im Jänner 2015 erlittenen Schlaganfall bei medizinischer Notwendigkeit zu tragen habe. Es gehe nicht um Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge, sondern der medizinischen Rehabilitation gemäß § 302 Abs 1 Z 1 ASVG einschließlich Transportkosten, die nach pflichtgemäßem Ermessen zu erbringen seien. Die Ermessensausübung sei einer gerichtlichen Kontrolle im Verfahren in Sozialrechtssachen zugänglich. Die von der Beklagten vorgeschlagene Einrichtung in Österreich sei ungeeignet gewesen. Hingegen seien die in der Schweiz erbrachten Rehabilitationsmaßnahmen notwendig und zweckmäßig gewesen. Vergleichbare Einrichtungen stünden in Österreich nicht zur Verfügung.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass es sich bei dem von ihr bewilligten Heilverfahren um eine Maßnahme der Gesundheitsvorsorge handle. Dies stelle eine freiwillige, nicht einklagbare Leistung dar. Daher sei der Antrag der Klägerin unzulässig und auch die Klage zurückzuweisen. Die Klägerin hätte eine gleichwertige Behandlung im Inland in Anspruch nehmen können. Sie habe für die Behandlung im Ausland keine Genehmigung der Beklagten dafür eingeholt.

Das Erstgericht wies mit Urteil das Leistungsbegehren ab und (ebenfalls in der Form eines Urteils) das Feststellungsbegehren wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Im Umfang der Zurückweisung des Feststellungsbegehrens erwuchs die Entscheidung des Erstgerichts unangefochten in Rechtskraft. Bei den von der Klägerin begehrten Rehabilitationsmaßnahmen handle es sich um Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge gemäß § 307d ASVG, die keine Pflichtleistungen der Beklagten darstellten. Auch bei pflichtgemäßem Ermessen sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, die Kosten der Rehabilitation der Klägerin zu tragen. Die Klägerin hätte in vergleichbarer Weise in einer österreichischen Rehabilitationsklinik behandelt werden können.

Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin gegen dieses Urteil nur im Umfang der Abweisung des Leistungsbegehrens erhobenen Berufung Folge. Es hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

§ 154a Abs 2 Z 1 ASVG sehe als medizinische Maßnahme der Rehabilitation ua die Unterbringung in Krankenanstalten vor, die vorwiegend der Rehabilitation dienen. Gemäß § 154a Abs 3 ASVG sei diese Maßnahme bei einem Pensionsversicherungsträger oder einem Unfallversicherungsträger zu beantragen, die den Antrag unverzüglich an den zuständigen Krankenversicherungsträger weiterzuleiten haben, soweit sie diese Maßnahmen nicht selbst gemäß § 302 Abs 2, § 307d Abs 2 Z 2 ASVG oder gemäß § 189 Abs 2 ASVG gewähren bzw zu gewähren haben oder ihre Gewährung gemäß § 302 Abs 2 ASVG oder gemäß § 191 Abs 2 ASVG an sich ziehen. Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation seien nach wie vor als Pflichtaufgabe des Krankenversicherungsträgers ohne individuellen Rechtsanspruch der Versicherten normiert. Deshalb handle es sich um eine im pflichtgemäßen Ermessen des Versicherungsträgers liegende Gewährung freiwilliger Leistungen. Bei Pflichtleistungen ohne individuellen Rechtsanspruch könne in Ansehung dieser Leistungen gegen eine Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers beim Arbeits- und Sozialgericht Klage wegen gesetzwidriger Ermessensübung erhoben werden, weil eine Ablehnung einer Pflichtaufgabe trotz Vorliegens der dafür vorgesehenen Voraussetzungen der Verweigerung einer Pflichtleistung gleichkäme. Die von der Beklagten angebotene Behandlung sei für die Klägerin nicht geeignet gewesen. Es fehlten allerdings Feststellungen zur Beurteilung der Kriterien bei der Ermessensausübung und auch zur Frage, ob eine Behandlung der Klägerin in Österreich möglich gewesen wäre. Das Verfahren erweise sich daher als ergänzungsbedürftig.

Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Es fehle Rechtsprechung zur Frage, ob die nach der Entscheidung 10 ObS 258/02t im Bereich der medizinischen Maßnahmen der Rehabilitation in der Krankenversicherung gemäß § 154a ASVG bestehende Nachprüfbarkeit der Ermessensausübung durch den Versicherungsträger im gerichtlichen Verfahren auch für den Bereich von Maßnahmen der Gesundheitsvorsorge gemäß § 307d ASVG bestehe.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der beklagten Pensionsversicherungsanstalt, mit dem sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs begehrt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung die Zurück-, hilfsweise die Abweisung des Rekurses.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht zulässig.

1. Die Beklagte macht in ihrem Rekurs unter Bezugnahme insbesondere auf die Entscheidungen 10 ObS 28/94, SSV-NF 8/35; 10 ObS 68/09m, SSV-NF 24/7 und 10 ObS 119/15w, SSV-NF 30/3, ausschließlich geltend, dass es für das noch im Verfahren zu behandelnde Leistungsbegehren an der Zulässigkeit des Rechtswegs fehle.

2. Wird eine Klage erhoben, obwohl die in den § 67 bis 70 und 72 Z 2 lit d ASGG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, so ist die Klage gemäß § 73 ASGG in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen. Dies gilt allerdings auch im Verfahren in Sozialrechtssachen dann nicht, wenn eine die Zulässigkeit des Rechtswegs bejahende gerichtliche Entscheidung entgegensteht (§ 43 Abs 2 JN; RS0035572, RS0039774; Neumayr in ZellKomm³ § 73 ASGG Rz 2). Eine Bindung ist nach ständiger Rechtsprechung auch dann zu bejahen, wenn sich das Gericht in den Entscheidungsgründen mit dem Nichtvorliegen des Prozesshindernisses auseinandergesetzt hat (10 ObS 112/02x, SSV-NF 16/30 mH auf RS0043823; RS0114196).

3. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte bereits in der Klagebeantwortung die Unzulässigkeit des Rechtswegs eingewandt. Das Erstgericht hat die Zulässigkeit des Rechtswegs in seinen Entscheidungsgründen für das Leistungsbegehren bejaht. Das Berufungsgericht hat sich, wie oben wiedergegeben, ausführlich – unter Berufung auf die genau diese Frage thematisierende Entscheidung 10 ObS 258/02t, SSV-NF 17/17 – mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Prüfung der Entscheidung der Beklagten über den Antrag der Klägerin im konkreten Fall einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich ist. Auch sein Entscheidungswille, die Zulässigkeit des Rechtswegs für die hier vorliegende Klage zu bejahen, ergibt sich damit ausreichend deutlich erkennbar aus seiner Begründung. Daran ist der Oberste Gerichtshof nach § 42 Abs 3 JN iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO – bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs handelt es sich um in die Urteile der Vorinstanzen aufgenommene Beschlüsse – gebunden (RS0039774 [T6]). Eine Überprüfung der von der Rekurswerberin allein geltend gemachten Zulässigkeit des Rechtswegs ist dem Obersten Gerichtshof daher im konkreten Fall verwehrt.

4. Ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht nicht zu beanstanden, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfen, ob sich die vom Berufungsgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist (RS0042179; RS0043414).

Der Rekurs der Beklagten war daher mangels Geltendmachung einer

erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen. Der Tarifansatz gemäß TP 3C RATG beträgt allerdings nur 1.351,90 EUR.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:010OBS00014.19K.0913.000

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