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OGH 20.08.2013, 11Os108/13m

OGH 20.08.2013, 11Os108/13m

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wagner-Haase als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerhard B***** und andere wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 erster Fall StGB, AZ 333 HR 457/09i des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Gerhard B***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 19 Bs 204/13h (ON 2940), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Gerhard B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 333 HR 457/09i-2849, wurde die über Gerhard B***** am verhängte (ON 2393) Untersuchungshaft fortgesetzt.

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten gab das Oberlandesgericht Wien mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom , AZ 19 Bs 204/13h (ON 2940), nicht Folge und prolongierte die Untersuchungshaft aus den Gründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a und b StPO.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Gerhard B*****, die den dringenden Tatverdacht ausschließlich zur „Faktengruppe 2012/2013“ und die Haftgründe der Flucht- sowie der Tatbegehungsgefahr bekämpft und schließlich einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot moniert. Ihr kommt keine Berechtigung zu.

Den Feststellungen des Beschwerdegerichts (BS 53 ff iVm S 2 ff) zufolge ist Gerhard B***** dringend verdächtig, in Wien im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit weiteren, teilweise noch auszuforschenden Personen als Mittäter (§ 12 StGB) mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Betrügereien eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, zahlreiche Personen durch Täuschung über Tatschen zu nachstehenden Handlungen verleitet bzw zu verleiten versucht zu haben, die diese an ihrem Vermögen schädigten bzw schädigen sollten, wodurch ein 50.000 Euro übersteigender Schaden entstand bzw entstanden wäre, und zwar:

- ab einem noch festzustellenden Zeitpunkt im Jahr 2000, insbesondere ab Anfang 2008 bis zumindest in wiederholten Angriffen mehrere zehntausende (von den in der zu AZ 21 Hv 197/07b des Landesgerichts für Strafsachen Wien eingebrachten Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien ca 238 genannten Geschädigten verschiedene) Personen durch Täuschung darüber, dass sie bereits sichere Gewinner eines hohen ausgelobten Geldbetrags oder eines anderen wertvollen Gewinns in einem von einer dem Beschuldigten zuzurechnenden Gesellschaft veranstalteten (und von den von der Anklageschrift zu AZ 21 Hv 197/07b des Landesgerichts für Strafsachen Wien umfassten Gewinnspielen verschiedenen) Gewinnspiel wären und dass diese Gesellschaften sämtliche im genannten Zeitraum laut den von ihnen postalisch verbreiteten Gewinnzusendungen ausgelobten Gewinnbeträge auch tatsächlich und in voller Höhe auszahlen würden, zur Überweisung oder Einzahlung von „Expresszahlungs-“, „Expressausfolgungs-“, „Sofort-
zuweisungs-“, „Sofortbearbeitungs-“, „Bearbeitungs-“ und ähnlich lautenden Gebühren in der Höhe von jeweils 10 bis 100 Euro auf Konten, die auf die genannten Gesellschaften lauten oder ihnen zumindest zurechenbar sind, oder zur Benutzung zu Gunsten dieser Gesellschaften geschalteter Mehrwertrufnummern, wodurch ein Schaden in Millionenhöhe entstand bzw entstanden wäre, und

- am , am , am und am sowie zumindest zu noch vier weiteren noch festzustellenden Zeitpunkten als Geschäftsführer der I***** GmbH mehrere zehntausende (in der ON 2407 namentlich angeführte) und weitere noch auszuforschende Personen aus Deutschland und der Schweiz durch Täuschung darüber, dass für sie eine „Sofortauszahlung von 1.000 Euro“, eine „Weihnachtsgeldauszahlung von 995 Euro“, eine „Glücksgeldauszahlung von 777 Euro“ bzw eine „Sofortgeld-Auszahlung von 999 Euro“ vorbereitet sei und ein Betrag in dieser Höhe aus dem „Dr. M***** Geldfond 10/2012“, aus dem „Dr. M***** Weihnachtsfond 12/2012“, aus dem „Dr. M***** Glücksfond 01/2013“ bzw aus dem „Dr. M***** Sofortgeldfond 02/13“ „fix vorgesehen“ sei, zur Überweisung einer „Eintragungsgebühr“ in der Höhe von jeweils 50 Euro bzw 50 Sfr auf ein auf die I***** GmbH lautendes Konto, wodurch ein noch festzustellender, 3.000 Euro jedenfalls um ein Vielfaches übersteigender Schaden entstand bzw entstanden wäre („Faktengruppe 2012/2013“).

Gegen Gerhard B***** wurde überdies bereits im Verfahren AZ 223 Ur 6042/00s, in der Folge AZ 21 Hv 197/07b des Landesgerichts für Strafsachen Wien rechtswirksam Anklage wegen vergleichbarer (von den nunmehrigen Vorwürfen jedoch verschiedener) Taten zwischen 2000 und 2006 erhoben (BS 45 ff). Die dort angeklagten Fakten sind - wie aus dem angefochtenen Beschluss ausreichend deutlich hervorgeht (BS 30 und 53 ff) - nicht Gegenstand dieses Ermittlungsverfahrens.

Vorweg ist festzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens nicht dazu aufgerufen ist, als weitere Haftbeschwerdeinstanz eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der angefochtenen Entscheidung zu setzen, sondern vielmehr Rechtsfehler wahrzunehmen hat (RIS-Justiz RS0121605).

Da zudem - anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht - nicht die Haft, sondern die Entscheidung über die Haft den Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde bildet, ist in diesem Verfahren nach ständiger Rechtsprechung die Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts nach Maßgabe der Mängel- und Tatsachenrüge der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO in Frage zu stellen (vgl RIS-Justiz RS0112012, RS0110146).

Indem der Beschwerdeführer bloß den Erwägungen des Oberlandesgerichts zum Tatverdacht - und zwar ausschließlich zum (den Tatsachenbereich betreffenden) Bedeutungsinhalt und damit zur (Rechtsfrage nach der) Täuschungstauglichkeit der der „Faktengruppe 2012/2013“ zugrunde liegenden Aussendungen (BS 54 bis 59) - eigene beweiswürdigende, dabei jedoch relevante Teile der zur Aussendung gelangten Schreiben (zB Punkt 3b/: „… ist ein Weihnachtsgeld in Höhe von 995 Euro … auch fix vorgesehen“; siehe ON 2381 f) außer Acht lassende Bewertungen gegenüberstellt, vermag er weder einen Begründungsmangel aufzuzeigen noch auf Aktenbasis erhebliche Bedenken gegen die Sachverhaltsannahmen des Beschwerdegerichts zu erwecken.

Für den Täuschungsbegriff des § 146 StGB ist es im Übrigen nicht von Bedeutung, inwieweit ein zur Irreführung abstrakt geeignetes Verhalten vom Getäuschten durch entsprechende und allenfalls sogar gebotene Aufmerksamkeit durchschaubar gewesen wäre. Tatbildlich ist vielmehr jede unwahre Behauptung. Selbst allfällige Erkennbarkeit der wahren Sachlage oder Nachlässigkeit bzw Leichtgläubigkeit des Tatopfers schließen eine Täuschung nicht aus (RIS-Justz RS0106200; Kirchbacher in WK2 § 146 Rz 17).

Den - überdies Rechtsfragen betreffenden -
Schlussfolgerungen eines vom Beschuldigten beauftragten Privatgutachters, auf das in der Grundrechtsbeschwerde (überdies ohne konkreten Aktenbezug) verwiesen wird, kommt keine strafprozessuale Bedeutung zu (Hinterhofer, WK-StPO § 125 Rz 18 f), sodass darauf nicht einzugehen ist.

Der Beschwerde zuwider bedurfte es im Hinblick auf den der StPO zugrunde liegenden materiellen Beschuldigtenbegriff (§ 48 Abs 1 Z 1 StPO) auch keiner „formellen Ausdehnung“ des Ermittlungsverfahrens auf die „Faktengruppe 2012/2013“, weil sich das Strafverfahren mit der Durchführung darauf bezogener Ermittlungsmaßnahmen oder Zwangsausübung gegen den Beschuldigten bereits ex lege (§ 1 Abs 2 StPO) auf die neu hinzu gekommenen Fakten erstreckt (vgl Markel, WK-StPO § 1 Rz 25 bis 27).

Die rechtliche Annahme einer der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin geprüft, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS-Justiz RS0117806).

Zum Haftgrund der Tatbegehungsgefahr wird vom Beschwerdeführer eine willkürliche Prognoseentscheidung des Oberlandesgerichts (BS 70 ff) nicht einmal behauptet, vielmehr die - vom Oberlandesgericht tatsächlich gar nicht vorgenommene (s BS 75) - „Zusammenrechnung von (jeweils relativ geringen) Schadensbeträgen aus einer völlig unbestimmten und unbestimmbaren Zahl von Einzeltaten“ als unzulässig moniert.

Der für die Beurteilung der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO maßgebliche Begriff der „schweren“ bzw „nicht bloß leichten“ Folgen umfasst über die tatbestandsmäßigen Folgen hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, wie Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganzen sowie den gesellschaftlichen Störwert einschließlich der Eignung, umfangreiche und kostspielige Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigung und Besorgnis herbeizuführen (Kirchbacher/Rami, WK-StPO § 173 Rz 43, 46; RIS-Justiz RS0108487). Die vom Gesetz verlangten Folgen müssen jeweils aus einer einzigen Tat resultieren, wobei keine Zusammenrechnung nach § 29 StGB stattfindet (Ratz in WK2 § 21 Rz 27; RIS-Justiz RS0119762 [T2]). Da die inkriminierten Gewinnbenachrichtigungen im Anlassfall aber jeweils in Massenaussendungen in Umlauf gebracht wurden (BS 72 und 76), sind sie - als wiederholte Verwirklichung des gleichen Tatbestands uno actu bzw in kurzer zeitlicher Abfolge bei einheitlicher Motivationslage - als tatbestandliche Handlungseinheit iwS aufzufassen (vgl Ratz in WK2 Vor §§ 28 bis 31 Rz 88 f) und damit als jeweils eine Tat anzusehen (Ratz in WK2 § 21 Rz 27; weshalb der - anders geartete - Sachverhalt der Entscheidung 13 Os 1/07g „analog bei den hier angelasteten Taten“ gelte, bleibt unerfindlich). Der Annahme des Oberlandesgerichts, aufgrund der zahlreichen und - ungeachtet anhängiger Straf- und Zivilverfahren - bis zur Festnahme des Beschuldigten fortgesetzten Gewinnaussendungen (BS 53 ff) bestehe die Befürchtung, er werde auch künftig derartige Prognosetaten mit (in ihrer Gesamtauswirkung) schweren bzw zumindest nicht bloß leichten Folgen begehen (BS 71 ff), haftet keine Willkür an.

Da bereits ein Haftgrund die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, im Rahmen der Behandlung der Grundrechtsbeschwerde auf das Vorbringen zum Haftgrund der Fluchtgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 StPO einzugehen (RIS-Justiz RS0061196).

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer (§ 9 Abs 1 StPO) sowie Verzögerungen in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) sind jeweils an den Gegebenheiten des konkret zu beurteilenden Verfahrens zu messen (§ 9 Abs 2 StPO; vgl auch Kier, WK-StPO § 9 Rz 34, 47), sodass in einem anderen Verfahren (hier im Verfahren AZ 223 Ur 6042/00s des Landesgerichts für Strafsachen Wien) allenfalls auszumachende Verzögerungen - dem Beschwerdestandpunkt zuwider - in jenem (getrennt geführten) Verfahren, in dem die Untersuchungshaft verhängt wurde, nicht geltend gemacht werden können.

Gerhard B***** wurde somit im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde war daher - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten, teils das Vorbringen wiederholenden, teils neuer, mangels Erschöpfung des Instanzenzugs unbeachtlicher Einwände vorbringenden Äußerung des Verteidigers - ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Strafrecht
Schlagworte
Zivilrecht,Grundrechtsbeschwerden
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2013:0110OS00108.13M.0820.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
KAAAD-85585