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OGH vom 24.10.2005, 9Ob47/05k

OGH vom 24.10.2005, 9Ob47/05k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sylvia J*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Burghofer & Pacher Rechtsanwälte GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Peter Bibiza, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 17.400,81 sA und Feststellung (EUR 3.633,64; Gesamtstreitwert EUR 21.034,45 sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 12 R 112/05m-57, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 20 Cg 42/01w-52, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit des Berufungsverfahrens geltend gemacht, verworfen.

2. Im Übrigen wird ihr Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrte aus dem Titel des Schadenersatzes den Zuspruch von ATS 239.440,30 sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden, welche daraus entstanden seien, dass die Beklagte zu spät die richtige Diagnose „Sarkoidose" bei der Klägerin gestellt habe. Dazu brachte sie vor, dass sie im AKH, dessen Erhalterin die Beklagte ist, in Behandlung gestanden sei. Infolge eines Diagnosefehlers sei bei ihr zunächst eine unrichtige Diagnose in Richtung TBC gestellt und daher die rechtzeitige Behandlung ihrer Sarkoidose-Krankheit verabsäumt worden. Dadurch seien ihr Schäden entstanden, für welche die Beklagte als Vertragspartner hafte.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und stellte sowohl eine unrichtige als auch eine verspätete Diagnose in Abrede. Die Klägerin sei sachgerecht behandelt worden.

Im Zuge des Verfahrens wurde - neben einem anderen Sachverständigen - der im Krankenhaus Lainz der Beklagten beschäftigte Univ. Prof. Dr. H***** Z***** zum Sachverständigen bestellt, der in der Folge auch ein Gutachten erstattete. Die Klägerin lehnte den Sachverständigen als befangen ab, weil dieser durch seine Tätigkeit in einem Naheverhältnis zur Beklagten stehe.

Das Erstgericht verwarf den Ablehnungsantrag, weil eine Befangenheit nicht vorliege.

Den dagegen erhobenen Rekurs der Klägerin wies das Rekursgericht mit der Begründung zurück, dass gegen den Beschluss über die Verwerfung der Ablehnung eines Sachverständigen ein abgesondertes Rechtsmittel nicht stattfinde (§ 366 Abs 1 ZPO).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dass die bei der Beklagten beschäftigten Ärzte die Krankheit der Klägerin so früh wie möglich erkannten. Selbst im Falle einer noch früheren Erkennung wäre aber eine andere und bessere Behandlung der Klägerin nicht möglich gewesen. Das Erstgericht stützte diese Feststellungen insbesondere auf das Gutachten des Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Z*****.

Gegen dieses Urteil erhob die Klägerin Berufung und machte als Berufungsgründe Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Im Rahmen dieser „Mängelrüge" brachte die Klägerin vor, dass die Abweisung des Ablehnungsantrages zu unrecht erfolgt sei (AS 247) und berief sich in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Rechtzeitigkeit der Ablehnung des Sachverständigen, sondern auch auf die materielle Berechtigung ihres Ablehnungsantrages. Die Klägerin führte auch ausdrücklich aus (AS 249 oben), dass ihrem Antrag auf Bestellung eines anderen Sachverständigen hätte stattgegeben werden müssen. Da dies nicht erfolgt sei, liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.

Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Im Rahmen der Behandlung der Mängelrüge führte es an, dass die Klägerin mit der Berufung keinen - nunmehr zulässigen - Rekurs gegen die Ablehnung des Sachverständigen verbunden habe. Die Ablehnung sei daher in Rechtskraft erwachsen. Somit könne die Klägerin aber die angebliche Befangenheit des Sachverständigen nicht mehr mit Mängelrüge geltend machen. Die ebenfalls erhobene Beweisrüge erachtete das Berufungsgericht als nicht gesetzgemäß ausgeführt. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000 übersteige, aber die ordentliche Revision mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die im Rahmen des Aufhebungsantrages berechtigt ist.

Rechtliche Beurteilung

1. Zur geltend gemachten Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 1 ZPO:

Die Heranziehung von Befund und/oder Gutachten eines befangenen Sachverständigen kann zwar ein wesentlicher Verfahrensmangel sein, bewirkt aber mangels besonderer Sanktion keine Nichtigkeit (10 ObS 316/02x; Fasching III 486 ff; Rechberger in Rechberger ZPO2 §§ 355, 356 Rz 6; ders in Fasching/Konecny2 III/3 Rz 1 zu § 356 ZPO). Fasching verweist betreffend die Verneinung einer Nichtigkeitssanktion insbesondere darauf, dass ein Gutachten für die richterliche Entscheidung nur den Stoff liefern soll, ohne dem Gericht die Schlussfolgerungen und die Entscheidung selbst abzunehmen (Fasching III 486 ff). Diese Erwägungen müssen aber auch dann gelten, wenn der Sachverständige ausgeschlossen wäre - was hier im übrigen wohl zu verneinen ist -, weil nicht er derjenige ist, der die Entscheidung fällt.

Zu 2.

Berechtigt ist die Revision hingegen, soweit Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens geltend gemacht wird.

Im Falle eines aufgeschobenen Rekurses kann die Partei ihre „Beschwerde" gegen den Beschluss gemäß § 515 ZPO mit dem gegen die nächstfolgende anfechtbare Entscheidung eingebrachten Rechtsmittel zur Geltung bringen. Das Rechtsmittel bleibt in jedem Fall ein Rekurs, auch wenn es mit einer Berufung einzubringen ist (RIS-Justiz RS0108617, insbes 10 ObS 166/03i).

Das bloße Vergreifen in der Bezeichnung des Rechtsmittels gegen einen nicht abgesondert anfechtbaren Beschluss hat keine nachteiligen Folgen. Wenn der Rechtsmittelwerber den vorbehaltenen Rekurs nicht förmlich erhebt, sondern ihn faktisch einfach als besonderen Beschwerdepunkt im Rechtsmittel gegen eine abgesondert anfechtbare Entscheidung ausführt, so ist über ihn gleichwohl abzusprechen. Dies wird auf das zutreffende Argument gestützt, dass die unrichtige Bezeichnung eines Rechtsmittels oder seiner Gründe unbeachtlich ist, solange nur das Begehren deutlich erkennbar ist (Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 Rz 10 zu § 515 ZPO mwN). Unterzieht man nun den Berufungsschriftsatz der Klägerin einer näheren Betrachtung, ergibt sich noch ausreichend deutlich, dass sie nicht nur eine Mängelrüge betreffend das erstinstanzliche Verfahren, sondern auch einen Rekurs gegen die Verwerfung ihres Ablehungsantrages erheben wollte. Das ergibt sich insbesondere daraus, dass sie erneut die ihrer Meinung nach gegebenen Gründe für eine Befangenheit des Sachverständigen dartut und dabei auf die - ihrer Meinung nach - unberechtigte Abweisung ihres Ablehnungsantrages Bezug nimmt und auf die „notwendige Bestellung eines anderen Sachverständigen" (§ 356 Abs 2 dritter Satz ZPO) hinweist. Die sehr formale Betrachtung des Berufungsgerichtes, wonach ein (verbundener) Rekurs nicht erhoben und die Verwerfung des Befangenheitsantrages daher in Rechtskraft erwachsen sei, findet daher keine Deckung in der Judikatur (1 Ob 53/87; EvBl 1998/49 ua).

Die Erledigung dieses Rekurses wäre aber notwendige Voraussetzung für die Erledigung der Berufung gewesen, weil im Falle einer bejahten Befangenheit das Unterbleiben der dann obligatorischen Bestellung eines anderen Sachverständigen (§ 356 Abs 2 dritter Satz ZPO) einen Verfahrensmangel begründen würde.

Die Nichtbehandlung des Rekurses zieht somit einen relevanten Mangel des Berufungsverfahrens nach sich. Der Rechtsmittelausschluss des § 519 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0040718) ist hier nicht gegeben, weil das Berufungsgericht eine meritorische Entscheidung ausdrücklich abgelehnt hat. Es liegt auch keine der Überprüfung des Obersten Gerichtshofs entzogene Verneinung eines Verfahrensmangels vor, weil das Berufungsgericht dazu nur infolge unrichtiger Anwendung von Verfahrensvorschriften gekommen ist (Kodek in Rechberger ZPO2 § 503 Rz 3). Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungs- und Rekursgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.