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OGH vom 29.11.1983, 7Ob748/83

OGH vom 29.11.1983, 7Ob748/83

Norm

ABGB § 1431;

Kopf

SZ 56/179

Spruch

Bei der Beurteilung eines Kondiktionsanspruches ist ein Verschulden oder eine Veranlassung des Irrtums des Empfängers durch den Kondizenten nach Billigkeit durch Nachteilsausgleich zu berücksichtigen

(OLG Innsbruck 1 R 219/83; LG Feldkirch 5 Cg 3098/82)

Text

Die beklagte Partei hatte gegen die L Schuhfabrik GesmbH & Co. KG (im folgenden kurz: L-KG) Zahlung von 398 157.76 S erwirkt und auf Grund dieses Urteiles eine Drittschuldnerexekution auf eine der Verpflichteten gegen die Klägerin angeblich zustehenden Forderung geführt. Die Klägerin hat sich nach Zustellung des Beschlusses über die Pfändung und Überweisung einer solchen Forderung zwar nicht geäußert, jedoch 80 860 S an die beklagte Partei überwiesen. Tatsächlich schuldete die Klägerin der L-KG nichts, wohl aber den vorgenannten Betrag einer Firma L-K-Schuhfabrik GesmbH (im folgenden kurz: L-K-GesmbH), die mit der erstgenannten Firma weder identisch noch deren Rechtsnachfolgerin ist. Über das Vermögen der LKG war nämlich im Jahre 1979 der Konkurs eröffnet worden. Im August 1980 hatte der Masseverwalter die Firma der erst nach Konkurseröffnung gegrundeten L-K-GesmbH verkauft. Von dieser hatte die Klägerin jene Waren bezogen, wofür der von ihr der Beklagten überwiesene Schuldbetrag aufgelaufen ist. Bei der Überweisung hatte die Klägerin die geringfügige Verschiedenheit im Firmenwortlaut (sie stand früher auch in Geschäftsverbindung zu der L-KG) nicht beachtet. Für sie war nur der im Firmenpapier herausragende Name "L Damenschuhe" von Relevanz. Die Verwechslung wurde auch dadurch bewirkt, daß das Firmenpapier und das Papier für die Rechnungen beider Firmen nahezu identisch waren. Auch die Anschriften, die Fernrufnummer, die Fernschreibnummer, die Postschecknummer und die Bankverbindungen waren bei beiden Firmen gleich. Außerdem bediente sich die neue Firma jener Vertreter, die schon seit Jahren für die in Konkurs gegangene alte Firma tätig waren.

Nachdem die beklagte Partei den Betrag von 80 860 S erhalten hatte, stellte sie eine Überdeckung ihrer Forderung in der Höhe von 30 015.01 S fest. Diesen Betrag überwies sie dem ihr bekannten seinerzeitigen Vertreter der L-KG, Rechtsanwalt Dr. K. Dieser überwies den erhaltenen Betrag dem Masseverwalter, wovon er die beklagte Partei verständigte.

In der Folge stellte die Klägerin ihren Irrtum fest, worauf sie von der beklagten Partei die Rückzahlung der 80 860 S verlangte. Die Aufklärung des Irrtums erfolgte dadurch, daß die L-K-GesmbH den offenen Rechnungsbetrag von 80 860 S forderte, welcher Forderung die Klägerin im Herbst 1982 nachkam. Auf das Verlangen der Klägerin überwies ihr die beklage Partei 50 844.99 S, lehnte jedoch die Überweisung des Restbetrages unter Hinweis auf die erfolgte Zahlung an den Masseverwalter ab.

Die Klägerin verlangt im vorliegenden Verfahren 37 426.55 S (den noch offenen Betrag zuzüglich kapitalisierter Zinsen), wogegen die beklagte Partei auf ihr fehlendes Verschulden hinwies.

Während das Erstgericht der Klägerin unter in Rechtskraft erwachsener Abweisung des Mehrbegehrens 36 315.01 S sA zusprach, wies das Berufungsgericht das Klagebegehren ab, erklärte jedoch die Revision für zulässig.

Beide Untergerichte vertraten den Standpunkt, daß ein Vorgang wie der vorliegende grundsätzlich einen vom Verschulden unabhängigen Ersatzanspruch nach § 1431 ABGB begrunde und dieser Ersatzanspruch nur gegen die beklagte Partei bestehen könne, weil die Klägerin durch ihre Zahlung keine fremde Schuld getilgt habe und tilgen habe wollen. Während aber das Erstgericht unter Verneinung eines Verschuldens der Klägerin den Rückforderungsanspruch auch im konkreten Fall bejahte, vertrat das Berufungsgericht den Standpunkt, bei der Beurteilung eines Rückzahlungsanspruches nach § 1431 ABGB seien auch nach der Erbringung der Leistung eintretende Umstände zu berücksichtigen, so insbesondere, wenn dem Empfänger durch die grundlose Leistung nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile entstanden seien, sodaß ihn die Rückzahlung besonders schwer treffen würde und er daher schutzwürdiger sei als der Leistende. Hiebei sei in sinngemäßer Anlehnung an § 871 ABGB auch die Veranlassung des Irrtums durch den Kondizenten von entscheidender Bedeutung. Im Hinblick darauf, daß der Irrtum durch die Klägerin veranlaßt worden sei und die Beklagte durch die Überweisung an den seinerzeitigen Vertreter ihres Schuldners nur einer gesetzlichen Verpflichtung (§ 312 Abs. 2 EO) entsprochen habe, entspreche es den zu berücksichtigenden Billigkeitsgrundsätzen, daß im vorliegenden Falle bezüglich des noch offenen Betrages kein Kondiktionsanspruch geltend gemacht werden könne.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Da die vom Berufungsgericht aufgezeigten grundsätzlichen Voraussetzungen für einen Rückforderungsanspruch nach § 1431 ABGB von keiner der Parteien in Frage gestellt werden, kann auf die diesbezüglichen berufungsgerichtlichen Ausführungen verwiesen werden.

Richtig hat das Berufungsgericht aber auch erkannt, daß der Kondiktionsanspruch nach § 1431 ABGB zwar grundsätzlich auch bei einem unentschuldbaren Irrtum des Kondizenten besteht, jedoch bei der Beurteilung des Kondiktionsanspruches auf den konkreten Fall bezogene Billigkeitserwägungen anzustellen sind, in deren Rahmen ein allfälliges Verschulden oder eine allfällige Veranlassung des Irrtums, auf dem die Zahlung beruhte, nicht unberücksichtigt bleiben kann. Das Ausmaß der Veranlassung des Irrtums spielt in Anlehnung an § 871 ABGB eine erhebliche Rolle bei der Beurteilung des Anspruches nach § 1431 ABGB (Wilburg in Klang[2], VI 480 ff., Koziol - Welser[6], I 330). Ausgehend vom Gesichtspunkt der Billigkeit haben der OGH und der VwGH in zahlreichen Entscheidungen die Verpflichtung zur Rückzahlung zuviel erhaltenen Gehaltes oder Lohnes durch den Empfänger dann verneint, wenn diese Beträge gutgläubig verbraucht worden sind (SZ 11/86; Arb. 7748; JBl. 1962, 279 ua.). Der gleiche Grundsatz wurde auch bezüglich des Rückforderungsanspruches wegen zuviel bezahlter Unterhaltsbeträge aufgestellt (SZ 13/262 ua.). Auch außerhalb des Arbeitsrechtes ist aber ein sogenannter "Nachteilsausgleich" angebracht, wenn den Empfänger die Rückzahlung schwer treffen würde und er schutzwürdiger ist als der Leistende (Koziol - Welser aaO 330). Mit Recht hat daher das Berufungsgericht bei der Beurteilung des geltend gemachten Anspruches alle Umstände des Einzelfalles herangezogen und Billigkeitserwägungen für seine Entscheidung angestellt. Hiebei ist vor allem zu berücksichtigen, daß die beklagte Partei den strittigen Betrag entsprechend einer gesetzlichen Verpflichtung weitergeleitet hat, weshalb er ihr nicht mehr zur Verfügung steht. Sie hatte ihn nicht etwa zur Befriedigung eigener Bedürfnisse, sei es auch durch unentgeltliche Zuwendungen, verwendet. Die Weiterleitung an den seinerzeitigen Vertreter ihrer Schuldnerin war nach dem ihr bekannten Sachverhalt zwingend. Die Wiedererlangung vom Empfänger ist aber infolge des Konkurses über dessen Vermögen kaum möglich, weshalb die beklagte Partei eine Rückzahlung des begehrten Betrages schwer treffen würde. Die beklagte Partei hat nicht im geringsten zur Entstehung des Irrtums der Klägerin, der zu der Überweisung an sie geführt hat, beigetragen. Sie hat ihren Schuldner entsprechend dem Exekutionstitel richtig bezeichnet. Es mag sein, daß das Übersehen der Klägerin betreffend die geringfügige Abweichung im Firmenwortlaut im Hinblick auf die gegebenen Umstände so gering zu beurteilen ist, daß es nicht als Verschulden in einem eine Schadenersatzpflicht begrundenden Ausmaß zu werten wäre. Ausgeschlossen war jedoch ein Erkennen des Unterschiedes für die Klägerin nicht. Immerhin war der Wortlaut ihres Gläubigers gegenüber dem Wortlaut des im Exekutionstitel Verpflichteten verschieden. Der Irrtum geht daher ausschließlich auf die Klägerin zurück. Durch diesen Irrtum hat die beklagte Partei vorerst eine Zahlung erlangt, die sie aber, entsprechend den ihr zur Verfügung stehenden Informationen, völlig korrekt weitergeleitet hat. Hiedurch ist ihr keinerlei Vorteil aus der Überweisung zugekommen und verblieben. Vielmehr würde eine Rückzahlungsverpflichtung zu einer weiteren Belastung der beklagten Partei führen. Es wäre daher unbillig, sie zur Rückzahlung des ganzen Betrages zu verhalten, den sie auf Grund eines Irrtums der Gegenseite erhalten und den sie dem Gesetz entsprechend nicht für sich behalten hat, zumal das Ergebnis ohnehin nur zu einer teilweisen Ablehnung des Bereicherungsanspruches führt, weil zirka drei Fünftel des Anspruches befriedigt wurden. Die aufgezeigten Erwägungen rechtfertigen sohin aus dem Gesichtspunkt der Billigkeit die Verneinung des geltend gemachten Kondiktionsanspruches.