OGH vom 03.05.2022, 11Os11/22k

OGH vom 03.05.2022, 11Os11/22k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. BachnerForegger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen * S* wegen Verbrechen nach § 3g VG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom , GZ 12 Hv 16/21b106, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden, im zweiten Rechtsgang (zum ersten vgl 11 Os 128/20p) ergangenen Urteil wurde * S* mehrerer Verbrechen nach § 3g VG schuldig erkannt.

[2] Danach hat er sich zu nachangeführten Zeiten in G* und anderen Orten des Bundesgebiets auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinne betätigt, wobei er es zumindest ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass dieses Verhalten geeignet ist, (zumindest) eine der spezifischen Zielsetzungen der National-Sozialistischen-Deutschen-Arbeiterpartei (NSDAP), nämlich Antijudaismus, Rassismus, Totalitarismus, extremen Deutschnationalismus, Militarismus und die Glorifizierung der Person Adolf Hitler als „Führer“,
– im Inland oder mit Auswirkungen auf die Republik Österreich – zu neuem Leben zu erwecken oder zu propagieren und solcherart zu aktualisieren, indem er

I/ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Jahr 2016 oder 2017 über den Nachrichtendienst WhatsApp folgende Videos mit den nachangeführten nationalsozialistischen Inhalten an * C* übersendete und dadurch die darauf befindlichen Inhalte einem Dritten zu propagandistischen Zwecken zugänglich machte, und zwar

a/ ein den Nationalsozialismus verherrlichendes Video mit dem durchgehend eingeblendeten Untertitel „Geh Wählen!!!“ zeigend Adolf Hitler mit Hakenkreuzarmbinde, wie er sich bei einer propagandistischen Wahlkampfrede an eine (am Ende) jubelnde Menge wendet und für eine Stimme wirbt, wodurch dem Betrachter die Wahl der Nationalsozialistischen-Deutschen-Arbeiter-Partei (NSDAP) bzw Adolf Hitlers und die Zeit des Nationalsozialismus unter totalitärer Führung Adolf Hitlers als etwas Positives und Wünschenswertes dargestellt wird,

b/ ein den Nationalsozialismus verherrlichendes Video zeigend einen chinesischen Taxifahrer, der, nachdem ihm der Fahrgast mitteilte, dass er aus Deutschland stamme, die rechte Hand zum Hitlergruß erhebt und die Parole „Heil Hitler“ ruft, wodurch typisch nationalsozialistische Symbole und Parolen propagandistisch verwendet und dem Betrachter die Zeit des Nationalsozialismus unter totalitärer Führung Adolf Hitlers als etwas Positives und Wünschenswertes dargestellt wird,

II/ am zweimal gegenüber * Se*, davon einmal auch gegenüber * D* äußerte „Dem Dritten Reich nach sind Frauen Rasse zweiter Klasse“, wobei er damit auf ein Ideal des Nationalsozialismus, nämlich die untergeordnete Rolle der Frau, welche sich auf die Mutterschaft reduzierte, anspielte und diese Rolle positiv darstellte, wodurch er die Zeit des Nationalsozialismus unter totalitärer Führung Adolf Hitlers als etwas Positives und Wünschenswertes bewarb.

[3] Die Geschworenen haben die zu diesen Schuldspruchpunkten jeweils in Richtung Verbrechen nach § 3g VG gestellten Hauptfragen 1, 2 und 3 bejaht. Weitere Fragen wurden nicht gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 6, 8, 9, 10a und 11 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[5] Die Fragenrüge (Z 6) orientiert sich nicht an der Verfahrensordnung. Nach § 312 StPO sind die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung in die (Haupt-)Frage aufzunehmen, und zwar dergestalt, dass einerseits die Individualisierung der dem Täter angelasteten Tat(en) – zum Zwecke der Ausschaltung der Gefahr der neuerlichen Verfolgung und Verurteilung wegen derselben Tat – und andererseits deren Konkretisierung – durch Aufnahme der den einzelnen Deliktsmerkmalen entsprechenden tatsächlichen Gegebenheiten, die die rechtliche Überprüfung des Wahrspruchs durch den Schwurgerichtshof gleichwie durch den Obersten Gerichtshof ermöglichen (RIS-Justiz RS0100780, RS0119082; Lässig, WK-StPO § 312 Rz 18 ff) – sichergestellt ist.

[6] Weshalb die Hauptfragen 1 bis 3 diesen Anforderungen nicht genügen sollten, macht die Fragenrüge, die im Ergebnis (nur) den festgestellten Sinngehalt der Äußerungen (worunter – im Sinn der Kundgabe eines Gedankeninhalts – auch die Übermittlung von Videos [I/a und b] fällt) in Zweifel zu ziehen versucht, nicht deutlich.

[7] Eine („eigentliche“) Zusatzfrage (§ 313 StPO) ist zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht wurden, die – falls sie als erwiesen angenommen werden – einen Strafausschließungsgrund im weiteren Sinn oder einen Strafaufhebungsgrund darstellen würden. Es muss ein solches Maß konkreter Tatsachen iSd § 313 StPO vorgebracht sein, dass darin ein bestimmter Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgrund volle Deckung findet (RIS-Justiz RS0100622, RS0100871).

[8] Mit Hinweisen auf die Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, nicht angenommen zu haben, dass die Weiterleitung der Videos (I/a und b)
– woran er im Übrigen auch keine Erinnerung habe – verboten sei (ON 89 S 6), sowie darauf, dass der Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz vom der Staatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf § 100 Abs 3a StPO übermittelt wurde (ON 2 S 1), wird ein Straflosigkeit zufolge eines allfälligen „Verbotsirrtums nach § 9 StGB“ indizierendes Tatsachensubstrat, das den Schwurgerichtshof zur Stellung einer Zusatzfrage nach diesem Schuldausschließungsgrund verpflichtet hätte, indes nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (RIS-Justiz RS0117447).

[9] Die Instruktionsrüge (Z 8) beschränkt sich auf die Kritik, dass die Rechtsbelehrung zu den Hauptfragen „im Wesentlichen den Text des Wiener Kommentars zum StGB zu § 3g VerbotsG“ enthalte, ohne aber – wie für eine prozessordnungskonforme Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes erforderlich – darzulegen, worin konkret eine Unrichtigkeit oder (dieser gleichzusetzende) erhebliche Unvollständigkeit gelegen sein soll (RIS-Justiz RS0119071).

[10] Indem der Beschwerdeführer seinen Einwand (Z 9), der Wahrspruch der Geschworenen sei in sich widersprüchlich, auf die Niederschrift (§ 331 Abs 3 StPO) stützt, verfehlt er den gesetzlichen Bezugspunkt dieses Nichtigkeitsgrundes (RIS-Justiz RS0100945; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 71).

[11] Aus dieser (umso weniger aus der im ersten Rechtsgang erstellten) Niederschrift können der Tatsachenrüge (Z 10a) zuwider auch erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen nicht abgeleitet werden (vgl RIS-Justiz RS0115549, RS0104982). Soweit (betreffend I/a und b – Hauptfragen 1 und 2) der festgestellte Bedeutungsinhalt ohne Verweis auf aktenkundige Beweisergebnisse in Zweifel gezogen wird, ist die Rüge wiederum nicht am Verfahrensrecht ausgerichtet (RIS-Justiz RS0117446; RS0119310 [T5]; 11 Os 105/21g).

[12] Mit dem Hinweis auf die Aussagen der Zeugen Se* und D* in der Hauptverhandlung am , wonach Se* – mangels Kenntnis des Gedichts – nicht ausschließen könne (ON 89 S 14) bzw es D* zufolge „durchaus möglich“ sei (ON 89 S 13), dass der Angeklagte aus einem Gedicht der Kabarettgruppe „D*“ zitiert habe, wird eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung in Bezug auf den festgestellten Wortlaut (vgl ON 15 S 7, ON 50 S 30 f [iVm ON 89 S 13]; ON 15 S 13, ON 50 S 31 [iVm ON 89 S 12]) und den Bedeutungsinhalt der dem Schuldspruchpunkt II (Hauptfrage 3) zu Grunde liegenden Äußerung nicht qualifiziert nahe gelegt (RIS-Justiz RS0118780 [T16, T17]).

[13] Die Rechtsrüge (Z 11 lit a) bestreitet den von den Geschworenen im Wahrspruch festgestellten Bedeutungsinhalt der Äußerungen und verfehlt damit eine prozessordnungskonforme Ausführung.

[14] Denn die Beurteilung der Sachverhaltsgrundlage des normativen Tatbestandsmerkmals „nationalsozialistisch“
– einschließlich des Bedeutungsinhalts einer Äußerung – ist auf der Feststellungsebene angesiedelt und somit den Geschworenen vorbehalten. Bejahen diese die Schuldfrage, ist davon auszugehen, dass sie eben jene Voraussetzungen als erwiesen angenommen haben, aufgrund derer das zu beurteilende Sachverhaltselement dem normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“ entspricht, sodass (auch) dessen Bejahung einer Anfechtung mit Rechts- oder Subsumtionsrüge entzogen ist (RIS-Justiz RS0119234; Lässig in WK² § 3g VG Rz 17).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO).

[16] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00011.22K.0503.000

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