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VfGH vom 07.03.1990, B1615/88

VfGH vom 07.03.1990, B1615/88

Sammlungsnummer

12301

Leitsatz

Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf persönliche Freiheit durch Festnehmung des Beschwerdeführers ohne richterlichen Befehl

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist dadurch, daß er von Organen der Bundespolizeidirektion Wien am , um 6 Uhr 20, festgenommen und bis 20 Uhr 40 desselben Tages in verwaltungsbehördlicher Haft gehalten wurde, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Vertreters die mit 20.250 S bestimmten Verfahrenskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. C R begehrte in seiner - zu B1615/88 protokollierten - Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 144 (Abs1) B-VG die kostenpflichtige Feststellung, er sei am in 1060 Wien, und zwar im Bereich vor dem Haus Aegidigasse Nr. 13, von Organen der Bundespolizeidirektion Wien festgenommen und (vorübergehend) in Haft gehalten, demnach durch Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit (Art8 StGG iVm Art 5 EMRK) verletzt worden.

1.2. Die - durch die Finanzprokuratur vertretene - Bundespolizeidirektion Wien als belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die kostenpflichtige Zurückweisung der Beschwerde eintrat. Dies im wesentlichen mit der Begründung, daß Sicherheitswachebeamte den Beschwerdeführer damals in Befolgung eines - von der Bundespolizeidirektion nicht zu verantwortenden - mündlichen Auftrags des zuständigen Journalrichters des Landesgerichts für Strafsachen Wien (Dr. P S) - und folglich nicht aus eigenem Antrieb - festgenommen hätten.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1. Auf Grund der Ergebnisse des vom Verfassungsgerichtshof durchgeführten Beweisverfahrens, und zwar insbesondere der Aussagen der einvernommenen Zeugen Dr. P S, Dr. H K, Dr. W Z und Mag. G Z sowie des Inhaltes der beigeschafften Akten AZ 23 c Vr 8033/88 und AZ 26 a Vr 2125/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, wurde folgender Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

2.1.1.1. Nach polizeilichen Meldungen und Berichten wurde das Gebäude 1060 Wien, Spalowskygasse Nr. 3, (spätestens) am von zahlreichen Personen demonstrativ besetzt und verbarrikadiert. Einschreitende Polizeiorgane wurden, wie diese Berichte zum Ausdruck bringen, teils unter Verwendung von (gefährlichen) Gegenständen, so auch von sog. Molotow-Cocktails und Steinschleudern, gewalttätig angegriffen. Die Hausbesetzer flüchteten in der Folge in das Haus 1060 Wien, Aegidigasse Nr. 13, das am morgens polizeilich geräumt werden sollte. Als Vertreter der Bundespolizeidirektion Wien waren damals die Konzeptsbeamten Dr. W Zund Mag. G Zanwesend; ferner befanden sich Dr. P S als Journalrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, der einen Befehl zur Durchsuchung des Hauses Aegidigasse Nr. 13 (schriftlich) erteilt hatte, und Dr. H K als Journaldienst versehender Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Wien an Ort und Stelle. Auf Anordnung des Journalrichters wurde unter Zuhilfenahme eines Megaphons verkündet, daß sich alle Hausinsassen - auch im Hinblick auf den erlassenen Hausdurchsuchungsbefehl - "dem Gericht zu stellen haben". Vorherige Fragen der Konzeptsbeamten, was hier unter der Wendung "dem Gericht stellen" zu verstehen sei, beantwortete Dr. S ausdrücklich und unmißverständlich mit den Worten "festnehmen, natürlich". Nach Gewährung einer kurzen (Aufschubs-)Frist, die ungenützt verstrich, drangen dann Polizeibeamte (ab 6 Uhr 50) in das Gebäude ein und nahmen dort insgesamt 53 Personen fest (s. dazu: ).

2.1.1.2. Angesichts dieses Sachverhaltes, wie er hier objektiv in Erscheinung trat (VfSlg. 11.130/1986), wurden diese (53) Personen in Befolgung eines - wenn auch zunächst nur mündlich erteilten (VfSlg. 7203/1973, 9616/1983) - richterlichen Auftrags festgenommen. Das bedeutet, daß diese Festnahmen dem zuständigen Gericht, d.i. das Landesgericht für Strafsachen Wien - nicht jedoch jener Verwaltungsbehörde, deren Organe in Vollziehung der Anordnung des Journalrichters einschritten - , zuzurechnen und darum (als polizeiliche Maßnahmen auf Grund und in Gemäßheit eines Aktes der Gerichtsbarkeit) der Anfechtung vor dem Verfassungsgerichtshof entzogen sind (s. VfSlg. 8627/1979, 8921/1980, 9554/1982, 10.272/1984; ferner ; vgl. auch:

VfSlg. 6815/1972, 7203/1973, 8248/1978, 10.669/1985, 10.979/1986), und zwar unbeschadet der (im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht nachzuprüfenden) Frage ihrer Gesetzmäßigkeit (VfSlg. 7203/1973; ).

2.1.2.1. Der Beschwerdeführer macht der Sache nach geltend, daß er sich nicht unter diesen (53) festgenommenen Personen befunden habe. Er bringt in seiner Beschwerdeschrift sinngemäß vor, er habe sich damals zwar (zeitweise) vor oder nahe dem Haus Aegidigasse Nr. 13, niemals aber im Gebäude selbst aufgehalten. In diesem Sinn lautete auch seine niederschriftliche Verantwortung vor der Polizeibehörde vom und vor dem Untersuchungsrichter vom (im Verfahren AZ 26 a Vr 7841/88 (= 23 c Vr 8033/88) des Landesgerichtes für Strafsachen Wien).

2.1.2.2. Der Verfassungsgerichtshof folgt dieser Schilderung des Beschwerdeführers. Denn mit ihr im Einklang steht der Umstand, daß der Beschwerdeführer in der im Gerichtsakt erliegenden namentlichen Aufzählung der - auf richterlichen Befehl hin - festgenommenen 53 Personen (aus dem Haus Aegidigasse Nr. 13) tatsächlich nicht enthalten ist (vgl. Polizeibericht vom im Akt AZ 26 a Vr 2125/89 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien). Hinzu tritt, daß der Polizeieinsatz, der die Festnahme der

(53) Hausinsassen zur Folge hatte, laut Administrativakt erst um 6 Uhr 50 des begann, der Beschwerdeführer laut Polizeibericht vom jedoch schon um 6 Uhr 20 dieses Tages festgenommen wurde, als ein richterlicher Hausdurchsuchungsbefehl und ein Festnahmeauftrag noch gar nicht erteilt waren.

Die Einrede der belangte Behörde, der Beschwerdeführer sei kraft richterlicher Anordnung polizeilich festgenommen worden, trifft darum nicht zu: Der erste und einzige richterliche Befehl zur Festnahme bezog sich nur auf Hausinsassen, zu denen der Beschwerdeführer nach dem Gesagten nicht gehörte; im übrigen war er damals bereits festgenommen, und zwar offensichtlich von Sicherheitsorganen aus eigener Machtvollkommenheit.

2.2. Die - rechtzeitig eingebrachte - Beschwerde ist folglich zulässig (vgl. VfSlg. 10.272/1984, 10.975/1986).

2.3.1. Daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die bekämpfte, durch keinen richterlichen Auftrag gedeckte polizeiliche Maßnahme vorgelegen seien, wurde von den einschreitenden Sicherheitsorganen nicht geltend gemacht und von der belangten Behörde nicht eingewendet; sie sind im übrigen aus den Akten auch nicht zu ersehen. Hinzuweisen bleibt in diesem Zusammenhang noch auf die in ständiger Rechtsprechung vertretene Auffassung des Verfassungsgerichtshofes (zB , B1285-1288/88), daß bei Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Festnahme ausschließlich von dem vom einschreitenden Sicherheitsorgan herangezogenen und damit allein maßgebenden Haftgrund auszugehen ist (: sog. Verbot des nachträglichen Austausches des Haftgrundes) und daß der Lösung der Frage, ob der für eine Festnahme zwingend vorausgesetzte Tatverdacht vertretbarerweise angenommen werden durfte, ausschließlich jener Sachverhalt zugrundezuliegen hat, der sich dem einschreitenden Behördenorgan im Zeitpunkt der Amtshandlung darbot.

2.3.2. Daraus folgt, daß der Beschwerdeführer durch die polizeiliche Festnahme und Anhaltung bis zu seiner Einlieferung in das landesgerichtliche Gefangenenhaus (um 20 Uhr 40 desselben Tages), mit der hier die ausschließliche Verantwortlichkeit des Strafgerichts für diesen Häftling ihren Anfang nahm (s. VfSlg. 9920/1984), in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit nach Art 8 StGG iVm Art 5 EMRK verletzt wurde.

2.4. Die Kostenentscheidung fußt auf § 88 VerfGG 1953.

Bei der Berechnung des Kostenbetrages war zu berücksichtigen, daß der Vertreter des Beschwerdeführers bei den beiden Beweistagsatzungen vor dem Verfassungsgerichtshof nicht nur für C R, sondern auch für andere Beschwerdeführer, und zwar bei der ersten Beweiserhebung für drei und bei der zweiten für vier weitere Beschwerdeführer, intervenierte, sodaß C R für die Teilnahme seines Anwaltes an der ersten Beweistagsatzung 1/4 und für die Intervention bei der zweiten 1/5 des (jeweils um den entsprechenden Streitgenossenzuschlag erhöhten) Pauschalbetrages zuzusprechen waren.

Im zuerkannten Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.375 S enthalten.

2.5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung ergehen.