OGH vom 19.03.1981, 7Ob760/80
Norm
EO § 382 Z 8 litb;
Kopf
SZ 54/37
Spruch
Streitigkeiten zwischen Ehegatten über rein persönliche Rechte und Pflichten sind nur noch in den Fällen der §§ 92 Abs. 3 und 97 ABGB sowie des § 382 Z. 8 lit. b EO vom Gericht zu entscheiden. § 97 ABGB gilt auch für die Gefährdung des Wohnbedarfes eines Ehegatten durch rein tatsächliches Handeln oder Unterlassen des anderen. Sein dringendes Wohnbedürfnis wird durch eine Zweit- oder Ersatzwohnung befriedigt, die den nach § 94 Abs. 1 ABGB angemessenen Bedarf nicht erheblich unterschreitet und auch aus anderen Gründen nicht unzumutbar ist; Gleichwertigkeit im rechtlichen Schutz ist notwendig
(KG Wiener Neustadt R 284/80; BG Neunkirchen C 233/80)
Text
Die Klägerin begehrt die Verurteilung ihres Ehemannes, alles in seinen Kräften Stehende zu unternehmen, damit (seine Freundin) Johanna H das "eheliche Wohnhaus" in U sofort verläßt und nicht wieder betritt, und alles zu unterlassen, was das Betreten und Bewohnen des Hauses durch Johanna H ermöglichen könnte, insbesondere diese in das eheliche Wohnhaus mitzunehmen und ihr den Zutritt oder Aufenthalt in dem Haus zu gestatten. Das Begehren wurde damit begrundet, daß der Beklagte, der mit Johanna H im Ehebruch ein Kind gezeugt habe, in dem ihm gehörenden, überaus geräumigen ehelichen Wohnhaus (Schloß) außer einem Schlafzimmer, Boudoir und Badezimmer der Klägerin alles absperre und ihr gemeinsam mit seiner Freundin das Verbleiben im Haus unerträglich zu machen versuche. Die Klägerin erachtete den Klagsanspruch infolge der Verpflichtung des beklagten Ehegatten nach § 90 ABGB zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, gemeinsamem Wohnen und anständiger Begegnung für berechtigt, zumal die Ausübung seines Eigentumsrechtes in der dargestellten Form rechtsmißbräuchlich sei.
Der Erstrichter wies das Klagebegehren ab. Er stellte nur fest, daß der Beklagte das Haus in U gemeinsam mit Johanna H bewohnt und die Klägerin "zumindest zeitweise" auch in diesem Hause wohnt, und vertrat die Rechtsansicht, daß das Klagebegehren einerseits unbestimmt sei und andererseits ein zivilrechtlicher Anspruch auf Unterlassung ehelicher Untreue nicht mehr bestehe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, sprach aber aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteige. Die zweite Instanz schloß aus der erstrichterlichen Feststellung, daß die Klägerin nur zeitweise im strittigen Haus wohne, sie müsse in der übrigen Zeit eine andere Wohnung benützen, und hielt das Klagebegehren zwar für hinreichend bestimmt, aber gleich dem Erstrichter für nicht berechtigt, zumal auch § 97 ABGB nur im Falle eines hier fehlenden dringenden Wohnbedürfnisses angewendet werden könne.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge, hob die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur weiteren Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Nach der zutreffenden Beurteilung des Berufungsgerichtes hat das Bundesgesetz über die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, BGBl. 412/1975 (EheRwG), die Rechtslage insofern wesentlich verändert, als nun Kontroversen zwischen Ehegatten über ihre rein persönlichen Rechte und Pflichten grundsätzlich nicht mehr vom Gericht zu entscheiden sind und Leistungsbefehle etwa in der Richtung, daß der Ehegatte wieder in die häusliche Gemeinschaft aufzunehmen sei, nicht mehr erteilt werden dürfen. Eine Ausnahme besteht neben der in § 92 Abs. 3 ABGB geregelten außerstreitigen Entscheidung über die Rechtfertigung gesonderter Wohnungnahme und der einstweiligen Verfügung nach § 382 Z. 8 lit. b EO im Streitverfahren nur noch für den Schutz des dringenden Wohnbedürfnisses eines Ehegatten an der in der Verfügung des anderen Ehegatten stehenden Wohnung nach § 97 ABGB (vgl. Schwind, Eherecht[2], 28, 47 f.; Ent - Hopf, Die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, 43 ff., 61 f.; Schwimann, Die nichtvermögensrechtlichen Ehewirkungen im neuen Eherecht, ÖJZ 1976, 365, 372 f; JBl. 1977, 154 u. a.). Dem Hinweis der Revisionswerberin auf die Unbilligkeit einer solchen Rechtslage ist die erklärte Absicht des Gesetzgebers entgegenzuhalten, in Fragen der rein persönlichen Beziehungen der Ehegatten die Anrufung des Gerichtes als Entscheidungsinstanz grundsätzlich auszuschließen (RV 851 BlgNR, XIII. GP, 9; JAB 1662 BlgNR, XIII. GP, 3 f.). Damit sind zur früheren Rechtslage ergangene Entscheidungen überholt (JBl. 1977, 154).
Das Berufungsgericht hat die Frage eines dringenden Wohnbedürfnisses der Revisionswerberin verneint. Einerseits habe die Klägerin eine solche Behauptung nie aufgestellt; andererseits lasse sich aus der unbekämpft gebliebenen Feststellung, daß die Klägerin zeitweise im strittigen Haus wohne, der Schluß ziehen, daß sie in der übrigen Zeit eine andere Wohnung benütze. Damit lasse sich das Klagebegehren auch nicht auf § 97 ABGB stützen.
Dieser Beurteilung des Berufungsgerichtes kann nicht gefolgt werden. Da eine anderweitige Deckung des Wohnbedürfnisses eines Ehegatten die Ausnahme darstellt, war hiefür nicht die Klägerin, sondern der Beklagte beweispflichtig. Er hat diesen Beweis auch angetreten. Die erstgerichtliche Feststellung lautete richtig, die Klägerin wohne zumindest zeitweise im strittigen Haus. Da der Erstrichter somit offen ließ, ob sie das Haus nicht ständig bewohne, war die gegenteilige Schlußfolgerung des Berufungsgerichtes unzulässig. Dies fällt jedoch nicht ins Gewicht, weil die Klägerin in der Revision zugibt, in N ein "nicht unterkellertes, ebenerdiges Häuschen in bescheidenster Ausführung und Ausstattung mit einem kleinen angrenzenden Garten gelegentlich zu benützen". Aber auch der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß bereits aus der zeitweisen Benützung einer anderen Wohnung das Fehlen eines dringenden Wohnbedürfnisses folge, kann nicht beigetreten werden. Denn dieses Bedürfnis könnte in der anderen Wohnung bis zu jenem Grade unzureichend gedeckt sein, daß ein dauerndes Wohnen dort unmöglich ist.
In § 97 ABGB ist das dringende Wohnbedürfnis des betroffenen Ehegatten, zu dessen Befriedigung die Wohnung dienen müßte, ebensowenig wie in den Gesetzesmaterialien näher umschrieben. Ent - Hopf, Die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe, 153, verweisen zur Begriffsbestimmung zunächst auf § 19 Abs. 2 Z. 5, 6, 10, 11 und 13 sowie § 22 Abs. 1 MG und verwandte Vorschriften anderer Gesetze und meinen dann, ebenso wie (anscheinend ihnen folgend) Schimetschek, Die besonderen Rechtsprobleme der "Ehewohnung", ImmZ 1979, 35, daß das dringende Wohnbedürfnis im allgemeinen zu verneinen sein werde, wenn dem Ehegatten eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung stehe (ebenso RZ 1978/3; s. u.), wobei besonders auf die örtliche Lage, die Größe, Ausstattung und den Zustand der Wohnung, aber auch auf das Rechtsverhältnis Bedacht zu nehmen sei, das der Benützung durch den wohnungsbedürftigen Ehegatten zugrunde liege. Schimetschek hält auch noch die persönlichen Verhältnisse des wohnungsbedürftigen Ehegatten, insbesondere dessen Gesundheitszustand und die Entfernung von einem allfälligen Arbeitsplatz u. ä., für berücksichtigenswert. Ent - Hopf halten schließlich eine Abwehr des Anspruches nach § 97 ABGB durch Verschaffung einer angemessenen Ersatzwohnung für möglich (a.a.O., 154).
Diese Anhaltspunkte über den näheren Inhalt des hier geschützten "dringenden Wohnbedürfnisses" sind miteinander kaum zu vereinbaren. Dringender (Eigen-)Bedarf nach § 19 Abs. 2 Z. 5 und 6 MG ist nach ständiger Rechtsprechung sehr streng als Notstand zu verstehen, der unabweislich sobald als möglich beseitigt werden muß (MietSlg. 2473, 31 375 u.v.a.). Im Fall des § 19 Abs. 2 Z. 11 MG fehlt das dringende Wohnbedürfnis im gleichen Sinn, wenn dem nahen Angehörigen eine andere ausreichende Unterkunft zur Verfügung steht (MietSlg. 31 411 u. a.); Gleichwertigkeit wurde überwiegend (1 Ob 799/80 u. a.) nur in rechtlicher Hinsicht verlangt (MietSlg. 25 326 u. a.). Nach § 19 Abs. 2 Z. 13 MG hingegen ist ein dringendes Wohnbedürfnis des Mieters auch bei Vorhandensein einer Zweitwohnung nicht stets zu verneinen; es genügt ein schutzwürdiges Interesse an der Erhaltung der gekundigten Wohnung (MietSlg. 30 424 ff., 31 417). Die Anlegung eines milderen Maßstabes gegenüber § 19 Abs. 2 Z. 11 MG wird dadurch gerechtfertigt, daß dort einem nahen Angehörigen nach dem Tode des bisherigen Mieters erst der Eintritt in ein geschütztes Bestandverhältnis geboten wird (1 Ob 790/80 u. a.). Schon nach dem Mietengesetz hat also der Begriff des dringenden Wohnbedürfnisses nicht immer den gleichen Inhalt; Gleichwertigkeit einer anderen Wohnung wird allerdings selbst bei der Beistellung eines "angemessenen" Ersatzes nach § 19 Abs. 2 Z. 6 nicht gefordert (JBl. 1976, 651 u. v. a.).
Der Zweck der hier auszulegenden Gesetzesbestimmung liegt offenbar darin, dem betroffenen Ehegatten jene Wohnmöglichkeit zu erhalten, die ihm bisher zur Deckung der den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisse diente (§ 94 Abs. 1 ABGB) und die er weiter benötigt. Der betroffene Ehegatte muß, wie sich das Gesetz im folgenden selbst ausdrückt, "auf die Wohnung angewiesen" sein. Einerseits können also die Lebensverhältnisse der Ehegatten nicht vernachlässigt werden, die das angemessene Bedürfnis bestimmen. Mehr als die Befriedigung dieses Bedürfnisses ist gegen Verfügungen des anderen Ehegatten nicht geschützt. Darüber hinaus muß das Wohnbedürfnis nach der ausdrücklichen Bestimmung des Gesetzes aber auch "dringend" und der Ehegatte gerade auf diese Wohnung "angewiesen" sein. Auch diese Dringlichkeit des Wohnbedarfes und die Möglichkeit einer Verweisung auf eine andere, vorhandene oder zur Verfügung gestellte Wohnung wird durch die Lebensverhältnisse der Ehegatten mitbestimmt. Entgegen der Meinung der Revisionswerberin muß aber eine Ersatzwohnung nicht geradezu gleichwertig sein. Ebenso unrichtig ist jedoch die anscheinend vom Berufungsgericht vertretene Meinung, es genüge, daß eine andere Wohnung überhaupt vorhanden sei. Neben Lage und Größe einer Zweitwohnung im Verhältnis zur bisherigen "Ehewohnung" kommt es auf die Verhältnisse des Einzelfalls an; so können Dauer und räumlicher Umfang der bisherigen Benützung (Raumaufteilung; vgl. Ent - Hopf, 156) der einen oder der anderen Wohnung sowie berufliche und gesundheitliche Gründe ähnlich wie bei der Beistellung einer Ersatzwohnung nach § 12 Abs. 2 Z. 6 MG eine entscheidende Rolle spielen. Bei der Gesamtbeurteilung darf eine Ersatzwohnung die nach § 94 Abs. 1 angemessenen Wohnbedürfnisse nicht erheblich unterschreiten und auch sonst nicht unzumutbar sein. In diesem Sinn hat der OGH bereits ausgesprochen, daß das Bedürfnis nach der Ehewohnung im Umfang der tatsächlichen Benützung geschützt sei (2 Ob 602/79). Der Rechtssatz der im vergleichbaren, aber strengeren (vgl. Ent - Hopf a.a.O., 195 ff.) Fall des § 382 Z. 8 lit. b EO ergangenen Entscheidung RZ 1978/3, wonach ein dringendes Wohnbedürfnis des gefährdeten Ehegatten im Sinne der eingangs dargestellten Lehrmeinungen im allgemeinen nur zu verneinen sei, wenn ihm eine "ausreichende und gleichwertige" Unterkunft zur Verfügung stehe, ist hingegen nach dem oben Gesagten dahin zu modifizieren, daß einerseits eine bloß ausreichende Ersatzwohnung nicht genügt, wenn sie die angemessenen Wohnbedürfnisse erheblich unterschreitet, daß aber andererseits Gleichwertigkeit (wie nach § 19 Abs. 2 Z. 11 MG) zwar des rechtlichen Schutzes (so 5 Ob 721, 722/79), nicht aber auch der tatsächlichen Verhältnisse notwendig ist (ähnlich Migsch in Floretta, Das neue Ehe- und Kindschaftsrecht, 36).
Bei dieser Rechtslage bedarf es im vorliegenden Fall weiterer Tatsachenfeststellungen darüber, in welchem zeitlichen und räumlichen Umfang die Revisionswerberin das "Schloß" des Beklagten bisher mitbewohnt hat und in welchem Maß im Vergleich dazu die ererbte "Villa" in N (oder allenfalls die vom Beklagten behauptete weitere Wohnung in W) zur Deckung der den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Wohnbedürfnisse der Klägerin hinreichen. Während es nicht geradezu auf Gleichwertigkeit der Wohnungen ankommt, könnte z. B. die von der Revisionswerberin behauptete bescheidenste Ausführung und Ausstattung der Zweitwohnung eine Verweisung auf diese Wohnmöglichkeit ausschließen.
Bei der allseitigen rechtlichen Beurteilung ist der Meinung des Berufungsgerichtes beizupflichten, daß § 97 ABGB nicht nur Mietwohnungen erfaßt, sondern der andere Ehegatte auch Eigentümer sein kann (EvBl. 1977/1 u. a.), und daß die Bestimmung auch für den Fall einer Gefährdung des Wohnbedürfnisses durch rein tatsächliches Handeln oder Unterlassen gilt (JAB a.a.O., 7; Ent - Hopf a.a.O., 155 f.; 6 Ob 727/80; 1 Ob 559/81). Die Klagsbehauptungen werden deshalb in der Richtung zu prüfen sein, ob der Revisionswerberin der Verlust der Wohnung im Hause des Beklagten dadurch droht, daß er und seine angebliche Freundin ihr das Zusammenleben unerträglich machen und insbesondere den Zutritt überhaupt zum Haus oder wenigstens zu jenen Räumen, wenn auch nur zeitweise, unmöglich machen, die die Klägerin früher zur Befriedigung ihres Wohnbedürfnisses benützte. Einer bloßen Aufnahme der "Ehebrecherin" in das nach der eigenen Darstellung der Klägerin überaus geräumige Wohnhaus müßte hingegen entscheidende Bedeutung nicht zukommen, weil diese Frage bei fehlender Gefährdung des im obigen Sinn dringenden Wohnbedürfnisses der Klägerin zu jenen Angelegenheiten gehört, die nach der einleitend dargestellten neuen Rechtslage die bloß persönlichen Rechtsbeziehungen der Ehegatten betreffen, die nicht mehr außerhalb eines Scheidungsstreites zum Gegenstand eines Prozesses gemacht werden dürfen.
Der Meinung des Erstrichters, daß schon das Klagebegehren unbestimmt sei, ist aus den vom Berufungsgericht dargestellten Gründen nicht beizutreten.